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  • 10.07.2013 · IWW-Abrufnummer 132156

    Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht: Beschluss vom 25.04.2013 – 9 W 41/13

    Orientierungssatz:

    Wird im Zuge einer Trennung von Ehegatten ein Beratungshilfeschein erteilt, so können für den Rechtsanwalt Beratungsgebühren für bis zu vier Angelegenheiten anfallen
    Amtlicher Leitsatz:

    1. Den §§ 2 Abs. 2, 6 BerHG lässt sich keine Definition des Begriffs "Angelegenheit" entnehmen. Deshalb kann grundsätzlich das entsprechende Begriffsverständnis aus dem RVG auf das BerHG übertragen werden.

    2. Im Bereich familienrechtlicher Beratungsgegenstände werden unterschiedliche juristische Auffassungen vertreten. Der Senat schließt sich der Auffassung an, dass in generalisierender Betrachtung von bis zu vier möglichen Angelegenheiten auszugehen sei, nämlich:

    - Scheidung als solche

    - Persönliches Verhältnis zu den Kindern (Personensorge, Umgangsrecht)

    - Fragen im Zusammenhang mit der Ehewohnung und den Hausrat

    - Finanzielle Auswirkungen von Trennung und Scheidung (Unterhalt, Güterrecht, Vermögensauseinandersetzung)


    Tenor:

    Unter Abänderung der Beschlüsse der 4. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe vom 28. Februar 2013 und des Amtsgerichts Elmshorn vom 15. Mai 2012 und vom 20. Juni 2012 wird die der Antragstellerin aus der Landeskasse zu gewährende Vergütung über den bereits festgesetzten Betrag von 99,96 € hinaus auf weitere 199,92 € festgesetzt.

    Im Übrigen wird die weitere Beschwerde zurückgewiesen.

    Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
    Gründe

    I.

    Das Amtsgericht/Rechtspfleger gewährte der Beteiligten, die sich von ihrem Ehemann getrennt hatte, durch Beschluss vom 17. März 2011 Beratungshilfe "für folgende Angelegenheit": "Beratung/Vertretung a) Trennung, b) Umgang, c) Unterhalt, d) Fahrzeug". Die Antragstellerin, die für die Beteiligte als Rechtsanwältin in den vier Komplexen tätig geworden war, beantragte unter dem 27. Juni 2011 die Festsetzung von Gebühren und Auslagen in Höhe von 4 x jeweils 99,96 € (Gebühr gemäß VV RVG Nr. 2503 in Höhe von 70,00 € zzgl. 14,00 € Post- und Telekommunikationspauschale gemäß VV RVG Nr. 7002 und 19% Umsatzsteuer). Der Rechtspfleger setzte am 8. Juli 2011 99,96 € zu Gunsten der Antragstellerin fest und lehnte mit Beschluss vom 15. Mai 2012 eine weitergehende Festsetzung ab. Die gegen den ablehnenden Beschluss gerichtete Erinnerung der Antragstellerin vom 30. Mai 2012 wies das Amtsgericht/Richter nach Nichtabhilfe durch den Rechtspfleger mit Beschluss vom 20. Juni 2012 zurück. In dem Beschluss wurde die Beschwerde zugelassen. Das Landgericht/Einzelrichter wies die Beschwerde der Antragstellerin vom 27. Juni 2012 gegen den Beschluss des Amtsgerichts/Richters vom 20. Juni 2012 durch Beschluss vom 24. Juli 2012 zurück und ließ die weitere Beschwerde zu. Auf die weitere Beschwerde der Antragstellerin vom 26. Juli 2012 hob der Senat durch Beschluss vom 21. Februar 2013 den Beschluss des Landgerichts/Einzelrichters vom 24. Juli 2012 auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück, weil der Einzelrichter der Sache rechtsgrundsätzliche Bedeutung beigemessen und gleichwohl die Sache nicht der Kammer übertragen hatte. Das Landgericht wies die Beschwerde der Antragstellerin vom 27. Juni 2012 gegen den Beschluss des Amtsgerichts/Richters vom 20. Juni 2012 erneut zurück und ließ wiederum die weitere Beschwerde zu, und zwar nunmehr durch Beschluss der Kammer vom 28. Februar 2013.

    Mit ihrer weiteren Beschwerde vom 6. März 2013 wendet sich die Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts/Kammer vom 28. Februar 2013, der das Landgericht/Kammer durch Beschluss vom 21. März 2013 nicht abgeholfen hat. Sie beansprucht weiterhin die Festsetzung von weiteren 3 x 99,96 € mit der Begründung, dass der Beteiligten Beratungshilfe für vier Angelegenheiten bewilligt worden sei und sie, die Antragstellerin, unbestritten in diesen vier Angelegenheiten tätig geworden sei. Sie hat auf Nachfrage des Senats klargestellt, dass sie die festgesetzten 99,96 € als für die Angelegenheit "Trennung" festgesetzt ansehe.

    II.

    Die gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 6 Satz 1 RVG statthafte und in zulässiger Weise erhobene weitere Beschwerde der Antragstellerin hat zum Teil Erfolg. Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts beruht auf einer Verletzung des Rechts (§§ 33 Abs. 6 Satz 2 RVG, 546 ZPO). Die Antragstellerin kann entgegen der Annahme des Landgerichts für die von ihr entfalteten Tätigkeiten aufgrund der gewährten Beratungshilfe Gebühren und Auslagen für insgesamt drei Angelegenheiten beanspruchen, also zwar nicht weitere 3 x 99,96 €, wohl aber weitere 2 x 99,96 €.

    Nach den §§ 2 Abs. 2, 6 BerHG wird Beratungshilfe in "Angelegenheiten" gewährt. Daraus folgt, dass einem Rechtsanwalt, der im Rahmen der Beratungshilfe tätig wird und dafür gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 RVG nach den Bestimmungen des RVG aus der Landeskasse zu vergüten ist, eine Vergütung pro Angelegenheit zusteht, auch wenn nur ein Beratungshilfeschein erteilt worden ist. Wann allerdings von mehreren Angelegenheiten und wann von nur einer Angelegenheit auszugehen ist, lässt sich dem BerHG nicht entnehmen. Eine Definition des Begriffs "Angelegenheit" enthält das BerHG nicht.

    Der Begriff der Angelegenheit findet sich auch im RVG. Nach allgemeiner Ansicht kann das dortige Begriffsverständnis grundsätzlich auf das BerHG übertragen werden (OLG Hamm, Beschluss vom 11. März 2011 - 25 W 499/10 -zitiert nach [...], dort Rn. 5 m.w.N.). Entscheidend für das Vorliegen einer Angelegenheit nach dem RVG ist, ob ein gleichzeitiger Auftrag, ein gleicher Rahmen und ein innerer Zusammenhang gegeben ist; insgesamt muss ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang der Bearbeitung bestehen (Gerold/Schmidt-Madert, RVG, 18. Aufl., § 15 Rn. 7 ff).

    Bei der Ausfüllung dieser Kriterien werden im Bereich familienrechtlicher Beratungsgegenstände unterschiedliche Auffassungen vertreten.

    Nach einer Ansicht, der auch das Landgericht folgt, handelt es sich um zwei Angelegenheiten, wenn die Beratung Regelungen für die Zeit vor Rechtskraft der Scheidung (Trennungszeit) und solche danach betrifft. Danach können allerdings auch nicht mehr als zwei Angelegenheiten vorliegen. Aus der Vorschrift § 16 Nr. 4 RVG, nach der eine Scheidungssache und die Folgesachen dieselbe Angelegenheit sind, könne abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber die Trennungszeit und die dafür zu treffenden Regelungen nicht als zur Scheidungssache und den Folgesachen gehörend ansehe. Daraus folge, dass die Rechtskraft der Scheidung eine Zäsur bilde und Beratungen für die Zeit davor und danach zwei Angelegenheiten betreffen würden. Dass die Beratung für die Trennungszeit als nur eine Angelegenheit eingeordnet würde, biete den Vorteil, dass der Urkundsbeamte keine Einzelfallprüfung vornehmen müsse, ob ein innerer Zusammenhang zwischen den verschiedenen Beratungsgegenständen gegeben sei oder nicht; eine solche Prüfung sei unzumutbar. Die Annahme von jedenfalls zwei möglichen Angelegenheiten verwirkliche im Übrigen den vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 31. Oktober 2001 (NJW 2002, 429) angesprochenen Gedanken der Gebührengerechtigkeit angemessen (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 29. September 2009 - 6 W 76/08 - zitiert nach [...]; OLG München, Beschluss vom 26. September 2011 - 11 W 1719/11 -, zitiert nach [...]).

    Nach anderer Meinung kommt es sowohl für Beratungen für die Zeit der Trennung als auch für die Zeit nach der Scheidung allein darauf an, ob wegen eines einheitlichen Lebenssachverhalts um Beratung nachgesucht wird. Die Vorschrift § 16 Nr. 4 RVG sei nicht anwendbar, da sie lediglich das gerichtliche Verbundverfahren erfasse und nicht die außergerichtliche Beratungshilfe, die dem eintretenden Verbund vorgelagert sei; eine analoge Anwendung komme nicht in Betracht. Bestehe in Zusammenhang mit einer (beabsichtigten) Trennung von Eheleuten Beratungsbedarf, so könnten unterschiedliche Lebenssachverhalte betroffen sein, etwa, wie in dem von dem OLG Düsseldorf entschiedenen Fall, acht (OLG Köln, Beschluss vom 9. Februar 2009 - 16 Wx 252/08 - zitiert nach [...]; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Oktober 2012 - 3 Wx 189/12, zitiert nach [...]). Jedenfalls für Beratungen, die die Zeit der Trennung betreffen, folgt auch das Oberlandesgericht Hamm dieser Ansicht (OLG Hamm, Beschluss vom 11. März 2011- 25 Wx 499/10-, zitiert nach [...]).

    Schließlich wird vertreten, dass einerseits die Scheidung keine Zäsur bilde, also für Beratungen für die Zeit der Trennung und für die Zeit nach der Scheidung nicht das Vorliegen von je einer Angelegenheit anzunehmen sei, dass aber andererseits nicht jeweils im Einzelfall zu untersuchen sei, ob ein innerer Zusammenhang zwischen den Beratungsgegenständen bestünde oder nicht, sondern dass in generalisierender Betrachtung von bis zu vier möglichen Angelegenheiten auszugehen sei, nämlich:

    - Scheidung als solche

    - Persönliches Verhältnis zu den Kindern (Personensorge, Umgangsrecht)

    - Fragen im Zusammenhang mit der Ehewohnung und den Hausrat

    - Finanzielle Auswirkungen von Trennung und Scheidung (Unterhalt, Güterrecht, Vermögensauseinandersetzung).

    Die einzelnen Trennungs- und Scheidungsfolgen könnten völlig unterschiedliche Lebenssachverhalte zum Gegenstand haben, so dass die Annahme jeweils nur einer Angelegenheit verfehlt sei. Andererseits ginge die Ansicht zu weit, nach der die Beratung zu jedem Gegenstand, zu dem Beratungsbedarf anfalle, eine eigene Gebühr auslösen solle. Sachgerecht sei die Aufteilung in die genannten vier Komplexe (OLG Nürnberg, Beschluss vom 29. März 2011 -11 WF 1590/10-; OLG Celle, Beschluss vom 14. Juli 2011 - 2 W 141/11 -; OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. Oktober 2012 - 8 W 379/11-, jeweils zitiert nach [...]; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 20. Aufl., § 16 Rn. 28).

    Der Senat hält die zuletzt genannte Ansicht für vorzugswürdig. Es bedarf einer generalisierenden Behandlung der Beratungshilfefälle, um die Abwicklung für die amtsgerichtliche Praxis handhabbar zu gestalten. Es kann weder dem Rechtsanwalt zugemutet werden, in jedem Einzelfall den inneren Zusammenhang zwischen verschiedenen Beratungsleistungen aufzuzeigen, noch dem Rechtspfleger abverlangt werden, jeweils gesondert zu ermitteln und zu prüfen, ob zwischen verschiedenen Komplexen ein innerer Zusammenhang besteht oder nicht. Die möglichen Ungerechtigkeiten einer typisierenden Zuordnung werden durch die einfache und übersichtliche Handhabung aufgewogen. Soweit nur maximal zwei Angelegenheiten angenommen werden, ist zwar auch eine praktikable Umsetzung gewährleistet. Diese Ansicht ist aber methodisch auf die in § 16 Nr. 4 RVG getroffene Bestimmung zurückzuführen, die für den Bereich der Beratungshilfe schon deshalb nicht passt, weil Beratungshilfe mit Festgebühren vergütet wird, während die Gebühren im gerichtlichen Verfahren nach einen Gegenstandswert anfallen und dieser sich pro Folgesache erhöht (§ 22 Abs. 1 RVG).

    Legt man das aufgezeigte Verständnis zugrunde, so kann die Antragstellerin neben der Vergütung für die Angelegenheit "Trennung" (Scheidung als solche) für zwei weitere Angelegenheiten Vergütung beanspruchen, nämlich für "Umgang" (Persönliches Verhältnis zu den Kindern) und für "Unterhalt" und "Fahrzeug" (Finanzielle Auswirkungen). Die Vergütung beläuft sich jeweils auf 99,96 €.

    III.

    Der Kostenausspruch beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.

    Vorschriften§ 2 Abs. 2 RVG § 6 BerHG § 44 RVG