13.02.2024 · IWW-Abrufnummer 239696
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 10.01.2024 – XII ZB 510/23
Der verfahrenskostenhilfebedürftige Rechtsmittelführer ist auch dann unverschuldet an der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsmittels gehindert, wenn er ein wegen bestehenden Anwaltszwangs unzulässiges persönliches Rechtsmittel eingelegt und dafür Verfahrenskostenhilfe beantragt hat. Das Rechtsmittelgericht hat auch in diesem Fall zunächst über die beantragte Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden, bevor es das Rechtsmittel als unzulässig verwirft (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 4. November 2015 - XII ZB 289/15 -FamRZ 2016, 209).
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2024 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und Dr. Botur und die Richterin Dr. Pernice
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 21. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Köln vom 14. August 2023 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beschwerde des Antragsgegners verworfen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Wert: 3.000 €
Gründe
I.
1
Das Amtsgericht hat die Ehe der Beteiligten geschieden und festgestellt, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet. Gegen diesen der damaligen Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am 25. Mai 2023 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner mit am 15. Juni 2023 beim Amtsgericht eingegangenem Schreiben vom 12. Juni 2023 persönlich Beschwerde eingelegt und diese begründet. Gleichzeitig hat er die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Mit am 25. Juni 2023 beim Oberlandesgericht eingegangenem privatschriftlichem Schreiben hat der Antragsgegner die Beschwerde erneut eingelegt und begründet sowie nochmals Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts gestellt. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde als unzulässig, weil nicht durch einen Rechtsanwalt eingelegt, verworfen und zugleich das Verfahrenskostenhilfegesuch des Antragsgegners wegen fehlender Erfolgsaussichten zurückgewiesen, weil die Beschwerde unzulässig sei. Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Antragsgegner gegen die Verwerfung seiner Beschwerde.
II.
2
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit die Beschwerde des Antragsgegners verworfen worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
3
1. Das Rechtsmittel richtet sich allein gegen die Entscheidung über die Verwerfung der Beschwerde, nicht aber gegen die Versagung von Verfahrenskostenhilfe. Es ist zwar nicht explizit auf die Entscheidung über die Verwerfung der Beschwerde beschränkt worden und auch der Antrag enthält keine solche ausdrückliche Beschränkung. Da allerdings eine Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung über die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe mangels Zulassung durch das Oberlandesgericht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 574 Abs. 1 ZPO nicht statthaft wäre (vgl. BGH Beschluss vom 7. September 2023 - IX ZB 25/23 - juris Rn. 1 und BGHZ 184, 323 = FGPrax 2010, 154 Rn. 5 mwN) und die Beschwerdebegründung die Versagung von Verfahrenskostenhilfe der Sache nach unbeanstandet lässt, ist die Rechtsbeschwerde als konkludent auf die Verwerfungsentscheidung beschränkt anzusehen.
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2. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG , § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Das Beschwerdegericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht des Antragsgegners auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes ( Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, das den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 23. August 2023 - XII ZB 278/22 -FamRZ 2023, 1982Rn. 6 mwN).
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3. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Beschwerdegericht hätte die Beschwerde nicht mit der Begründung als unzulässig verwerfen dürfen, dass diese entgegen § 114 FamFG nicht von einem Rechtsanwalt eingelegt worden ist. Denn der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 12. Juni 2023 innerhalb der Beschwerdefrist die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe beantragt.
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a) Ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist Verfahrenskostenhilfe beantragt hat, ist bis zur Entscheidung über seinen Antrag als unverschuldet verhindert anzusehen, das Rechtsmittel wirksam einzulegen oder rechtzeitig zu begründen, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste. Das gilt auch dann, wenn neben dem Verfahrenskostenhilfegesuch ein unzulässiges Rechtsmittel eingelegt worden ist. Da der Verfahrenskostenhilfe beantragende Beteiligte wegen seiner Bedürftigkeit gehindert ist, einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung zu beauftragen, ist ihm, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, nach Entscheidung über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Beschwerdegericht hat dementsprechend zunächst über das Verfahrenskostenhilfegesuch zu entscheiden (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschluss vom 4. November 2015 - XII ZB 289/15 -FamRZ 2016, 209Rn. 6 mwN).
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b) Daran gemessen durfte das Oberlandesgericht die Beschwerde nicht gleichzeitig mit der Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfegesuch des Antragsgegners verwerfen. Es hätte vielmehr zunächst über die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe entscheiden müssen, weil dem Antragsgegner - bei Nachholung der formwirksamen Beschwerdeeinlegung und -begründung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist - Wiedereinsetzung in den Lauf der Beschwerde- und der Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren gewesen wäre.
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Der Antragsgegner musste nach den gegebenen Umständen insbesondere nicht mit der Ablehnung seines Verfahrenskostenhilfeantrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen, weil er ausweislich der innerhalb der Beschwerdefrist vorgelegten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und der beigefügten Belege als Empfänger von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch nicht in der Lage war, die Verfahrenskosten selbst zu tragen.
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Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts stand einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch nicht entgegen, dass ein Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb der nach § 113 Abs. 1 FamFG für die Beschwerdeeinlegung maßgeblichen Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingegangen ist. Die Frist zur Stellung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beginnt bei einem innerhalb der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist gestellten Verfahrenskostenhilfeantrag regelmäßig nicht vor der Zustellung der Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag. Früher beginnt die Frist nur, wenn der Beteiligte - etwa wegen eines gerichtlichen Hinweises, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht vorliegen - schon zuvor nicht mit einer Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe rechnen konnte (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Mai 2014 - XII ZB 689/13 - NJW-RR 2014, 1347 Rn. 23 f. mwN).
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Mangels vorheriger Entscheidung des Oberlandesgerichts über das Verfahrenskostenhilfegesuch des Antragsgegners war das durch dessen Bedürftigkeit bedingte Hindernis, einen Rechtsanwalt für das Beschwerdeverfahren zu beauftragen, nicht behoben und hatte daher die Frist für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den Lauf der Beschwerdefrist - und der Beschwerdebegründungsfrist - entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts vor der Verwerfungsentscheidung nicht zu laufen begonnen ( § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 234 Abs. 2 ZPO ). Der Antragsgegner musste auch nicht wegen des zuvor ergangenen Hinweises des Oberlandesgerichts auf die Unzulässigkeit der Beschwerde bereits zu einem früheren Zeitpunkt mit einer Versagung von Verfahrenskostenhilfe rechnen. Er durfte darauf vertrauen, dass das Oberlandesgericht der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach bei rechtzeitig gestelltem Verfahrenskostenhilfeantrag zunächst über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 4. November 2015 - XII ZB 289/15 -FamRZ 2016, 209Rn. 6 mwN), entsprechen und ihn nicht durch eine gleichzeitige Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag und die Verwerfung der Beschwerde rechtlos stellen würde.
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Auf die weiteren vom Oberlandesgericht angestellten Erwägungen kommt es daher nicht an.
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4. Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben.
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Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass mit der Zustellung dieses Beschlusses die Wiedereinsetzungsfrist hinsichtlich der abgelaufenen Beschwerde- und der Beschwerdebegründungsfrist zu laufen beginnt. Dem Beklagten bleibt es unbenommen, erneut Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu beantragen ( § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO ; vgl. Senatsbeschlüsse vom 4. November 2015 - XII ZB 289/15 -FamRZ 2016, 209Rn. 9 und vom 23. März 2011 - XII ZB 51/11 -FamRZ 2011, 881Rn. 15).
Guhling Klinkhammer GünterBotur Pernice