22.09.2023 · IWW-Abrufnummer 237491
Bundesverfassungsgericht: Beschluss vom 28.08.2023 – 1 BvR 1088/23
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bundesverfassungsgericht
Beschluss vom 28.08.2023
1 BvR 1088/23
In dem Verfahren
Über die Verfassungsbeschwerde
1.der Frau (...),
2.des Herrn (...),- Bevollmächtigte: (...) -gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 12. Mai 2023 - 10 UF316/23 ‒
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter xxx gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)am 28. August 2023 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Wechsel eines Kindes von einer Pflegefamilie in eine andere Pflegefamilie.
I.
2
Die beschwerdeführenden Eheleute waren die Dauerpflegeeltern eines im September 2018 geborenen Kindes. Aufgrund der Suchtmittelabhängigkeit seiner leiblichen Mutter musste es nach der Geburt für mehr als vier Wochen mit Morphinsulfat substituiert werden. Es wurde im November 2018 in Obhut genommen und zunächst in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht. Seit März 2019 lebte es bei den Beschwerdeführenden.
3
Das betroffene Kind ist aufgrund des Drogenkonsums seiner leiblichen Mutter während der Schwangerschaft in verschiedenen Bereichen in seiner Entwicklung verzögert. Es erhält eine Frühförderung durch eine Heilpädagogin und eine logopädische Behandlung. Seit September 2021 besucht es als Integrationskind mit einer 1: 1-Betreuung einen integrativen Kindergarten. Dort fiel das Kind häufig durch Konflikte mit anderen Kindern auf. Es fühlte sich schnell angegriffen oder gekränkt und hatte Schwierigkeiten sich abzugrenzen. Auch zwischen den Beschwerdeführenden und dem Personal des Kindergartens kam es zu Konflikten.
4
Im Februar 2023 äußerten die Vormündin und das Jugendamt die Sorge, dass die Beschwerdeführenden den hohen Anforderungen an die Erziehung des Kindes zukünftig nicht mehr gerecht werden könnten. Seit dem 17. Februar 2023 befindet sich das Kind in einer neuen Pflegefamilie. Die dortigen Pflegeeltern sind nach Einschätzung der im Ausgangsverfahren fachlich Beteiligten aufgrund ihres jeweiligen beruflichen Hintergrundes mit den Störungsbildern des Kindes gut vertraut.
5
2. Die Beschwerdeführenden haben im Ausgangsverfahren im Wege der einstweiligen Anordnung einen Verbleib beziehungsweise eine Rückführung des Kindes in ihren Haushalt beantragt. Damit sind sie im fachgerichtlichen Verfahren sowohl vor dem Familiengericht als auch vor dem Oberlandesgericht erfolglos geblieben. Das Oberlandesgericht hat in seinem angegriffenen Beschluss ausgeführt, bei einem Wechsel der Pflegestelle müsse mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können, dass das Wohl des Kindes durch seine Herausnahme aus der bisherigen Pflegefamilie und dessen Zuführung zu einer anderen Pflegefamilie gefährdet wäre. Eine solche Gefährdung sei vorliegend nicht gegeben. Vielmehr wäre der Verbleib des Kindes im Haushalt der Beschwerdeführenden mit einem Gefährdungspotential verbunden, das über die durch den Bindungsabbruch entstandene Belastung hinausgehe und dem durch den Wechsel in die neue Pflegefamilie wirksam begegnet werden könne.
6
3. Die Beschwerdeführenden rügen eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 und 3 GG sowie von Art. 20 Abs. 3 GG. Sie beanstanden vor allem, dass das Oberlandesgericht keine konkrete Gefährdung für das Kind in ihrem Haushalt festgestellt habe.
II.
7
1. Die Verfassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil sich die Verfassungsbeschwerde insgesamt als unzulässig erweist. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde genügt nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Anforderungen. Sie zeigt nicht in der gebotenen substantiierten Weise die Möglichkeit einer Verletzung in Grundrechten auf.
8
a) Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer ins Einzelne gehenden argumentativen Auseinandersetzung mit ihr und ihrer Begründung. Dabei ist auch darzulegen, inwieweit das jeweils bezeichnete Grundrecht verletzt sein und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidieren soll (vgl. BVerfGE 108, 370 [BVerfG 07.10.2003 - 1 BvR 1712/01] <386 f.>; 140, 229 <232 Rn. 9>; 149, 346 <359 Rn. 24>; 158, 210 <230 f. Rn. 51>; stRspr).
9
b) Diesen Anforderungen sind die Beschwerdeführenden nicht gerecht geworden.
10
aa) Sie haben es bereits versäumt, sich näher damit auseinanderzusetzen, dass das Oberlandesgericht seinen angegriffenen Beschluss neben - im einstweiligen Anordnungsverfahren lediglich summarisch zu beurteilender - fehlender Erfolgsaussicht der Beschwerde gegen die familiengerichtliche Entscheidung auch auf eine Folgenabwägung gestützt hat. Dabei hat das Oberlandesgericht darauf abgestellt, bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens entspreche es im Rahmen der dann erforderlichen Folgenabwägung regelmäßig nicht dem Wohl des Kindes, vor der Entscheidung in der Hauptsache einen (erneuten) Ortswechsel zu vollziehen. Das gelte auch vorliegend. Das betroffene Kind habe sich gut in der neuen "professionellen" Pflegefamilie eingelebt. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass es dort nicht kindeswohlentsprechend versorgt und gefördert werde. Die Beschwerdeführenden gehen nicht darauf ein, aus welchen Gründen die Voraussetzungen für eine solche Folgenabwägung im einstweiligen Anordnungsverfahren nicht vorgelegen haben sollten und die getroffene Abwägung des Oberlandesgerichts sie in ihren Grundrechten verletzen könnte.
11
bb) Die Möglichkeit einer Verletzung in Grundrechten, insbesondere dem Familiengrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG, legt die Begründung der Verfassungsbeschwerde auch nicht insoweit dar, als das Oberlandesgericht angenommen hat, die anhand von § 1632 Abs. 4 BGB getroffene Entscheidung des Familiengerichts begegne bei der im einstweiligen Anordnungsverfahren lediglich möglichen summarischen Prüfung keinen Bedenken. Die Beschwerdeführenden legen ihrer gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde insoweit einen nicht zutreffenden Maßstab zugrunde. Für die hier vorliegende Konstellation kommt es entgegen der in der Verfassungsbeschwerde vertretenen Rechtsauffassung weder fach- noch verfassungsrechtlich darauf an, ob das Kind bei einem Verbleib in dem beziehungsweise bei einer Rückführung in den Haushalt der Beschwerdeführenden konkret gefährdet (zu den Anforderungen an eine konkrete Kindeswohlgefährdung vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. September 2020 - 1 BvR 528/19 -, Rn. 35 m.w.N.) wäre.
12
(1) § 1632 Abs. 4 Satz 1 BGB knüpft nach seinem Wortlaut die Anordnung des Verbleibs bei (oder die Rückführung zu) einer Pflegeperson daran, ob durch die Wegnahme des Kindes von dieser das Kindeswohl gefährdet würde. Nach im Fachrecht nahezu einhellig vertretener Auffassung darf danach eine Wegnahme des Kindes aus einer Pflegefamilie grundsätzlich lediglich dann erfolgen, wenn mit hinreichender Sicherheit auszuschließen ist, dass durch die Wegnahme eine Gefährdung des Kindeswohls eintritt (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 30. Mai 2016 - 10 UF 189/15 -, Rn. 4; OLG Koblenz, Beschluss vom 20. August 2018 - 9 UF 247/18 -, Rn. 18; Veit, in: BeckOK BGB, Stand: 1.1.2023, § 1632 Rn. 83; Huber, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 1632 Rn. 47 jeweils m.w.N.). Anknüpfend an Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 75, 201 [BVerfG 14.04.1987 - 1 BvR 332/86] <220>) wird im Fachrecht für die Anforderungen an die erforderliche Prognose über eine aus der Wegnahme möglicherweise drohende Kindeswohlgefährdung danach differenziert, ob das betroffene Kind aus der bisherigen Pflegefamilie zu seinen leiblichen (oder rechtlichen) Eltern zurückkehren soll oder ob ein Wechsel der Pflegestelle angestrebt ist (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 15. Juni 2018 - 2 UF 44/18 -, Rn. 43; OLG Koblenz, Beschluss vom 20. August 2018 - 9 UF 247/18 -, Rn. 18; Veit, in: BeckOK BGB, Stand: 1.1.2023, § 1632 Rn. 83; Huber, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 1632 Rn. 47 jeweils m.w.N.). Im letztgenannten Fall kann eine Verbleibens- oder Rückkehranordnung an sich bereits dann ergehen, wenn aufgrund des Wechsels die Möglichkeit einer Kindeswohlgefährdung besteht (vgl. Huber, in: MüKo BGB, a.a.O., § 1632 Rn. 47 m.w.N.). Kommt allerdings die Möglichkeit einer Kindeswohlgefährdung sowohl durch den Wechsel als auch bei Verbleib in der bisherigen Pflegefamilie in Betracht, hat nach fachrechtlichem Verständnis des § 1632 Abs. 4 BGB eine Abwägung zu erfolgen. Maßgebend komme es dann darauf an, ob die mögliche Gefährdung durch die Herausnahme aus der bisherigen Pflegefamilie gegenüber einer prognostisch erheblicheren Gefährdung im Fall des Verbleibs zurücktrete (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 12. März 2018 - 1 UF 191/17 -, Rn. 14; Veit, in: BeckOK BGB, a.a.O., § 1632 Rn. 83; Huber, in MüKo BGB, a.a.O., § 1632 Rn. 47 jeweils m.w.N.; in der Sache ebenso OLG Köln, Beschluss vom 30. Mai 2016 - 10 UF 189/15 -, Rn. 5; OLG Hamburg, Beschluss vom 15. Juni 2018 - 2 UF 44/18 -, Rn. 44). Auch in dieser Konstellation ist aber nicht erforderlich, dass in der bisherigen Pflegefamilie eine konkrete Kindeswohlgefährdung, wie sie für eine mit der Trennung des Kindes von seinen Eltern verbundene Entziehung des Sorgerechts auf der Grundlage von §§ 1666, 1666a BGB erforderlich ist, festgestellt wird. Maßgeblich für § 1632 Abs. 4 BGB ist die Gefährdung des Kindeswohls, die aus der bevorstehenden oder bereits erfolgten Herausnahme aus der Pflegefamilie resultiert (näher dazu Salgo, in: Staudinger, BGB, 2020, § 1632 Rn. 82 ff. m.w.N.).
13
(2) Diese Auslegung von § 1632 Abs. 4 Satz 1 BGB ist für den hier zu beurteilenden Wechsel eines Kindes von einer Pflegefamilie in eine andere gemessen am Familiengrundrecht nach Art. 6 Abs. 1 GG, auf das sich die beschwerdeführenden Pflegeeltern stützen können, nicht zu beanstanden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass wegen der unterschiedlichen Grundrechtspositionen von Eltern, die Träger des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sind, und Pflegeeltern, die dies regelmäßig nicht sind (vgl. BVerfGE 133, 59 <81 f. Rn. 59>; 151, 101 <122 Rn. 50>), bei den Anforderungen an die in § 1632 Abs. 4 Satz 1 BGB maßgebliche Gefährdungsprognose differenziert werden muss (vgl. BVerfGE 75, 201 <220>; BVerfGK 17, 212 <218>). Für einen Wechsel des Kindes von einer Pflegefamilie in eine andere müssen wichtige, das Wohl des Kindes betreffende Gründe vorliegen (vgl. BVerfGE 75, 201 [BVerfG 14.04.1987 - 1 BvR 332/86] <220>). Mit Art. 6 Abs. 1 GG ist angesichts dessen vereinbar, das Ergehen einer Verbleibens- oder Rückkehranordnung bei möglicher Kindeswohlgefährdung sowohl im Fall des Wechsels der Pflegefamilie als auch bei einem Verbleib in der bisherigen Pflegefamilie von einer am Kindeswohl orientierten Abwägung abhängig zu machen. § 1632 Abs. 4 BGB dient nämlich weniger der Stärkung der vom Gesetzgeber als Achtung gebührend anerkannten Stellung von Pflegeeltern (vgl. BTDrucks 8/2788, S. 40) als vielmehr der Durchsetzung des Kindeswohls (vgl. BVerfG 79, 51 <59 f.>).
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Die verfassungsrechtlich gebotene Ausrichtung am Kindeswohl erfordert, die gewachsenen Bindungen des Kindes an seine bisherigen Pflegeeltern einzubeziehen und gerade die aus der Trennung von diesen drohende Gefahr für das Kindeswohl zu bedenken (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 2017 - 1 BvR 2569/16 -, Rn. 45 m.w.N.). Grundsätzlich gebietet das Kindeswohl, bei gewachsenen Bindungen des Kindes zu seinen Pflegepersonen das Kind aus dieser Pflegefamilie nur herauszunehmen, wenn die körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen des Kindes als Folge der Trennung von seinen bisherigen Bezugspersonen unter Berücksichtigung der Grundrechtsposition des Kindes hinnehmbar sind (vgl. BVerfGE 79, 51 [BVerfG 12.10.1988 - 1 BvR 818/88] <64>; BVerfGK 17, 212 <217>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 2017 - 1 BvR 2569/16 -, Rn. 45). Die im Fachrecht für den Fall beidseitiger möglicher Kindeswohlgefährdung herangezogene Abwägung zwischen den Gefährdungspotentialen entspricht regelmäßig dieser verfassungsrechtlich gebotenen Kindeswohlorientierung bei der Auflösung einer bestehenden Konfliktlage zwischen den Interessen von Eltern, Pflegeltern und Kind (dazu allgemein BVerfGE 68, 176 [BVerfG 17.10.1984 - 1 BvR 284/84] <188>).
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Bei der Auslegung und Anwendung von § 1632 Abs. 4 BGB ist zwar zu berücksichtigen, dass die aus dem Pflegekind und seinen (bisherigen) Pflegeeltern bestehende Pflegefamilie durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt ist (vgl. BVerfGE 68, 176 <187>; 79, 51 <59 f.>). Eine Berücksichtigung der Anforderungen aus Art. 6 Abs. 3 GG bei Entscheidungen über die Herausnahme eines Kindes aus seiner Pflegefamilie (vgl. BVerfGE 68, 176 [BVerfG 17.10.1984 - 1 BvR 284/84] <187>) wird bei Verfassungsbeschwerden von Pflegeeltern, die grundsätzlich nicht Inhaber des Sorgerechts sind (siehe aber § 1630 Abs. 3 BGB), allerdings lediglich in Ausnahmefällen in Betracht kommen können. Das kann etwa bei einer jahrelangen Dauerpflege oder anderen ins Gewicht fallenden Umständen möglich sein (vgl. BVerfGE 79, 51 [BVerfG 12.10.1988 - 1 BvR 818/88] <60>). Ein unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 3 GG zu beurteilender Ausnahmefall wird aber regelmäßig ausgeschlossen sein, wenn die Fachgerichte eine Gefährdung des Kindeswohls auch bei Verbleib in der bisherigen Pflegefamilie festgestellt haben. Es bewendet dann bei einer am Kindeswohl ausgerichteten Abwägung des jeweiligen Gefährdungspotentials. Wird dieses von den Fachgerichten unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gestaltung des Verfahrens (dazu BVerfGK 17, 212 <218> m.w.N.) im Fall des Verbleibs in der bisherigen Pflegefamilie höher eingeschätzt als für den Fall des Wechsels, verletzt die Ablehnung einer Verbleibensanordnung das Familiengrundrecht (Art. 6 Abs. 1 GG) der bisherigen Pflegeeltern regelmäßig nicht.
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(3) Ausgehend von diesen Maßstäben ergibt sich aus der Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht die Möglichkeit einer Verletzung der Beschwerdeführenden in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG. Das Oberlandesgericht hat angenommen, dass die latenten Gefährdungsmomente für das Kind bei Verbleib bei den Beschwerdeführenden größer sind als die Gefahr durch den Bindungsabbruch wegen des Wechsels zu den neuen Pflegeeltern. Für diese Wertung hat es sich auf die Empfehlungen der im Ausgangsverfahren fachlich Beteiligten gestützt. Damit besteht eine hinreichend zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung. Die Wertung des Oberlandesgerichts ist erkennbar am Wohl des Kindes ausgerichtet und kommt verfassungsrechtlich unbedenklich zu dem Ergebnis, dass der Wechsel des Kindes in eine neue Pflegefamilie trotz des Bindungsabbruchs des Kindes zu seiner bisherigen Pflegefamilie kindeswohldienlicher ist als ein Verbleib bei den Beschwerdeführenden, denen nach fachlicher Einschätzung auch aufgrund eigener Überforderung ein grundlegendes Verständnis für die Besonderheiten und Bedürfnisse des Jungen fehle. Feststellungen zu einer konkreten Kindeswohlgefährdung, wie sie für einen mit der Trennung von Eltern von ihrem Kind verbundenen Sorgerechtsentzug auf der Grundlage von §§ 1666, 1666a BGB erforderlich sind (dazu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 7. März 2023 - 1 BvR 221/23 -, Rn. 10 m.w.N.), musste das Oberlandesgericht gerade nicht treffen.
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2. Es bedarf keiner Entscheidung, ob der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts verfassungsrechtlich nicht nur daraufhin zu prüfen ist, ob er auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts beruht, sondern auch auf das Vorliegen von einzelnen Auslegungsfehlern. Das Bundesverfassungsgericht hat im Zusammenhang mit der Herausnahme eines Pflegekindes aus seiner bisherigen Pflegefamilie beziehungsweise eine Rückführung dorthin einen solch strengen Prüfungsmaßstab dann herangezogen, wenn auf Verfassungsbeschwerde des betroffenen Kindes hin eine mögliche Verletzung dessen Schutzanspruchs aus Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG (bzw. Art. 1 Abs. 1 GG) zu beurteilen war (vgl. BVerfGE 79, 51 [BVerfG 12.10.1988 - 1 BvR 818/88] <63>; BVerfGK 17, 212 <217 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 2017 - 1 BvR 2569/16 -, Rn. 39 ff.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. Februar 2021 - 1 BvR 1780/20 -, Rn. 26 f., 30). Mit dem entsprechenden Anspruch des Kindes gegen den Staat auf Sicherung von Lebensbedingen, die für die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit und sein gesundes Aufwachsen erforderlich sind, ist die grundrechtliche Gewährleistung aus Art. 6 Abs. 1 GG zugunsten von Pflegeeltern nicht ohne Weiteres vergleichbar. Selbst wenn aber dennoch ein strenger Maßstab anzulegen wäre, lässt die Begründung der Verfassungsbeschwerde aus den vorgenannten Gründen weder einzelne Auslegungsfehler des Oberlandesgerichts noch "deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts" (zu diesem Maßstab BVerfGE 136, 382 [BVerfG 24.06.2014 - 1 BvR 2926/13] <391 Rn. 28>) erkennen.
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3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Beschluss vom 28.08.2023
1 BvR 1088/23
In dem Verfahren
Über die Verfassungsbeschwerde
1.der Frau (...),
2.des Herrn (...),- Bevollmächtigte: (...) -gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 12. Mai 2023 - 10 UF316/23 ‒
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter xxx gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)am 28. August 2023 einstimmig beschlossen:
Tenor:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Wechsel eines Kindes von einer Pflegefamilie in eine andere Pflegefamilie.
I.
2
Die beschwerdeführenden Eheleute waren die Dauerpflegeeltern eines im September 2018 geborenen Kindes. Aufgrund der Suchtmittelabhängigkeit seiner leiblichen Mutter musste es nach der Geburt für mehr als vier Wochen mit Morphinsulfat substituiert werden. Es wurde im November 2018 in Obhut genommen und zunächst in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht. Seit März 2019 lebte es bei den Beschwerdeführenden.
3
Das betroffene Kind ist aufgrund des Drogenkonsums seiner leiblichen Mutter während der Schwangerschaft in verschiedenen Bereichen in seiner Entwicklung verzögert. Es erhält eine Frühförderung durch eine Heilpädagogin und eine logopädische Behandlung. Seit September 2021 besucht es als Integrationskind mit einer 1: 1-Betreuung einen integrativen Kindergarten. Dort fiel das Kind häufig durch Konflikte mit anderen Kindern auf. Es fühlte sich schnell angegriffen oder gekränkt und hatte Schwierigkeiten sich abzugrenzen. Auch zwischen den Beschwerdeführenden und dem Personal des Kindergartens kam es zu Konflikten.
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Im Februar 2023 äußerten die Vormündin und das Jugendamt die Sorge, dass die Beschwerdeführenden den hohen Anforderungen an die Erziehung des Kindes zukünftig nicht mehr gerecht werden könnten. Seit dem 17. Februar 2023 befindet sich das Kind in einer neuen Pflegefamilie. Die dortigen Pflegeeltern sind nach Einschätzung der im Ausgangsverfahren fachlich Beteiligten aufgrund ihres jeweiligen beruflichen Hintergrundes mit den Störungsbildern des Kindes gut vertraut.
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2. Die Beschwerdeführenden haben im Ausgangsverfahren im Wege der einstweiligen Anordnung einen Verbleib beziehungsweise eine Rückführung des Kindes in ihren Haushalt beantragt. Damit sind sie im fachgerichtlichen Verfahren sowohl vor dem Familiengericht als auch vor dem Oberlandesgericht erfolglos geblieben. Das Oberlandesgericht hat in seinem angegriffenen Beschluss ausgeführt, bei einem Wechsel der Pflegestelle müsse mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können, dass das Wohl des Kindes durch seine Herausnahme aus der bisherigen Pflegefamilie und dessen Zuführung zu einer anderen Pflegefamilie gefährdet wäre. Eine solche Gefährdung sei vorliegend nicht gegeben. Vielmehr wäre der Verbleib des Kindes im Haushalt der Beschwerdeführenden mit einem Gefährdungspotential verbunden, das über die durch den Bindungsabbruch entstandene Belastung hinausgehe und dem durch den Wechsel in die neue Pflegefamilie wirksam begegnet werden könne.
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3. Die Beschwerdeführenden rügen eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 und 3 GG sowie von Art. 20 Abs. 3 GG. Sie beanstanden vor allem, dass das Oberlandesgericht keine konkrete Gefährdung für das Kind in ihrem Haushalt festgestellt habe.
II.
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1. Die Verfassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil sich die Verfassungsbeschwerde insgesamt als unzulässig erweist. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde genügt nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Anforderungen. Sie zeigt nicht in der gebotenen substantiierten Weise die Möglichkeit einer Verletzung in Grundrechten auf.
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a) Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer ins Einzelne gehenden argumentativen Auseinandersetzung mit ihr und ihrer Begründung. Dabei ist auch darzulegen, inwieweit das jeweils bezeichnete Grundrecht verletzt sein und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidieren soll (vgl. BVerfGE 108, 370 [BVerfG 07.10.2003 - 1 BvR 1712/01] <386 f.>; 140, 229 <232 Rn. 9>; 149, 346 <359 Rn. 24>; 158, 210 <230 f. Rn. 51>; stRspr).
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b) Diesen Anforderungen sind die Beschwerdeführenden nicht gerecht geworden.
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aa) Sie haben es bereits versäumt, sich näher damit auseinanderzusetzen, dass das Oberlandesgericht seinen angegriffenen Beschluss neben - im einstweiligen Anordnungsverfahren lediglich summarisch zu beurteilender - fehlender Erfolgsaussicht der Beschwerde gegen die familiengerichtliche Entscheidung auch auf eine Folgenabwägung gestützt hat. Dabei hat das Oberlandesgericht darauf abgestellt, bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens entspreche es im Rahmen der dann erforderlichen Folgenabwägung regelmäßig nicht dem Wohl des Kindes, vor der Entscheidung in der Hauptsache einen (erneuten) Ortswechsel zu vollziehen. Das gelte auch vorliegend. Das betroffene Kind habe sich gut in der neuen "professionellen" Pflegefamilie eingelebt. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass es dort nicht kindeswohlentsprechend versorgt und gefördert werde. Die Beschwerdeführenden gehen nicht darauf ein, aus welchen Gründen die Voraussetzungen für eine solche Folgenabwägung im einstweiligen Anordnungsverfahren nicht vorgelegen haben sollten und die getroffene Abwägung des Oberlandesgerichts sie in ihren Grundrechten verletzen könnte.
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bb) Die Möglichkeit einer Verletzung in Grundrechten, insbesondere dem Familiengrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG, legt die Begründung der Verfassungsbeschwerde auch nicht insoweit dar, als das Oberlandesgericht angenommen hat, die anhand von § 1632 Abs. 4 BGB getroffene Entscheidung des Familiengerichts begegne bei der im einstweiligen Anordnungsverfahren lediglich möglichen summarischen Prüfung keinen Bedenken. Die Beschwerdeführenden legen ihrer gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde insoweit einen nicht zutreffenden Maßstab zugrunde. Für die hier vorliegende Konstellation kommt es entgegen der in der Verfassungsbeschwerde vertretenen Rechtsauffassung weder fach- noch verfassungsrechtlich darauf an, ob das Kind bei einem Verbleib in dem beziehungsweise bei einer Rückführung in den Haushalt der Beschwerdeführenden konkret gefährdet (zu den Anforderungen an eine konkrete Kindeswohlgefährdung vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. September 2020 - 1 BvR 528/19 -, Rn. 35 m.w.N.) wäre.
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(1) § 1632 Abs. 4 Satz 1 BGB knüpft nach seinem Wortlaut die Anordnung des Verbleibs bei (oder die Rückführung zu) einer Pflegeperson daran, ob durch die Wegnahme des Kindes von dieser das Kindeswohl gefährdet würde. Nach im Fachrecht nahezu einhellig vertretener Auffassung darf danach eine Wegnahme des Kindes aus einer Pflegefamilie grundsätzlich lediglich dann erfolgen, wenn mit hinreichender Sicherheit auszuschließen ist, dass durch die Wegnahme eine Gefährdung des Kindeswohls eintritt (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 30. Mai 2016 - 10 UF 189/15 -, Rn. 4; OLG Koblenz, Beschluss vom 20. August 2018 - 9 UF 247/18 -, Rn. 18; Veit, in: BeckOK BGB, Stand: 1.1.2023, § 1632 Rn. 83; Huber, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 1632 Rn. 47 jeweils m.w.N.). Anknüpfend an Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 75, 201 [BVerfG 14.04.1987 - 1 BvR 332/86] <220>) wird im Fachrecht für die Anforderungen an die erforderliche Prognose über eine aus der Wegnahme möglicherweise drohende Kindeswohlgefährdung danach differenziert, ob das betroffene Kind aus der bisherigen Pflegefamilie zu seinen leiblichen (oder rechtlichen) Eltern zurückkehren soll oder ob ein Wechsel der Pflegestelle angestrebt ist (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 15. Juni 2018 - 2 UF 44/18 -, Rn. 43; OLG Koblenz, Beschluss vom 20. August 2018 - 9 UF 247/18 -, Rn. 18; Veit, in: BeckOK BGB, Stand: 1.1.2023, § 1632 Rn. 83; Huber, in: MüKo BGB, 8. Aufl. 2020, § 1632 Rn. 47 jeweils m.w.N.). Im letztgenannten Fall kann eine Verbleibens- oder Rückkehranordnung an sich bereits dann ergehen, wenn aufgrund des Wechsels die Möglichkeit einer Kindeswohlgefährdung besteht (vgl. Huber, in: MüKo BGB, a.a.O., § 1632 Rn. 47 m.w.N.). Kommt allerdings die Möglichkeit einer Kindeswohlgefährdung sowohl durch den Wechsel als auch bei Verbleib in der bisherigen Pflegefamilie in Betracht, hat nach fachrechtlichem Verständnis des § 1632 Abs. 4 BGB eine Abwägung zu erfolgen. Maßgebend komme es dann darauf an, ob die mögliche Gefährdung durch die Herausnahme aus der bisherigen Pflegefamilie gegenüber einer prognostisch erheblicheren Gefährdung im Fall des Verbleibs zurücktrete (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 12. März 2018 - 1 UF 191/17 -, Rn. 14; Veit, in: BeckOK BGB, a.a.O., § 1632 Rn. 83; Huber, in MüKo BGB, a.a.O., § 1632 Rn. 47 jeweils m.w.N.; in der Sache ebenso OLG Köln, Beschluss vom 30. Mai 2016 - 10 UF 189/15 -, Rn. 5; OLG Hamburg, Beschluss vom 15. Juni 2018 - 2 UF 44/18 -, Rn. 44). Auch in dieser Konstellation ist aber nicht erforderlich, dass in der bisherigen Pflegefamilie eine konkrete Kindeswohlgefährdung, wie sie für eine mit der Trennung des Kindes von seinen Eltern verbundene Entziehung des Sorgerechts auf der Grundlage von §§ 1666, 1666a BGB erforderlich ist, festgestellt wird. Maßgeblich für § 1632 Abs. 4 BGB ist die Gefährdung des Kindeswohls, die aus der bevorstehenden oder bereits erfolgten Herausnahme aus der Pflegefamilie resultiert (näher dazu Salgo, in: Staudinger, BGB, 2020, § 1632 Rn. 82 ff. m.w.N.).
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(2) Diese Auslegung von § 1632 Abs. 4 Satz 1 BGB ist für den hier zu beurteilenden Wechsel eines Kindes von einer Pflegefamilie in eine andere gemessen am Familiengrundrecht nach Art. 6 Abs. 1 GG, auf das sich die beschwerdeführenden Pflegeeltern stützen können, nicht zu beanstanden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass wegen der unterschiedlichen Grundrechtspositionen von Eltern, die Träger des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sind, und Pflegeeltern, die dies regelmäßig nicht sind (vgl. BVerfGE 133, 59 <81 f. Rn. 59>; 151, 101 <122 Rn. 50>), bei den Anforderungen an die in § 1632 Abs. 4 Satz 1 BGB maßgebliche Gefährdungsprognose differenziert werden muss (vgl. BVerfGE 75, 201 <220>; BVerfGK 17, 212 <218>). Für einen Wechsel des Kindes von einer Pflegefamilie in eine andere müssen wichtige, das Wohl des Kindes betreffende Gründe vorliegen (vgl. BVerfGE 75, 201 [BVerfG 14.04.1987 - 1 BvR 332/86] <220>). Mit Art. 6 Abs. 1 GG ist angesichts dessen vereinbar, das Ergehen einer Verbleibens- oder Rückkehranordnung bei möglicher Kindeswohlgefährdung sowohl im Fall des Wechsels der Pflegefamilie als auch bei einem Verbleib in der bisherigen Pflegefamilie von einer am Kindeswohl orientierten Abwägung abhängig zu machen. § 1632 Abs. 4 BGB dient nämlich weniger der Stärkung der vom Gesetzgeber als Achtung gebührend anerkannten Stellung von Pflegeeltern (vgl. BTDrucks 8/2788, S. 40) als vielmehr der Durchsetzung des Kindeswohls (vgl. BVerfG 79, 51 <59 f.>).
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Die verfassungsrechtlich gebotene Ausrichtung am Kindeswohl erfordert, die gewachsenen Bindungen des Kindes an seine bisherigen Pflegeeltern einzubeziehen und gerade die aus der Trennung von diesen drohende Gefahr für das Kindeswohl zu bedenken (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 2017 - 1 BvR 2569/16 -, Rn. 45 m.w.N.). Grundsätzlich gebietet das Kindeswohl, bei gewachsenen Bindungen des Kindes zu seinen Pflegepersonen das Kind aus dieser Pflegefamilie nur herauszunehmen, wenn die körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen des Kindes als Folge der Trennung von seinen bisherigen Bezugspersonen unter Berücksichtigung der Grundrechtsposition des Kindes hinnehmbar sind (vgl. BVerfGE 79, 51 [BVerfG 12.10.1988 - 1 BvR 818/88] <64>; BVerfGK 17, 212 <217>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 2017 - 1 BvR 2569/16 -, Rn. 45). Die im Fachrecht für den Fall beidseitiger möglicher Kindeswohlgefährdung herangezogene Abwägung zwischen den Gefährdungspotentialen entspricht regelmäßig dieser verfassungsrechtlich gebotenen Kindeswohlorientierung bei der Auflösung einer bestehenden Konfliktlage zwischen den Interessen von Eltern, Pflegeltern und Kind (dazu allgemein BVerfGE 68, 176 [BVerfG 17.10.1984 - 1 BvR 284/84] <188>).
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Bei der Auslegung und Anwendung von § 1632 Abs. 4 BGB ist zwar zu berücksichtigen, dass die aus dem Pflegekind und seinen (bisherigen) Pflegeeltern bestehende Pflegefamilie durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt ist (vgl. BVerfGE 68, 176 <187>; 79, 51 <59 f.>). Eine Berücksichtigung der Anforderungen aus Art. 6 Abs. 3 GG bei Entscheidungen über die Herausnahme eines Kindes aus seiner Pflegefamilie (vgl. BVerfGE 68, 176 [BVerfG 17.10.1984 - 1 BvR 284/84] <187>) wird bei Verfassungsbeschwerden von Pflegeeltern, die grundsätzlich nicht Inhaber des Sorgerechts sind (siehe aber § 1630 Abs. 3 BGB), allerdings lediglich in Ausnahmefällen in Betracht kommen können. Das kann etwa bei einer jahrelangen Dauerpflege oder anderen ins Gewicht fallenden Umständen möglich sein (vgl. BVerfGE 79, 51 [BVerfG 12.10.1988 - 1 BvR 818/88] <60>). Ein unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 3 GG zu beurteilender Ausnahmefall wird aber regelmäßig ausgeschlossen sein, wenn die Fachgerichte eine Gefährdung des Kindeswohls auch bei Verbleib in der bisherigen Pflegefamilie festgestellt haben. Es bewendet dann bei einer am Kindeswohl ausgerichteten Abwägung des jeweiligen Gefährdungspotentials. Wird dieses von den Fachgerichten unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gestaltung des Verfahrens (dazu BVerfGK 17, 212 <218> m.w.N.) im Fall des Verbleibs in der bisherigen Pflegefamilie höher eingeschätzt als für den Fall des Wechsels, verletzt die Ablehnung einer Verbleibensanordnung das Familiengrundrecht (Art. 6 Abs. 1 GG) der bisherigen Pflegeeltern regelmäßig nicht.
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(3) Ausgehend von diesen Maßstäben ergibt sich aus der Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht die Möglichkeit einer Verletzung der Beschwerdeführenden in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG. Das Oberlandesgericht hat angenommen, dass die latenten Gefährdungsmomente für das Kind bei Verbleib bei den Beschwerdeführenden größer sind als die Gefahr durch den Bindungsabbruch wegen des Wechsels zu den neuen Pflegeeltern. Für diese Wertung hat es sich auf die Empfehlungen der im Ausgangsverfahren fachlich Beteiligten gestützt. Damit besteht eine hinreichend zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung. Die Wertung des Oberlandesgerichts ist erkennbar am Wohl des Kindes ausgerichtet und kommt verfassungsrechtlich unbedenklich zu dem Ergebnis, dass der Wechsel des Kindes in eine neue Pflegefamilie trotz des Bindungsabbruchs des Kindes zu seiner bisherigen Pflegefamilie kindeswohldienlicher ist als ein Verbleib bei den Beschwerdeführenden, denen nach fachlicher Einschätzung auch aufgrund eigener Überforderung ein grundlegendes Verständnis für die Besonderheiten und Bedürfnisse des Jungen fehle. Feststellungen zu einer konkreten Kindeswohlgefährdung, wie sie für einen mit der Trennung von Eltern von ihrem Kind verbundenen Sorgerechtsentzug auf der Grundlage von §§ 1666, 1666a BGB erforderlich sind (dazu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 7. März 2023 - 1 BvR 221/23 -, Rn. 10 m.w.N.), musste das Oberlandesgericht gerade nicht treffen.
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2. Es bedarf keiner Entscheidung, ob der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts verfassungsrechtlich nicht nur daraufhin zu prüfen ist, ob er auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts beruht, sondern auch auf das Vorliegen von einzelnen Auslegungsfehlern. Das Bundesverfassungsgericht hat im Zusammenhang mit der Herausnahme eines Pflegekindes aus seiner bisherigen Pflegefamilie beziehungsweise eine Rückführung dorthin einen solch strengen Prüfungsmaßstab dann herangezogen, wenn auf Verfassungsbeschwerde des betroffenen Kindes hin eine mögliche Verletzung dessen Schutzanspruchs aus Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG (bzw. Art. 1 Abs. 1 GG) zu beurteilen war (vgl. BVerfGE 79, 51 [BVerfG 12.10.1988 - 1 BvR 818/88] <63>; BVerfGK 17, 212 <217 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 2017 - 1 BvR 2569/16 -, Rn. 39 ff.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. Februar 2021 - 1 BvR 1780/20 -, Rn. 26 f., 30). Mit dem entsprechenden Anspruch des Kindes gegen den Staat auf Sicherung von Lebensbedingen, die für die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit und sein gesundes Aufwachsen erforderlich sind, ist die grundrechtliche Gewährleistung aus Art. 6 Abs. 1 GG zugunsten von Pflegeeltern nicht ohne Weiteres vergleichbar. Selbst wenn aber dennoch ein strenger Maßstab anzulegen wäre, lässt die Begründung der Verfassungsbeschwerde aus den vorgenannten Gründen weder einzelne Auslegungsfehler des Oberlandesgerichts noch "deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts" (zu diesem Maßstab BVerfGE 136, 382 [BVerfG 24.06.2014 - 1 BvR 2926/13] <391 Rn. 28>) erkennen.
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3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.