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  • 04.10.2022 · IWW-Abrufnummer 231564

    Bundesgerichtshof: Beschluss vom 10.08.2022 – XII ZB 83/20

    a) Vereinbaren Ehegatten in einem gerichtlichen Vergleich mit allgemeiner Abgeltungsklausel, dass Berufsunfähigkeitsrenten iSd § 28 VersAusglG vollständig der Unterhaltsberechnung zugrunde gelegt werden, muss das Gericht gemäß § 26 FamFG aufklären, ob der Vergleich auch einen (teilweisen) Ausschluss des Versorgungsausgleichs nach § 6 VersAusglG beinhaltet, oder ob ein (teilweiser) Ausschluss des Versorgungsausgleichs nach § 27 VersAusglG geboten ist (im Anschluss an Senatsbeschlüsse BGHZ 184, 269 = FamRZ 2010, 720 und vom 24. August 2016 - XII ZB 84/13 - FamRZ 2016, 2000).

    b) Für einen Ausgleich eines Anrechts gemäß § 28 VersAusglG genügt es grundsätzlich, wenn der Ausgleichsberechtigte die gesundheitlichen Voraussetzungen einer (teilweisen) Erwerbsminderungsrente in der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt.

    c) Die Zahlungspflicht des ausgleichspflichtigen Ehegatten kann unter den Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 VersAusglG iVm § 20 Abs. 3 VersAusglG und §§ 1585 b Abs. 2, 1613 BGB bereits mit der Rechtskraft der Ehescheidung und nicht erst mit der Rechtskraft der Entscheidung zum Versorgungsausgleich beginnen.

    d) § 50 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 FamGKG, wonach bei Ausgleichsansprüchen nach der Scheidung für jedes Anrecht 20 Prozent des Einkommens zugrunde zu legen ist, findet auf den Ausgleich gemäß § 28 VersAusglG auch dann keine Anwendung, wenn die Entscheidung hierüber nach der Scheidung erfolgt. Bestehen bei einem Versorgungsträger aufgrund verschiedener Verträge mehrere Anrechte, sind diese gebührenrechtlich gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 FamGKG gesondert zu erfassen.


    Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. August 2022 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Guhling und die Richterin Dr. Krüger
    beschlossen:

    Tenor:

    Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des 13. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 6. Februar 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Beschluss des Amtsgerichts Coesfeld vom 1. August 2019 zum Nachteil des Antragstellers abgeändert worden ist.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

    Wert: 2.629 €



    Gründe



    I.

    1


    Der Antragsteller und die Antragsgegnerin streiten im Rahmen eines aus dem Scheidungsverbund abgetrennten Versorgungsausgleichsverfahrens um den Ausgleich dreier privater Berufsunfähigkeitsrenten des Antragstellers.


    2


    Der Antragsteller (im Folgenden: Ehemann) und die Antragsgegnerin (im Folgenden: Ehefrau) haben am 18. Juli 1989 die Ehe geschlossen. Der Scheidungsantrag wurde am 2. Juli 2014 zugestellt.


    3


    Seit März 2002 bezog der Antragsteller aus drei Versicherungen bei der Beteiligten zu 1 Berufsunfähigkeitsrenten in Höhe von zweimal je 667,23 € vierteljährlich und einmal 145,36 € monatlich. Diese Renten waren nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts bis März 2022 befristet.


    4


    Vor dem Amtsgericht schlossen die Ehegatten im Scheidungsverbundverfahren am 2. April 2019 einen Vergleich, wonach die Ehefrau auf rückständigen Trennungsunterhalt verzichtet und keinen Zugewinnausgleich erhält, während der Ehemann ihr seinen Miteigentumsanteil am ehelichen Haus überträgt und sich ab April 2019 zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt in Höhe von monatlich 397 € verpflichtet, befristet bis März 2022. Der Vergleich enthält zudem die folgende Abgeltungsklausel: „Mit dieser Vereinbarung sind alle wechselseitigen vermögensrechtlichen Ansprüche der Eheleute - seien sie bekannt oder unbekannt - erledigt.“


    5


    Im gleichen Termin hat das Amtsgericht den Versorgungsausgleich abgetrennt und die Ehe geschieden. Der Scheidungsbeschluss ist seit dem 2. April 2019 rechtskräftig.


    6


    Den abgetrennten Versorgungsausgleich hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 1. August 2019 geregelt. Dabei hat es unter anderem angeordnet, dass ein Versorgungsausgleich hinsichtlich der drei Berufsunfähigkeitsrenten des Ehemanns nicht stattfindet. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde der Ehefrau hat das Oberlandesgericht den Ehemann verpflichtet, zum Ausgleich seiner drei Berufsunfähigkeitsrenten an die Ehefrau ab dem 2. April 2019 bis einschließlich März 2022 monatlich 295,09 € zu zahlen und ab Rechtskraft der Beschwerdeentscheidung bis März 2022 seine hälftigen Ansprüche aus den drei Versicherungen erfüllungshalber an die Ehefrau abzutreten. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Ehemanns, mit der er die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung anstrebt.




    II.

    7


    Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil das Beschwerdegericht sie zugelassen hat (§ 70 Abs. 1 FamFG). Diese Zulassung enthält keine wirksame Beschränkung. Zwar hat das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde im Tenor „im Hinblick auf den Beginn der Zahlungspflicht“ zugelassen und in der Begründung näher ausgeführt, dass „die Rechtssache in Bezug auf die Frage, wann der Anspruch auf eine schuldrechtliche Ausgleichsrente beginnt, grundsätzliche Bedeutung“ habe. Dies führt jedoch nicht zu einer beschränkten Zulassung, weil sich der Formulierung eine Beschränkung auf einen abgrenzbaren Teil des Verfahrensstoffs nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnehmen lässt (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Februar 2019 - XII ZB 183/16 - FamRZ 2019, 785 Rn. 12).


    8


    Die auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet, weil das Beschwerdegericht seine Pflicht verletzt hat, die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen von Amts wegen selbst durchzuführen (§ 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG iVm § 26 FamFG).


    9


    1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die privaten Berufsunfähigkeitsrenten seien gemäß § 28 VersAusglG auszugleichen. Der Leistungsfall liege in der Ehezeit und die Ehefrau erfülle nach dem vom Familiengericht eingeholten Sachverständigengutachten seit dem Ehezeitende die gesundheitlichen Voraussetzungen einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI, da sie weniger als sechs Stunden täglich arbeiten könne. Aus den gemäß § 28 Abs. 3 VersAusglG anzuwendenden Regelungen über den Wertausgleich nach der Scheidung (§§ 20 bis 22 VersAusglG) und aus § 137 Abs. 2 Satz 2 FamFG folge zudem, dass maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn der Ausgleichspflicht die Rechtskraft der Scheidung sei.


    10


    Auch wenn eine Verrechnung rückständiger Ausgleichsansprüche mit nachehelichem Unterhalt grundsätzlich in Betracht komme, setze dies jedoch voraus, dass berechenbar sei, inwieweit unter Berücksichtigung des Ausgleichsanspruchs ein zu hoher Unterhaltsbetrag gezahlt worden sei. Dies sei hier nicht möglich, weil die Unterhaltszahlung auf einem Vergleich beruhe, welcher keine Berechnungsgrundlage enthalte, und die Ehegatten darüber stritten, ob und inwieweit die Berufsunfähigkeitsrenten der Unterhaltsberechnung zugrunde gelegen hätten. Der Unterhaltsvergleich könne wegen Fehlens oder Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 239 FamFG auch rückwirkend abgeändert werden.


    11


    2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.


    12


    a) Im Ansatz zutreffend und von der Rechtsbeschwerde unbeanstandet ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass durch Arbeit oder Vermögen geschaffene Berufsunfähigkeitsversicherungen als Anrechte aus der privaten Invaliditätsvorsorge grundsätzlich nach §§ 2, 28, 20 ff. VersAusglG dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich unterliegen.


    13


    b) Das Beschwerdegericht hat allerdings nicht hinreichend geprüft, ob die Vereinbarung der Beteiligten vom 2. April 2019 einem Ausgleich der Berufsunfähigkeitsrenten entgegensteht. Denn nach § 6 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG können die Ehegatten Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich schließen, wodurch es ihnen erlaubt wird, den Versorgungsausgleich anstelle der gesetzlichen Teilung durch eine Vereinbarung zu gestalten. Dabei ist die Aufzählung der Handlungsmöglichkeiten in § 6 Abs. 1 Satz 2 VersAusglG nur beispielhaft, aber nicht abschließend. § 6 Abs. 1 VersAusglG erlegt den Ehegatten in inhaltlicher Hinsicht keine Einschränkung ihrer Dispositionsbefugnis auf (vgl. Senatsbeschluss vom 30. April 2014 - XII ZB 668/12 - FamRZ 2014, 1179 Rn. 13 f. mwN).


    14


    aa) Im Rahmen ihrer umfassenden Dispositionsbefugnis können die Ehegatten nicht nur - ausdrücklich oder konkludent - einen gegenseitigen vollständigen oder teilweisen Ausschluss des Versorgungsausgleichs der von ihrer Abrede erfassten wechselseitigen Anrechte vereinbaren (vgl. Senatsbeschluss vom 30. April 2014 - XII ZB 668/12 - FamRZ 2014, 1179 Rn. 15). Wenn die Ehegatten für den Fall, dass der an sich unterhaltsberechtigte Ehegatte gegen seinen geschiedenen Ehegatten auch einen Anspruch auf schuldrechtlichen Versorgungsausgleich hat, einen Ausschluss des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs bei vollständiger Berücksichtigung der dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich unterliegenden Anrechte bei der Berechnung des Unterhalts vereinbaren, begegnet dies keinen rechtlichen Bedenken. Eine solche Vereinbarung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Juni 2014 - XII ZB 658/10 - FamRZ 2014, 1529 Rn. 36 mwN).


    15


    Haben die Ehegatten eine Vereinbarung nach § 6 Abs. 1 VersAusglG geschlossen, ist das Gericht nach § 6 Abs. 2 VersAusglG an diese Vereinbarung gebunden, wenn die formellen Voraussetzungen nach § 7 VersAusglG erfüllt sind und die Vereinbarung materiell-rechtlich zum einen einer richterlichen Inhalts- und Ausübungskontrolle am Maßstab der §§ 138, 242 BGB standhält (§ 8 Abs. 1 VersAusglG) und zum anderen (§ 8 Abs. 2 VersAusglG) keinen unzulässigen Vertrag zu Lasten des beteiligten Versorgungsträgers darstellt (vgl. Senatsbeschluss vom 30. April 2014 - XII ZB 668/12 - FamRZ 2014, 1179 Rn. 16).


    16


    bb) Gemäß § 26 FamFG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Diese Verpflichtung gilt nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG auch im Beschwerdeverfahren.


    17


    (1) Der Amtsermittlungsgrundsatz verpflichtet das Gericht, im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens alle zur Aufklärung des Sachverhalts dienlichen Ermittlungen anzustellen. Zwar lassen sich die Anforderungen, die dabei an Umfang und Intensität der Ermittlungspflicht des Tatrichters zu stellen sind, nur in sehr eingeschränktem Maße generell-abstrakt bestimmen (vgl. BGHZ 118, 151, 163 = NJW 1992, 2026, 2029). Auch braucht nicht jeder nur denkbaren Möglichkeit nachgegangen zu werden. Eine Aufklärungs- und Ermittlungspflicht besteht jedoch insoweit, als das Vorbringen der Beteiligten und der Sachverhalt als solcher bei sorgfältiger Prüfung hierzu Anlass geben. Die Ermittlungen sind erst dann abzuschließen, wenn von weiteren Ermittlungen ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht mehr zu erwarten ist (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 184, 269, 277 f. = FamRZ 2010, 720 Rn. 28 mwN).


    18


    (2) Trägt danach der ausgleichspflichtige Ehegatte im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens auf schuldrechtlichen Versorgungsausgleich hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für einen gerichtlichen Vergleich der Ehegatten vor, wonach die dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich unterfallenden Anrechte bereits vollständig bei der Berechnung des Unterhalts des Ausgleichsberechtigten berücksichtigt wurden (vgl. Wendl/Dose/Schmitz Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 10 Rn. 263 mwN), wird das Beschwerdegericht seiner Verpflichtung, die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen von Amts wegen selbst durchzuführen, nicht gerecht, wenn es diesen Anhaltspunkten nicht nachgeht.


    19


    cc) Gemessen daran rügt die Rechtsbeschwerde mit Erfolg, dass das Beschwerdegericht seine Verpflichtung verletzt hat, die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen von Amts wegen selbst durchzuführen (§ 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG iVm § 26 FamFG).


    20


    (1) Die Rechtsbeschwerde verweist zu Recht darauf, der Ehemann habe während des Beschwerdeverfahrens wiederholt darauf hingewiesen, dass seine Berufsunfähigkeitsrenten bei der Unterhaltsberechnung im Vergleich vom 2. April 2019 vollständig berücksichtigt worden seien. Zudem habe er eine nachvollziehbare Berechnung des Unterhalts auf der Grundlage der Einkommensverhältnisse der Ehegatten vorgelegt und sich für den Inhalt des Vergleichs auf das Zeugnis der erstinstanzlichen Familienrichterin berufen. Hinzu kommt, dass das Vorbringen des Ehemanns durch die Befristung des nachehelichen Unterhalts bis zum Wegfall der Berufsunfähigkeitsrenten und den Ausschluss des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs durch das Amtsgericht gestützt wird. Bei dieser Sachlage wird es der Aufklärungs- und Ermittlungspflicht des Beschwerdegerichts nicht gerecht, dass es den Inhalt des gerichtlichen Vergleichs der Ehegatten vom 2. April 2019 nicht weiter aufgeklärt hat. Denn trifft das Vorbringen des Ehemanns zu, kommt sowohl eine Auslegung des gerichtlichen Vergleichs dahingehend in Betracht, dass er zugleich einen (konkludenten) Ausschluss des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs nach § 6 VersAusglG enthält, als auch ein (teilweiser) Ausschluss des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs nach § 27 VersAusglG. Dabei dürfte insbesondere auch die im Vergleich enthaltene Abgeltungsklausel zu berücksichtigen sein, zu der das Beschwerdegericht bislang keine Feststellungen getroffen hat.


    21


    (2) Dabei steht einer Auslegung des gerichtlichen Vergleichs - anders als das Beschwerdegericht meint - nicht entgegen, dass er keine formulierten Grundlagen enthält. Denn auch in einem solchen Fall ist im Wege einer interessengerechten Auslegung, die weitere Umstände der getroffenen Vereinbarung berücksichtigt, zu ermitteln, ob und mit welchem Inhalt die Beteiligten insoweit eine bindende Regelung getroffen haben (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 5. Dezember 2012 - XII ZB 670/10 - FamRZ 2013, 274 Rn. 14 und BGHZ 186, 1 = FamRZ 2010, 1238 Rn. 13).


    22


    Zwar ist die Ermittlung des Inhalts und der Bedeutung von Individualvereinbarungen grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten. Die Auslegung durch den Tatrichter kann jedoch vom Rechtsbeschwerdegericht darauf überprüft werden, ob der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt worden ist, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind oder ob die Auslegung auf im Rechtsbeschwerdeverfahren gerügten Verfahrensfehlern beruht (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 186, 1 = FamRZ 2010, 1238 Rn. 15 mwN und vom 25. November 2009 - XII ZR 8/08 - FamRZ 2010, 192 Rn. 17 mwN).


    23


    Vorliegend hat das Beschwerdegericht wesentlichen Auslegungsstoff unberücksichtigt gelassen, indem es das Vorbringen des Ehemanns einschließlich des Beweisangebots ebenso übergangen hat wie die sich aus den erstinstanzlichen Akten ergebenden Anhaltspunkte für die Unterhaltsberechnung.


    24


    c) Die angefochtene Entscheidung ist auch deswegen rechtsfehlerhaft, weil das Beschwerdegericht eine Beschränkung des Versorgungsausgleichs nach § 27 VersAusglG nicht hinreichend geprüft hat.


    25


    Gemäß § 27 VersAusglG findet ein Versorgungsausgleich ausnahmsweise nicht statt, soweit er grob unbillig wäre, was nur der Fall ist, wenn die gesamten Umstände des Einzelfalls es rechtfertigen, von der Halbteilung abzuweichen. Dies kommt nach der Rechtsprechung des Senats insbesondere dann in Betracht, wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte an dem im Versorgungsausgleich auszugleichenden Anrecht bereits auf andere Weise partizipiert hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 24. August 2016 - XII ZB 84/13 - FamRZ 2016, 2000 Rn. 26 zu aus dem ungeteilten Anrecht bezogenen und im Rahmen einer Unterhaltsberechnung berücksichtigten Leistungen und vom 21. September 2016 - XII ZB 453/14 - FamRZ 2017, 192 Rn. 18 zur bereits erfolgten Partizipation an einer Abfindung).


    26


    Hat der an sich unterhaltsberechtigte Ehegatte - wie hier - gegen seinen geschiedenen Ehegatten einen Anspruch auf schuldrechtlichen Versorgungsausgleich, so mindert die Zahlung der Ausgleichsrente die Leistungsfähigkeit des Ausgleichspflichtigen sowie die Bedürftigkeit des Ausgleichsberechtigten mit der Folge, dass ein Unterhaltsanspruch nicht mehr oder nur in verminderter Höhe besteht. Hat der Ausgleichspflichtige Leistungen auf einen Unterhaltstitel zu erbringen, erscheint es hiernach regelmäßig unbillig, ihn auf einen Bereicherungsanspruch zu verweisen, den er erst nach einem erfolgreichen Abänderungsantrag realisieren kann. Der Ausgleichspflichtige müsste in diesem Fall zunächst die rückständige Ausgleichsrente in voller Höhe leisten, obwohl er keine Gewissheit hätte, seine Ansprüche auf Rückzahlung des zu viel gezahlten Unterhalts auch später durchsetzen zu können. Allerdings wird dem Ausgleichspflichtigen zur Vermeidung dieses treuwidrigen Ergebnisses nach Zahlung der rückständigen Ausgleichsrente ein aus Treu und Glauben folgender Anspruch auf Erstattung eines Teils der gezahlten Rente eingeräumt, dessen Höhe sich danach bemisst, inwieweit sich der Unterhaltsanspruch ermäßigt hätte, wenn die Rente schon während des fraglichen Zeitraums an den ausgleichsberechtigten Ehegatten gezahlt worden wäre. Da der Ausgleichspflichtige demnach die auf die rückständige Rente zu erbringenden Zahlungen in der fraglichen Höhe sofort nach Zahlung zurückfordern könnte, kann er dies bereits im Rahmen des § 27 VersAusglG dem Anspruch des Ausgleichsberechtigten entgegenhalten (vgl. Senatsbeschlüsse vom 25. Juni 2014 - XII ZB 658/10 - FamRZ 2014, 1529 Rn. 36 mwN und vom 2. Februar 2011 - XII ZB 133/08 - FamRZ 2011, 706 Rn. 77 ff. mwN).


    27


    3. Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben. Sie ist daher gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Die Sache ist nach § 74 Abs. 6 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, weil sie wegen der fehlenden Ermittlungen noch nicht zur Endentscheidung reif ist.


    28


    4. Sollte das Beschwerdegericht auf der Grundlage der erforderlichen Ermittlungen nicht einen Ausschluss des Versorgungsausgleichs nach § 6 VersAusglG oder eine Beschränkung gemäß § 27 VersAusglG feststellen können, weist der Senat für das weitere Verfahren auf folgendes hin:


    29


    a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, soweit das Beschwerdegericht davon ausgegangen ist, für einen Ausgleich gemäß § 28 VersAusglG genüge es, wenn - wie hier - der ausgleichsberechtigte Ehegatte wegen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung keiner vollschichtigen Berufstätigkeit mehr nachgehen kann und die gesundheitlichen Voraussetzungen einer (teilweisen) Erwerbsminderungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt (vgl. OLG Stuttgart Beschluss vom 10. September 2020 - 16 UF 53/20 - juris Rn. 21 zur Beamtenversorgung; OLG Karlsruhe FamRZ 2016, 984, 985; Borth Versorgungsausgleich 9. Aufl. Kapitel 3 Rn. 187 und 190; Soergel/Koch Bürgerliches Gesetzbuch 13. Aufl. § 28 VersAusglG Rn. 4 f. und 29; MünchKommBGB/Ackermann-Sprenger 8. Aufl. VersAusglG § 28 Rn. 7; NK-BGB/Götsche 4. Aufl. § 28 VersAusglG Rn. 9; Holzwarth in Johannsen/Henrich/Althammer Familienrecht 7. Aufl. § 28 VersAusglG Rn. 5; Wick Der Versorgungsausgleich 4. Aufl. Rn. 351).


    30


    Für dieses weite Verständnis spricht bereits der Wortlaut des § 28 VersAusglG, da „eine Versorgung wegen Invalidität“ auch bei Erfüllung der Voraussetzungen einer anderen als der auszugleichenden Invaliditätsversorgung vorliegt. Dies wird bestätigt durch die Gesetzesbegründung. Zwar ist dort missverständlich formuliert, dass erst der „Eintritt des Versorgungsfalls“ bei der ausgleichspflichtigen Person die Ausgleichspflicht auslöse, sodass es gerechtfertigt sei, dies „spiegelbildlich auch bei der ausgleichsberechtigten Person als Voraussetzung für die Teilhabe zu verlangen“ (BT-Drucks. 16/10144 S. 69). Andererseits beruht die Entscheidung gegen eine interne Teilung und für einen schuldrechtlichen Ausgleich des Anrechts darauf, dass die ausgleichsberechtigte Person auch bei eigener Invalidität von einer internen Teilung des Anrechts nicht zwingend profitieren würde. Eine Leistung aus diesem Anrecht würde sie nämlich nur dann erhalten, wenn auch die in ihrer Versorgung vertraglich vereinbarten Voraussetzungen für die Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit erfüllt wären. Sei die ausgleichsberechtigte Person aber nicht erwerbstätig, könne sie keine Leistung aus einem solchen Anrecht erhalten. Zum anderen wären aufwendige Gesundheitsprüfungen erforderlich, da oftmals bestimmte Risiken ausgeschlossen seien (BT-Drucks. 16/10144 S. 69). Damit sollte nach der gesetzgeberischen Intention die Erfüllung der Invaliditätsvoraussetzungen nach Maßgabe der auszugleichenden Versorgung gerade nicht Voraussetzung der Anwendung des § 28 VersAusglG sein.


    31


    Die Anwendung des § 28 VersAusglG auch auf die nur teilweise Verminderung der Erwerbsfähigkeit wird durch § 2 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 VersAusglG bestätigt, wonach Anrechte dem Ausgleich unterfallen, die der „Absicherung (…) bei Invalidität, insbesondere wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Berufsunfähigkeit oder Dienstunfähigkeit“ dienen. Hiermit sollte ausdrücklich jede anspruchsbegründende Einschränkung der Arbeits- und Dienstfähigkeit vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze erfasst werden (vgl. BT-Drucks. 16/10144 S. 46; Soergel/Koch BGB 13. Aufl. § 28 VersAusglG Rn. 4 f.).


    32


    b) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, begegnet es ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken, soweit das Beschwerdegericht angenommen hat, die Zahlungspflicht des Ehemanns beginne bereits mit der Rechtskraft der Ehescheidung und nicht erst mit der Rechtskraft der Entscheidung über den zuvor abgetrennten Versorgungsausgleich (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2016, 984, 986).


    33


    Gemäß § 28 Abs. 3 VersAusglG gelten für die Durchführung des Ausgleichs die §§ 20 bis 22 VersAusglG entsprechend. Daher findet gemäß § 20 Abs. 3 VersAusglG iVm § 1585 b Abs. 2 BGB auch § 1613 BGB entsprechende Anwendung. Hieraus ergibt sich, dass ein Anspruch aus § 28 VersAusglG unter den dort genannten Voraussetzungen auch für vor der Rechtskraft der Entscheidung zum Versorgungsausgleich liegende Zeiträume bestehen kann. Dies wird zudem von §§ 21 Abs. 2, 28 Abs. 3 VersAusglG bestätigt, wonach für rückständige Ansprüche keine Abtretung verlangt werden kann. Dies aber setzt die Möglichkeit rückständiger Ansprüche aus § 28 VersAusglG voraus.


    34


    Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass es sich bei dem Ausgleich gemäß § 28 VersAusglG um einen Wertausgleich bei der Scheidung handelt. Zwar ist bei Forderungen, deren Höhe durch einen richterlichen Gestaltungsakt bestimmt wird, die Fälligkeit bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Gestaltungsentscheidung aufgeschoben (vgl. zum Zinsanspruch BGH Urteil vom 4. Juli 2013 - III ZR 52/12 - NJW-RR 2014, 492 Rn. 33; Grüneberg/Grüneberg BGB 81. Aufl. § 286 Rn. 13 und § 315 Rn. 17). Anders als bei der internen Teilung nach § 10 Abs. 1 VersAusglG (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 26. Januar 2011 - XII ZB 504/10 - FamRZ 2011, 547 Rn. 23 mwN und vom 19. November 2014 - XII ZB 353/12 - FamRZ 2015, 313 Rn. 13) ist der Anspruch aus § 28 Abs. 1 VersAusglG jedoch nicht von einer Gestaltungsentscheidung abhängig. Dies hat der Senat zum Anspruch gegen den Versorgungsträger der Hinterbliebenenversorgung gemäß § 25 VersAusglG bereits entschieden (Senatsbeschlüsse vom 16. August 2017 - XII ZB 327/16 - FamRZ 2017, 1919 Rn. 17 f. mwN und vom 22. Juni 2022 - XII ZB 584/18 - juris Rn. 18). Auch wenn § 28 Abs. 1 VersAusglG im Gegensatz zu § 25 VersAusglG nicht die Formulierung „Anspruch“, sondern die Formulierung „Ausgleich“ verwendet, ist dieser nicht von einer gerichtlichen Gestaltungsentscheidung abhängig. Der Gesetzgeber hat sich beim Ausgleich privater Invaliditätsversorgungen bewusst gegen einen Ausgleich im Wege der internen Teilung entschieden (BT-Drucks. 16/10144 S. 69) und die Durchführung gemäß § 28 Abs. 3 VersAusglG den Regeln der schuldrechtlichen Ausgleichszahlungen unterworfen. Soweit teilweise in der Literatur vertreten wird, der Anspruch entstehe erst mit der Rechtskraft der Entscheidung zum Versorgungsausgleich (Borth Versorgungsausgleich 9. Aufl. Kapitel 3 Rn. 191; MünchKommBGB/Ackermann-Sprenger 8. Aufl. § 28 Rn. 16), vermag dies daher nicht zu überzeugen.


    35


    5. Die Festsetzung des Verfahrenswerts beruht auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 und Abs. 2 FamGKG.


    36


    a) § 50 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 FamGKG, wonach bei Ausgleichsansprüchen nach der Scheidung für jedes Anrecht 20 Prozent des Einkommens zugrunde zu legen ist, findet auf den Anspruch aus § 28 VersAusglG auch dann keine Anwendung, wenn die Entscheidung - wie hier - über den aus dem Verbund abgetrennten Versorgungsausgleich zeitlich nach der Scheidung erfolgt. Die Formulierung „nach der Scheidung“ enthält nämlich kein zeitliches Kriterium, sondern bezieht sich auf die amtliche Überschrift vor § 20 VersAusglG und umfasst lediglich die in Abschnitt 3 des Versorgungsausgleichsgesetzes genannten Ansprüche aus §§ 20 bis 26 VersAusglG (vgl. KG FamRZ 2020, 708, 709; OLG Hamm Beschluss vom 16. August 2010 - 8 WF 155/10 - juris Rn. 1; OLG Köln Beschluss vom 27. August 2018 - 10 UF 79/18 - juris Rn. 6; Schneider in Schneider/Volpert/Fölsch FamGKG 3. Aufl. § 50 Rn. 17 ff.; Schneider FF 2018, 390; Feskorn in Rahm/Künkel Handbuch Familien und Familienverfahrensrecht [Stand: September 2021] Verfahrenswert Rn. 149). § 28 VersAusglG fällt nicht hierunter (OLG Koblenz FamRZ 2017, 1213, 1214). Auch der Verweis in § 28 Abs. 3 VersAusglG auf einzelne in §§ 20 bis 26 VersAusglG genannte Vorschriften ändert hieran nichts. Er bezieht sich nämlich ausdrücklich nur auf die „Durchführung“ des Ausgleichs (BeckOGK/Fricke [Stand: 1. Mai 2022] VersAusglG § 28 Rn. 104 f., 121).


    37


    b) Bei der Wertbemessung ist von drei Anrechten auszugehen. Nach der überwiegend vertretenen und zutreffenden Auffassung sind mehrere bei einem Versorgungsträger aufgrund verschiedener Verträge bestehende Anrechte gebührenrechtlich gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 FamGKG gesondert zu berücksichtigende Anrechte, auch wenn sie - wie hier - in einer einheitlichen Auskunft vom Versorgungsträger mitgeteilt wurden (vgl. OLG Brandenburg NJW 2016, 2894, 2896; OLG Köln Beschluss vom 17. Juli 2017 - 25 WF 140/17 - juris Rn. 18 ff.; OLG Bamberg FamRZ 2021, 27 f.; Feskorn in Rahm/Künkel Handbuch Familien und Familienverfahrensrecht [Stand: September 2021] Verfahrenswert Rn. 151; Wick Der Versorgungsausgleich 4. Aufl. Rn. 597; Schneider in Schneider/Volpert/Fölsch FamGKG 3. Aufl. § 50 Rn. 40 ff.; BeckOGK/Schüßler VersAusglG [Stand: 1. Mai 2022] § 1 Rn. 63.1; vgl. auch OLG Dresden AGS 2014, 480, 481 und Borth in Dutta/Jacoby/Schwab FamFG 4. Aufl. Anhang zur Vorbemerkung vor § 217 Rn. 22; aA OLG Brandenburg Beschluss vom 8. November 2011 - 10 UF 63/11 - juris Rn. 14; OLG Stuttgart FamRZ 2012, 1718, 1719; OLG Karlsruhe FamRZ 2011, 894, 895). Dies entspricht dem Regelungszweck, die gebotene getrennte Sachprüfung auch gebührenrechtlich zu erfassen (vgl. BeckOGK/Schüßler VersAusglG [Stand: 1. Mai 2022] § 1 Rn. 63.1). Auch vorliegend hatte der Ehemann drei einzelne unter getrennten Vertragsnummern geführte Verträge abgeschlossen, die in den Auskünften und Instanzentscheidungen mit ihren jeweiligen Einzelwerten ausgewiesen sowie gesondert festgestellt und tenoriert worden sind (vgl. hierzu Schneider in Schneider/Volpert/Fölsch FamGKG 3. Aufl. § 50 Rn. 41 f.).


    38


    Nachdem das Amtsgericht den Verfahrenswert für die Ehescheidung auf 7.098 € festgesetzt hat, errechnet sich insoweit für die drei im Verfahren der Rechtsbeschwerde noch relevanten Anrechte ein Wert von (gerundet) 2.129 €.


    39


    c) Gemäß § 50 Abs. 2 FamGKG sind für das Verfahren über die Abtretung von Versorgungsansprüchen 500 € zu addieren. Dies gilt auch bei einer Verbindung des Antrags auf Abtretung mit dem Hauptsacheverfahren (vgl. BeckOGK/Fricke [Stand: 1. Mai 2022] VersAusglG § 21 Rn. 43 zur schuldrechtlichen Ausgleichsrente).


    40


    d) In der Regel besteht kein Anlass, gemäß § 50 Abs. 3 FamGKG wegen Unbilligkeit einen abweichenden Wert festzusetzen. Diese Vorschrift will die Festsetzung eines höheren oder eines niedrigeren Verfahrenswerts in Ausnahmefällen ermöglichen, um zu verhindern, dass es zu unvertretbar hohen oder zu unangemessen niedrigen Kosten kommt (Senatsbeschluss vom 26. Februar 2020 - XII ZB 531/19 - FamRZ 2020, 833 Rn. 40 mwN). Dies ist vorliegend nicht der Fall.


    Dose
    Günter
    Nedden-Boeger
    Guhling
    Krüger

    Vorschriften