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  • 11.06.2014 · IWW-Abrufnummer 141738

    Oberlandesgericht Düsseldorf: Beschluss vom 19.02.2014 – II-8 UF 236/13

    1. Es stellt keine schwerwiegende Veränderung im Sinne des § 313 BGB dar, wenn die Berechtigung eines volljährigen behinderten Kindes zum Bezug von SGB XII-Leistungen grundsätzlich besteht, diese Berechtigung jedoch bereits bei Errichtung des vorherigen Unterhaltstitels bestand und dort nicht berück-sichtigt wurde.

    2. Wurde ein Einkommen aus der Tätigkeit in einer Behindertenwerkstatt bei der Errichtung des vorherigen Unterhaltstitels als „überobligatorisch“ bewertet, so ist es bei einer erheblichen zwischenzeitlichen Erhöhung dieser Bezüge nicht geboten, diese Bewertung hinsichtlich des Erhöhungsbetrages fortzuschrei-ben.

    3. Bezüge aus der Tätigkeit in einer Behindertenwerkstatt in der Größenordnung von 250 € haben nicht mehr den Charakter eines Taschengeldes und stehen - jedenfalls teilweise – zur Deckung des Unterhaltsbedarfs zur Verfügung.


    Oberlandesgericht Düsseldorf

    II-8 UF 236/13

    Tenor:

    Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts Mülheim an der Ruhr vom 31.07.2013 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

    Die Vereinbarung der Beteiligten vor dem Amtsgericht – Familiengericht – Villingen-Schwenningen vom 26.01.2011 (3 F 215/10) wird dahin abgeändert, dass der Antragsteller mit Wirkung ab dem 09.01.2013 an den Antragsgegner einen monatlichen Unterhalt von 353 € zu zahlen hat.

    Der weitergehende Abänderungsantrag wird zurückgewiesen.

    Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen tragen der Antragsteller zu 90 % und der Antragsgegner zu 10 %.

    Die sofortige Wirksamkeit dieser Entscheidung wird angeordnet.

    Verfahrenswert für die Beschwerdeinstanz: 5.226 €

    G r ü n d e :

    I.

    Der Antragsteller ist der Vater des Antragsgegners (…1986). Dieser ist behindert und steht unter der Betreuung seiner Mutter, bei der er auch wohnt; er ist in einer Behindertenwerkstatt tätig und erzielt dort ein monatliches Einkommen von ca. 249 €. Zudem bezieht der Antragsgegner nach wie vor Kindergeld von 184 € monatlich. Eine Leistungsfähigkeit der Mutter zur Zahlung von Barunterhalt ist nicht gegeben.

    Im Vorverfahren 3 F 215/10 haben sich die Beteiligten vor dem Amtsgericht in Villingen-Schwenningen am 26.01.2011 dahingehend verglichen, dass der Antragsteller an den Antragsgegner monatlichen Kindesunterhalt von (Tabellenbetrag Düsseldorfer Tabelle Einkommensgruppe 5 von 586 € - 184 € Kindergeld =) 402 € ab Februar 2011 zahlt; die damaligen Einkünfte des Antragsgegners bei der Behindertenwerkstatt in Höhe von ca. 161 € netto sind dabei nicht zur Bedarfsdeckung herangezogen worden. Die Frage möglicher Grundsicherungsleistungen an den Antragsgegner gem. SGB XII wurde im Vorverfahren nicht thematisiert.

    Im vorliegenden Abänderungsverfahren (der Antrag vom 16.11.2012 wurde dem Antragsgegner am 09.01.2013 zugestellt) begehrt der Antragsteller die Abänderung des Unterhalts auf 0 € ab November 2012. Er hatte zuvor mit Schreiben vom 31.10.2012 die Einstellung der Unterhaltszahlungen ab November 2012 angekündigt und dabei die Auffassung vertreten, dass der Antragsgegner wegen des Wegfalls des Unterhalts Grundsicherungsleistungen erhalten könne. Seit November 2012 leistet der Antragsteller seine Zahlungen i.Ü. unter Vorbehalt.

    Ein Antrag des Antragsgegners auf Grundsicherung vom 16.11.2012 wurde von der Stadt M. am 19.11.2012 abgelehnt, ein weiterer Antrag vom 08.02.2013 sodann am 13.02.2013. Den dagegen erhobenen Widerspruch des Antragsgegners vom 22.02.2013 hat die Stadt am 03.04.2013 zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat daraufhin am 08.05.2013 Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben (S 52 SO 240/13); dieses Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.

    Das Amtsgericht hat den Abänderungsantrag des Antragstellers, der nach seinem eigenen Vorbringen nunmehr in die Einkommensgruppe 6 der Düsseldorfer Tabelle einzuordnen ist, zurückgewiesen, da es an maßgeblichen Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse fehle, die eine Störung der Geschäftsgrundlage bedeuten könnten. Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen erstinstanzlichen Abänderungsantrag weiter: Das Eigeneinkommen des Antragsgegners sei im Vergleich zum Vorverfahren auf ca. 250 € gestiegen, und der Bezug des Kindergeldes sei zu berücksichtigen. Zudem bestehe die „gesicherte Erkenntnis“, dass der Antragsgegner Leistungen der Grundsicherung erhalten werde, sobald die Unterhaltszahlungen ausblieben.

    Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung der Beschwerde. Er hat i. Ü. auf Vorschlag des Senats die Erklärung abgegeben, im Falle der rechtskräftigen Verurteilung der Stadt Mülheim an der Ruhr im sozialgerichtlichen Verfahren dem Antragsteller die entsprechenden ihm zufließenden Leistungen zu erstatten.

    II.

    Die Beschwerde des Antragstellers ist nur teilweise begründet.

    Der auf einen vollständigen Wegfall seiner Unterhaltsverpflichtung gerichtete Abänderungsantrag des Antragstellers hätte gemäß §§ 239 FamFG, 313 BGB Erfolg, wenn schwerwiegende Änderungen betreffend die Geschäftsgrundlage eingetreten wären; dies ist indes nur teilweise der Fall.

    Entgegen der Auffassung des Antragstellers kann nicht davon ausgegangen werden, dass die „gesicherte Erkenntnis“ bestehe, dass der Antragsgegner Grundsicherungsleistungen erhalten werde. Die Stadt M. als Grundsicherungsträger hat dies ausdrücklich abgelehnt und den dagegen gerichteten Widerspruch des Antragsgegners zurückgewiesen. Ob das Sozialgericht im noch laufenden Verfahren zu einem abweichenden Ergebnis kommt, ist keinesfalls „gesichert“ zu erwarten.

    Der Antragsgegner war i.Ü. gem. § 19 Abs. 2 SGB XII zum Zeitpunkt der Vereinbarung vom 26.01.2011 grundsicherungsberechtigt; tatsächlich hatte der Antragsgegner bereits zuvor – bis Dezember 2009 – Grundsicherungsleistungen erhalten. Eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse iSd § 313 BGB liegt somit in diesem Zusammenhang nicht vor. Somit unterscheidet sich der vorliegende Fall von der Konstellation, mit der der BGH im Urteil vom 20.12.2006 (XII ZR 84/04 = FamRZ 2007, 1158 ff) befasst war; dort war bei Titulierung der Vorentscheidung am 12.12.2001 ein Anspruch auf Grundsicherung noch nicht gegeben – ein solcher besteht erst seit dem 01.01.2003 - und konnte mithin nicht Eingang in die Unterhaltsberechnung finden.

    Die Problematik des Falles besteht darin, dass die Frage der Bedarfsdeckung durch Grundsicherungsleistungen im Vorverfahren schlichtweg „übersehen“ wurde, so dass sich die Stadt M. bislang darauf berufen kann, dass mit dem dort titulierten Unterhalt ein eigenes Einkommen des Antragsgegners vorhanden ist; ob dies zu Recht erfolgt, wird im Verfahren vor dem Sozialgericht zu klären sein. Keinesfalls geht es an, dem Antragsgegner, der mit der entsprechenden Antragstellung seine unterhaltsrechtliche Obliegenheit gegenüber dem Antragsteller erfüllt hat, fiktiv Grundsicherungsleistungen zuzurechnen, wie es der Antragsteller erstrebt (vgl. Scholz in FamRZ 2007, 1161).

    Der Umstand, dass der Antragsteller seine Zahlungen ab November 2012 unter Vorbehalt erbringt, führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Es handelt sich insoweit nicht um eine Änderung der Geschäftsgrundlage, denn der Antragsteller hätte diesen „Vorbehalt“ schon im Ausgangsverfahren – durch den Einwand vorrangiger Inanspruchnahme von SGB XII-Leistungen – geltend machen können. Im Übrigen geht es nicht an, dass der durch einen Zahlungstitel verpflichtete Unterhaltsschuldner sich dadurch einen Abänderungsgrund „verschafft“, dass er einseitig zu den von ihm zu leistenden Zahlungen einen Vorbehalt erklärt.

    Das Beschwerdevorbringen zur Berücksichtigung des Kindergeldes liegt neben der Sache, denn eine bedarfsdeckende Anrechnung des Kindergeldes in voller Höhe ist schon im Vergleich vom 26.01.2011 vorgenommen worden.

    Die Erhöhung der Bezüge aus der Tätigkeit in der Behindertenwerkstatt rechtfertigt es jedoch, die im Zuge des Vergleichsabschlusses vorgenommene Bewertung, dass diese als überobligatorisch anzusehen sind (dazu auch Wendl/Klinkhammer Unterhaltsrecht 8. Aufl. § 2 Rn. 534), jedenfalls hinsichtlich des „Mehrverdienstes“ zu korrigieren. Die Bewertung als „überobligatorisch“ wird allgemein damit begründet, dass Einkünfte in der Behindertenwerkstatt meist nur gering sind und allenfalls zur teilweisen Deckung des Taschengeldes herangezogen werden können. Lässt sich diese Wertung – wie im Vergleich vom 26.01.2011 geschehen – bei einem Betrag von 161 € noch nachvollziehen, so erscheint es doch bei einem Einkommen von knapp 250 € geboten, dieses nicht mehr als gering zu bewerten (Eschenbruch/Schwonberg Unterhaltsprozess 6. Aufl. Kap. 2 Rn. 882); in diesem Zusammenhang ist beispielhaft darauf zu verweisen, dass sich der dem Berechtigten zustehende (dem Taschengeld entsprechende) Barbetrag gem.§ 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII auf monatlich ca. 100 € beläuft.

    Der Differenzbetrag zwischen dem im Vorverfahren von den Beteiligten als überobligatorisch bewerteten Einkommen und den jetzigen Bezügen beläuft sich auf(249 € - 161 € =) 88 € monatlich. Demgegenüber ist zu berücksichtigen, dass sich infolge der gestiegenen Einkünfte des Antragstellers der Unterhaltsanspruch des Antragsgegners von 402 € auf 441 €, mithin um 39 € monatlich erhöht hat, so dass die Differenz zur Ausgangsentscheidung (88 € - 39 €=) 49 € beträgt.

    In diesem Umfang hat die Beschwerde für die Zeit ab dem 09.01.2013 Erfolg, so dass sich der vom Antragsteller zu zahlende monatliche Unterhalt auf (402 € - 49 € =) 353 € beläuft; die Reduzierung der Unterhaltsverpflichtung um ca. 12 % ist als wesentlich iSd § 313 BGB zu bewerten (vgl. Wendl/Schmitz aao § 10 Rn. 196; Prütting/Helms/ Bömelburg FamFG 3. Aufl. § 238 Rn. 80). Im Hinblick auf § 4 der Vereinbarung vom 26.01.2011 ist die Abänderung i.Ü. erst für die Zeit ab Rechtshängigkeit des Abänderungsantrags, die am 09.01.2013 eingetreten ist, vorzunehmen.

    Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 116 Abs. 3, 243 FamFG.

    Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen; eine Rechtsmittelbelehrung ist daher nicht erforderlich.

    RechtsgebieteFamFG, BGBVorschriften§ 239 FamFG; § 313 BGB; § 1602 BGB