21.09.2011 · IWW-Abrufnummer 113151
Oberlandesgericht Saarbrücken: Beschluss vom 07.08.2009 – 6 UFH 58/09
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
6 UFH 58/09
Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss
In der Familiensache XXX
wegen Kindesunterhalts
hier: Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Berufung
hat der 6. Zivilsenat - Senat für Familiensachen I - des Saarländischen Oberlandesgerichts am 7. August 2009 beschlossen:
Der Beklagten wird die nachgesuchte Prozesskostenhilfe für ihre beabsichtigte Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - in Lebach vom 3. April 2009 - 2 F 357/08 UK - verweigert.
Gründe
I. Die Klägerin ist die Tochter der Beklagten, aus deren seit dem Jahr 1999 rechtskräftig geschiedenen Ehe mit dem Vater der Klägerin, in dessen Haushalt die Klägerin lebt. Die Klägerin ist Schülerin und ohne eigene Einkünfte oder Vermögen.
Die am . September 1969 geborene Beklagte, die mit einem neuen Partner in Haushaltsgemeinschaft zusammenlebt, bezieht Leistungen nach dem SGB II von monatlich 347 EUR bis einschließlich Juni 2008 und von monatlich 497,03 EUR ab Juli 2008. Sie verfügt über eine abgeschlossene Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel. Nach ca. vierjähriger Arbeitslosigkeit war sie ab 15. November 2008 vollschichtig als Verkäuferin in einer Bahnhofsbuchhandlung beschäftigt. Ihr monatliches Bruttoeinkommen hat sich auf 1.200 EUR zuzüglich Urlaubs- und Weihnachtsgeld belaufen, was nach ihren Angaben einem monatlichen Nettoeinkommen von 958,80 EUR entsprach. Das Arbeitsverhältnis wurde seitens des Arbeitgebers während der Probezeit zum 15. Februar 2009 gekündigt.
Die Klägerin ist seit ca. 10 Jahren alkoholkrank, was auch bereits Grund für einen Führerscheinentzug war. Sie hat sich in der Vergangenheit bereits zwei Langzeittherapien in den Jahren 2005 und 2007 unterzogen, zuletzt hat sie sich - infolge eines Rückfalls - vom 24. bis 31. Dezember 2008 zur Entgiftung stationär im Krankenhaus aufgehalten und erneut vom 24. März bis 21. April 2009. Seit 17. Juni 2009 nimmt sie an einer voraussichtlich achtwöchigen Therapie in der A. Klinik T. teil.
Nachdem die Klägerin zunächst Unterhaltsfestsetzung im vereinfachten Verfahren nach §§ 645,646 ZPO erstrebt, die Beklagte hiergegen jedoch Einwendungen erhoben hatte, hat die Klägerin mit ihrem am 8. August 2008 eingereichten Antrag Durchführung des streitigen Verfahrens gemäß § 651 ZPO begehrt und die Beklagte auf Unterhalt von insgesamt 1152 EUR für die Zeit von Mai bis einschließlich August 2008 sowie entsprechend § 1612 a BGB in Verbindung mit § 36 EGZPO auf 100 % des Mindestunterhalts der dritten Altersstufe abzüglich der Hälfte des jeweiligen Kindergeldes ab September 2009 in Anspruch genommen.
Die Beklagte hat auf Klageabweisung angetragen und sich auf fehlende Leistungsfähigkeit berufen.
Das Familiengericht hat gemäß Beweisbeschluss vom 12. November 2008 Beweis erhoben über die von der Beklagten behaupteten krankheitsbedingten Einschränkungen ihrer Erwerbsfähigkeit durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das fachinternistische/sozialmedizinische Gutachten des Dr. med G. B., [Ort], vom 30. Januar 2009 verwiesen.
Durch Urteil vom 3. April 2009, auf das Bezug genommen wird, hat das Familien-gericht der Klage (im Wesentlichen) stattgegeben und der Klägerin Kindesunterhalt von insgesamt 3.436 EUR für die Zeit von Mai 2008 bis April 2009 und von 100 % des jeweiligen Mindestunterhalts der dritten Altersstufe abzüglich des hälftigen Kindergeldes ab 1. Mai 2009 zuerkannt.
Die Beklagte hat um Prozesskostenhilfe für eine hiergegen beabsichtigte Berufung nachgesucht, mit der sie ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag in vollem Umfang weiterverfolgen will. Hilfsweise will sie Zurückverweisung des Verfahrens an das Familiengericht nach § 538 ZPO erreichen.
Die Klägerin bittet unter Verteidigung der erstinstanzlichen Entscheidung um Zurückweisung der "Berufung" und sucht um Prozesskostenhilfebewilligung nach.
II. Der Beklagten kann die nachgesuchte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, da ihre beabsichtigte Berufung keine hinreichend Erfolgsaussicht verspricht (§ 114 ZPO).
Vergeblich beruft sich die Beklagte bei der gegebenen Sachlage auf fehlende Leistungsfähigkeit im Umfang der erstinstanzlich zugunsten der Klägerin titulierten Unterhaltsrenten, die für die Zeit von Januar bis einschließlich April 2009 sogar noch unter dem geltenden Mindestunterhalt liegen, da das Familiengericht der Klägerin für diesen Zeitraum lediglich monatlich 283 EUR (Zahlbetrag des Mindestunterhalts nach § 36 Nr. 4 c EGZPO bis 31. Dezember 2008) zuerkannt hat, obwohl sich der zu zahlende Mindestunterhalt nach bedarfsdeckender Anrechnung des hälftigen Kindergeldes (§ 1612 b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB) nach § 1612 a Abs. 1 S. 3 Nr. 3 BGB i.V.m. § 32 Abs. 6 S. 1 EStG auf 295 EUR monatlich belaufen hat.
Denn im Ergebnis zu Recht hat das Familiengericht die Beklagte im zuerkannten Umfang als leistungsfähig behandelt. Der Senat teilt die Beurteilung des Familiengerichts, dass die für ihre fehlende Leistungsfähigkeit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte schon nicht hinreichend dargetan hat, dass sie bei Erfüllung ihrer der Klägerin gegenüber bestehenden gesteigerten Unterhaltsverpflichtung (§ 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB) auch unter Wahrung des ihr vorliegend zuzubilligenden Selbstbehalts nicht in der Lage war bzw. ist, den von der Klägerin geforderten Kindesunterhalt zu zahlen.
Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, dass sie aufgrund der von ihr tatsächlich erzielten Einkünfte in Form von Leistungen nach dem SGB II bzw. - vorübergehend - aus Erwerbstätigkeit nicht in der Lage war und ist, Barunterhalt für die Klägerin zu leisten.
Zutreffend und in Übereinstimmung mit der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH, FamRZ 2009, 314; FamRZ 2008, 872; FamRZ 2007, 707; FamRZ 2003, 1471, FamRZ 2000, 1358; BVerfG, FamRZ 2006, 469) geht das Familiengericht nämlich davon aus, dass die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen nicht nur durch die tatsächlich vorhandenen, sondern auch durch die Mittel bestimmt wird, die er bei gutem Willen durch eine zumutbare Erwerbstätigkeit, unter Umständen auch im Wege eines Orts- oder Berufswechsels erreichen könnte, wobei die Beklagte im Rahmen der ihr gegenüber der Klägerin obliegenden erweiterten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB zu einer gesteigerten Ausnutzung ihrer Arbeitskraft verpflichtet ist und alle Erwerbsmöglichkeiten auszuschöpfen hat.
Unter den gegebenen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte ihrer gesteigerten Erwerbsobliegenheit nachgekommen ist. Hinreichende Bemühungen um eine für sie in Betracht kommende Arbeitsstelle hat die Beklagte nicht dargelegt, wobei bezüglich der geforderten Intensität der Bewerbungsbemühungen auf die zutreffenden, vom Senat vollumfänglich geteilten Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen wird. Mit den von ihr konkret behaupteten 5 Bewerbungen, die wohl im September 2008 erfolgt sein sollen und bei denen noch nicht einmal erkennbar ist, um welche Art von Arbeitsstelle es sich gehandelt haben soll, hat die Beklagte die gebotenen Bemühungen um eine zumutbare Arbeitsplatz auch nicht ansatzweise dargetan. Weitere Bemühungen um eine Arbeitsstelle sind nicht vorgetragen.
Allerdings wendet sich die Beklagte zu Recht dagegen, dass das Familiengericht zusätzlich zu der von ihr - zeitweise - ausgeübten vollschichtigen Erwerbstätigkeit die Aufnahme eine Nebenbeschäftigung für zumutbar erachtet und ihr entsprechend weitere Einkünfte fiktiv zugerechnet hat. Zwar mag im Einzelfall neben einer vollschichtigen Tätigkeit eine Nebentätigkeit zumutbar sein, wenn sie den Unterhaltspflichtigen nicht unverhältnismäßig belastet. Dies erfordert aber eine sorgfältige Abwägung der besonderen Lebens- und Arbeitssituation des Unterhaltspflichtigen einerseits - hier insbesondere auch der durch das Sachverständigengutachten belegten gesundheitlichen Einschränkungen der Beklagten - und der Bedarfslage des Unterhaltsberechtigten andererseits (BGH, FamRZ 2009 aaO., FamRZ 2008aaO.; BVerfG, FamRZ 2007, 273; FamRZ 2006 aaO.; FamRZ 2003, 661). Eine derartige Abwägung hat das Familiengericht nicht in gebotenem Umfang vorgenommen und hat auch der Beklagten den erforderlichen Hinweis auf die sie insoweit treffende Darlegungspflicht nicht erteilt. Allein aus der erhöhten Unterhaltspflicht kann aber auf die Zumutbarkeit einer Nebenbeschäftigung nicht geschlossen werden (BVerfG FamRZ 2003 aaO.). Entsprechend kann nach ständiger Rechtsprechung der Familiensenate des Saarländischen Oberlandesgerichts einem nach § 1603 Abs. 2 BGB gesteigert Unterhaltspflichtigen, dessen regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit - wie auch hier die der Beklagten - 40 Stunden nicht unterschreitet, nur ausnahmsweise eine Nebentätigkeit angesonnen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2001 - 6 UF 1/01 (PKH) m.w.N.; 2. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts, Urteil vom 12. März 2008 - 2 UF 20/07; 9. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts, Urteil vom 20. Dezember 2006 - 9 UF 160/04).
Dies vermag jedoch der beabsichtigten Berufung der Beklagten vorliegend nicht zum Erfolg zu verhelfen.
Dass die Beklagte mit ihrer von Mitte November 2008 bis Mitte Februar 2009 ausgeübten Tätigkeit als Verkäuferin ihre der Klägerin gegenüber bestehende gesteigerte Erwerbsobliegenheit erfüllt hat, kann nämlich dennoch und entgegen der Auffassung der Beklagten nicht angenommen werden. Insoweit kommt es nicht darauf an, dass das von der Beklagten aus dieser Tätigkeit erzielte Nettoeinkommen nicht nachprüfbar ist, nachdem die Beklagte keine einzige Entgeltabrechnung vorgelegt hat.
Bei der gegebenen Sachlage ist nämlich jedenfalls nicht auszuschließen, dass die Beklagte - die gebotenen Erwerbsbemühungen unterstellt - im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum ein Einkommen hätte erzielen können bzw. erzielen kann, das sie in die Lage versetzen würde, den Mindestunterhalt für die Klägerin zu zahlen, wobei insoweit etwa verbleibende Zweifel zu Lasten der Beklagten gehen.
Die - im Wege der Schätzung nach § 287 ZPO zu ermittelnde (vgl. BGH, FamRZ 1986, 885, 886) - Höhe der anzurechnenden fiktiven Einkünfte orientiert sich an dem, was der Unterhaltsschuldner nach seinem Alter, seiner Vorbildung und seinem beruflichen Werdegang erzielen könnte. Bei der Bemessung ist aber nicht an die untersten beruflichen Möglichkeiten anzuknüpfen; vielmehr muss der Betreffende sich so behandeln lassen, als w ürde er eine nach seinen Fähigkeiten gut bezahlte Stelle einnehmen.
Unter Zugrundelegung vorstehender Ausführungen sind aber zur Überzeugung des Senats die für die Beklagte aus einer zumutbaren vollschichtigen Erwerbstätigkeit realistisch erzielbaren monatlichen Bruttoeinkünfte deutlich höher zu veranschlagen als der von ihr aus vollschichtiger Tätigkeit in der Bahnhofsbuchhandlung erzielte Bruttolohn von 1.200 EUR.
Unstreitig verfügt die Beklagte, die noch keine 40 Jahre alt ist, über eine abgeschlossene Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel, so dass nicht nachvollziehbar ist, aus welchem Grund sie - wie sie meint - auf dem Arbeitsmarkt als ungelernte Kraft gelten sollte. Nach dem Tarifvertrag für den Einzelhandel - etwa in Nordrhein-Westfalen - liegt aber die tarifliche Grundvergütung der untersten Gruppe - Beschäftigte mit abgeschlossener Berufsausbildung - schon bei rund 1.650 EUR monatlich, so dass dahinstehen kann, in welchem Umfang die Beklagte - die nach ihren Angaben die letzten vier Jahre arbeitslos war - über Berufserfahrung verfügt. Demnach kann aber eine realistische Chance der Beklagten, eine Arbeitsstelle mit einer derartigen Grundvergütung zu erlangen, nicht ausgeschlossen werden, was zu ihren Lasten geht. Unter Einbeziehung tarifvertraglich üblicher Sonderzuwendungen - wie auch in dem von der Beklagten vorgelegten Arbeitsvertrag zugesichert - würde sich danach bei Steuerklasse I/0,5 auch unter angemessener Berücksichtigung pauschaler berufsbedingter Kosten bereits ein Nettoeinkommen ergeben, das die Beklagte in die Lage versetzen würde, unter Wahrung ihres notwendigen Selbstbehalts den ganz überwiegenden Teil des Mindestunterhalt für die Klägerin zu leisten. Aber auch soweit der notwendige Selbstbehalt der Beklagten bei Zahlung des vollen Mindestunterhalts unterschritten würde, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Denn im Hinblick auf das Zusammenleben der Beklagten mit ihrem jetzigen Lebenspartner ist eine - deutliche - Herabsetzung des der Beklagten im Verhältnis zur Klägerin zuzubilligenden Selbstbehalts unter den notwendigen Selbstbehalt vorzunehmen (vgl. BGH, FamRZ 2008, 594). Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es insoweit entscheidend allein auf die Frage der Haushaltsersparnisse an, die hier im Hinblick auf die ersichtlich jeweils hälftig getragenen Mietkosten in nicht unerheblichem Umfang zu bejahen sein dürften.
Letztlich steht auch der Umstand, dass die Beklagte im März 2009 wiederum rückfällig geworden ist, sich zunächst einer mehrwöchigen stationären Behandlung und im Anschluss daran erneut einer Therapie unterzogen hat, der Annahme der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit der Beklagten nicht entgegen. Zum einen hätte die Beklagte bei der gebotenen Erfüllung ihrer Erwerbsobliegenheit in der Vergangenheit im Krankheitsfall Lohnfortzahlungen bzw. Krankengeld erhalten. Zum anderen erscheint der erneute Rückfall aber auch als unterhaltsrechtlich leichtfertiges Verhalten (vgl. hierzu: KG, FamRZ 2001, 1617; OLG Bamberg, FamRZ 1998, 370; OLG Naumburg, OLGR Naumburg 2006, 1023). Denn das erstinstanzlich eingeholte medizinische Sachverständigengutachten, dem eine Untersuchung am 16. Januar 2009 zugrunde lag, ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte mittelschwere körperliche Tätigkeiten ohne Kontakt mit Alkohol am Arbeitsplatz weiterhin vollschichtig verrichten kann. Zudem wurde der Beklagten im Hinblick auf ihre fortbestehende Gefährdung nachdrücklich eine weitergehende Betreuung z.B. bei einer Suchtberatungsstelle oder zumindest bei einer Selbsthilfegruppe angeraten. Darlegungen der Beklagten, ob und in welchem Maße sie die nach der gutachterlichen Untersuchung dringend empfohlene ständige therapeutische Unterstützung in Anspruch genommen hat, fehlen jedoch.
Für die nach alledem nicht hinreichend aussichtsreiche beabsichtigte Berufung kann der Beklagten Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden (§ 114 ZPO).
Über den Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin kann noch nicht entschieden werden, da entgegen der Annahme der Klägerin noch keine Berufung eingelegt worden ist und eine Prozesskostenhilfebewilligung für das vorliegende Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren ausscheidet.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordern (§ 574 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 ZPO).