03.12.2013 · IWW-Abrufnummer 133736
Bundesgerichtshof: Urteil vom 17.07.2013 – XII ZR 49/12
a) Ist bei der Bewilligung von Ausbildungsförderung in der Form von Vorausleistungen die Höhe des von den Eltern des in der Ausbildung befindlichen unterhaltsberechtigten Kindes einzusetzenden Einkommens streitig, so hat das Familiengericht die Rechtmäßigkeit der von der zuständigen Behörde durchgeführten Einkommensermittlung in vollem Umfang zu überprüfen (im Anschluss an Senatsurteil vom 10. November 1999 - XII ZR 303/97 - FamRZ 2000, 640).
b) Steht bei der Einkommensermittlung die Anerkennung eines Härtefreibetrages im Ermessen der Behörde, so hat das Familiengericht auch zu überprüfen, ob nur die Anerkennung des Freibetrages ermessensfehlerfrei ist, und diesen ggf. abweichend vom ergangenen Bewilligungsbescheid in seine Berechnung einzubeziehen.
c) Der Unterhaltspflichtige ist für eine Begrenzung des Anspruchsübergangs darlegungs- und beweispflichtig. Soweit es ihm nicht gelingt, die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung hinsichtlich des Härtefreibetrages darzulegen, ist von der Rechtmäßigkeit der behördlichen Bewilligung und dem darin zugrunde gelegten einsetzbaren Elterneinkommen auszugehen.
BGH, 17.07.2013
XII ZR 49/12
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. Juli 2013 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Weber-Monecke, Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Günter
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 19. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle vom 4. April 2012 wird verworfen, soweit es den Zeitraum von Mai 2004 bis September 2004 betrifft.
Im Übrigen wird das vorbenannte Urteil auf die Revision des Klägers aufgehoben und der Rechtsstreit im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Volljährigenunterhalt aus übergegangenem Recht.
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Der 1982 geborene Sohn des Beklagten K. bezog in der Zeit von Februar bis Dezember 2004 als Student der Universität Oldenburg vom klagenden Land Leistungen der Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, die zum Teil als Vorausleistungen erbracht wurden.
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Der 1938 geborene Beklagte bezieht ein Ruhegehalt sowie eine Rente. Er hat zwei weitere Söhne, von denen sich einer (geboren 1985) bis Juni 2004 in der allgemeinen Schulausbildung befand. Der Beklagte ist wiederverheiratet. Seine Ehefrau studierte seit Oktober 2004 an der Universität Greifswald und bezog seitdem Leistungen der Ausbildungsförderung. Sie wohnte am Studienort in einer vom Beklagten zu diesem Zweck erworbenen Eigentumswohnung.
4
Die geschiedene Ehefrau des Beklagten und Mutter des Sohnes K. war für den Volljährigenunterhalt nicht leistungsfähig.
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Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von insgesamt 2.306,97 ? nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen, hinsichtlich der Zeiträume von Februar 2004 bis März 2004 (richtig: bis April 2004) und Oktober 2004 bis Dezember 2004 aber nur als zurzeit unbegründet.
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Der Kläger erstrebt mit der Revision die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist nur eingeschränkt zulässig. Soweit sie zulässig ist, hat sie Erfolg.
8
Auf das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis 31. August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. November 2010 - XII ZB 197/10 - FamRZ 2011, 100 Rn. 10).
A.
9
Das Berufungsgericht hat die Revision nur eingeschränkt zugelassen. Zwar ist die Zulassung der Revision im Ausspruch des angefochtenen Urteils ohne Einschränkungen erfolgt. Aus den Urteilsgründen ergibt sich aber, dass die Revision nur wegen der "Ausübung und Überprüfung des verwaltungsbehördlichen Ermessens im Kontext eines Forderungsübergangs bei Ausbildungsunterhaltsansprüchen" zugelassen worden ist. Auch wenn es sich hierbei um eine Rechtsfrage handelt, beschränkt sich diese auf einen Teil des Streitgegenstandes und lässt daher eine Begrenzung der Zulassung entsprechend den Erwägungen des Berufungsgerichts zu. Die Zulassungsfrage betrifft nur die Zeiträume Februar bis April 2004 (dass im Urteilstenor als erster Zeitraum nur Februar bis März 2004 angegeben ist, beruht auf einem offenbaren Schreibversehen) und Oktober bis Dezember 2004, weil es nur insoweit auf die Frage des Anspruchsübergangs angekommen ist. Im Übrigen ist die Revision mangels Zulassung unzulässig.
B.
10
Soweit die Revision zulässig ist, ist sie auch begründet.
I.
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Nach Auffassung des Berufungsgerichts war der Beklagte für die Monate Februar bis April 2004 zwar unterhaltsrechtlich leistungsfähig. Die Voraussetzungen eines Forderungsübergangs nach § 37 Abs. 1 BAföG könnten hingegen nicht festgestellt werden. Die Begrenzung des Anspruchsübergangs durch das anzurechnende Einkommen der Eltern sei vom Familiengericht unabhängig von der Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu prüfen. Das gelte auch, wenn zuvor verwaltungsgerichtliche Auseinandersetzungen zwischen der Verwaltungsbehörde und dem Auszubildenden stattgefunden hätten. Der Unterhaltspflichtige sei nicht am Verfahren beteiligt und mithin auch nicht an die Rechtskraft einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gebunden. Im vorliegenden Fall sei (für den Zeitraum Februar bis April 2004) ein Freibetrag für die Ehefrau des Beklagten nach § 25 Abs. 3 Nr. 1 BAföG aF zu Unrecht nicht berücksichtigt worden, was aber letztlich dahinstehen könne, weil der Beklagte sich zulässigerweise auf die Berücksichtigung eines sogenannten Härtefreibetrags nach § 25 Abs. 6 BAföG berufe. Hierbei handele es sich um eine laufende Pfändung der Versorgungsbezüge über monatlich 386,02 ? aufgrund eines Titels über Kindesunterhalt, die zu Unrecht auch nach Aufhebung des Titels aufrechterhalten geblieben und erst 2011 aufgehoben worden sei. Dass der Beklagte dies geltend machen könne, ergebe sich daraus, dass er insoweit im Verwaltungsverfahren ein eigenes Antragsrecht habe. Der unbestimmte Rechtsbegriff der unbilligen Härte unterliege - ähnlich dem insoweit vergleichbaren Fall des § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII - uneingeschränkt der familiengerichtlichen Überprüfung. Er sei hier erfüllt, weil dem Beklagten der Betrag tatsächlich nicht zur Verfügung gestanden habe und ihm nach mehrjährigen erfolglosen Bemühungen nicht vorzuwerfen sei, dass er keine frühere Aufhebung der Pfändung bewirkt habe. Indessen sei der Behörde - im Unterschied zu § 94 Abs. 3 SGB XII - ein Ermessen eingeräumt. Ein solches stehe dem Familiengericht nicht zu. Ebenso wenig sei das Familiengericht rechtlich in der Lage, die zuständige Behörde zur Ausübung ihres Ermessens zu verpflichten oder dessen Ausübung zu überprüfen. Das müsse dem verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren vorbehalten bleiben. Von einer bestandskräftigen und rechtlich bindenden Entscheidung könne vorerst nicht ausgegangen werden. Auf der Grundlage der ansonsten nicht zu beanstandenden Berechnung des Klägers verbliebe in jedem Fall ein vom Beklagten zu zahlender Betrag, mit dem er zum Unterhalt seines Sohnes beizutragen habe. Da sich der Umfang des Anspruchsübergangs wegen der abzuwartenden Ermessensentscheidung derzeit nicht abschließend feststellen lasse, sei auch eine Teilentscheidung nicht möglich. Da die Ermessensentscheidung noch nachgeholt werden könne, sei die Klage nur als derzeit unbegründet abzuweisen. Das Gleiche gelte auch für den Zeitraum von Oktober bis Dezember 2004.
II.
12
Das hält rechtlicher Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
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1. Das Berufungsgericht ist bezüglich der im Revisionsverfahren noch zu überprüfenden Zeiträume davon ausgegangen, dass der Beklagte im Umfang der geltend gemachten Beträge nach § 1603 Abs. 1 BGB unterhaltsrechtlich leistungsfähig war, was für die Revision günstig ist.
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2. Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 BAföG geht der Unterhaltsanspruch, den der Auszubildende für die Zeit, für die ihm Ausbildungsförderung gezahlt wird, nach bürgerlichem Recht gegen seine Eltern hat, mit der Zahlung bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen auf das Land über, jedoch nur soweit auf den Bedarf des Auszubildenden das Einkommen der Eltern nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz anzurechnen ist.
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a) Der Anspruchsübergang wird nicht nur durch den Betrag der geleisteten Aufwendungen und den nach bürgerlichem Recht geschuldeten Unterhalt begrenzt, sondern auch durch das nach den Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes anzurechnende Einkommen der Eltern. Hinsichtlich der letztgenannten Einschränkung, auf die es im Revisionsverfahren allein noch ankommt, handelt es sich zwar um die nach öffentlichem Recht zu beurteilende Frage der Rechtmäßigkeit des Bewilligungsbescheids. Diese ist aber im Zivilprozess um den kraft Gesetzes übergegangenen Unterhalt im Hinblick auf die Anrechnung des Einkommens der Eltern vom Familiengericht in vollem Umfang zu überprüfen (vgl. Senatsurteil vom 10. November 1999 -XII ZR 303/97 -FamRZ 2000, 640, 641; Ramsauer/Stallbaum/Sternal BAföG 4. Aufl. § 37 Rn. 7 mwN; Schepers BAföG § 37 Rn. 2). Die Frage, ob die aus übergegangenem Recht in Anspruch genommenen Eltern auch einwenden können, die Bewilligung der Ausbildungsförderung als solche sei aus anderen Gründen nicht rechtmäßig gewesen, braucht nicht beantwortet zu werden (vgl. Ramsauer/Stallbaum/Sternal BAföG 4. Aufl. § 37 Rn. 9 mwN).
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Dass das anzurechnende Einkommen der Eltern auch vom Familiengericht zu überprüfen ist, folgt bereits daraus, dass dieses gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 BAföG die Obergrenze des Anspruchsübergangs bildet. Das steht damit im Einklang, dass der unterhaltspflichtige Elternteil an dem Verwaltungsverfahren jedenfalls grundsätzlich nicht beteiligt ist und er daher an den ergangenen Verwaltungsakt nicht im Sinne einer Tatbestandswirkung (vgl. dazu Senatsurteil vom 25. November 1992 - XII ZR 164/91 - FamRZ 1993, 417, 420 mwN) gebunden ist. Ob der Elternteil über seine Anhörung nach § 36 BAföG hinaus im Verwaltungsverfahren überhaupt einen eigenen Antrag auf Gewährung des Freibetrags stellen kann (vgl. Ramsauer/Stallbaum/Sternal BAföG 4. Aufl. § 25 Rn. 28) und welche Folgen sich daraus für den Umfang der Bestandskraft ergeben können, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn eine entsprechende Beteiligung des Beklagten am Verwaltungsverfahren ist im vorliegenden Fall vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden.
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b) Das Berufungsgericht ist demnach zu Recht davon ausgegangen, dass das Familiengericht in eigener Verantwortung zu überprüfen hat, ob nach § 25 Abs. 6 BAföG ein weiterer Einkommensteil zur Vermeidung unbilliger Härten anrechnungsfrei bleiben muss. Dass es bei der im streitbefangenen Zeitraum und darüber hinaus fortwährenden Pfändung vom Vorliegen einer unbilligen Härte ausgegangen ist, wird von der Revision nicht angegriffen und ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
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Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht jedoch in seiner Auffassung, dass eine Prüfung - derzeit - deswegen nicht möglich sei, weil es sich bei § 25 Abs. 6 BAföG um eine Ermessensvorschrift handelt und das Familiengericht das Ermessen weder ausüben noch überprüfen könne.
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Wie bereits oben ausgeführt worden ist, hat das Familiengericht die Höhe des auf den Förderungsbedarf des Auszubildenden anzurechnenden Einkommens der unterhaltspflichtigen Eltern in vollem Umfang zu überprüfen, weil dadurch der Anspruchsübergang auf das Land als Leistungsträger begrenzt wird. Da der Bewilligungsbescheid ebenso wie eine diesen bestätigende Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine Bindungswirkung für den unterhaltspflichtigen Elternteil entfaltet, bleibt es diesem unbenommen, im zivilrechtlichen Verfahren die Richtigkeit der Einkommensanrechnung in Frage zu stellen.
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Dass es sich bei § 25 Abs. 6 BAföG um eine Ermessensvorschrift handelt, steht dem nicht entgegen. Das Berufungsgericht hat allerdings zutreffend hervorgehoben, dass für das Familiengericht kein Raum für eine eigene Ermessensausübung besteht. Dadurch unterscheidet sich die Prüfung indessen nicht von der entsprechenden Prüfung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, in welchem das Verwaltungsgericht ebenfalls kein eigenes Ermessen ausüben kann. Das hindert es aber nicht, dass das Familiengericht - wie das Verwaltungsgericht - die Entscheidung der Behörde auf Ermessensfehler und damit auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen kann und muss. Würde es sich etwa an einen bestandskräftigen Bewilligungsbescheid für gebunden halten, so würde dem Unterhaltspflichtigen dadurch der Einwand abgeschnitten, dass der Bewilligungsbescheid bei einer Ermessensreduzierung auf Null deshalb rechtswidrig sei, weil dieser von einem überhöhten anrechenbaren Einkommen ausgegangen sei. Ebenso wenig kann aber eine Klage (bzw. ein Antrag) des Landes, wie das Berufungsgericht meint, als derzeit unbegründet abgewiesen werden, weil von einer bestandskräftig und rechtlich bindenden Entscheidung noch nicht ausgegangen werden könne. Denn dass der Bewilligungsbescheid bestandskräftig ist, ist nicht Voraussetzung des Anspruchsübergangs. § 37 Abs. 1 BAföG stellt für den Anspruchsübergang insoweit nur auf die Zahlung der Ausbildungsförderung ab. Für die Qualifizierung der Ausbildungsförderung als Vorausleistung im Sinne von § 36 BAföG genügt es, dass der betreffende Bescheid wirksam ist. Die Bestandskraft ist hierfür nicht erforderlich. Demnach widerspricht die Auffassung des Berufungsgerichts auch seinem eigenen - zutreffenden - Ausgangspunkt, dass der Unterhaltspflichtige selbst im Fall der Bestandskraft an den Bewilligungsbescheid nicht gebunden ist, sondern die Einkommensanrechnung in Zweifel ziehen kann.
21
Da somit die Bestandskraft des Bewilligungsbescheids nicht Voraussetzung des gesetzlichen Anspruchsübergangs ist, war es dem Berufungsgericht verwehrt, die Klage als derzeit unbegründet abzuweisen.
III.
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Das angefochtene Urteil ist demnach im Umfang der zulässigerweise eingelegten Revision aufzuheben. Der Senat ist an einer abschließenden Sachentscheidung gehindert, weil hierfür - wie aus dem Berufungsurteil hervorgeht - weitere Tatsachenfeststellungen notwendig sind.
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Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Gelangt das Berufungsgericht aufgrund seiner erneuten Prüfung zu dem Ergebnis, dass allein die Anerkennung des sog. Härtefreibetrags ermessensfehlerfrei ist, so hat es diesen bei seiner Berechnung zu berücksichtigen. Für die Begrenzung des Anspruchsübergangs darlegungs- und beweisbelastet ist der Beklagte als Unterhaltspflichtiger. Soweit es diesem nicht gelingt, die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung hinsichtlich des geltend gemachten Härtefreibetrages darzulegen, ist von der Rechtmäßigkeit der behördlichen Bewilligung und dem darin zugrunde gelegten einsetzbaren Elterneinkommen auszugehen.