04.05.2021 · IWW-Abrufnummer 222106
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 31.03.2021 – XII ZB 516/20
Zur Berücksichtigung von Reisekosten bei der Bemessung des Werts des Beschwerdegegenstands einer Verpflichtung zur Auskunft über das Vermögen in einer Familienstreitsache.
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. März 2021 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Schilling, Dr. Günter und Guhling und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 7. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16. November 2020 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Wert: bis 1.000 €
Gründe
I.
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Die Antragstellerin, chinesische Staatsangehörige, und der Antragsgegner, deutscher Staatsangehöriger, nehmen sich wechselseitig mit Stufenanträgen auf Trennungsunterhalt in Anspruch. Das Amtsgericht hat den Auskunftsanträgen beider Beteiligter stattgegeben. Auf den Widerantrag des Antragsgegners hat es die Antragstellerin unter anderem verpflichtet, „Auskunft zu erteilen über ihre Einkünfte für die Zeit vom 1.4.2016 - 31.3.2019 (…) sowie über ihr Vermögen durch ein Bestandsverzeichnis zum 26.3.2019“ und Belege vorzulegen.
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Gegen den ihrer Verfahrensbevollmächtigten am 17. Juli 2020 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 14. August 2020 Beschwerde beim Amtsgericht eingelegt. Gemäß der am 21. August 2020 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerdebegründung hat sie sich unter anderem gegen ihre Verpflichtung zur Auskunft auch über in China vorhandenes Vermögen gewandt. Mit Verfügung vom 21. September 2020 hat das Amtsgericht die Akten an das Oberlandesgericht übersandt, wo sie am 22. September 2020 eingegangen sind. Das Oberlandesgericht hat nach vorherigem Hinweis die Beschwerde verworfen, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 € nicht übersteige.
3
Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin.
II.
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Die gemäß §§ 112 Nr. 3 , 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG , 522 Abs. 1 Satz 4 , 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert ( § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ).
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Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
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1. Dieses hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Es könne dahinstehen, ob der Antragstellerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist zu bewilligen sei. Allerdings sei davon auszugehen, dass die Beschwerdebegründung bei Weiterleitung durch das Amtsgericht im ordnungsgemäßen Geschäftsgang rechtzeitig beim Oberlandesgericht eingegangen wäre, so dass sich ein etwaiges Verschulden der Antragstellerin nicht ausgewirkt habe.
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Die Beschwerde sei aber unzulässig, weil die Antragstellerin durch die von ihr angegriffene Auskunfts- und Belegvorlageverpflichtung nicht in einem 600 € übersteigenden Umfang beschwert sei. Zur Bewertung des für die sorgfältige Erteilung der geschuldeten Auskunft erforderlichen Aufwands an Zeit und Kosten sei von einem Stundensatz von 3,50 € auszugehen. Für das in China befindliche Vermögen sei auch bei großzügiger Schätzung kein Zeitaufwand von mehr als zehn Stunden anzusetzen. Warum die Antragstellerin zur Erstellung eines Verzeichnisses nach China reisen müsse, erschließe sich nicht; sie erläutere die Notwendigkeit einer solchen Reise nicht und habe noch in einem erstinstanzlichen Schriftsatz vorgetragen, über kein Vermögen mehr zu verfügen. Auch mit der Beschwerdebegründung behaupte sie, kein Vermögen zu besitzen, um von dem Vermögensstamm leben zu können. Auf Grundlage dieses Vortrags könne davon ausgegangen werden, dass ihr in China vorhandenes Vermögen überschaubar sei und seine Darstellung keines besonderen Aufwands bedürfe. Mangels näherer Darlegung sei ferner davon auszugehen, dass sie insoweit auch von Deutschland aus Auskunft erteilen könne. Dass es der Hinzuziehung sachkundiger Dritter bedürfe, trage sie nicht substantiiert vor. Eine Wertermittlung oder Kurzgutachten seien nicht geschuldet.
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2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
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a) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, die unbeschadet des Wortlauts des § 72 Abs. 2 FamFG auch in den Verfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der Rechtsbeschwerdeinstanz von Amts wegen zu prüfen ist (Senatsbeschluss vom 14. November 2018 - XII ZB 292/16 FamRZ 2019, 181Rn. 25 mwN), ergibt sich vorliegend aus Art. 1 Abs. 1, Art. 3 lit. a und b EuUnthVO, weil beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, wobei es auf die Staatsangehörigkeit nicht ankommt (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Februar 2020 - XII ZB 358/19 -FamRZ 2020, 918Rn. 10).
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b) Zutreffend ist das Beschwerdegericht im Rahmen des als lex fori anzuwendenden deutschen Verfahrensrechts zudem davon ausgegangen, dass sich die Beschwer im Sinne des § 61 Abs. 1 FamFG eines zur Auskunft verpflichteten Beteiligten grundsätzlich nach seinem Interesse richtet, die Auskunft nicht erteilen zu müssen (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom 8. Juli 2020 - XII ZB 334/19 -FamRZ 2020, 1572Rn. 7 mwN; BGHZ GSZ 128, 85 =FamRZ 1995, 349, 350 f.). Zur Bewertung des erforderlichen Aufwands an Zeit und Kosten für die sorgfältige Erteilung der geschuldeten Auskunft ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich - von Fällen eines hier nicht in Rede stehenden Geheimhaltungsinteresses abgesehen - auf die Stundensätze zurückzugreifen, die der Auskunftspflichtige als Zeuge in einem Zivilprozess erhalten würde, wenn er mit der Erteilung der Auskunft weder eine berufstypische Leistung erbringt noch einen Verdienstausfall erleidet (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Juli 2020 - XII ZB 334/19 -FamRZ 2020, 1572Rn. 9 mwN).
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Auf dieser rechtlichen Grundlage ist der Wert der Beschwer gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 3 ZPO nach billigem Ermessen zu bestimmen. Das Rechtsbeschwerdegericht kann die Bemessung der Beschwer nur eingeschränkt darauf überprüfen, ob das Beschwerdegericht die gesetzlichen Grenzen überschritten oder sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat (Senatsbeschluss vom 5. Februar 2020 - XII ZB 450/19 -FamRZ 2020, 777Rn. 8 mwN).
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c) Auch bei Anlegung dieses eingeschränkten Überprüfungsmaßstabs ist die vom Beschwerdegericht vorgenommene Wertbemessung aber rechtsfehlerhaft. Wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, hat das Beschwerdegericht den von der Antragstellerin zur Darlegung ihrer Beschwer gehaltenen Vortrag gehörswidrig teilweise unberücksichtigt gelassen.
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aa) Die Antragstellerin hatte entgegen der der angefochtenen Entscheidung zugrundliegenden Annahme nämlich dargelegt, weshalb zur Erstellung des von ihr nach dem Ausspruch des Amtsgerichts geschuldeten Bestandsverzeichnisses über ihr Vermögen eine Reise nach China erforderlich sei. Sie besitze Vermögenswerte in China, darunter eine unbekannte Anzahl von OriginalKunstwerken regionaler und überregionaler Künstler. Um diesbezüglich eine Aufstellung zu fertigen, müsse sie nach China fliegen.
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Diese vom Beschwerdegericht nicht erwähnte Darstellung als glaubhaft unterstellt wäre die Notwendigkeit einer entsprechenden Reise und damit auch der hierfür anfallenden, zwanglos zur Überschreitung der Grenze von 600 € führenden Reisekosten aber dargelegt (vgl. zu Reisekosten etwa Senatsbeschlüsse vom 29. April 1998 - XII ZB 20/98 - BGHR ZPO § 3 Rechtsmittelinteresse 38 und vom 14. November 1990 - XII ZB 96/90 -FamRZ 1991, 315, 316). Denn derartige Kunstgegenstände hätte die Antragstellerin in das von ihr nach §§ 1361 Abs. 4 Satz 4 , 1605 Abs. 1 Satz 1 und 3 , 260 Abs. 1 BGB sorgfältig zu errichtende Bestandsverzeichnis einschließlich der für die Wertermittlung maßgeblichen Umstände (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Januar 2018 - XII ZB 451/17 -FamRZ 2018, 445Rn. 11 mwN) aufzunehmen. Dass ihr dies auch ohne eine Sichtung der Objekte vor Ort möglich wäre, hat das Beschwerdegericht nicht rechtlich tragfähig festgestellt.
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bb) Die Erwägung des Beschwerdegerichts, auf der Grundlage des bisherigen Vortrags der Antragstellerin könne davon ausgegangen werden, dass ihr in China vorhandenes Vermögen überschaubar sei und seine Darstellung keines besonderen Aufwands bedürfe, rechtfertigt es nicht, die entsprechenden Reisekosten nicht in die Wertbemessung einfließen zu lassen.
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Allerdings gilt für den Wert des Beschwerdegegenstands, der in Ehe- und Familienstreitsachen von Amts wegen festzustellen ist, der Beibringungsgrundsatz. Der Beschwerdeführer hat daher die den Wert bestimmenden Tatsachen darzulegen und gegebenenfalls auch glaubhaft zu machen (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 23. September 2020 - XII ZB 490/18 -FamRZ 2021, 117Rn. 8 mwN und vom 9. Dezember 2015 - XII ZB 614/14 -FamRZ 2016, 452Rn. 20 mwN).
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Der angefochtenen Entscheidung lässt sich jedoch schon nicht entnehmen, dass das Beschwerdegericht den Vortrag zu den Kunstgegenständen überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Abgesehen davon, dass der Antragsgegner gerade von erheblichem Vermögen der Antragstellerin in China ausgeht und zudem das Vorhandensein der Kunstwerke nicht in Abrede gestellt hat, steht die Darlegung der Antragstellerin zu diesen Gegenständen auch nicht im Widerspruch zu ihrer Behauptung, sie besitze kein Vermögen, um von dem Vermögensstamm leben zu können. Denn Wert und finanzielle Verwertbarkeit der Objekte können durchaus fraglich sein. Auch Vermögensgegenstände mit „überschaubarem Wert“ sind aber in das Bestandsverzeichnis aufzunehmen. Sofern das Beschwerdegericht bei Berücksichtigung des entsprechenden Vortrags eine Glaubhaftmachung für erforderlich halten sollte, müsste es die Antragstellerin darauf hinweisen und ihr Gelegenheit hierzu einräumen.
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3. Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Insbesondere scheitert die Zulässigkeit der Beschwerde nicht an der Versäumung der gemäß §§ 112 Nr. 1 , 117 Abs. 1 FamFG geltenden Beschwerdebegründungsfrist. Die Beschwerdebegründung ist zwar erst zusammen mit der Gerichtsakte am 22. September 2020 und damit nach Ablauf der am 17. September 2020 ablaufenden Zwei-Monats-Frist des § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG beim Beschwerdegericht eingegangen. Wie dieses aber selbst erkannt hat, wäre der Antragstellerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren.
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Das erstinstanzliche Gericht ist grundsätzlich verpflichtet, eine entgegen § 117 Abs. 1 Satz 2 FamFG bei ihm eingegangene fristgebundene Beschwerdebegründung in einer Familienstreitsache im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch des Rechtsuchenden auf ein faires Verfahren ( Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip). Geht der Schriftsatz so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf der Beteiligte darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch rechtzeitig beim Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, wirkt sich das Verschulden des Beteiligten oder seines Verfahrensbevollmächtigten nicht mehr aus, so dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (Senatsbeschluss vom 25. Juni 2014 - XII ZB 134/13 -FamRZ 2014, 1443Rn. 13 mwN).
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So liegt es hier. Denn die Beschwerdebegründung ist schon am 21. August 2020, mithin fast vier Wochen vor Fristablauf, beim Amtsgericht eingegangen, so dass eine rechtzeitige Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden konnte. Der Akte lässt sich auch nicht entnehmen, dass das Amtsgericht aufgrund besonderer Umstände an einem solchen Vorgehen gehindert war. Vielmehr finden sich zwischen Eingang der Beschwerdebegründung und Weiterleitung der Akte an das Beschwerdegericht allein die richterliche Verfügung vom 25. August 2020, die Beschwerdebegründung an den Antragsteller zur Stellungnahme binnen zwei Wochen hinauszugeben, die am 26. August 2020 ausgeführt worden ist, sowie der Eingang der Beschwerdeerwiderung am 21. September 2020.
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4. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Dieses wird sich erneut mit dem Wert des Beschwerdegegenstands zu befassen haben. Zugleich gibt die Zurückverweisung dem Oberlandesgericht Gelegenheit, über den Antrag der Antragstellerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist zu befinden.
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Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen ( § 74 Abs. 7 FamFG ).
Dose
Schilling
Günter
Guhling
Krüger