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  • 03.12.2024 · IWW-Abrufnummer 245208

    Oberlandesgericht Nürnberg: Beschluss vom 19.09.2024 – 9 WF 753/24

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Oberlandesgericht Nürnberg 

    Beschluss vom 19.09.2024


    Tenor:

    Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Tirschenreuth vom 31.07.2024 (Az.: 01 F 264/24) wird zurückgewiesen.

    Gründe

    1
    Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen die Versagung von Verfahrenskostenhilfe für ein Vaterschaftsanfechtungsverfahren.

    I.

    2
    Die am ....1996 geborene Antragstellerin hat mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 30.07.2024 an das Amtsgericht Tirschenreuth die Feststellung beantragt, dass sie nicht das Kind des am ....2023 verstorbenen Pe... M... ist. Gleichzeitig begehrt die Antragstellerin für das Verfahren die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten. Die Antragstellerin trägt hierzu vor, dass ihre Mutter mit dem verstorbenen Pe... M... verheiratet war. Aus der Ehe entstammen drei Kinder, außerdem sei sie selbst während der noch bestehenden Ehe geboren worden. Herr M... gelte deswegen als ihr Vater. Nach Scheidung der Ehe habe ihre Mutter Herrn J... B... geheiratet, der ihr leiblicher Vater sei und mit dem ihre Mutter eine weitere Tochter habe.

    3
    Es sei innerhalb der Familie niemals streitig gewesen, dass Herr B... ihr Vater sei. Sie begehre nunmehr die Anfechtung der Vaterschaft des mittlerweile verstorbenen Herrn M..., weil sie Kenntnis von Umständen erhalten habe, aufgrund derer die Folgen der Vaterschaft für sie unzumutbar geworden seien. Sie sei am 27.03.2024 vom Ordnungsamt der Stadt N... angeschrieben und aufgefordert worden, zusammen mit ihren drei Geschwistern aus der ersten Ehe ihrer Mutter für die Beerdigungskosten ihres Scheinvaters aufzukommen; auf sie selbst entfalle ein Betrag von 904,28 €. Es sei für sie unerträglich, dass sie als Kind eines Mannes gelte, zu dem sie seit langer Zeit so gut wie keinen Kontakt gehabt habe. Zudem habe sie mittlerweile ein eigenes, am 04.03.2020 geborenes Kind. Sie leide unter der Vorstellung, dass ihr eigenes Kind formell als Abkömmling des verstorbenen Herrn M... gelte und nicht als Abkömmling des tatsächlichen Großvaters Herrn B.... Der Tod des Scheinvaters gelte als Grund für die Unzumutbarkeit gemäß § 1600b Abs. 6 BGB.

    4
    Das Amtsgericht Tirschenreuth hat mit Beschluss vom 31.07.2024 den Antrag der Antragstellerin mangels hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung gem. § 76 Abs. 1 FamFG, § 114 ZPO abgelehnt. Es führt hierzu aus, dass die in § 1600b BGB geregelten Anfechtungsfristen seit langer Zeit abgelaufen seien. Auch die Voraussetzungen des § 1600b Abs. 6 BGB lägen nicht vor.

    5
    Zwar sei der Vortrag der Antragstellerin, dass in der Literatur die Ansicht vertreten werde, der Tod des Scheinvaters könne ein Grund im Sinne des § 1600b Abs. 6 BGB für den Neubeginn der Anfechtungsfrist sein, richtig. Dies gelte dann, wenn die Anfechtung bislang nur unterlassen worden sei, um die Ehe der Mutter oder die Beziehung zum Scheinvater nicht zu stören. Hiervon könne im vorliegenden Verfahren keine Rede sein. Die moderate Kostenforderung der Stadt N... wegen der Beerdigung sei kein Grund, die Folgen der Vaterschaft als unzumutbar erscheinen zu lassen.

    6
    Gegen diesen ihrer Verfahrensbevollmächtigten am 01.08.2024 zugestellten Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 20.08.2024, der das Amtsgericht mit Beschluss vom 17.09.2024 nicht abgeholfen hat. Sie trägt weiterhin vor, dass der Tod des Scheinvaters und die Geburt des eigenen Kindes der Antragstellerin dazu geführt hätten, dass sie mit der Abstammungssituation nicht mehr umgehen könne. Ein Grund im Sinne des § 1600b Abs. 6 BGB liege damit vor.

    II.

    7
    Die gemäß § 76 Abs. 2 FamFG, § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthafte sofortige Beschwerde gegen den die Verfahrenskostenhilfe versagenden Beschluss des Amtsgerichts ist gemäß §§ 567 ff. ZPO zulässig, jedoch unbegründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Antragstellerin hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

    8
    Gemäß § 76 Abs. 1 FamFG finden auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe in Abstammungssachen die Vorschriften der Zivilprozessordnung zur Prozesskostenhilfe, also §§ 114 ff. ZPO, entsprechende Anwendung, soweit nicht in §§ 77 und 78 FamFG etwas anderes bestimmt ist.

    9
    Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 841, 356, BVerfGE 122, 49, BVerfG NJW 2014, 681), der sich auch der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung anschließt (vgl. etwa BGH FamRZ 2011, 1137 Rn. 8) ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz das Gebot einer weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage dürfe nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe (in FamFG-Verfahren: Verfahrenskostenhilfe) zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Der Entscheidungsspielraum der Fachgerichte werde überschritten, wenn die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung weit überspannt werden und dadurch das Recht der Prozesskostenhilfe deutlich verfehlt würde.

    10
    Im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussichten einer Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung gem. § 114 ZPO darf deswegen kein überspannter Maßstab angesetzt werden. Die hinreichende Erfolgsaussicht darf nicht mit Erfolgsgewissheit gleichgesetzt werden. Auch darf keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Erfolg verlangt werden. Die Erfolgsaussicht darf umgekehrt auch keine nur entfernte sein. Der Ausdruck einer "gewissen Erfolgswahrscheinlichkeit" bringt den so zu bestimmenden Maßstab treffend zum Ausdruck (Zöller ZPO, 35. Auflage, § 114 Rn. 23 m.w.N.).

    11
    Gemessen an diesen Grundsätzen bietet der Antrag der Antragstellerin auf Anfechtung der Vaterschaft keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil die in § 1600b BGB geregelten Anfechtungsfristen bereits verstrichen sind und auch mit dem Tod des Scheinvaters der Antragstellerin kein Neubeginn der Frist gemäß § 1600b Abs. 6 BGB eingesetzt hat.

    12
    Grundsätzlich kann die Vaterschaft binnen zwei Jahren gerichtlich angefochten werden; die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Berechtigte von den Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen. Anfechtungsberechtigt ist gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 4 BGB auch das Kind, im vorliegenden Verfahren also die Antragstellerin. Die 27-jährige Antragstellerin hat selbst vorgetragen, dass innerhalb der Familie seit langer Zeit bekannt war, dass der verstorbene Herr M... nicht ihr leiblicher Vater war. Die Zweijahresfrist des § 1600b BGB ist damit abgelaufen.

    13
    Ein Neubeginn der Frist gemäß § 1600b Abs. 6 BGB setzt dann ein, wenn das Kind Kenntnis von Umständen erlangt, auf Grund derer die Folgen der Vaterschaft für es unzumutbar werden. Die Norm sieht keine Konkretisierung oder Beispiele vor, wann von einer Unzumutbarkeit ausgegangen werden könnte. Der Gesetzgeber hat aufgrund der großen Zahl an denkbaren Möglichkeiten bewusst auf derartige Hinweise verzichtet. Gleichzeitig verweist er als Anhaltspunkt auf die Fälle des § 1596 Abs. 1 aF BGB. Jedenfalls ist aufgrund des Ausnahmecharakters der Norm eine restriktive Handhabung geboten (BeckOGK/Reuß BGB § 1600b Rn. 57 m.w.N.).

    14
    Nach § 1596 aF BGB war die Anfechtung unbefristet möglich, wenn sie wegen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandels des Mannes, einer schweren Verfehlung des Mannes gegen das Kind oder wegen einer schweren Erbkrankheit des Mannes sittlich gerechtfertigt war. Eine Unzumutbarkeit der entstandenen Situation wird man auch bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe und bei dauerhafter Trennung der Ehegatten oder nichtehelichen Lebensgefährten bejahen können, wenn mit der Auflösung der sozialen Familie der Grund für das bisherige Absehen von einer Anfechtung - Rücksichtnahme auf den Familienfrieden - entfällt. Maßstab ist die persönliche Unzumutbarkeit einer Aufrechterhaltung der Vaterschaftszuordnung (BeckOK BGB/Hahn BGB § 1600b Rn. 12). Die Unzumutbarkeit der Aufrechterhaltung der Vaterschaftszuordnung kann sich zwar nach einhelliger Meinung auch aus dem Tod des Scheinvaters ergeben, allerdings müssen dann jedenfalls bei Volljährigkeit des betroffenen Kindes weitere Umstände hinzutreten, die die Abstammungssituation als nicht mehr hinnehmbar erscheinen lassen.

    15
    Im vorliegenden Verfahren hat seit der Trennung der Eltern der Antragstellerin keiner der Anfechtungsberechtigten die Notwendigkeit verspürt, die Vaterschaft den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechend zu klären. Auch nach der Scheidung der Ehe, der die Antragstellerin entstammt, ist von keinem der Berechtigten ein Anfechtungsverfahren betrieben worden. Die Anfechtung ist auch nicht aus Rücksicht auf den Familienfrieden unterlassen worden, nachdem die Mutter der Antragstellerin bereits seit vielen Jahren vom rechtlichen Vater der Antragstellerin geschieden war und nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin bereits seit geraumer Zeit zwischen ihr und dem verstorbenen Herrn M... kein Kontakt mehr bestand. Die Antragstellerin hat auch nach der Geburt ihres Kindes im Jahr 2020 keinen Anlass gesehen, die Klärung der Vaterschaft vorzunehmen. Darüber hinaus hätte dann die 2-jährige Anfechtungsfrist mit dem Zeitpunkt der Geburt des Kindes erneut zu laufen begonnen und wäre bereits im März 2022 wieder abgelaufen. Anlass für die Antragstellerin, die Vaterschaft zu klären war ganz offensichtlich einzig der Umstand, dass sie zur Bezahlung eines Teils der Beerdigungskosten herangezogen werden soll. Diese belaufen sich auf knapp 1000 €. Allein aus dieser moderaten finanziellen Belastung kann die Antragstellerin jedoch nicht die Unzumutbarkeit der Folgen der Vaterschaft für sich in Anspruch nehmen, nachdem sowohl sie als auch ihre Mutter mehr als 20 Jahre lang bei unveränderten Umständen die rechtliche Abstammungssituation akzeptiert haben.

    III.

    16
    Eine Kostenentscheidung ist gemäß § 76 Abs. 1 FamFG, § 127 Abs. 4 ZPO nicht veranlasst.

    IV.

    17
    Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Auch ein anderer ordentlicher Rechtsbehelf ist nicht statthaft.

    RechtsgebieteZPO, BGBVorschriften§ 114 ZPO; § 1600b Abs. 6 BGB