01.09.2005 | Unterhalt
Grundsicherung für Erwerbsgeminderte beim Ehegattenunterhalt
Der Beitrag zeigt anhand eines praktischen Falls, wie sich die (zu Unrecht) bezogene Grundsicherungsrente auf den Ehegattenunterhalt auswirkt.
Der praktische Fall |
Leitsatz: In Höhe der von dem getrennt lebenden Ehegatten bezogenen Grundsicherungsrente ist die Bedürftigkeit und damit der Unterhaltsanspruch entfallen (OLG Bremen 11.11.04, 5 UF 40/04, OLGR 05, 159 = FamRZ 05, 801, Abruf-Nr. 052278).
Sachverhalt: Der Kläger, der eine lastenfreie Eigentumswohnung bewohnte, begehrte Trennungsunterhalt, obwohl er eine Grundsicherungsrente von rund 510 EUR bezog. Die Beklagte bezog Erwerbseinkommen. Die Klage hatte keinen Erfolg. Das OLG hat die Klageabweisung bestätigt.
Entscheidungsgründe: Der Kläger ist nicht unterhaltsbedürftig, da ihm auf Grund der Gewährung der Grundsicherungsrente Mittel zugeflossen sind, durch die er den nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestehenden Bedarf decken konnte.
Bewilligung von Grundsicherung: Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (nicht zu verwechseln mit der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II) war im Grundsicherungsgesetz (GSiG; dazu Klinkhammer, FK 02, 115; FamRZ 02, 997) geregelt. Seit dem 1.1.05 ist sie in das SGB XII (§§ 41 ff.) aufgenommen worden. Vor Bewilligung der Grundsicherung prüft die Sozialbehörde Einkommen und Vermögen des Antragstellers. Unterhaltsleistungen oder -ansprüche wirken sich wie folgt aus: Bezieht der Antragsteller Unterhaltsleistungen, sind diese als Einkommen zu berücksichtigen, so dass keine Grundsicherung bewilligt wird. Bezieht er keine Unterhaltsleistungen, hat er aber einen – noch nicht realisierten – Unterhaltsanspruch, schließt dieser (als Vermögensbestandteil) einen Anspruch grundsätzlich aus. Nach § 2 Abs. 1 S. 3 GSiG (aktuell: § 43 Abs. 2 S. 1 SGB XII) bleiben allerdings Unterhaltsansprüche gegenüber Eltern und Kindern unberücksichtigt, sofern deren jährliches Gesamteinkommen nach § 16 SGB IV unter 100.000 EUR liegt. Aus dieser Regelung folgt im Umkehrschluss, dass Unterhaltsansprüche gegen Ehegatten berücksichtigt werden.
Konsequenzen für die Praxis bei unrechtmäßiger Bewilligung der Grundsicherung: Da die Grundsicherung ohne Rücksicht auf den vorrangigen Unterhaltsanspruch bewilligt wurde, stellte sich die Frage, ob dies als Einkommen zu berücksichtigen war oder – vergleichbar der Sozialhilfe – als nachrangige Leistung außer Betracht blieb. Gegen eine Einkommensanrechnung hatte sich das OLG Zweibrücken (FamRZ 03, 1850) ausgesprochen (so auch Günther, FF 03, 10; ebenso Klinkhammer, FamRZ 02, 997). Dem folgten sämtliche Unterhaltsleitlinien der OLG (auch des OLG Bremen) zur jeweiligen Nr. 2.9, indem sie die Grundsicherung nur beim Verwandtenunterhalt, nicht aber beim Ehegattenunterhalt als unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen eingestuft haben.
Das OLG Bremen hat nun anders entschieden und die Grundsicherung als (nicht eheprägendes) Einkommen angerechnet. Die Grundsicherung sehe anders als die Sozialhilfe keinen Unterhaltsrückgriff vor und sei vom Gesetzgeber als eine eigenständige Sicherung des Lebensbedarfs gedacht. Ähnliche Probleme stellten sich in der Vergangenheit schon bei der Sozialhilfe. Allerdings hat der BGH im Gegensatz zum OLG Bremen die Sozialhilfe als grundsätzlich nachrangig behandelt, selbst wenn ein Anspruchsübergang auf den Sozialleistungsträger – etwa wegen nur fiktiven Einkommens des Unterhaltspflichtigen – ausgeschlossen war (FamRZ 99, 843).
Die Eigenständigkeit der Leistung ist m.E. ebenfalls kein überzeugendes Argument, weil die Eigenständigkeit nur im Rahmen der gesetzlichen Regelung verliehen worden ist, die zwischen privilegierten Unterhaltsverhältnissen (Elternunterhalt, Volljährigenunterhalt) und nicht privilegierten (Ehegattenunterhalt) unterscheidet. Die Ansicht des OLG Bremen ist aber dennoch vertretbar, zumal eine doppelte Bedarfsdeckung auf Anhieb jedenfalls Billigkeitsbedenken auslöst. Auch diese wären aber nur begründet, wenn es rechtlich ausgeschlossen erschiene, dass der Unterhalt im Ergebnis wiederum der Grundsicherungsbehörde zufließt, was bislang nicht abschließend geklärt ist.
Neue Rechtslage seit dem 1.1.05: Seit diesem Zeitpunkt ist die Grundsicherung Bestandteil des SGB XII. Ob ein Rückgriff der Grundsicherungsbehörde (oder eine Erstattungspflicht seitens des Leistungsempfängers) auch ohne gesetzlichen Forderungsübergang auf Grund anderer Vorschriften denkbar ist, bedarf seitdem keiner Entscheidung mehr. Denn das Gesetz sieht nun auch für die Grundsicherung einen gesetzlichen Forderungsübergang vor. § 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII gilt für alle Leistungen nach dem SGB XII, also auch für die Grundsicherung. Eine Ausnahme gilt nach § 94 Abs. 1 S. 3 SGB XII nur für Unterhaltsansprüche gegenüber Eltern und Kindern. Der Fall des OLG Bremen wäre also jedenfalls ab 1.1.05 dahin zu entscheiden, dass die Grundsicherung kein anrechenbares Einkommen darstellt. |