04.02.2021 · IWW-Abrufnummer 220336
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 02.12.2020 – XII ZB 303/20
a) Ist die Beistandschaft des Jugendamts beendet, erlangt der sorgeberechtigte Elternteil die gesetzliche Vertretung des Kindes zurück und kann Verfahrenshandlungen, bei denen das Kind nicht wirksam gesetzlich vertreten war, rückwirkend genehmigen (Fortführung von BGHZ 106, 96, 100 = FamRZ 1989, 269, 270).
b) Der Vertretungsmangel kann in jeder Lage des Verfahrens geheilt werden, und zwar auch noch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist in der jeweiligen Instanz bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung bzw. zum Zeitpunkt der Beschlussfassung (im Anschluss an BGH Beschluss vom 14. Dezember 2017 - V ZB 35/17 - Grundeigentum 2018, 397).
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Dezember 2020 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 1. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 5. Juni 2020 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Wert: 10.102 €
Gründe
I.
1
Die minderjährige Antragstellerin hat, vertreten durch das Jugendamt als Beistand, den Antragsgegner (ihren Vater) auf Kindesunterhalt in Anspruch genommen. Das Familiengericht hat den Antrag mit einem dem Jugendamt am 15. August 2019 zugestellten Beschluss zurückgewiesen. Mit Schreiben vom 26. August 2019, dessen Zugangszeitpunkt beim Jugendamt ungeklärt ist, hat die Kindesmutter dessen Beistandschaft beendet. Am 29. August 2019 hat die nunmehr anwaltlich vertretene Antragstellerin gegen die Entscheidung des Familiengerichts Beschwerde eingelegt, hierzu am 18. September 2019 eine Vollmacht der vom Antragsgegner geschiedenen Kindesmutter nachgereicht und die Beschwerde innerhalb der bis zum 15. November 2019 verlängerten Frist begründet. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2019 hat das Jugendamt die Beendigung der Beistandschaft bestätigt. Nachdem zweifelhaft geworden war, ob die Antragstellerin bei der Einlegung und Begründung ihrer Beschwerde wirksam gesetzlich vertreten war, hat sie vorsorglich und hilfsweise Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist beantragt. Das Oberlandesgericht hat den Antrag zurückgewiesen und seinen Beschluss mit dem Hinweis verbunden, dass eine Verwerfung der Beschwerde beabsichtigt sei. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.
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Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 238 Abs. 2 ZPO und § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Bei gesonderter Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch muss diese mit der Rechtsbeschwerde angegriffen werden, weil andernfalls die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag rechtskräftig und für die Entscheidung über die Verwerfung des Rechtsmittels bindend wird (Senatsbeschluss vom 1. März 2017 - XII ZB 448/16 - FamRZ 2017, 819 Rn. 8 mwN).
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Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Das Beschwerdegericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht der Antragstellerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom 3. Juli 2019 - XII ZB 116/19 - FamRZ 2019, 1442 Rn. 5 mwN).
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2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
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a) Es ist bereits zweifelhaft, ob der angefochtene Beschluss ausreichend mit Gründen versehen ist. Beschlüsse, die mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden können, müssen den maßgeblichen Sachverhalt wiedergeben, über den entschieden wird (Senatsbeschlüsse vom 7. Juli 2010 - XII ZB 59/10 NJW-RR 2010, 1648 Rn. 6 mwN; vom 27. August 2014 - XII ZB 266/13 NJW-RR 2014, 1531 Rn. 7 und vom 13. Januar 2016 - XII ZB 605/14 - FamRZ 2016, 625 Rn. 6). In den Gründen des angefochtenen Beschlusses fehlen hingegen schon die maßgeblichen Angaben über den Verfahrensablauf, die eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Beschlusses aus sich heraus ermöglichen.
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b) Die Rechtsbeschwerde ist aber auch unabhängig davon begründet.
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Denn der Antrag auf Wiedereinsetzung ist ausdrücklich nur vorsorglich und für den Fall der Versäumung der Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist gestellt. Über ihn ist daher erst und nur dann zu entscheiden, wenn nicht festgestellt werden kann, dass die Antragstellerin die Frist zur Vornahme einer Rechtshandlung gewahrt hat (BGH Beschluss vom 16. Januar 2007 - VIII ZB 75/06 - FamRZ 2007, 552, 553).
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Diese Voraussetzung ist jedoch nicht gegeben, da die Beschwerdefrist und die Beschwerdebegründungsfrist durch die Antragstellerin gewahrt sind. Zwar war die Antragstellerin im Zeitpunkt der Einlegung ihrer Beschwerde nicht wirksam durch ihre Mutter gesetzlich vertreten. Denn sie war erstinstanzlich durch das Jugendamt als Beistand vertreten, was eine gesetzliche Vertretung durch den sorgeberechtigten Elternteil ausschloss (§ 234 FamFG), und es kann nicht festgestellt werden, dass die Beistandschaft im Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels bereits beendet war.
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Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen ist jedoch der Schluss der mündlichen Verhandlung bzw. Zeitpunkt der Beschlussfassung (vgl. BGH Beschluss vom 14. Dezember 2017 - V ZB 35/17 Grundeigentum 2018, 397, 398 mwN und BGH Urteil vom 8. März 1979 - VII ZR 48/78 - NJW 1980, 520 mwN). Deshalb kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Vertretungsmangel in jeder Lage des Verfahrens, also auch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist in der jeweiligen Instanz, geheilt werden, indem der gesetzliche Vertreter die Verfahrensführung genehmigt, und zwar auch noch in der Rechtsmittelinstanz (BGHZ 106, 96, 100 = FamRZ 1989, 269, 270 f. mwN; BGH Urteile vom 21. Juni 1999 - II ZR 27/98 - NJW 1999, 3263 und vom 19. Juli 2010 - II ZR 56/09 - NJW 2010, 2886 Rn. 8). Diese Genehmigung kann auch schlüssig erklärt werden (BGHZ 106, 96, 100 = FamRZ 1989, 269, 270; BGH Urteile vom 16. Februar 2009 - II ZR 282/07 - NJW-RR 2009, 690 Rn. 12 und vom 21. Juni 1999 - II ZR 27/98 - NJW 1999, 3263).
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Hergeleitet wird diese Auffassung aus dem Umstand, dass das Gesetz selbst in §§ 547 Nr. 4 und 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die nachträgliche Genehmigung der Prozessführung durch eine im Verfahren nicht ordnungsgemäß vertretene Partei kennt und ihr die Rechtswirkung beilegt, dass der zugrundeliegende Verfahrensmangel als geheilt anzusehen ist. Da § 547 ZPO kraft der ausdrücklichen Verweisung in § 72 Abs. 3 FamFG auch im Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend anzuwenden ist, bestehen keine Bedenken, diesen Rechtsgedanken grundsätzlich auch in Familienstreitsachen zur Geltung zu bringen (vgl. BGHZ 106, 96, 100 f. = FamRZ 1989, 269, 270).
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Da die Beistandschaft des Jugendamts spätestens seit der Bestätigung mit Schreiben vom 3. Dezember 2019 beendet ist, wird die Antragstellerin jedenfalls seither wieder von ihrer sorgeberechtigten Mutter auch hinsichtlich des hiesigen Verfahrensgegenstands vertreten. Ab diesem Zeitpunkt war die Mutter in der Lage, die vormals unzulässige Beschwerdeeinlegung durch den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin rückwirkend zu genehmigen. In der Verfahrensfortsetzung durch die Mutter liegt die konkludente Genehmigung.
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3. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben. Das Verfahren ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, damit dieses über die zulässige Beschwerde in der Sache entscheiden kann.
Dose
Schilling
Günter
Nedden-Boeger
Guhling