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  • 27.04.2016 · IWW-Abrufnummer 185480

    Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 13.01.2016 – 2 SAF 17/15

    1. Eine Zuständigkeitsbestimmung durch das nächst höhere gemeinsame Gericht findet in entsprechender Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG auch dann statt, wenn statt rechtskräftiger Beschlüsse ernsthafte und als endgültig gemeinte Unzuständigkeitserklärungen verschiedener Familiengerichte vorliegen, die den Verfahrensbeteiligten bekannt gemacht worden sind. Als ausreichende Bekanntmachung kann genügen, dass das vorlegende Familiengericht den Beteiligten seine umfassend begründete Vorlageverfügung bekannt macht.

    2. Ein Kind, das vorübergehend in einer Bereitschaftspflegefamilie lebt, hat dort regelmäßig keinen gewöhnlichen Aufenthaltsort i.S.v. § 152 Abs. 2 FamFG.

    3. Tritt das Bedürfnis nach Fürsorge für ein Kind i.S.v. § 152 Abs. 3 FamFG wegen der unterschiedlichen Aufenthaltsorte des Kindes, seiner Eltern und des Ergänzungspflegers an verschiedenen (Gerichts-) Orten hervor, ist die Zuständigkeit verschiedener Familiengerichte im Rahmen einer Gesamtschau nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu bestimmen (Bestätigung und Fortführung von OLG Hamm, Beschluss vom 19.03.2013, AZ: II-2 SAF 4/13; FamRZ 2013,
    2004 f, bei juris Langtext Rn 14).


    Oberlandesgericht Hamm

    2 SAF 17/15

    Tenor:

    Als örtlich zuständiges Gericht wird das Amtsgericht – Familiengericht – C bestimmt.
    1                       
                                     
    2

    Gründe:

    3

    I.

    4

    Die Beteiligten zu 2) und zu 3) sind die Eltern des am ##.##.2013 geborenen Kindes. Sie waren und sind nicht miteinander verheiratet. Sie übten die elterliche Sorge aufgrund einer Sorgeerklärung zunächst gemeinsam aus.

    5

    Bis zum ##.##.2014 hielten sich die Kindesmutter und das Kind in dem Kinder- und Jugendhilfehaus G in C auf. Sodann begab sich die Kindesmutter wegen einer Verschlechterung ihres psychischen Gesundheitszustandes in eine stationäre psychiatrische Behandlung. Das Jugendamt der Stadt C nahm das Kind am ##.##.2014 wegen der ungeklärten Betreuungssituation in Obhut. In dem im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung anberaumten Anhörungstermin vom 24.03.2014 vor dem Amtsgericht – Familiengericht .– C stimmten die Kindeseltern der Inobhutnahme und der vorübergehenden Fremdunterbringung des Kindes ausdrücklich zu (Aktenzeichen: AG C, 19 F 88/14). Das Kind lebte seit dem ##.##.2014 in einer Bereitschaftspflegefamilie in I am See. Besuchskontakte des Kindes mit den Kindeseltern fanden in der Folgezeit in C statt.

    6

    In dem von Amts wegen eingeleiteten Hauptsacheverfahren hat das Familiengericht mit Beschluss vom 24.03.2014 die Einholung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens beschlossen. Der Sachverständige empfahl in seinem schriftlichen Gutachten, das Kind in der Pflegefamilie zu belassen, bis die Kindesmutter eine stationäre Therapie erfolgreich beendet habe. Für diesen Fall könne das Kind in den Haushalt der Kindesmutter zurückgeführt oder Mutter und Kind in eine entsprechende Einrichtung aufgenommen werden. Der Kindesvater solle durch regelmäßige und häufige Umgangskontakte eingebunden werden. Wegen der weiteren Feststellungen wird auf das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Psych. L vom 25.08.2014 Bezug genommen. Mit am 29.12.2014 erlassenen Beschluss entzog das Amtsgericht – Familiengericht – C den Kindeseltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Gesundheitsfürsorge und das Recht, Anträge nach §§ 27ff. SGB VIII zu stellen, und übertrug die genannten Teile der elterlichen Sorge auf das Jugendamt der Stadt C als Ergänzungspfleger. Zur Begründung führte das Familiengericht aus: Unter Berücksichtigung des Gutachtens des Sachverständigen L sei davon auszugehen, dass die Kindeseltern auch aufgrund ihrer eigenen psychischen Verfassung nicht in der Lage seien, das Kind zu erziehen. Die notwendige Fremdunterbringung des Kindes sei unabhängig davon, ob die Kindeseltern als Paar zusammen lebten oder voneinander getrennt seien. Die Kindeseltern hätten in dem Anhörungstermin den Teilentzug der elterlichen Sorge akzeptiert. Eine spätere Rückführung des Kindes in den Haushalt der Kindesmutter bzw. in den Haushalt der Kindeseltern sei nicht ausgeschlossen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den genannten Beschluss und das dieser Entscheidung zugrunde liegende Verfahren Bezug genommen (Aktenzeichen: AG C, 19 F 97/14).

    7

    Zum 01.07.2014 bezog die Kindesmutter eine eigene Wohnung und lebte nach eigenen Angaben von dem Kindesvater getrennt. Nach Durchführung einer stationären Therapie im Klinikum F begab sich die Kindesmutter nach Absprache mit dem Jugendamt der Stadt C am 28.01.2015 in die Mutter-Kind-Einrichtung „X“ in E. Ihr wurde das Kind am 05.03.2015 in E zugeführt. Zum 31.08.2015 wurde der Versuch einer Rückführung des Kindes in die Obhut der Kindesmutter im allseitigen Einvernehmen abgebrochen. Die Kindeseltern erklärten sich mit einer weiteren Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie einverstanden. Das Kind lebt seitdem in einer Bereitschaftspflegefamilie in I am See. Gemeldet ist das Kind weiterhin in E. Ein dauerhafter Verbleib des Kindes in der bisherigen Bereitschaftspflegefamilie kommt nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht in Betracht. Die Kindesmutter kehrte nach dem Aufenthalt in der Mutter-Kind-Einrichtung in den Haushalt des Kindesvaters nach C zurück und lebt mit dem Kindesvater wieder zusammen.

    8

    Mit bei dem Amtsgericht – Familiengericht – E am 10.09.2015 eingegangener Antragschrift hat das Jugendamt der Stadt C nach dem gescheiterten Rückführungsversuch beantragt, den Kindeseltern die gesamte elterliche Sorge zu entziehen und auf einen Vormund zu übertragen. Die bislang erteilte Zustimmung der Kindeseltern zu einer Unterbringung des Kindes in einer Dauerpflegefamilie sei keine ausreichende Grundlage für eine dauerhafte Fremdunterbringung des Kindes. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Antragsschrift vom 10.09.2015 Bezug genommen.

    9

    Mit Verfügung vom 11.09.2015 hat das genannte Familiengericht das Verfahren unter Bezugnahme auf § 152 Abs. 2 FamFG an das Amtsgericht – Familiengericht – C mit der Bitte um Übernahme abgegeben, weil sich das Kind ausweislich der Antragschrift in C aufhalte, der Ergänzungspfleger seinen Sitz in C habe und auch die Kindeseltern in C lebten. Eine Rückkehr des Kindes nach E sei nicht beabsichtigt. Mit Verfügung vom 21.09.2015 hat das Familiengericht in C das Verfahren mit der Bitte um Übernahme an das Amtsgericht – Familiengericht – N übersandt. Zur Begründung hat es darauf verwiesen, dass das Kind tatsächlich in einer Bereitschaftspflegefamilie in I am See lebe. In der Antragsschrift habe das Jugendamt der Stadt C hinsichtlich des Kindes und der Kindesmutter versehentlich die noch für das vorausgegangene Sorgerechtsverfahren maßgeblichen, aber nicht mehr aktuellen Wohnanschriften in C mitgeteilt. Mit Verfügung vom 24.09.2015 hat das Familiengericht in N die Übernahme abgelehnt und das Verfahren an das Familiengericht in C zurückgegeben. Zur Begründung hat das Familiengericht in N auf die Zuständigkeit des Familiengerichts in C nach § 152 Abs. 3 FamFG hingewiesen. In C bestehe wegen des Wohnsitzes der Kindeseltern und der Zuständigkeit des Jugendamtes der Stadt C als Ergänzungspfleger das Bedürfnis der Fürsorge i.S. der genannten Vorschrift. Das Kind halte sich jedenfalls nicht auf Dauer bei der Bereitschaftspflegefamilie in I am See auf. Vielmehr stehe die Vermittlung des Kindes in eine Dauerpflegefamilie im Raum.

    10

    Mit Verfügung vom 25.09.2015 hat das Amtsgericht – Familiengericht – C dem Senat das Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt. Ergänzend hat das Familiengericht darauf verwiesen, dass das Kind seit der Inobhutnahme nicht mehr in C gelebt habe. Sofern in I am See ein gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes nicht begründet worden sein sollte, ergebe sich die örtliche Zuständigkeit des Familiengerichts in E. Dort sei der Sachverhalt i.S.v. § 152 Abs. 3 FamFG erstmals zur Kenntnis gebracht worden und damit das Bedürfnis nach Fürsorge entstanden.

    11

    II.

    12

    Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung durch den Senat liegen vor. Das Amtsgericht – Familiengericht – C ist nach § 152 Abs. 3 FamFG zuständig.

    13

    1.

    14

    Der Senat ist gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, da sich das Familiengericht in E, das Familiengericht in N und das Familiengericht in C örtlich für unzuständig erklärt haben.

    15

    In entsprechender Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG ist das angerufene Oberlandesgericht – Familiensenat – als das für die Familiengerichte in E, in C und in N zuständige nächsthöhere gemeinsame Gericht zur Entscheidung über die Zuständigkeit berufen. Das zuständige Gericht wird dabei durch den Senat bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für das Verfahren zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Diese Voraussetzungen liegen hier im Ergebnis vor. Die beteiligten Familiengerichte in E und in C haben ihre Zuständigkeit ausdrücklich verneint und ihre Entscheidung dem das Verfahren anstrengenden Jugendamt der Stadt C als Ergänzungspfleger bekannt gemacht. Die die Übernahme des Verfahrens ablehnende Entscheidung des Familiengerichts in N ist dem Jugendamt der Stadt C jedenfalls mit der Vorlageverfügung seitens des Familiengerichts C bekannt gemacht worden.

    16

    Zwar liegen rechtskräftige Beschlüsse der genannten Familiengerichte i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG nicht vor. Die Vorschrift ist jedoch im Interesse einer raschen Klärung negativer Kompetenzkonflikte entsprechend anzuwenden, wenn – wie hier – verschiedene mit der Sache befasste Gerichte oder Abteilungen desselben Gerichts ihre Kompetenz leugnen und die Unzuständigkeitserklärungen der Gerichte oder Abteilungen den Verfahrensbeteiligten zumindest bekannt gemacht worden sind. Es genügen danach seitens der Familiengerichte – wie bei § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO – ernsthafte und als endgültig gemeinte Unzuständigkeitserklärungen (vgl. Senat, FamRZ 2014, 411, bei juris Langtext Rn 15; OLG Düsseldorf, FamRZ 2013, 807; OLG Brandenburg, FamRZ 2011, 56; OLG Brandenburg, FamRZ 2010, 2019f; Senat, FamRZ 2010, 920; Bahrenfuss, in: ders., Kommentar zum FamFG, 2. Auflage 2013, § 5 FamFG Rn 7 m.w.N; vgl. zu § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO: BGH, FamRZ 1993, 49, 50 m.w.N.; Senat, FamRZ 2009, 442; BayObLG, NJW-RR 2005, 1012, bei juris Langtext Rn 3;.; Vollkommer, in: Zöller, Kommentar zur ZPO, 31. Auflage 2016, § 36 ZPO Rn 25 a.E. m.w.N.), die den Verfahrensbeteiligten allerdings bekannt gemacht worden sein müssen (vgl. Senat, FamRZ 2014, 411, bei juris Langtext Rn 15; OLG Köln, FamRZ 2012, 1406, 1407, bei juris Langtext Rn 12; Senat, FamRZ 2010, 920; BayObLG, NJW-RR 2005, 1012, bei juris Langtext Rn 3). Letzteres war hier im Ergebnis auch hinsichtlich der Verfügung des Familiengerichts in N der Fall. Denn das Familiengericht in C hat die ablehnenden Verfügungen der einzelnen Familiengerichte dem Jugendamt der Stadt C mit der umfassend begründeten Vorlageverfügung an den Senat bekannt gemacht. Diese Form der Bekanntmachung reicht im Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG aus (vgl. OLG Köln, FamRZ 2012, 1406, 1407, bei juris Langtext Rn 12 a.E.).

    17

    Unerheblich ist, dass die Familiengerichte über ihre Zuständigkeit im Wege einer die Übernahme des Verfahrens lediglich ablehnenden Verfügung bzw. eines Vermerks und nicht durch Beschluss entschieden haben (vgl. OLG Brandenburg, FamRZ 2010, 2019f).

    18

    2.

    19

    Zuständig ist das Amtsgericht – Familiengericht – C.

    20

    a)

    21

    Eine Zuständigkeit eines der in Betracht kommenden Familiengerichte lässt sich im vorliegenden Fall nicht aus § 152 Abs. 2 FamFG herleiten. Denn ein verfestigter gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes ist derzeit nicht feststellbar.

    22

    aa)

    23

    Gemäߠ§ 152 Abs. 2 FamFG hängt die örtliche Zuständigkeit für eine Sorgerechtssache im Sinne von § 151 Nr. 1 FamFG mangels Anhängigkeit einer Ehesache maßgeblich vom gewöhnlichen Aufenthalt des betroffenen Kindes ab. Dabei liegt der gewöhnliche Aufenthalt nach der Legaldefinition in § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I dort, wo sich das Kind unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass es an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

    24

    Der gewöhnliche Aufenthaltsort eines Kindes liegt dabei dort, wo der Schwerpunkt seiner persönlichen Bindungen liegt. Ein Kleinkind hat daher regelmäßig denselben gewöhnlichen Aufenthalt wie die Person, die es ständig betreut. Im Allgemeinen ist das Umfeld eines Kindes von geringem Alter weitgehend ein familiäres Umfeld, das durch die Bezugsperson oder -personen bestimmt wird, mit denen das Kind zusammenlebt, die das Kind täglich betreuen und die für das Kind sorgen (vgl. zum Vorstehenden nur: OLG Köln, FamRZ 2012, 1406, 1407, bei juris Langtext Rn 10 m.w.N.). Ein Kind hat danach seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Haushalt seiner Pflegeeltern, soweit dort eine dauerhafte Unterbringung des Kindes erfolgt (vgl. OLG München, FamRZ 2012, 1027, bei juris Langtext Rn 9). Dagegen ist ein Heimaufenthalt von erst wenigen Monaten nur vorübergehend, sofern über den weiteren Aufenthaltsort des Kindes noch gestritten wird (vgl. Senat, FamRZ 2013, 2004f, bei juris Langtext Rn 10).

    25

    Kommt es bei einem Kind zu einem Wechsel des Aufenthaltsortes, kann grundsätzlich auch der neue Aufenthaltsort bereits ab dem Zeitpunkt seiner Begründung ein gewöhnlicher Aufenthaltsort im Sinne von § 152 Abs. 2 FamFG sein. Im Falle eines Wechsels des Aufenthaltsortes ist ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt nicht erst nach Ablauf einer entsprechenden Zeitspanne begründet mit der Folge, dass der frühere gewöhnliche Aufenthalt zunächst fortbesteht (vgl. OLG Dresden, FamRZ 2014, 1654, bei juris Langtext Rn 5 m.w.N.; OLG Köln, FamRZ 2012, 1406, 1407, bei juris Langtext Rn 10). Maßgebend ist vielmehr, ob sich aus den Umständen ergibt, dass der neue Aufenthalt auf längere Zeit angelegt ist und künftig der Daseinsmittelpunkt des Kindes werden soll (vgl. BGH, FamRZ 1993, 798, 799, bei juris Langtext Rn 21; OLG Dresden, FamRZ 2014, 1654, bei juris Langtext Rn 5 m.w.N.; KG, FamRZ 2014, 787, 788, bei juris Langtext Rn 7: verneint für eine bloße „Übergangslösung“; Senat, FamRZ 2014, 411, bei juris Langtext Rn 22; OLG Köln, FamRZ 2012, 1406, 1407, bei juris Langtext Rn 10; Senat, FamRZ 2011, 395, bei juris Langtext Rn 9, 15; OLG Hamm, FamRZ 2012, 726, bei juris Langtext Rn 4). Der gewöhnliche Aufenthalt wird durch eine zeitweilige Abwesenheit, auch von längerer Dauer, normalerweise nicht aufgehoben, sofern die Absicht besteht, an den früheren Aufenthaltsort zurückzukehren (vgl. BGH, FamRZ 1993, 798, 799, bei juris Langtext Rn 21).

    26

    bb)

    27

    Danach hat das Kind derzeit keinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. § 152 Abs. 2 FamFG; dieser ist im vorliegenden Verfahren erst noch zu klären.

    28

    Zwar lebt das Kind aktuell in einer Bereitschaftspflegefamilie in I am See und damit im Zuständigkeitsbereich des Familiengerichts in N. Offensichtlich war dieser Aufenthalt von Beginn an jedoch nicht auf Dauer angelegt. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand soll das Kind in eine neue Pflegefamilie wechseln und dort dauerhaft wohnen. Nach dem Scheitern des Aufenthalts in der Mutter-Kind-Einrichtung ist das Kind nur vorübergehend bis zur abschließenden Entscheidung über den dauerhaften Aufenthalt in I am See untergebracht worden.

    29

    Eine räumliche Beziehung des betroffenen Kindes nach E ist ebenfalls nicht feststellbar. Denn zum einen kommt eine Rückkehr des Kindes mit der Kindesmutter in die dortige Mutter-Kind-Einrichtung, in der das Kind zwischenzeitlich gelebt hat, nach den Vorstellungen des Jugendamtes der Stadt C als Ergänzungspfleger nicht in Betracht. Der Versuch einer Rückführung des Kindes in die Obhut der Kindesmutter in einer Mutter-Kind-Einrichtung ist allseits als gescheitert angesehen worden. Zum anderen kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Kind bei einer Pflegefamilie im Gerichtsbezirk des Familiengerichts in E dauerhaft untergebracht wird. Die Suche nach einer geeigneten und bereiten Dauerpflegefamilie für das Kind ist noch nicht abgeschlossen.

    30

    Eine Zuständigkeit des Familiengerichts in C lässt sich über § 152 Abs. 2 FamFG ebenfalls nicht begründen. Das Kind hat seit geraumer Zeit nicht mehr in C gelebt. Zwar haben die Kindeseltern ihren Wohnsitz i.S.v. § 7 Abs. 1 BGB in C. Auch der Ergänzungspfleger, der das Aufenthaltsbestimmungsrecht ausübt, sitzt in C. Für den gewöhnlichen Aufenthalt eines Kindes nach § 152 Abs. 2 FamFG kommt es jedoch auf den von den Eltern oder von dem Aufenthaltsbestimmungsberechtigten abgeleiteten Wohnsitz eines Kindes nach § 11 S. 1, 2 BGB nicht an (vgl. Senat, FamRZ 2014, 411, bei juris Langtext Rn 22; OLG Hamm, FamRZ 2012, 726, bei juris Langtext Rn 4; Senat, FamRZ 2011, 395, bei juris Langtext Rn 12). Der maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt des Kindes ist vielmehr unabhängig vom gewöhnlichen Aufenthalt des sorgeberechtigten Elternteils zu bestimmen (vgl. Senat, FamRZ 2014, 411, bei juris Langtext Rn 22; OLG Hamm, FamRZ 2012, 726, bei juris Langtext Rn 4; Senat, FamRZ 2011, 395, bei juris Langtext Rn 12; Lorenz, in: Zöller, a.a.O., § 152 FamFG Rn 2).

    31

    b)

    32

    Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts – Familiengericht – C ergibt sich hier jedoch aus § 152 Abs. 3 FamFG:

    33

    aa)

    34

    Lässt sich ein gewöhnlicher Aufenthalt nach § 152 Abs. 2 FamFG im Zuständigkeitsbereich eines inländischen Gerichts nicht bejahen, ist gemäߠ§ 152 Abs. 3 FamFG dasjenige Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Bedürfnis der Fürsorge bekannt wird.

    35

    Bei dieser Vorschrift handelt es sich um einen weit auszulegenden Auffangtatbestand (vgl. BT-Drs. 16/6308 S. 234), der nicht auf den Begriff der konkreten Fürsorge für eine Person eingeschränkt werden kann. Denn die Vorschrift dient dem Ziel, eine bestehende Lücke zur Zuständigkeit nach § 152 Abs. 1 und 2 FamFG zu schließen und ist weit auszulegen (vgl. Senat, FamRZ 2013, 2004f, bei juris Langtext Rn 13 m.w.N.; OLG Karlsruhe, FamRZ 2011, 1888, 1889, bei juris Langtext Rn 9 m.w.N.; Musielak/Borth, Familiengerichtliches Verfahren, 5. Auflage 2015, § 152 FamFG Rn 7). Ein Bedürfnis der Fürsorge besteht überall da, wo das Kind der Fürsorge durch das Familiengericht bedarf (vgl. Senat, FamRZ 2013, 2004f, bei juris Langtext Rn 13 m.w.N.). Dort wo das Gericht amtlich von Tatsachen Kenntnis erlangt, die Anlass zu gerichtlichen Maßnahmen sein können, besteht ein Bedürfnis der Fürsorge gem. § 152 Abs. 3 FamFG (vgl. Senat, FamRZ 2013, 2004f, bei juris Langtext Rn 13 m.w.N.). Danach kommt zunächst die Zuständigkeit desjenigen Familiengerichts in Betracht, in dessen Bezirk sich das Kind zum Zeitpunkt der notwendigen Tätigkeit aufhält (vgl. dazu: OLG Dresden, FamRZ 2014, 1654, bei juris Langtext Rn 7 m.w.N.).

    36

    Tritt das Bedürfnis der Fürsorge i.S.v. § 152 Abs. 3 FamFG jedoch an verschiedenen Orten hervor, ist die Zuständigkeit verschiedener Familiengerichte im Rahmen einer Gesamtschau nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu bestimmen (vgl. Senat, FamRZ 2013, 2004f, bei juris Langtext Rn 14; Lorenz, in: Zöller, a.a.O., § 152 FamFG Rn 3; Musielak/Borth, a.a.O., § 152 FamFG Rn 7).
    37

    bb)

    38
    Unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten ist danach das Amtsgericht – Familiengericht – C als zuständiges Familiengericht zu bestimmen.

    39

    Tatsächlich ist das Bedürfnis der Fürsorge für das Kind an allen drei in Betracht kommenden Gerichtsstandorten i.S.v. § 152 Abs. 3 FamFG bekannt geworden. Denn mit dem einvernehmlich beschlossenen Abbruch des gemeinsamen Aufenthalts der Kindesmutter mit dem Kind in der Mutter-Kind-Einrichtung ist für das Kind das Bedürfnis nach Fürsorge entstanden. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Kind noch in der Mutter-Kind-Einrichtung in E. Unmittelbar mit der Beendigung der Hilfemaßnahme bestand zudem ein Handlungsbedarf für das Jugendamt der Stadt C als Ergänzungspfleger sowie die Kindeseltern. Dabei hat der Kindesvater durchgehend in C gelebt. Die Kindesmutter ist zeitnah nach C zurückgekehrt. Ein Bedürfnis der Fürsorge bestand zudem im Gerichtsbezirk des Familiengerichts in N. Denn das Kind ist vorübergehend in einer Pflegefamilie in I am See untergebracht worden.

    40

    Es ist zweckmäßig, dass das Verfahren bei dem Amtsgericht – Familiengericht – C fortgesetzt wird. Das genannte Familiengericht verfügt hinsichtlich der betroffenen Familie über eine besondere Sachnähe und Sachkenntnis. Bereits das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und das entsprechende Hauptsacheverfahren waren bei dem Familiengericht in C anhängig. Den genannten Verfahren war zudem ein weiteres Sorgerechtsverfahren mit dem Aktenzeichen 19 F 235/15 vorausgegangen. Dem Familiengericht sind die Familie und die besondere Problematik der Kindeseltern hinreichend bekannt. Das Familiengericht hatte sich damit bereits anlässlich des von ihm selbst in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachtens auseinanderzusetzen. Das Familiengericht hat zudem die elterliche Sorge mit am 29.12.2014 erlassenen Beschluss teilweise auf das Jugendamt der Stadt C übertragen. Nunmehr wird voraussichtlich nur noch eine Entscheidung über die bei den Kindeseltern verbliebenen Teile der elterlichen Sorge zu treffen sein. Sowohl der Ergänzungspfleger als auch die Kindeseltern kommen aus C. Demgegenüber tritt der derzeitige Aufenthalt des Kindes in I am See zurück. Die Beteiligung des Kindes am Verfahren wird sich wahrscheinlich auf eine persönliche Anhörung des bald drei Jahre alten Kindes beschränken.

    41

    Dem Umstand, dass sich das Kind zunächst in E in einer Mutter-Kind-Einrichtung aufgehalten hat und das Verfahren zunächst bei dem Familiengericht in E anhängig geworden ist, kommt keine entscheidende Bedeutung zu. Gleiches gilt für den aktuellen Aufenthalt des Kindes in I am See. Denn offensichtlich hatte bzw. hat das Kind an den genannten Orten nur einen vorübergehenden Aufenthalt in der Mutter-Kind-Einrichtung bzw. in der Bereitschaftspflegefamilie. Auf diesen nur vorübergehenden Aufenthalt des Kindes kann im Anwendungsbereich des § 152 Abs. 3 FamFG nicht abgestellt werden, sofern – wie hier – die Voraussetzungen des § 152 Abs. 2 FamFG gerade verneint worden sind (vgl. dazu: Senat, FamRZ 2013, 2004, bei juris Langtext Rn 14).

    42

    Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Kind in E oder in I am See dauerhaft leben wird.
     

    RechtsgebietFamFGVorschriftenFamFG § 5 Abs. 1 Nr. 4; § 152 Abs. 2, 3