27.08.2024 · IWW-Abrufnummer 243464
Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Beschluss vom 23.07.2024 – 6 UF 105/24
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OLG Frankfurt 6. Senat für Familiensachen
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert. Der Antrag der Antragstellerin vom 14. Februar 2024 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsgegner wendet sich gegen die Zuweisung der Wohnung an die Antragstellerin in einem Hauptsacheverfahren nach dem GewSchG.
Bei den Beteiligten handelt es sich um die nicht miteinander verheirateten Eltern von einer 20 Jahre alten Tochter und drei 16, 12 und 7 Jahre alten Söhnen. Ab März 2014 bewohnten die Beteiligten die gemeinsam angemietete streitgegenständliche Wohnung, die vom Jobcenter bezahlt wird. Während der Beziehung kam es zuletzt immer wieder zu Streitigkeiten. Seit Mai 2023 lebten die Beteiligten innerhalb der gemeinsamen Wohnung voneinander getrennt. Ende August 2023 hat die Antragstellerin mit den beiden jüngsten Kindern die Wohnung verlassen und ist seitdem bei ihrer Mutter untergekommen. Auch der dritte Sohn zog zwischenzeitlich dorthin. Der Antragsgegner ist mit der gemeinsamen Tochter in der streitgegenständlichen Wohnung verblieben. Die Antragstellerin behielt einen Wohnungsschlüssel, wobei zwischen den Beteiligten streitig geblieben ist, ob der Antragsgegner hiermit einverstanden war. Auch nach August 2023 hat die Antragstellerin wiederholt die Wohnung betreten, um Sachen zu holen.
Die Antragstellerin hat erstinstanzlich geltend gemacht, dass der Antragsgegner sie wiederholt körperlich angegriffen habe und auch gegenüber einem Kind körperlich übergriffig geworden sei. Sie hat hierzu auf Vorfälle vom 10. und 14. Januar 2024 verwiesen. Der Antragsgegner hat sich dem entgegengestellt und die behaupteten Übergriffe bestritten. Er hat geltend gemacht, dass die Beteiligten zum Zeitpunkt der behaupteten Taten keinen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt mehr geführt hätten. Die Antragsgegnerin lebe seit mehreren Monaten mit ihrem neuen Freund bei ihrer Mutter. Zur jeweiligen weiteren Argumentation der Beteiligten wird auf die erstinstanzliche Entscheidung verwiesen.
Das Amtsgericht hörte die Beteiligten am 02. April 2024 persönlich an und hat außerdem Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen X und Y. Wegen des Ergebnisses der Anhörungen und der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 02. April 2024 Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 03. April 2024 hat das Amtsgericht der Antragstellerin die streitgegenständliche Wohnung bis zum 30. April 2025 zur alleinigen Benutzung überlassen und dem Antragsgegner eine Frist bis zum 30. April 2024 zur Räumung gesetzt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass der Antragsgegner am 10. Januar 2024 vorsätzlich und widerrechtlich den Körper sowie die Freiheit der Antragstellerin verletzt habe. Zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass er die Antragstellerin am Hals und an den Handgelenken gepackt und ihr den Weg aus der Wohnung versperrt habe. Die Beteiligten hätten zwar unterschiedliche Abläufe der Auseinandersetzung geschildert. Die Aussage der Zeugin X führe aber dazu, dass die Darstellung der Antragstellerin in sich schlüssiger sei als die des Antragsgegners. Das Geschehen vom 14. Januar 2024 sei hingegen nach der Beweisaufnahme ungeklärt geblieben. Die Beteiligten hätten zum Zeitpunkt der Tat am 10. Januar 2024 noch einen gemeinsamen Haushalt geführt. Zwar habe die Antragstellerin mit zwei Kindern die Wohnung verlassen, was allerdings lediglich eine Übergangslösung bis zur Klärung des Schicksals der Familienwohnung gewesen sei. Sie verfüge weiterhin über einen Schlüssel und gehe in der Wohnung ein und aus, ohne den Antragsgegner zu fragen. Eine endgültige Aufgabe des gemeinsamen Haushalts sei nicht erfolgt, sondern nur ein vorübergehender Rückzug. Es sei nicht im Sinne des Gesetzgebers den Elternteil, der versuche die Kinder durch einen vorübergehenden Rückzug aus dem Konflikt zu holen, schutzlos zu stellen. Die Belange der Kinder hätten gegenüber denen des Antragsgegners Vorrang. Ihm sei eine kurze Räumungsfrist zu gewähren, um vorübergehenden Wohnraum zu finden. Die Wohnungsüberlassung an die Antragstellerin sei schließlich auf ein Jahr zu befristen. Im Einzelnen wird auf den Beschluss vom 03. April 2024 verwiesen.
Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde vom 17. Mai 2024 gegen den ihm am 17. April 2024 zugestellten Beschluss. Zur Begründung macht er geltend, dass die Voraussetzungen des § 2 GewSchG nicht vorlägen, da die Beteiligten zum Zeitpunkt der angeblichen Tat keinen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt mehr geführt hätten. Die Antragstellerin habe seit August 2023 nicht mehr in der Wohnung genächtigt, dort nicht mehr gekocht, keine Wäsche mehr gewaschen, sich nicht mehr zur Erholung aufgehalten und auch keine Gäste mehr empfangen. Zum Zeitpunkt der angeblichen Tat hätten die Beteiligten schon seit 4 Monaten keinerlei gemeinsame Lebensplanung mehr gehabt, schon gar nicht den Willen, weiterhin einen gemeinsamen Haushalt zu führen. Dass sie ohne sein Einverständnis einen Wohnungsschlüssel einbehalten habe und die Wohnung betrete, genüge zur Begründung eines fortbestehenden gemeinsamen Haushalts nicht. Ihren Antrag auf Zuweisung der Wohnung habe die Antragstellerin damit begründet, dort mit ihrem neuen Lebensgefährten und den gemeinsamen Kindern unter Ausschluss des Antragsgegners künftig leben zu wollen. Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 GewSchG sei eindeutig und der Haushalt müsse auf Dauer angelegt sein. Die vom Amtsgericht vorgenommene Ausdehnung des Wortlauts der Vorschrift auf eine seit 4 Monaten verlassene Wohnung, in die das (angebliche) Opfer zurückkehren wolle, sei nicht möglich. Das Amtsgericht habe den Zweck der Vorschrift und die Grenzen der Eingriffsbefugnisse verkannt. Im Übrigen macht der Antragsgegner geltend, die gerichtliche Würdigung der angeblichen Vorfälle vom 10. Januar 2024 sei falsch. Im Einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 17. Juni 2024 verwiesen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Beschluss des Amtsgerichts Darmstadt, Familiengericht vom 03. April 2024, zugestellt am 17. April 2024 aufzuheben und den Antrag auf Überlassung der Wohnung Straße1, Stadt1 zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und verweist darauf, bereits seit Mai 2023 vom Antragsgegner innerhalb der gemeinsamen Wohnung getrennt gelebt zu haben. Sie sei nicht aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen, sondern notdürftig mit einigen essenziellen Kleidungsstücken aus der Wohnung geflüchtet und halte sich bei ihrer Mutter auf. Es sei falsch, dass ihr neuer Freund mit in der Wohnung ihrer Mutter leben würde. Es könne nicht sein, dass sie aus ihrem gewohnten Wohnumfeld ausziehen müsse, der Aggressor aber bleiben dürfe. Gegebenenfalls handele es sich um eine Regelungslücke, die entsprechend des Sinns der Vorschrift auszulegen sei. Nach der Räumung des Antragsgegners sei sie nunmehr in die Wohnung zurückgekehrt. Im Einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 02. Juli 2024 verwiesen.
II.
Die gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthafte Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.
Die Beschwerde ist auch begründet. Das Amtsgericht hat der Antragstellerin die Wohnung mit unzutreffenden Erwägungen überlassen. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 GewSchG liegen nicht vor.
Gemäß § 2 Abs. 1 GewSchG kann das Opfer von dem Täter bei Vorliegen einer Rechtsgutverletzung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder einer Drohung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. GewSchG die Überlassung der gemeinsam genutzten Wohnung zur alleinigen Benutzung verlangen. Ein Anspruch auf Überlassung der Wohnung setzt nach § 2 Abs. 1 GewSchG voraus, dass das Opfer zum Tatzeitpunkt mit dem Täter einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt geführt hat (MüKoBGB/Duden, 9. Aufl. 2022, GewSchG § 2 Rn. 6). Der Begriff des auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalts ist dabei dem Mietrecht entlehnt und korrespondiert mit der herkömmlichen Umschreibung für die eheähnliche Gemeinschaft als einer Lebensgemeinschaft, die auf Dauer angelegt ist (Cirullies/Cirullies in: Cirullies/Cirullies, Schutz bei Gewalt und Nachstellung, 3. Auflage 2024, 2. Kapitel: Zivilrechtlicher Schutz, Rn. 63). In der Begründung zur Mietrechtsreform (BR-Drs. 439/00, S. 92 f.) ist hierzu ausgeführt: „Unter dem Begriff „auf Dauer angelegter gemeinsamer Haushalt‘ ist eine Lebensgemeinschaft zu verstehen, die auf Dauer angelegt ist, keine weiteren Bindungen gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Füreinandereinstehen begründen und die über eine reine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen. Damit entspricht der Begriff den Kriterien der bisherigen Rechtsprechung zur „eheähnlichen Gemeinschaft“, ohne dass es allerdings auf das Vorliegen geschlechtlicher Beziehungen zwischen den Partnern ankommt (BT-Drs. 14/5429, 30). Ob der Haushalt „auf Dauer“ angelegt ist, richtet sich nach den Vorstellungen der Beteiligten (BeckOGK/Schulte-Bunert, 1.7.2024, GewSchG § 2 Rn. 7). Ausgehend hiervon ist ein gemeinsamer Haushalt gegeben bei gemeinsamem Nutzen der Wohnung und ihrer Einrichtungsgegenstände, einem gemeinsamen, zwischen den Beteiligten abgesprochenen oder auch ohne Absprache tatsächlich ausgeübten Wirtschaften und aufeinander bezogenen wechselseitigen Versorgungsleistungen. Maßgebend sind jeweils die Umstände des Einzelfalls, wobei auf die für das Getrenntleben entwickelten Kriterien zurückgegriffen werden kann (Johannsen/Henrich/ Althammer/Dürbeck, 7. Aufl. 2020, GewSchG § 2 Rn. 5).
Nach diesen Maßstäben ist festzustellen, dass die Voraussetzungen für eine Überlassung der Wohnung nach § 2 Abs. 1 GewSchG vorliegend nicht erfüllt sind. Die Beteiligten lebten nach ihrem übereinstimmenden Vortrag bereits seit mehreren Monaten voneinander getrennt, ehe es zu den streitgegenständlichen Taten im Januar 2024 gekommen sein soll. Dass es zu diesem Zeitpunkt noch zu einem gemeinsamen Wirtschaften und aufeinander bezogenen wechselseitigen Versorgungsleistungen der Beteiligten gekommen wäre, ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Vielmehr hat der Antragsgegner in seiner Beschwerdebegründung ausdrücklich darauf verwiesen, dass bereits seit August 2023 keine fortbestehenden Gemeinsamkeiten und keine wechselseitigen Versorgungsleistungen mehr erbracht worden seien. Dem ist die Antragstellerin nicht entgegengetreten, hat ihrerseits sogar darauf verwiesen, dass es bereits im Mai 2023 zu einer Trennung innerhalb der streitgegenständlichen Wohnung gekommen sei. Damit ist hier davon auszugehen, dass die Beteiligten endgültig voneinander getrennt leben und kein gemeinsamer Haushalt mehr bestanden hat. Für die Frage, ob der gemeinsame Haushalt auf Dauer angelegt ist, kommt es im Übrigen immer auf den Willen der Beteiligten an. Entscheidungserheblich ist deshalb auch, dass sich die Antragstellerin unstreitig einem neuen Partner zugewandt hat und eine Wiederherstellung eines gemeinsam genutzten Haushalts von beiden Beteiligten jedenfalls seit August 2023 nicht mehr beabsichtigt war. Das vereinzelte Betreten der Wohnung durch die Antragstellerin führt hingegen nicht zu einer anderen Bewertung. Denn hiermit war die Erledigung notwendiger Versorgungsleistungen für die Lebensgemeinschaft (Einkaufen, Essen bereiten, Haushaltsarbeiten) offensichtlich nicht verbunden. Nicht entscheidungserheblich ist schließlich auch, ob die Antragstellerin entsprechend ihres Vorbringens im August 2023 aus der Wohnung geflüchtet ist. Entscheidungsrelevant ist insoweit nur, dass schon diesem Zeitpunkt ein innerfamiliäres Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt nicht mehr beabsichtigt war und nicht mehr stattgefunden hat.
Die in dem angefochtenen Beschluss vorgenommene Auslegung des § 2 Abs. 1 GewSchG widerspricht dem Wortlaut und dem Zweck der Norm. Richtig ist insoweit, dass der gemeinsame Haushalt zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr bestehen muss, das heißt, auch das Opfer, das nach der Gewalttat oder Drohung zunächst ausgezogen ist, kann Zuweisung der Wohnung beantragen (vgl. Nomos-BR/Heinke GewSchG/Sabine Heinke, 1. Aufl. 2012, GewSchG § 2 Rn. 15). Der Wortlaut der Vorschrift ist jedoch insoweit eindeutig, als Opfer und Täter zum Zeitpunkt der Tat einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt geführt haben müssen. Durch die Vorschrift soll die durch die räumliche Nähe bedingte Gefährdung unterbunden werden. Die Norm wurde geschaffen, um die Wohnungsüberlassung in den Fällen zu ermöglichen, in denen Gewalttaten im Rahmen eines auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushaltes begangen werden. Davor gab es bislang mit § 1361b BGB nur für Eheleute eine ausdrückliche Regelung und zwar für den Fall, dass die Eheleute bereits getrennt leben oder einer von ihnen getrennt leben will (BT-Drs. 14/5429, S. 30). Nicht vom Normzweck umfasst ist danach die hiesige Konstellation, in der die Lebensgemeinschaft zum Zeitpunkt der zur Begründung herangezogenen Vorfälle schon seit Monaten beendet war, keiner der Beteiligten eine Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft beabsichtigt und sich einer der Beteiligten überdies bereits einem neuen Partner zugewandt hat. Die Norm kann daher auf den hier vorliegenden Fall weder direkt noch entsprechend angewendet werden.
Schließlich war die Antragstellerin als Mitmieterin der streitgegenständlichen Wohnung auch nicht schutzlos gestellt. Besteht kein Anspruch nach § 2 GewSchG kommen in Gewaltfällen zumindest Wohnungsverweisungen in Betracht. Diese hat das Zivilgericht zur Durchsetzung des allgemeinen Anspruchs einer Person, nicht verletzt zu werden, auf Basis von § 940 a ZPO auszusprechen (vgl. Kaiser/Schnitzler/Schilling/Sanders, BGB, Familienrecht, GewSchG § 2 Rn. 30, vor § 1 Rn. 19 beck-online; BT-Drs. 14/5429, 19).
Von der Vornahme weiterer Verfahrenshandlungen hat der Senat in Anwendung von § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG mit Rücksicht darauf abgesehen, dass das Amtsgericht im erstinstanzlichen Verfahren alle gebotenen Verfahrenshandlungen vorgenommen, den Sachverhalt, soweit dieser entscheidungserheblich ist, aufgeklärt und insbesondere das Jugendamt wie in § 213 Abs. 1 S. 1 FamFG vorgesehen angehört hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG. Es entspricht der Billigkeit, der Antragstellerin die Kosten der Verfahren beider Instanzen aufzuerlegen, weil sie vollumfänglich unterlegen ist.
Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 40 Abs. 1, 49 FamGKG.
23.07.2024
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert. Der Antrag der Antragstellerin vom 14. Februar 2024 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsgegner wendet sich gegen die Zuweisung der Wohnung an die Antragstellerin in einem Hauptsacheverfahren nach dem GewSchG.
Bei den Beteiligten handelt es sich um die nicht miteinander verheirateten Eltern von einer 20 Jahre alten Tochter und drei 16, 12 und 7 Jahre alten Söhnen. Ab März 2014 bewohnten die Beteiligten die gemeinsam angemietete streitgegenständliche Wohnung, die vom Jobcenter bezahlt wird. Während der Beziehung kam es zuletzt immer wieder zu Streitigkeiten. Seit Mai 2023 lebten die Beteiligten innerhalb der gemeinsamen Wohnung voneinander getrennt. Ende August 2023 hat die Antragstellerin mit den beiden jüngsten Kindern die Wohnung verlassen und ist seitdem bei ihrer Mutter untergekommen. Auch der dritte Sohn zog zwischenzeitlich dorthin. Der Antragsgegner ist mit der gemeinsamen Tochter in der streitgegenständlichen Wohnung verblieben. Die Antragstellerin behielt einen Wohnungsschlüssel, wobei zwischen den Beteiligten streitig geblieben ist, ob der Antragsgegner hiermit einverstanden war. Auch nach August 2023 hat die Antragstellerin wiederholt die Wohnung betreten, um Sachen zu holen.
Die Antragstellerin hat erstinstanzlich geltend gemacht, dass der Antragsgegner sie wiederholt körperlich angegriffen habe und auch gegenüber einem Kind körperlich übergriffig geworden sei. Sie hat hierzu auf Vorfälle vom 10. und 14. Januar 2024 verwiesen. Der Antragsgegner hat sich dem entgegengestellt und die behaupteten Übergriffe bestritten. Er hat geltend gemacht, dass die Beteiligten zum Zeitpunkt der behaupteten Taten keinen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt mehr geführt hätten. Die Antragsgegnerin lebe seit mehreren Monaten mit ihrem neuen Freund bei ihrer Mutter. Zur jeweiligen weiteren Argumentation der Beteiligten wird auf die erstinstanzliche Entscheidung verwiesen.
Für die Sachverhaltsdarstellung im Einzelnen wird ebenfalls auf die amtsgerichtliche Entscheidung verwiesen.
Das Amtsgericht hörte die Beteiligten am 02. April 2024 persönlich an und hat außerdem Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen X und Y. Wegen des Ergebnisses der Anhörungen und der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 02. April 2024 Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 03. April 2024 hat das Amtsgericht der Antragstellerin die streitgegenständliche Wohnung bis zum 30. April 2025 zur alleinigen Benutzung überlassen und dem Antragsgegner eine Frist bis zum 30. April 2024 zur Räumung gesetzt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass der Antragsgegner am 10. Januar 2024 vorsätzlich und widerrechtlich den Körper sowie die Freiheit der Antragstellerin verletzt habe. Zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass er die Antragstellerin am Hals und an den Handgelenken gepackt und ihr den Weg aus der Wohnung versperrt habe. Die Beteiligten hätten zwar unterschiedliche Abläufe der Auseinandersetzung geschildert. Die Aussage der Zeugin X führe aber dazu, dass die Darstellung der Antragstellerin in sich schlüssiger sei als die des Antragsgegners. Das Geschehen vom 14. Januar 2024 sei hingegen nach der Beweisaufnahme ungeklärt geblieben. Die Beteiligten hätten zum Zeitpunkt der Tat am 10. Januar 2024 noch einen gemeinsamen Haushalt geführt. Zwar habe die Antragstellerin mit zwei Kindern die Wohnung verlassen, was allerdings lediglich eine Übergangslösung bis zur Klärung des Schicksals der Familienwohnung gewesen sei. Sie verfüge weiterhin über einen Schlüssel und gehe in der Wohnung ein und aus, ohne den Antragsgegner zu fragen. Eine endgültige Aufgabe des gemeinsamen Haushalts sei nicht erfolgt, sondern nur ein vorübergehender Rückzug. Es sei nicht im Sinne des Gesetzgebers den Elternteil, der versuche die Kinder durch einen vorübergehenden Rückzug aus dem Konflikt zu holen, schutzlos zu stellen. Die Belange der Kinder hätten gegenüber denen des Antragsgegners Vorrang. Ihm sei eine kurze Räumungsfrist zu gewähren, um vorübergehenden Wohnraum zu finden. Die Wohnungsüberlassung an die Antragstellerin sei schließlich auf ein Jahr zu befristen. Im Einzelnen wird auf den Beschluss vom 03. April 2024 verwiesen.
Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde vom 17. Mai 2024 gegen den ihm am 17. April 2024 zugestellten Beschluss. Zur Begründung macht er geltend, dass die Voraussetzungen des § 2 GewSchG nicht vorlägen, da die Beteiligten zum Zeitpunkt der angeblichen Tat keinen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt mehr geführt hätten. Die Antragstellerin habe seit August 2023 nicht mehr in der Wohnung genächtigt, dort nicht mehr gekocht, keine Wäsche mehr gewaschen, sich nicht mehr zur Erholung aufgehalten und auch keine Gäste mehr empfangen. Zum Zeitpunkt der angeblichen Tat hätten die Beteiligten schon seit 4 Monaten keinerlei gemeinsame Lebensplanung mehr gehabt, schon gar nicht den Willen, weiterhin einen gemeinsamen Haushalt zu führen. Dass sie ohne sein Einverständnis einen Wohnungsschlüssel einbehalten habe und die Wohnung betrete, genüge zur Begründung eines fortbestehenden gemeinsamen Haushalts nicht. Ihren Antrag auf Zuweisung der Wohnung habe die Antragstellerin damit begründet, dort mit ihrem neuen Lebensgefährten und den gemeinsamen Kindern unter Ausschluss des Antragsgegners künftig leben zu wollen. Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 GewSchG sei eindeutig und der Haushalt müsse auf Dauer angelegt sein. Die vom Amtsgericht vorgenommene Ausdehnung des Wortlauts der Vorschrift auf eine seit 4 Monaten verlassene Wohnung, in die das (angebliche) Opfer zurückkehren wolle, sei nicht möglich. Das Amtsgericht habe den Zweck der Vorschrift und die Grenzen der Eingriffsbefugnisse verkannt. Im Übrigen macht der Antragsgegner geltend, die gerichtliche Würdigung der angeblichen Vorfälle vom 10. Januar 2024 sei falsch. Im Einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 17. Juni 2024 verwiesen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Beschluss des Amtsgerichts Darmstadt, Familiengericht vom 03. April 2024, zugestellt am 17. April 2024 aufzuheben und den Antrag auf Überlassung der Wohnung Straße1, Stadt1 zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und verweist darauf, bereits seit Mai 2023 vom Antragsgegner innerhalb der gemeinsamen Wohnung getrennt gelebt zu haben. Sie sei nicht aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen, sondern notdürftig mit einigen essenziellen Kleidungsstücken aus der Wohnung geflüchtet und halte sich bei ihrer Mutter auf. Es sei falsch, dass ihr neuer Freund mit in der Wohnung ihrer Mutter leben würde. Es könne nicht sein, dass sie aus ihrem gewohnten Wohnumfeld ausziehen müsse, der Aggressor aber bleiben dürfe. Gegebenenfalls handele es sich um eine Regelungslücke, die entsprechend des Sinns der Vorschrift auszulegen sei. Nach der Räumung des Antragsgegners sei sie nunmehr in die Wohnung zurückgekehrt. Im Einzelnen wird auf den Schriftsatz vom 02. Juli 2024 verwiesen.
II.
Die gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthafte Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.
Die Beschwerde ist auch begründet. Das Amtsgericht hat der Antragstellerin die Wohnung mit unzutreffenden Erwägungen überlassen. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 GewSchG liegen nicht vor.
Gemäß § 2 Abs. 1 GewSchG kann das Opfer von dem Täter bei Vorliegen einer Rechtsgutverletzung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder einer Drohung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. GewSchG die Überlassung der gemeinsam genutzten Wohnung zur alleinigen Benutzung verlangen. Ein Anspruch auf Überlassung der Wohnung setzt nach § 2 Abs. 1 GewSchG voraus, dass das Opfer zum Tatzeitpunkt mit dem Täter einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt geführt hat (MüKoBGB/Duden, 9. Aufl. 2022, GewSchG § 2 Rn. 6). Der Begriff des auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalts ist dabei dem Mietrecht entlehnt und korrespondiert mit der herkömmlichen Umschreibung für die eheähnliche Gemeinschaft als einer Lebensgemeinschaft, die auf Dauer angelegt ist (Cirullies/Cirullies in: Cirullies/Cirullies, Schutz bei Gewalt und Nachstellung, 3. Auflage 2024, 2. Kapitel: Zivilrechtlicher Schutz, Rn. 63). In der Begründung zur Mietrechtsreform (BR-Drs. 439/00, S. 92 f.) ist hierzu ausgeführt: „Unter dem Begriff „auf Dauer angelegter gemeinsamer Haushalt‘ ist eine Lebensgemeinschaft zu verstehen, die auf Dauer angelegt ist, keine weiteren Bindungen gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Füreinandereinstehen begründen und die über eine reine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen. Damit entspricht der Begriff den Kriterien der bisherigen Rechtsprechung zur „eheähnlichen Gemeinschaft“, ohne dass es allerdings auf das Vorliegen geschlechtlicher Beziehungen zwischen den Partnern ankommt (BT-Drs. 14/5429, 30). Ob der Haushalt „auf Dauer“ angelegt ist, richtet sich nach den Vorstellungen der Beteiligten (BeckOGK/Schulte-Bunert, 1.7.2024, GewSchG § 2 Rn. 7). Ausgehend hiervon ist ein gemeinsamer Haushalt gegeben bei gemeinsamem Nutzen der Wohnung und ihrer Einrichtungsgegenstände, einem gemeinsamen, zwischen den Beteiligten abgesprochenen oder auch ohne Absprache tatsächlich ausgeübten Wirtschaften und aufeinander bezogenen wechselseitigen Versorgungsleistungen. Maßgebend sind jeweils die Umstände des Einzelfalls, wobei auf die für das Getrenntleben entwickelten Kriterien zurückgegriffen werden kann (Johannsen/Henrich/ Althammer/Dürbeck, 7. Aufl. 2020, GewSchG § 2 Rn. 5).
Nach diesen Maßstäben ist festzustellen, dass die Voraussetzungen für eine Überlassung der Wohnung nach § 2 Abs. 1 GewSchG vorliegend nicht erfüllt sind. Die Beteiligten lebten nach ihrem übereinstimmenden Vortrag bereits seit mehreren Monaten voneinander getrennt, ehe es zu den streitgegenständlichen Taten im Januar 2024 gekommen sein soll. Dass es zu diesem Zeitpunkt noch zu einem gemeinsamen Wirtschaften und aufeinander bezogenen wechselseitigen Versorgungsleistungen der Beteiligten gekommen wäre, ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Vielmehr hat der Antragsgegner in seiner Beschwerdebegründung ausdrücklich darauf verwiesen, dass bereits seit August 2023 keine fortbestehenden Gemeinsamkeiten und keine wechselseitigen Versorgungsleistungen mehr erbracht worden seien. Dem ist die Antragstellerin nicht entgegengetreten, hat ihrerseits sogar darauf verwiesen, dass es bereits im Mai 2023 zu einer Trennung innerhalb der streitgegenständlichen Wohnung gekommen sei. Damit ist hier davon auszugehen, dass die Beteiligten endgültig voneinander getrennt leben und kein gemeinsamer Haushalt mehr bestanden hat. Für die Frage, ob der gemeinsame Haushalt auf Dauer angelegt ist, kommt es im Übrigen immer auf den Willen der Beteiligten an. Entscheidungserheblich ist deshalb auch, dass sich die Antragstellerin unstreitig einem neuen Partner zugewandt hat und eine Wiederherstellung eines gemeinsam genutzten Haushalts von beiden Beteiligten jedenfalls seit August 2023 nicht mehr beabsichtigt war. Das vereinzelte Betreten der Wohnung durch die Antragstellerin führt hingegen nicht zu einer anderen Bewertung. Denn hiermit war die Erledigung notwendiger Versorgungsleistungen für die Lebensgemeinschaft (Einkaufen, Essen bereiten, Haushaltsarbeiten) offensichtlich nicht verbunden. Nicht entscheidungserheblich ist schließlich auch, ob die Antragstellerin entsprechend ihres Vorbringens im August 2023 aus der Wohnung geflüchtet ist. Entscheidungsrelevant ist insoweit nur, dass schon diesem Zeitpunkt ein innerfamiliäres Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt nicht mehr beabsichtigt war und nicht mehr stattgefunden hat.
Die in dem angefochtenen Beschluss vorgenommene Auslegung des § 2 Abs. 1 GewSchG widerspricht dem Wortlaut und dem Zweck der Norm. Richtig ist insoweit, dass der gemeinsame Haushalt zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr bestehen muss, das heißt, auch das Opfer, das nach der Gewalttat oder Drohung zunächst ausgezogen ist, kann Zuweisung der Wohnung beantragen (vgl. Nomos-BR/Heinke GewSchG/Sabine Heinke, 1. Aufl. 2012, GewSchG § 2 Rn. 15). Der Wortlaut der Vorschrift ist jedoch insoweit eindeutig, als Opfer und Täter zum Zeitpunkt der Tat einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt geführt haben müssen. Durch die Vorschrift soll die durch die räumliche Nähe bedingte Gefährdung unterbunden werden. Die Norm wurde geschaffen, um die Wohnungsüberlassung in den Fällen zu ermöglichen, in denen Gewalttaten im Rahmen eines auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushaltes begangen werden. Davor gab es bislang mit § 1361b BGB nur für Eheleute eine ausdrückliche Regelung und zwar für den Fall, dass die Eheleute bereits getrennt leben oder einer von ihnen getrennt leben will (BT-Drs. 14/5429, S. 30). Nicht vom Normzweck umfasst ist danach die hiesige Konstellation, in der die Lebensgemeinschaft zum Zeitpunkt der zur Begründung herangezogenen Vorfälle schon seit Monaten beendet war, keiner der Beteiligten eine Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft beabsichtigt und sich einer der Beteiligten überdies bereits einem neuen Partner zugewandt hat. Die Norm kann daher auf den hier vorliegenden Fall weder direkt noch entsprechend angewendet werden.
Schließlich war die Antragstellerin als Mitmieterin der streitgegenständlichen Wohnung auch nicht schutzlos gestellt. Besteht kein Anspruch nach § 2 GewSchG kommen in Gewaltfällen zumindest Wohnungsverweisungen in Betracht. Diese hat das Zivilgericht zur Durchsetzung des allgemeinen Anspruchs einer Person, nicht verletzt zu werden, auf Basis von § 940 a ZPO auszusprechen (vgl. Kaiser/Schnitzler/Schilling/Sanders, BGB, Familienrecht, GewSchG § 2 Rn. 30, vor § 1 Rn. 19 beck-online; BT-Drs. 14/5429, 19).
Von der Vornahme weiterer Verfahrenshandlungen hat der Senat in Anwendung von § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG mit Rücksicht darauf abgesehen, dass das Amtsgericht im erstinstanzlichen Verfahren alle gebotenen Verfahrenshandlungen vorgenommen, den Sachverhalt, soweit dieser entscheidungserheblich ist, aufgeklärt und insbesondere das Jugendamt wie in § 213 Abs. 1 S. 1 FamFG vorgesehen angehört hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG. Es entspricht der Billigkeit, der Antragstellerin die Kosten der Verfahren beider Instanzen aufzuerlegen, weil sie vollumfänglich unterlegen ist.
Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 40 Abs. 1, 49 FamGKG.
RechtsgebietGewSchGVorschriften§ 2 Abs 1 GewSchG