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  • 23.08.2023 · IWW-Abrufnummer 236968

    Verwaltungsgericht Münster: Beschluss vom 06.07.2023 – 6 L 558/23

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Verwaltungsgericht Münster


    Tenor:

    Die Anträge werden abgelehnt.

    Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

    1
    G r ü n d e

    2
    Die Anträge,

    3
    1. der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, den ihr am 12. Juni 2023 angezeigten freien Betreuungsplatz für das KiTa-Jahr 2023/24 in der U3-Gruppe der Kindertagesstätte „K.      -L.       -I.    “ bis zur Entscheidung des Antrags zu 2. anderweitig als an den Antragsteller zu vergeben, sowie

    4
    2. die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, darauf hinzuwirken, dass die Kindertagestätte „K.      -L.       -I.    “ den Antragsteller im Kindergartenjahr 2023/24 in einer U3-Gruppe betreut,

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    haben keinen Erfolg. Die nach § 123 VwGO i. V. m. den §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO erforderlichen Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung liegen insgesamt nicht vor.

    6
    Nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies erfordert die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs sowie eines Anordnungsgrundes (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO). Wird mit der begehrten Regelung ‒ wie hier ‒ die Hauptsache vorweggenommen, gelten gesteigerte Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, indem ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit dafür sprechen muss, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist. Überdies kommt eine Vorwegnahme der Hauptsache nur in Betracht, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wieder gut zu machende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.

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    Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Januar 2014

    8
    - 12 B 1422/13 -, juris, mit weiteren Nachweisen.

    9
    Hier liegt dieser hohe Grad an Wahrscheinlichkeit des Bestehens eines Anordnungsanspruches für keinen der gestellten Anträge vor. Der Antragsteller hat weder einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin einen freien Betreuungsplatz für das KiTa-Jahr 2023/24 in der U3-Gruppe der Kindertagesstätte „K.      -L.       -I.    “ bis zur Entscheidung des Gerichts über seinen Antrag zu 2. nicht anderweitig als an ihn, den Antragsteller vergibt (dazu 1.), noch kann er beanspruchen, dass das Gericht die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Kindertagestätte „K.      -L.       -I.    “ den Antragsteller im Kindergartenjahr 2023/24 in einer U3-Gruppe betreut (dazu 2.).

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    1. Für den Antrag zu 1. fehlt es bereits an einem Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ist keine gesetzlich vorgegebene, gleichwohl aber allgemein anerkannte Zulässigkeitsvoraussetzung, die die Gerichte vor überflüssigen, nutzlosen und mutwilligen Prozessen bewahren soll. Es ist im Regelfall anzunehmen und nur bei Vorliegen besonderer Umstände, die das subjektive oder objektive Interesse an der Durchführung des Rechtsstreits entfallen lassen, zu verneinen.

    11
    Vgl. Sodan in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 42 Rn. 335.

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    Derartige besondere Umstände liegen hier vor. Das Erreichen des Rechtsschutzziels wäre für den Antragsteller nutzlos: Das Gericht entscheidet über die in einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellten einzelnen Anträge regelmäßig ‒ so auch hier ‒ durch einheitlichen Beschluss. Für den Fall der ‒ allein für diese Zwecke angenommenen ‒ stattgebenden Entscheidung über den gestellten Antrag zu 1. träte wegen der gleichzeitig ergehenden Entscheidung des Gerichts über den Antrag zu 2. dessen auflösende Bedingung ‒ „bis zur Entscheidung des Antrags zu 2.“ ‒ zeitgleich ein, sodass die begehrte Untersagung unmittelbar hinfällig würde. Damit ist nicht ersichtlich, welchen Vorteil der Antragsteller aus einer Entscheidung des Gerichts über den Antrag zu 1. ziehen könnte. Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 23. Juni 2023 gegenüber dem Gericht erklärt hat, den seitens des Antragstellers begehrten Betreuungsplatz nicht ohne vorherige Anzeige beim erkennenden Gericht anderweitig zu vergeben. Sie hat damit zu erkennen gegeben, dass sie bereit ist, eine Entscheidung des Gerichts im vorliegenden Eilverfahren abzuwarten, ohne zuvor „Fakten zu schaffen“. Schließlich ist beachtlich, dass ‒ rechtlich selbstständig tragend ‒ jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den gestellten Antrag der Antragsgegnerin ‒ unabhängig davon, ob und wenn ja auf welcher Grundlage ihr in der Zwischenzeit ein Belegungsrecht an dem streitgegenständlichen Platz zugestanden haben mag ‒ eine eigenhändige Vergabe des Betreuungsplatzes rechtlich nicht (mehr) möglich ist (dazu sogleich unter 2.)

    13
    2. Der Antrag zu 2. ist zulässig, aber unbegründet. Der Antragsteller hat das Vorliegen eines Anspruchs darauf, dass die Antragsgegnerin darauf hinwirkt, dass die Kindertagesstätte „K.      -L.       -I.    “ den Antragsteller im Kindergartenjahr 2023/24 in einer U3-Gruppe betreut, nicht glaubhaft gemacht.

    14
    Unabhängig von der Frage, auf welche Rechtsgrundlage sich ein derartiger Einwirkungsanspruch stützen ließe, dürfte er bereits am Fehlen einer hinreichenden Einwirkungsmöglichkeit der Antragsgegnerin auf den Träger der Kindertagesstätte „K.      -L.       -I.    “, den D.    ., scheitern. Die Kammer geht entsprechend einschlägiger obergerichtlicher Rechtsprechung,

    15
    vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 1. Juli 2016 - 4 Bs 261/15 -, juris Rn. 24,

    16
    davon aus, dass die Möglichkeit einer Einwirkung auf einen Dritten, um damit ein Rechtsschutzziel zu erreichen, für das eine Handlung oder ein Unterlassen dieses Dritten erforderlich ist, nur dann anzunehmen ist, wenn diese Einwirkung auch geeignet ist, dieses dahinterstehende Rechtsschutzziel zuverlässig zu erreichen. Im konkreten Fall bedeutet dies, dass es der Antragsgegnerin möglich sein müsste, derart auf den D.    . einzuwirken, dass davon ausgegangen werden muss, dass er sich auch in dem vorgegebenen Sinne verhält. Dies wäre der Fall, wenn es eine entsprechende Weisungsbefugnis gegenüber dem Verein als Träger der Kindertageseinrichtung gäbe. Auf eine Einwirkung, die rechtlich leerliefe, weil sie letztlich über eine unverbindliche Empfehlung nicht hinausginge, dürfte schon kein Anspruch bestehen. So liegt es hier. Dabei dürfte bei summarischer Prüfung eine entsprechende Weisungsbefugnis der Antragsgegnerin gegenüber dem Verein zur Vergabe von nach § 28 Abs. 2 KiBiz NRW in Überschreitung der in der Anlage zu § 33 Abs. 1 KiBiz NRW genannten Zahl der Kinder pro Gruppe geschaffenen Betreuungsplätzen während des seitens der Antragsgegnerin hierfür beanspruchten Zeitraumes von drei Wochen bestehen. Eine solche Weisungsbefugnis dürfte sich hier ergeben, weil sich die Antragsgegnerin diese, wie sie vorträgt, von dem freien Träger vertraglich habe zusichern lassen. Dafür, dass sich die Antragsgegnerin ein solches Vorrecht entgegen den Ausführungen des Antragstellers grundsätzlich für die Handhabung von im Einzelnen aufgezählten Notfällen einräumen lassen kann, spricht für die Kammer die Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 2 KiBiz NRW, nach der „die Jugendämter (…) im Rahmen ihrer Planung auch dafür Vorkehrungen treffen [sollen], wenn Eltern im Laufe des Kindergartenjahres oder aus besonderen Gründen ausnahmsweise schneller als in der Sechsmonatsfrist nach Absatz 1 einen Betreuungsplatz benötigen.“ Die Antragsgegnerin hätte in dem Drei-Wochen-Zeitraum jedenfalls kein allgemeines Belegungs- oder Vorschlagsrecht, sondern ein auf die benannten Notfälle beschränktes. Dass der Antragsteller Begünstigter einer solchen notfallmäßigen Auswahl sein könnte, hat er jedenfalls unter keinem erdenklichen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt glaubhaft gemacht. Er hat weder vorgetragen, in der Familie mit einer persönlichen Notlage konfrontiert zu sein, noch, in seiner Familie einer Gefahr ausgesetzt zu sein. Soweit er vorträgt, als Kleinkind ‒ wie alle Kleinkinder ‒ einen nachgewiesenen Integrationsbedarf zu haben, ist der Antragsgegnerin darin zu folgen, dass dieses Kriterium sich dem Sinn und Zweck nach nur auf einen nachgewiesenen erhöhten Integrationsbedarf, nicht jedoch auf den bei jedem Kleinkind bestehenden Integrationsbedarf beziehen kann. Es wäre ersichtlich redundant, in eine Kriterienliste ein solches Kriterium aufzunehmen, das alle Kandidatinnen und Kandidaten einer Vergabeentscheidung per se erfüllen. Dieser Umstand darf im Wege der teleologischen Reduktion bei der Auslegung der Kriterienliste Berücksichtigung finden. Soweit der Antragsteller überdies die Rechtmäßigkeit des dreiwöchigen Vorabbelegungsrechts der Antragsgegnerin insgesamt in Zweifel zieht, verschafft ihm dies jedenfalls nicht den begehrten Anspruch. Denn für den Fall, dass das Weisungsrecht für Notfälle nicht bestünde, bedeutete dies, dass die Antragsgegnerin dem Träger die Auswahlentscheidung zu überlassen hätte (dazu sogleich), jedenfalls aber nicht, dass sie auf eine Belegung des Platzes mit dem Antragsteller hinwirken könnte.

    17
    Die dargelegte Belegung in Notfällen außer Acht lassend, hat die Antragsgegnerin als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe keine rechtliche Handhabe, den privaten Träger einer Kindertageseinrichtung zur Aufnahme eines bestimmten Kindes zu verpflichten, falls dieser nicht freiwillig hierzu bereit ist. Ebenso wenig vermag sie die Aufnahme eines bestimmten Kindes zu untersagen. Das gilt insbesondere gegenüber freien und privaten Trägern eines Betreuungsangebotes. Diese gestalten ihr Rechtsverhältnis zum Bürger autonom und agieren dabei ausschließlich im Bereich des bürgerlichen Rechts. Eine Rechtsmacht des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe ist nur denkbar, wenn eine entsprechende vertragliche Vereinbarung zwischen ihm und den Trägern von Kindertageseinrichtungen besteht oder wenn der Träger der öffentlichen Jugendhilfe selbst Kindertageseinrichtungen betreibt.

    18
    Vgl. VG Hannover, Beschluss vom 23. September 2019 - 3 B 3832/19 -, juris, m.w.N.

    19
    Eine solche vertragliche Vereinbarung besteht ausweislich der Einlassungen der Antragsgegnerin nur für die Belegung von nach § 28 Abs. 2 KiBiz NRW geschaffenen Plätzen. Darüber hinaus sind für die Kammer Möglichkeiten der Einwirkung auf den Träger der Kindertageseinrichtung nicht ersichtlich. In einer zu den Gerichtsakten gereichten E-Mail des Jugendamtes der Antragsgegnerin an deren Rechtsamt weist ersteres „zur Klarstellung noch einmal darauf hin, dass der Träger sein Vergabeergebnis nicht mit uns abstimmt bzw. abstimmen muss“. Auch der Antragsteller behauptet nichts Gegenteiliges, sondern hebt in seinem Schriftsatz vom 27. Juni 2023 die Privatautonomie des freien Trägers und dessen Entscheidungsfreiheit bei der Belegung seiner Kindertagesstätte explizit hervor.

    20
    Ohne dass es für die vorliegend durch die Kammer zu treffende Entscheidung darauf ankommt, weist das Gericht darauf hin, dass auch eine frühere Entscheidung über den Antrag des Antragstellers kein für diesen günstigeres Ergebnis bedingt hätte: Eine Einwirkungspflicht der Antragsgegnerin auf den D.    hätte auch zu diesem Zeitpunkt nicht bestanden, da, wie bereits erwähnt, die Vereinbarung zwischen Antragsgegnerin und Verein sich auch bis zu diesem Zeitpunkt auf die Vermittlung eines nach den dargelegten Kriterien notfallmäßig zu betreuenden Kindes beschränkt hätte. Nichts für sich Günstigeres vermag der Antragsteller unter Berufung auf das Wunsch- und Wahlrecht aus § 3 Abs. 1 KiBiz NRW bzw. § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII herzuleiten. Dieses Wunsch- und Wahlrecht greift hier schon deshalb nicht ein, weil es von vornherein nur im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten besteht,

    21
    vgl. BVerfG, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 5 C 19.16 -, juris Rn. 40,

    22
    der hier von den Eltern des Antragstellers in den Blick genommene Betreuungsplatz aber wegen der oben dargelegten Beschränkung auf die Handhabung von Notfällen jedenfalls im genannten Zeitraum von drei Wochen nicht frei verfügbar war. Das Wunsch- und Wahlrecht verpflichtet den Träger der öffentlichen Jugendhilfe jedenfalls nicht zu einer dahingehenden Einwirkung auf freie Einrichtungsträger, dass diese unter Außerachtlassung der ihnen eingeräumten Entscheidungsfreiheit und der von ihnen selbst aufgestellten Auswahlkriterien von der Antragsgegnerin vorgeschlagene Kinder ‒ hier den Antragsteller ‒ in ihre Einrichtung aufnähmen.

    23
    Soweit der Antrag zu 2. des Antragstellers im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch dahingehend verstanden werden kann, die Antragsgegnerin zu verpflichten, auf den Verein einzuwirken, in seiner Einrichtung einen weiteren, derzeit nicht existenten Platz zu schaffen und diesen mit dem Antragsteller zu besetzen, bleibt ihm ebenfalls der Erfolg verwehrt. Es entspricht der ständigen auch höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass das Wunsch- und Wahlrecht sich auf eine Auswahl aus vorhandenen Angeboten bezieht, aber keinen Anspruch darauf verleiht, bestimmte Einrichtungen zu schaffen oder die Kapazitäten belegter Einrichtungen zu erweitern. Auch eine Überbelegung vorhandener Einrichtungen kann aus dem Wunsch- und Wahlrecht nicht gefolgert werden.

    24
    Vgl. Wapler, in ders./Wiesner, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, Kommentar, § 5 Rn. 9b, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung.

    25
    Nichts anderes ergibt sich aus der antragstellerseits zitierten neueren Rechtsprechung auch des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,

    26
    vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Juni 2023 - 12 B 458/23 -, juris.

    27
    Es mag zutreffen, dass vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur primären Erfüllung des Anspruchs auf Förderung in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege nach § 24 SGB VIII auch eine Einwirkung auf freie Träger zur Erhöhung ihrer Kapazitäten verlangt werden kann. Hieraus kann der Antragsteller im vorliegend zu entscheidenden Verfahren indes kein subjektives Recht herleiten, denn die Antragsgegnerin hat ihm zur Überzeugung der Kammer bei summarischer Prüfung mit Schreiben vom 14. Juni 2023 einen geeigneten und zumutbaren Betreuungsplatz in der Kindertagesstätte „M.      H.      “ nachgewiesen.

    28
    Der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zufolge richtet sich der Anspruch des § 24 Abs. 2 S. 1 SGB VIII auf den Nachweis eines bedarfsdeckenden Betreuungsplatzes in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Der Nachweis eines Angebotes zur frühkindlichen Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege genügt den Anforderungen des § 24 Abs. 2 S. 1 SGB VIII nur, wenn es dem konkret individuellen Bedarf des anspruchsberechtigten Kindes und seiner Erziehungsberechtigten insbesondere in zeitlicher und räumlicher Hinsicht entspricht.

    29
    Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 5 C 19/16 - juris, Rn. 37 ff.

    30
    Der zeitliche Umfang der Förderung richtet sich gemäß § 24 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII in entsprechender Anwendung des § 24 Absatz 1 Satz 3 SGB VIII nach dem individuellen Bedarf. Der individuelle Bedarf ist gekennzeichnet durch die Verhältnisse des anspruchsberechtigten Kindes und seiner Erziehungsberechtigten. Maßgeblich ist der durch die Erziehungsberechtigten definierte individuelle Bedarf, begrenzt durch das Wohl des zu betreuenden Kindes.

    31
    Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 5 C 19/16 - juris, Rn. 42.

    32
    In Bezug auf den Ort der Tagespflegeeinrichtung oder der Kindertagespflege lässt sich die Frage, ob diese unter zumutbaren Umständen vom Wohnort des Kindes aus erreichbar ist, nicht pauschalierend beantworten. Die Bewertung der Zumutbarkeit hängt von den konkreten örtlichen Verhältnissen ab, wie sie sich z.B. in der jeweiligen Siedlungsstruktur widerspiegeln, aber auch von allgemeinen und individuellen kind- und/oder elternbezogenen Bedarfsgesichtspunkten, so etwa davon, ob und inwieweit nicht berufstätige Hilfspersonen Unterstützung leisten oder ob und aus welchen sachlich gerechtfertigten Gründen das Kind zu Fuß, mit dem Auto oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Betreuungsort gebracht werden soll. Dabei können sich je nach Art der Transportnotwendigkeit unterschiedliche Höchstgrenzen für die noch zumutbare Entfernung und den noch zumutbaren Zeitaufwand ergeben.

    33
    Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Juni 2022 - 12 A 3520/19 -, juris, Rn. 125.

    34
    Dies zu Grunde gelegt, hat die Antragsgegnerin den Anspruch des Antragstellers bei im vorliegenden Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes notwendiger, aber auch hinreichender summarischer Prüfung durch den Nachweis eines Betreuungsplatzes in der Kindertagespflegeeinrichtung „M.      H.      “ erfüllt.

    35
    Der angebotene Betreuungsplatz in der Kindertageseinrichtung ist im Hinblick auf die angebotene Betreuungszeit zumutbar. Der von der Antragsgegnerin angebotene Betreuungsplatz hat einen Betreuungsumfang von 45 Wochenstunden und entspricht daher umfassend dem mitgeteilten Bedarf des Antragstellers.

    36
    Auch der Vortrag des Antragstellers zur Entfernung zwischen seiner Wohnanschrift und dem Ort der Kindertageseinrichtung vermag ein für ihn günstigeres Ergebnis nicht zu bedingen. Das Gericht geht bei summarischer Prüfung von einer zumutbaren Distanz aus. Nach gängigen, öffentlich zugänglichen Kartenmaterialien im Internet ist die dem Antragsteller angebotene Kindertagesstätte mit dem Fahrrad über einen 3,1 km langen Weg in neun Minuten zu erreichen, mit dem Auto über zwei 4,4 respektive 4,6 km lange Routen in zehn Fahrminuten. Damit sind die im Eilbeschluss gleichen Rubrums vom 7. Juni 2023 mit dem Aktenzeichen 6 L 409/23, der den Beteiligten bekannt ist und auf den die Kammer verweist, aufgestellten Anforderungen an die Erreichbarkeit deutlich übererfüllt.

    37
    Die Unzumutbarkeit der Erreichbarkeit der Kindertageseinrichtung hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Pauschale Einwendungen wie die schlechte Beleuchtung eines Weges vermögen die Zumutbarkeit nicht durchgreifend in Zweifel zu ziehen. Es ist nicht Aufgabe der Antragsgegnerin, dem Antragsteller jegliche mit der Anfahrt einer Betreuungseinrichtung verbundene Widrigkeit abzunehmen. Dem Antragsteller steht es frei, seine Routenführung seinen Präferenzen folgend an Witterungs- und Beleuchtungsverhältnisse anzupassen und damit gegebenenfalls Umwege in Kauf zu nehmen.

    38
    Soweit der Antragsteller überdies behauptet, sowohl das Auto als auch das Fahrrad schieden als geeignete Verkehrsmittel zur Anfahrt der Kindertageseinrichtung aus, hat er entsprechende Einschränkungen jedenfalls nicht in einer den Anforderungen der §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO genügenden Weise glaubhaft gemacht. Die Ausführungen seiner Mutter und Prozessbevollmächtigten, wonach der Antragsteller „äußerst widerwillig Auto fährt (Schreianfälle, durchgeschwitztes Kind)“ gehen über eine reine Behauptung nicht hinaus. Soweit die Mutter des Antragstellers darüber hinaus den Widerwillen des Antragstellers, sich anschnallen zu lassen, vorträgt und eidesstattlich versichert, ändert dies an der gefundenen Entscheidung nichts. Denn mit der Versicherung des bloßen Widerwillens gegenüber dem Anschnallen zieht der Antragsteller die Zumutbarkeit des nachgewiesenen Betreuungsplatzes nicht substantiiert in Zweifel. Der bloße Widerwillen eines Kleinkindes bezüglich gewöhnlicher Verhaltensweisen (Anschnallen, Tragen wetterangepasster Kleidung) genügt für sich genommen nicht, um die Zumutbarkeit der örtlichen Lage der angebotenen Betreuungseinrichtung substantiiert in Zweifel zu ziehen. Der Berücksichtigungsfähigkeit steht die nach allgemeiner Lebenserfahrung zu erwartende Wahrscheinlichkeit entgegen, dass der Antragsteller seinen Widerwillen bei entsprechender Gewöhnung wird ablegen können. Auch insoweit gilt, dass die Antragsgegnerin keinen in jeder Hinsicht idealen Betreuungsplatz schuldet. Dass das vorgetragene Wegstreckenhindernis nicht nur vorübergehender Natur ist, sondern dauerhaft bestehen bleiben wird, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

    39
    Dass schließlich die Antragsgegnerin „politisch motiviert“ dem Antragsteller seinen Wunsch-Betreuungsplatz willkürlich vorhalten würde, hat der Antragsteller ebenfalls nicht glaubhaft gemacht. Sein diesbezüglicher Vortrag, die Antragsgegnerin suche möglicherweise andere Kinder davon abzuhalten, ebenfalls Rechtsschutz zu suchen, ist durch nichts substantiiert. Der Antragsteller übersieht, dass ihm die Antragsgegnerin in Folge seines überwiegend erfolgreichen ersten Eilrechtsschutzverfahrens einen zumutbaren Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt hat, sich die abschreckende Wirkung auf ihm potentiell nachfolgende Antragsteller mithin in engen Grenzen halten dürfte.

    40
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gemäß § 188 S. 2 VwGO werden Gerichtskosten nicht erhoben.