30.07.2024 · IWW-Abrufnummer 242915
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 08.05.2024 – XII ZB 577/23
a) Sind in einer Vorsorgevollmacht mehrere einzelvertretungsberechtigte Bevollmächtigte bestellt und erweist sich (nur) einer von ihnen als ungeeignet, kommt die Einrichtung einer Vollbetreuung in den von der Vorsorgevollmacht umfassten Aufgabenbereichen regelmäßig nicht in Betracht, wenn und soweit für die Besorgung der Angelegenheiten des Betroffenen noch ein geeigneter Bevollmächtigter mit Einzelvertretungsbefugnis zur Verfügung steht.
b) Die Einrichtung einer Kontrollbetreuung kann sich auch auf einen von mehreren Vorsorgebevollmächtigten beziehen.
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Mai 2024 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur und die Richterin Dr. Pernice
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerden des Betroffenen und der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 28. November 2023 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Eine Festsetzung des Beschwerdewerts ( § 36 Abs. 3 GNotKG ) ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
1
Für den 1961 geborenen Betroffenen bestand eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis "Vermögenssorge ...", "Vertretung gegenüber Behörden, Gerichten und anderen staatlichen Stellen" und "Gesundheitssorge", wobei die Ehefrau des Betroffenen (Beteiligte zu 1) zur Betreuerin und eine Tochter des Betroffenen (Beteiligte zu 2) zur Ersatzbetreuerin bestellt waren. Mit Beschluss vom 22. Dezember 2022 entließ das Amtsgericht die Beteiligten zu 1 und 2 hinsichtlich des Aufgabenbereiches "Vermögenssorge" aus dem Betreueramt und bestellte statt ihrer eine Berufsbetreuerin (Beteiligte zu 3). Mit demselben Beschluss erweiterte das Amtsgericht die Betreuung um den Aufgabenbereich "Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber der bisherigen Betreuerin" und bestellte auch insoweit die Beteiligte zu 3 zur beruflichen Betreuerin. Hintergrund dieser Anordnung waren mehrfache gerichtliche Beanstandungen bei der Erstellung des Vermögensverzeichnisses für den Betroffenen sowie Vermögensverfügungen, welche die Beteiligte zu 1 zu eigenen Gunsten über ein gemeinsames Wertpapierkonto der Ehegatten vorgenommen hatte. Eine dagegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 1 blieb ohne Erfolg.
2
Im vorliegenden Verfahren hat die Beteiligte zu 1 unter Hinweis auf eine notarielle Vorsorgevollmacht, welche der Betroffene am 12. Dezember 2022 den Beteiligten zu 1 und 2 erteilte, die Aufhebung der Betreuung begehrt. Mit Beschluss vom 14. August 2023 hat das Amtsgericht, welches unter anderem Beweis zur Frage der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen bei Errichtung der Vollmachtsurkunde erhoben hat, in Abänderung und teilweiser Erweiterung seines Beschlusses vom 22. Dezember 2022 angeordnet, dass die Bestellung der Beteiligten zu 3 zur Berufsbetreuerin nunmehr die Aufgabenbereiche "Vermögenssorge", "Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber der bisherigen Betreuerin ..." sowie "(Teil-)Widerruf der Bevollmächtigung der Ehefrau ... und der Tochter ... hinsichtlich der Vermögenssorge" umfasst. Auf die dagegen gerichteten Beschwerden des Betroffenen und der Beteiligten zu 1 hat das Landgericht die Betreuung (nur) im Hinblick auf den Aufgabenbereich "Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber der bisherigen Betreuerin ..." aufgehoben und die weitergehenden Rechtsmittel zurückgewiesen. Mit ihren Rechtsbeschwerden erstreben der Betroffene und die Beteiligte zu 1 weiterhin die vollständige Aufhebung der Betreuung.
II.
3
Die Rechtsbeschwerden haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
4
1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Bezüglich des Aufgabenbereichs "Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber der bisherigen Betreuerin" sei die Betreuung aufzuheben, weil die Beteiligte zu 1 nach Mitteilung der Berufsbetreuerin die zuvor auf eigene Konten überwiesenen Gelder wieder auf Konten des Betroffenen zurückerstattet habe. Im Übrigen sei die Betreuung weiterhin erforderlich. Dies könne auch beim Vorliegen einer wirksam erteilten Vorsorgevollmacht der Fall sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet sei, insbesondere wenn erhebliche Bedenken an dessen Redlichkeit bestünden. Angesichts der langjährig defizitären Betreuungsführung durch die Beteiligte zu 1 sei zu befürchten, dass sie auch künftig im Rahmen der ihr erteilten Vollmacht nicht willens oder nicht in der Lage sein werde, das Vermögen des Betroffenen seinem Wohl entsprechend zu verwalten. Allein der Umstand, dass die Beteiligte zu 1 die Vermögensverschiebungen zum Nachteil des Betroffenen zwischenzeitlich wieder rückgängig gemacht habe, ändere nichts an dieser ungünstigen Prognose.
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2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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a) Ein Betreuer darf nach § 1814 Abs. 3 Satz 1 BGB nur bestellt werden, wenn dies erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten gleichermaßen besorgt werden können ( § 1814 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB ). Eine wirksame Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Eine Betreuung kann aber gleichwohl erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte mangels Befähigung oder wegen erheblicher Bedenken an seiner Redlichkeit als ungeeignet erscheint.
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b) Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung schon deshalb nicht gerecht, weil sie keine Ausführungen dazu enthält, warum die Angelegenheiten des Betroffenen nicht wenigstens durch die Beteiligte zu 2 als Vorsorgebevollmächtigte gleichermaßen wie durch einen Betreuer besorgt werden können.
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In der notariellen Vollmachtsurkunde vom 12. Dezember 2022 ist sowohl der Beteiligten zu 1 als auch der Beteiligten zu 2 die Befugnis zur Einzelvertretung eingeräumt. Zwar hat das Amtsgericht auch die Beteiligte zu 2 als ungeeignet zur Ausübung der Vorsorgevollmacht angesehen, ohne diese Beurteilung aber näher zu begründen. Soweit das Amtsgericht dabei möglicherweise auf die Amtsführung der Beteiligten zu 2 als früherer Ersatzbetreuerin für den Aufgabenbereich Vermögenssorge abstellen will, vermag dies ohne weitere tatrichterliche Feststellungen keine Bedenken an der Befähigung oder Redlichkeit der Beteiligten zu 2 zu begründen. Denn als Ersatz- oder Verhinderungsbetreuerin ( § 1899 Abs. 4 aF BGB ; vgl. Senatsbeschluss vom 25. September 2019 - XII ZB 251/19 -FamRZ 2020, 47Rn. 11 f.; seit dem 1. Januar 2023: § 1817 Abs. 4 Satz 1 BGB ) kam der Beteiligten zu 2 nur dann eine vorübergehende Entscheidungsverantwortlichkeit zu, wenn die Beteiligte zu 1 als Hauptbetreuerin aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen an der Führung des Betreueramtes gehindert war. Es ist weder festgestellt, dass ein solcher Verhinderungsfall überhaupt eingetreten wäre, noch sind Feststellungen dazu getroffen, dass eine Amtsführung der Beteiligten zu 2 im Aufgabenbereich Vermögenssorge während einer etwaigen Verhinderungszeit besonderen Beanstandungen unterlegen hätte. Steht indessen für die Besorgung der Angelegenheiten des Betroffenen (zumindest) ein geeigneter Bevollmächtigter mit Einzelvertretungsbefugnis zur Verfügung, kommt die Einrichtung einer Vollbetreuung mit den von der Vorsorgevollmacht umfassten Aufgabenbereichen nicht in Betracht.
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3. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben, da das Beschwerdegericht weitere Feststellungen zur Eignung der Beteiligten zu 2 zu treffen hat. Für das weitere Verfahren sind noch die folgenden rechtlichen Hinweise veranlasst:
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a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats, die dieser in Fortbildung des bis zum 31. Dezember 2022 gültigen Rechts entwickelt hatte, durfte der Betreuer zur Wahrung des aus Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Selbstbestimmungsrechts des Betreuten und im Hinblick auf die Schwere des in der Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf liegenden Grundrechtseingriffs die Vorsorgevollmacht nur dann widerrufen, wenn ihm die Befugnis hierzu durch das Betreuungsgericht als eigenständiger Aufgabenbereich ausdrücklich zugewiesen worden war (grundlegend Senatsbeschluss BGHZ 206, 321 =FamRZ 2015, 1702Rn. 10 ff.). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber des reformierten Betreuungsrechts nicht aufgegriffen, nachdem er den Widerruf einer Vorsorgevollmacht durch den Betreuer abweichend vom früheren Rechtszustand von der Erteilung der betreuungsgerichtlichen Genehmigung abhängig gemacht hat ( § 1820 Abs. 5 Satz 2 BGB ) und er danach eine zweifache Befassung des Betreuungsgerichts mit dem Sachverhalt vermeiden wollte. Nach der Reform besitzen daher sowohl der Kontrollbetreuer als auch jeder andere Betreuer im Rahmen des ihm übertragenen Aufgabenkreises gleichzeitig die rechtliche Befugnis zum Widerruf einer Vorsorgevollmacht, ohne dass dies bei der Betreuerbestellung besonders angeordnet werden müsste (vgl. BT-Drucks. 19/24445 S. 248).
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b) Sind mehrere einzelvertretungsberechtigte Bevollmächtigte vorhanden und erweist sich (nur) einer von ihnen nicht als geeignet, kann grundsätzlich das Bedürfnis nach einer Überwachung des ungeeigneten Bevollmächtigten und gegebenenfalls einem auf ihn beschränkten Teilwiderruf der Vollmacht bestehen. Ob die anderen Einzelbevollmächtigten hierzu befugt sind, ist eine Frage der Auslegung der konkreten Vorsorgevollmacht, die in vielen Fällen dahingehend zu beantworten sein dürfte, dass dem Bevollmächtigten jedenfalls die Möglichkeit zum Widerruf der gleichrangigen Vollmacht eines anderen Bevollmächtigten nicht eingeräumt werden soll (vgl. OLG KarlsruheFamRZ 2022, 736 f.undFamRZ 2010, 1762, 1763; vgl. hierzu auch Spernath MittBayNot 2021, 425, 429 f., 436 f.; Stascheit RNotZ 2020, 61, 83 f. mwN). Dann kann die gerichtliche Bestellung eines Kontrollbetreuers nach §§ 1815 Abs. 3 , 1820 Abs. 3 BGB geboten sein, dessen Tätigkeit sich auch auf einen von mehreren Bevollmächtigten beziehen kann (vgl. Zimmermann Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung, Patientenverfügung, Ehegattennotvertretungsrecht 4. Aufl. Rn. 124).
Guhling Klinkhammer Nedden-BoegerBotur Pernice