18.10.2022 · IWW-Abrufnummer 231840
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 07.09.2022 – XII ZB 211/22
Eine Bestellung mehrerer Betreuer kommt auch auf Wunsch des Betroffenen nur dann in Betracht, wenn die Angelegenheiten des Betreuten hierdurch besser besorgt werden können.
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. September 2022 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Nedden-Boeger, Dr. Botur und Guhling
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 12. April 2022 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Eine Festsetzung des Beschwerdewerts ( § 36 Abs. 3 GNotKG ) ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
1
Die 82-jährige Betroffene leidet an einem manisch-depressiv gefärbten demenziellen Symptom und einer organischen wahnhaften Störung, wegen derer sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen kann. Am 1. November 2021 hatte sie - bereits im Zustand der Geschäftsunfähigkeit - ihrem Enkel, dem Sohn ihrer älteren Tochter, Vorsorgevollmacht erteilt.
2
Das Amtsgericht hat eine Betreuung für den Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über eine Unterbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen, Vermögenssorge, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post, Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten, Widerruf bestehender Vollmachten und Vertretung gegenüber Behörden und Einrichtungen eingerichtet und die jüngere Tochter der Betroffenen, die Beteiligte zu 1, als Betreuerin bestimmt.
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Dagegen hat die Betroffene Beschwerde eingelegt, mit der sie durch Anwaltsschriftsatz geltend gemacht hat, mit einer Betreuung durch die Beteiligte zu 1 allein nicht einverstanden zu sein. Vielmehr wünsche sie ihren Enkel, den Sohn ihrer älteren Tochter, als weiteren Betreuer neben der Beteiligten zu 1. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen; hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.
II.
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Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist zulassungsfrei statthaft, auch wenn sich die Betroffene nicht gegen die Anordnung der Betreuung als solche, sondern nur gegen die gleichzeitige Auswahl des Betreuers wendet (vgl. Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - XII ZB 166/10 -FamRZ 2010, 1897Rn. 10).
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2. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die Beteiligte zu 1 sei bereit und in der Lage, die Betreuung zu übernehmen. Aufgrund der verwandtschaftlichen Bindung sei anzunehmen, dass ihre Bestellung dem Wohl und Willen der Betroffenen entspreche, zumal die Betroffene im Anhörungstermin erklärt habe, sich mit ihr gut zu verstehen. Zwar sei ihr im Beschwerdeverfahren geäußerter Wunsch, zusätzlich auch durch den Enkel betreut zu werden, grundsätzlich nach § 1897 Abs. 4 BGB zu beachten. Voraussetzung für die Bestellung mehrerer Betreuer sei jedoch gemäß § 1899 Abs. 1 BGB , dass die Angelegenheiten der Betreuten dadurch besser besorgt werden könnten. Dafür bestünden indes keine Anhaltspunkte. Vielmehr seien angesichts der durch die Beteiligte zu 1 geäußerte Vermutung einer missbräuchlichen Verwendung der dem Enkel erteilten Vollmacht Spannungen und Differenzen unter den beiden Betreuern zu erwarten.
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3. Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.
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a) Der Einwand der Rechtsbeschwerde, die Betroffene habe mit der am 1. November 2021 von ihr unterschriebenen Vorsorgevollmacht zugleich einen Betreuungswunsch geäußert, den das Gericht hätte beachten müssen, ist unbegründet.
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Es kann dahinstehen, ob die Betroffene in der von ihr unterschriebenen Vorsorgevollmacht einen wirksamen Betreuungswunsch geäußert hat. Denn jedenfalls durfte das Beschwerdegericht davon ausgehen, dass der vor dem Betreuungsverfahren am 1. November 2021 zugunsten einer Alleinbetreuung durch den Enkel erklärte Betreuungswunsch nicht mehr aktuell war ( § 1897 Abs. 4 Satz 3 BGB ), nachdem die Betroffene im Beschwerdeverfahren durch Anwaltsschriftsatz den neuen Wunsch geäußert hat, nunmehr durch die Beteiligte zu 1 und ihren Enkel gemeinsam betreut werden zu wollen.
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Gemäß § 1899 Abs. 1 Satz 1 BGB kann das Betreuungsgericht jedoch nur dann mehrere Betreuer bestellen, wenn die Angelegenheiten des Betreuten hierdurch besser besorgt werden können. Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat das Landgericht mit Recht verneint. Denn angesichts der bereits in den Schriftsätzen offen zutage getretenen Spannungen und wechselseitigen Vorhaltungen der Geschwisterstämme untereinander erscheint ein gedeihliches Zusammenwirken der beiden Vorgeschlagenen zum Wohle der Betroffenen nicht erreichbar. Daher hat es das Landgericht zutreffend bei der Beteiligten zu 1 als Betreuerin belassen, die von der Betroffenen auch nicht abgelehnt worden war, und von einer zusätzlichen oder ersatzweisen Bestellung des Enkels abgesehen.
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b) Entgegen der Rüge der Rechtsbeschwerde bedurfte es auf den in der Beschwerdeinstanz erstmals vorgebrachten Betreuungswunsch auch keiner erneuten Anhörung der Betroffenen.
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Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG zwar grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Jedoch räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen, wenn die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung durch das Beschwerdegericht keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (Senatsbeschluss vom 15. Juni 2022 - XII ZB 13/22 - MDR 2022, 972 Rn. 9 mwN).
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Zwar ist eine erneute Anhörung regelmäßig dann erforderlich, wenn das Beschwerdegericht für seine Entscheidung eine neue Tatsachengrundlage heranzieht, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datiert (Senatsbeschluss vom 6. April 2022 - XII ZB 451/21 -FamRZ 2022, 1130Rn. 16 mwN). Hierunter kann auch eine nachträglich erfolgte Willensänderung des Betroffenen fallen. Zu dem im Anwaltsschriftsatz enthaltenen Betreuungswunsch musste die Betroffene aber deshalb nicht gesondert angehört werden, weil die gewünschte Anordnung einer gemeinsamen Betreuung durch die Beteiligte zu 1 und den Enkel schon aus Rechtsgründen nicht in Betracht kam und deshalb aufgrund einer Anhörung keine neuen entscheidungserheblichen Erkenntnisse zu erwarten waren.
Dose
Klinkhammer
Nedden-Boeger
Botur
Guhling