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  • 14.03.2019 · IWW-Abrufnummer 207716

    Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 10.07.2018 – 8 K 2983/17

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Tenor:

        1.

        Die Klage wird abgewiesen.
        2.

        Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
        3.

        Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand
    1

    Der Kläger begehrt die Feststellung der Nichtigkeit des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids vom 21. April 2017 bezüglich des Kindergeldes für seine Tochter A... (nachfolgend: A.), hilfsweise beantragt er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich des vorgenannten Bescheids.
    2

    A. ist... 1994 geboren und studiert seit dem Wintersemester 2012/2013 an der Universität X. Der Kläger bezog bis einschließlich Februar 2017 laufend Kindergeld für A.. Mit Bescheid vom 6. Februar 2017 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für A. ab März 2017 auf und stellte die laufende Kindergeldzahlung für A. ein. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe trotz Aufforderung keine Nachweise zum Andauern des Studiums von A. vorgelegt; eine Feststellung des Fortbestehens der Anspruchsvoraussetzungen sei deshalb nicht möglich. Gleichzeitig wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass das Andauern des Studiums zu überprüfen sei und die Festsetzung bzw. Bewilligung des Kindergeldes, wenn das Fortbestehen der Anspruchsvoraussetzungen nicht festgestellt werden könne, auch rückwirkend für die Monate aufzuheben sei, für die kein Nachweis über das Andauern des Studiums vorgelegt wurde. Bereits gezahltes Kindergeld sei dann zurückzuzahlen.
    3

    Nachdem der Kläger hierauf nicht reagierte, teilte ihm die Beklagte mit Schreiben vom 31. März 2017 mit, in dem Zeitraum August 2012 bis Februar 2017 sei Kindergeld für A. gezahlt worden, obwohl darauf möglicherweise kein Anspruch bestanden habe. Der Kindergeldanspruch für diesen Zeitraum, konkret der Studienverlauf vom Wintersemester 2012/2013 bis zum Wintersemester 2016/2017, sei nicht mehr nachgewiesen. Aufgrund dieses Sachverhalts sei Kindergeld möglicherweise seit August 2012 zu Unrecht gezahlt worden und es müsse geprüft werden, ob die Festsetzung ggf. aufzuheben oder zu ändern sei. Zuviel gezahltes Kindergeld sei in diesem Fall zu erstatten. Dem Kläger wurde Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von 2 Wochen gegeben.
    4

    Nachdem keine Reaktion erfolgte, hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für A. mit Bescheid vom 21. April 2017 gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ab August 2012 auf und forderte das für die Monate August 2012 bis einschließlich Februar 2017 ausgezahlte Kindergeld in Höhe von 10.256 EUR zurück. Der Kläger sei der Aufforderung, Nachweise zum Studienverlauf von A. vorzulegen, nicht nachgekommen. Nachdem nicht festgestellt werden könne, ob ab August 2012 ein Anspruch auf Kindergeld bestehe, sei die Festsetzung des Kindergeldes aufzuheben. Die Aufhebung lasse den Rechtsgrund für die Kindergeldzahlung entfallen. Der überzahlte Betrag sei nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zu erstatten. Dieser Bescheid wurde am 24. April 2017 per einfachem Brief zur Übermittlung an den Kläger zur Post aufgegeben. Der Brief ging beim Kläger ein, wurde von ihm jedoch auf einen Stapel mit unbearbeiteter Post abgelegt und blieb dort ungeöffnet liegen.
    5

    Ende August/Anfang September 2017, noch innerhalb der Schulferien, waren der Kläger und seine Ehefrau 14 Tage im Urlaub. Nach der Rückkehr aus dem Urlaub nahm der Kläger ein Schreiben der Inkassostelle der Beklagten vom 21. August 2017 zur Kenntnis, in dem die Rückzahlung der 10.256 EUR angemahnt wurde. Daraufhin bat der Kläger die Beklagte am 14. September 2017 telefonisch um Zusendung von Kopien des an ihn versandten Schriftverkehrs. Mit Schreiben vom 15. September 2017 wurden ihm Aktenkopien der Bescheide vom 6. Februar 2017 und vom 21. April 2017 sowie des Schreibens vom 31. März 2017 zugesandt.
    6

    Daraufhin legte der Kläger mit Schreiben vom 20. September 2017, abgesehen von der Immatrikulationsbescheinigung für das Wintersemester 2014, fortlaufende Immatrikulationsbescheinigungen von A. für den Zeitraum vom Wintersemester 2012/2013 bis zum Wintersemester 2017 vor, teilte mit, die Schreiben vom Frühjahr des Jahres seien krankheitsbedingt nicht fristgerecht bearbeitet worden und bat um Aufhebung des Rückforderungsbescheids vom 21. April 2017.
    7

    Am 6. Oktober 2017 ging bei der Beklagten ein vom Kläger am 27. September 2017 unterzeichneter Antrag auf Kindergeld u.a. für A. ein. Mit Bescheid vom 30. Oktober 2017 setzte die Beklagte Kindergeld für A. ab Mai 2017 fest.
    8

    Die Beklagte wertete das Schreiben des Klägers vom 20. September 2017 als Einspruch gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 21. April 2017 und verwarf diesen mit Einspruchsentscheidung vom 3. November 2017 als unzulässig. Der Einspruch sei nicht fristgemäß erhoben worden und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne mangels das Fristversäumnis rechtfertigenden Gründen nicht eingeräumt werden. Es möge zwar sein, dass der Kläger selbst aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen sei, die erforderlichen Unterlagen zu beschaffen. Es habe aber sicherlich Mittel und Wege gegeben, Dritte (Ehefrau, Kinder, etc.) mit der Erledigung zu beauftragen und sei es nur fristgerecht Einspruch einzulegen mit dem Hinweis, dass die Unterlagen erst später nachgereicht werden können.
    9

    Mit seiner hiergegen am 21. November 2017 erhobenen Klage begehrt der Kläger im Wesentlichen die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheids vom 21. April 2017. Hilfsweise beantragt er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich dieses Bescheids. Hinsichtlich der Nichtigkeit des Bescheids bringt der Kläger vor, die Beklagte könne sich zur Rechtfertigung ihrer Entscheidung nicht auf § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG berufen, da weder eine Änderung in den Verhältnissen vorliege noch Erklärungen im Zusammenhang mit der Leistung abgegeben worden seien. Bereits dies sei als besonders schwerwiegender Fehler zu werten und bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig, sodass der Bescheid vom 21. April 2017 gemäß § 125 Abs. 1 AO nichtig sei. Entsprechendes gelte insoweit, als die Beklagte ihre Entscheidung auf § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG stütze, da auch diese Vorschrift voraussetze, dass eine Änderung der Verhältnisse eingetreten sei. ... Der Bescheid sei auch nach § 125 Abs. 2 Nr. 3 AO wegen einer Falschbeurkundung im Amt (§ 348 Abs. 1 des Strafgesetzbuches -StGB-) nichtig. Denn § 125 Abs. 2 Nr. 3 AO erfasse auch die Fälle, in denen der Erlass des Verwaltungsakts eine strafbare Handlung von dem Erlassenden fordere. Seinen Hilfsantrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründet der Kläger damit, krank gewesen zu sein. Zum Nachweis hierfür legte er ein am 10. November 2017 ausgestelltes ärztliches Attest seines Hausarztes vor, in dessen ständiger hausärztlicher Betreuung er seit Juni 2016 steht. Das Attest hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
    10

    ...
    11

    Ergänzend macht der Kläger Angaben zum Krankheitsverlauf ...
    12

    Der Kläger ist der Ansicht, bei Verdachtsbescheiden, wie dem angegriffenen Bescheid, liege ein Verfahrensmangel vor, der sich aus der Dienstanweisung Kindergeld (DA-KG) ergebe. Nach Abschnitt V 7.4 der DA-KG sei eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben, wenn im Rahmen der Überprüfung die erforderlichen Angaben nicht gemacht werden und eine sichere Erkenntnis über das Bestehen anspruchsbegründender Voraussetzungen nicht mehr bestehe. Diese Regelung sei nicht haltbar, da an die Stelle der in diesen Fällen erforderlichen Eröffnung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens ein Aufhebungsbescheid trete, der zu erstellen sei, obwohl keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen. Hiermit werde ausdrücklich eine Missachtung der gesetzlich zwingend notwendigen Tatsachenerhebung angeordnet. Da dieser Verfahrensmangel alle Bescheide betreffe, durch die Kindergeldfestsetzungen wegen fehlender Mitwirkung des Kindergeldberechtigten, mithin aufgrund von Vermutungen und nicht aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse, aufgehoben werden, liege ein Verfahrensmangel vor, der nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) der Revision unterliege.
    13

    Am 11. Dezember 2017 beantragte der Kläger -nachdem die Beklagte den an sie gerichteten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Rückforderungsbescheids am 5. Dezember 2017 abgelehnt hatte- gerichtliche Aussetzung der Vollziehung des Bescheids vom 21. April 2017. Der Senat deutete diesen Antrag in einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung um, soweit der Kläger im Hauptsacheverfahren die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheids vom 21. April 2017 begehrt, und lehnte den Antrag mit Beschluss vom 29. März 2018 insgesamt ab.....
    14

    Im Nachgang zu diesem Beschuss ergänzte der Kläger seinen Vortrag im Klageverfahren dahingehend, dass bei der Auslegung der Regelung des § 125 Abs. 2 Nr. 3 AO auch die im deutschen Duden enthaltene Definition des Verbs "verlangen" zu berücksichtigen sei. Berücksichtige man bei der Auslegung die im Duden u.a. aufgeführte Bedeutung "bedürfen" bzw. das dort aufgeführte Synonym für gehobenes Deutsch "bedürfen", ergebe sich bei der Auslegung der Regelung eine Präferenz für seine Rechtsauffassung betreffend die Reichweite der Regelung. Hinsichtlich seines hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrags sei zu berücksichtigen, ob er verpflichtet werden könne, das Briefgeheimnis zu durchbrechen, da das Briefgeheimnis ein hohes Rechtsgut darstelle.
    15

    Der Kläger beantragt sinngemäß,

    die Nichtigkeit des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids vom 21. April 2017 festzustellen, hilfsweise, ihm unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 3. November 2017 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids vom 21. April 2017 zu gewähren.
    16

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.
    17

    Der Kläger habe den Zugang des Bescheids vom 21. April 2017 mehrmals bestätigt, sei jedoch erst im September 2017 dagegen vorgegangen. Zu diesem Zeitpunkt sei die Einspruchsfrist von einem Monat weit überschritten gewesen. Die Angabe, er sei erkrankt gewesen, rechtfertige keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. ....
    18

    Als Nachweis, dass er den Bescheid vom 21. April 2017 im Frühjahr 2017 erhalten hat, hat der Kläger dem Gericht einen noch ungeöffneten Briefumschlag vorgelegt, aus dessen Adressfenster ersichtlich ist, dass er ein Schreiben der Beklagten enthält.
    19

    In der Sache hat am 7. März 2018 ein Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage stattgefunden, in dem der vom Kläger eingereichte Umschlag im Beisein der Beteiligten geöffnet worden ist; er enthielt den Bescheid vom 21. April 2017. Auf die Niederschrift über den Erörterungstermin wird verwiesen. Aufgrund eines im Erörterungstermin erteilten richterlichen Hinweises hat die Beklagte mit Bescheid vom 15. März 2018 Kindergeld für A. für den Monat April 2017 festgesetzt.
    20

    Mit Schriftsätzen vom 17. und 20. April 2018 haben die Beteiligten übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
    Entscheidungsgründe
    21

    I. Der Senat hielt es für sach- und ermessensgerecht, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, nachdem die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben.
    22

    II. Die insgesamt zulässige Klage ist unbegründet.
    23

    Die mit dem Hauptantrag verfolgte Nichtigkeitsklage (§ 41 Abs. 1FGO) ist unbegründet (dazu 1.). Dies gilt auch für den hilfsweise gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, mithin den auf Anfechtung (§ 40 Abs. 1 1. Alt. FGO) gerichteten Hilfsantrag (dazu 2.).
    24

    1. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid ist nicht gemäß § 125 Abs. 1 AO oder § 125 Abs. 2 Nr. 3 AO nichtig und damit unwirksam (§ 124 Abs. 3 AO), da der Bescheid weder an einem besonders schwerwiegenden Fehler i.S.d. § 125 Abs. 1 AO leidet (dazu a.) noch der spezielle Nichtigkeitsgrund des § 125 Abs. 2 Nr. 3 AO vorliegt (dazu b.).
    25

    a. Nach § 125 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Welche Fehler im einzelnen als so schwerwiegend anzusehen sind, dass sie die Nichtigkeit des Verwaltungsakts zur Folge haben können, lässt sich nur von Fall zu Fall entscheiden. Ein Verwaltungsakt ist nicht allein deswegen nichtig, weil er der gesetzlichen Grundlage entbehrt oder weil die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften -auch diejenigen des formellen Rechts (Verfahrensrechts)- unrichtig angewendet worden sind. Der erforderliche besonders schwere Fehler liegt nur vor, wenn der Verwaltungsakt die an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen und offenkundigen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, ihn als verbindlich anzuerkennen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 1. Oktober 1981 IV B 13/81, BFHE 134, 223, BStBl II 1982, 133 m.w.N.; BFH-Urteile vom 16. September 2010 V R 57/09, BFHE 230, 504, BStBl II 2011, 151, und vom 30. Juni 2011 V R 44/10, BFHE 234, 504, BStBl II 2011, 1003).
    26

    Gemessen an diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen des § 125 Abs. 1 AO im Streitfall nicht vor.
    27

    Der Kläger begründet die Nichtigkeit des Bescheids nach § 125 Abs. 1 AO damit, dass keine Änderung der Verhältnisse vorliege, sodass sich die Beklagte zur Rechtfertigung ihrer Entscheidung nicht auf eine Verletzung der Mitwirkungspflichten nach § 68 EStG berufen könne und auch die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 EStG nicht vorlägen. Demnach beruht der dem Bescheid nach Meinung des Klägers anhaftende Mangel darauf, dass die Beklagte die Vorschriften über die Mitwirkungspflichten (§ 68 EStG) und die Aufhebung bzw. Änderung von Kindergeldfestsetzungen (§ 70 Abs. 2 EStG) unrichtig angewendet hat.
    28

    Dieser Mangel ist jedoch, selbst wenn er vorliegen würde, d.h. selbst wenn die Beklagte die Kindergeldfestsetzung zu Unrecht aufgehoben und das ausgezahlte Kindergeld zu Unrecht zurückgefordert haben sollte, nicht so schwerwiegend, dass er zur Nichtigkeit des Bescheides führt, sondern begründet allenfalls dessen Rechtswidrigkeit. Die Rüge des Klägers geht im Kern dahin, die Beklagte habe den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid erlassen, obwohl die im EStG genannten Voraussetzungen für einen solchen Aufhebungsbescheid nicht erfüllt gewesen seien. Die Überschreitung der (verfahrensrechtlichen) Änderungsmöglichkeiten führt jedoch regelmäßig nicht zur Nichtigkeit, sondern nur zur Anfechtbarkeit des betreffenden Bescheids (vgl. BFH-Beschluss vom 3. August 2005 I B 20/05, BFH/NV 2005, 1971). Im Streitfall sind auch die an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen nicht in einem so hohen und offenkundigen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen. Nach den zwischenzeitlich vorgelegten Unterlagen war A. in der Zeit von August 2012 bis Februar 2017 zwar tatsächlich an der Universität X immatrikuliert und studierte dort, aktuelle und fortlaufende Nachweise hierüber lagen der Beklagten im April 2017 jedoch nicht vor. Bei der Beurteilung des Maßes der Verletzung, der an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen, kann nicht außer Betracht bleiben, dass der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid dadurch veranlasst worden ist, dass der Kläger die Anfragen der Beklagten im Rahmen der von ihr durchgeführten Überprüfung der Verhältnisse bzw. der mit Hinweis, dass die Anspruchsvoraussetzungen nicht mehr nachgewiesen seien, verbundenen Aufforderung, Nachweise zum Andauern des Studiums von A. vorzulegen, unbeantwortet gelassen hat. Bei dieser Sachlage liegt keine derart schwerwiegende und offenkundige Verletzung der an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen vor, die zu einer Nichtigkeit des Bescheids führt. Darüber hinaus ist der dem Bescheid nach Meinung des Klägers anhaftende Fehler -die mangels Vorliegen einer Änderung der Verhältnisse fehlende Berechtigung der Beklagten zum Erlass des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids- nicht offenkundig i.S.d. § 125 Abs. 1 AO, weil der geltend gemachte Fehler nur unter Heranziehung der Akten zur Überprüfung, ob die Voraussetzungen für die Kindergeldgewährung weiterhin vorliegen bzw. ob eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, feststellbar ist.
    29

    b. Nach § 125 Abs. 2 Nr. 3 AO ist ein Verwaltungsakt, der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht, nichtig. Der Schutzzweck des § 125 Abs. 2 Nr. 3 AO besteht darin, den Adressaten des Verwaltungsakts davor zu schützen, wirksam zu strafbarem Tun verpflichtet zu werden (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 44 Rn. 150 zur Parallelregelung (vgl. BT-Drs. 7/4292, S. 28) des § 44 Abs. 2 Nr. 5 des Verwaltungsverfahrensgesetzes -VwVfG-). Angesichts dieses Schutzzwecks und des --nach Ansicht des Senats insoweit eindeutigen- Gesetzeswortlauts bedeutet "verlangen" im Sinne der Norm, dass der Verwaltungsakt von seinem Regelungsgehalt her den Betroffenen zu einer rechtswidrigen Tat anhalten muss (ebenso Pautsch in Pautsch/Hoffmann, VwVfG, 1. Aufl. 2016, § 44 Rn. 12 zu § 44 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG), d.h. die Begehung einer rechtswidrigen Tat anordnen muss. Dementsprechend tritt die Nichtigkeitsfolge ein, wenn das durch den Verwaltungsakt angeordnete Verhalten im Inland strafbar wäre (BFH-Urteil vom 16. November 2016 II R 29/13, BFHE 256, 364, BStBl II 2017, 413).
    30

    Der Bescheid vom 21. April 2017 "verlangt" die Erstattung des für die Monate August 2012 bis einschließlich Februar 2017 für A. ausgezahlten Kindergeldes. Mit der Rückforderung des Betrages von 10.256 EUR wird lediglich die Konsequenz daraus gezogen, dass durch die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab August 2012 der rechtliche Grund für die Zahlung des Kindergeldes an den Kläger weggefallen ist und nicht die Begehung einer rechtswidrigen Tat, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht, "verlangt".
    31

    Der Ansicht des Klägers, wonach unter "verlangen" im Sinne der Norm u.a. auch "erfordern" bzw. "bedürfen" zu verstehen sei, sodass die Vorschrift auch für die Fälle eine Regelung trifft, in denen der Erlass eines Verwaltungsakts eine strafbare Handlung seitens des Erlassenden darstellt, vermag sich der Senat vor dem Hintergrund des Schutzzwecks der Regelung und dem Gesetzeswortlaut nicht anzuschließen. Darüber hinaus läge im Streitfall selbst dann keine Nichtigkeit nach § 125 Abs. 2 Nr. 3 AO vor, wenn § 125 Abs. 2 Nr. 3 AO -wie es der Kläger vorträgt- auch die Fälle erfassen würde, in denen der Erlass des Verwaltungsakts eine strafbare Handlung des Erlassenden darstellt bzw. erfordert, da eine Falschbeurkundung im Amt nicht vorliegt.
    32

    Der Begriff der öffentlichen Urkunde i.S.d. § 348 StGB umfasst nur solche Urkunden, die bestimmt und geeignet sind, Beweis für und gegen jedermann zu erbringen. Dabei erfasst die Strafbewehrung in § 348 StGB auch bei einer öffentlichen Urkunde nur diejenigen Erklärungen, Verhandlungen und Tatsachen, auf die sich der öffentliche Glaube, d.h. die volle Beweiswirkung für und gegen jedermann, erstreckt (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs -BGH- vom 2. Dezember 2014 1 StR 31/14, BGHSt 60, 66 m.w.N.). Nach § 417 der Zivilprozessordnung (ZPO) erstreckt sich die Beweiskraft eines Verwaltungsakts (hier: des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids) lediglich darauf, dass die Entscheidung erlassen wurde und nicht auf die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung bzw. ihrer Begrünung. Die Beweiswirkung eines Verwaltungsakts erstreckt sich demnach weder auf die Motive für die Entscheidung noch auf deren inhaltliche Richtigkeit im Tenor, in der Beurteilung rechtlicher Vorfragen oder in der Feststellung von Tatsachen noch auf die sachliche Richtigkeit der darin beschriebenen Umstände (vgl. BGH-Urteil vom 15. März 2012 IX ZR 239/09, NJW-RR 2012, 823; Schreiber in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 417 Rn. 6; Krafka in BeckOK, ZPO, § 417 Rn. 5 ff).
    33

    Nach Maßgabe dieser Grundsätze stellen die Benennung der Rechtsgrundlage (§ 70 Abs. 2 EStG) und die -der Aktenlage am 21. April 2017 entsprechenden- Ausführungen zur Begründung des Bescheids keine Angaben dar, die in dem Bescheid mit besonderer Beweiskraft im Sinne des § 348 Abs. 1 StGB beurkundet werden.
    34

    2. Der hilfsweise gestellte Wiedereinsetzungsantrag ist unbegründet, da die Entscheidung der Beklagten, den Einspruch als unzulässig zu verwerfen, nicht zu beanstanden ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.) Die Beklagte hat den Einspruch des Klägers zu Recht als unzulässig verworfen, da er den Einspruch nicht innerhalb der Einspruchsfrist erhoben hat (dazu a.) und ihm keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war (dazu b.).
    35

    a. Gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 AO ist der Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der -wie vorliegend der Bescheid vom 21. April 2017- durch die Post im Inland übermittelt wird, gilt gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO als am dritten Tage nach seiner Aufgabe zur Post bekanntgegeben.
    36

    Nach diesen Grundsätzen war der mit Schreiben vom 20. September 2017 eingelegte Einspruch verspätet. Der Bescheid vom 21. April 2017 wurde am 24. April 2017 mit einfachem Brief zur Post aufgegeben. Die einmonatige Einspruchsfrist begann demnach mit Ablauf des Tages der Bekanntgabe, d.h. mit Ablauf des 27. April 2017, und endete, da das Fristende auf Samstag den 27. Mai 2017 fiel, mit Ablauf des nächsten Werktages, d.h. mit Ablauf des 29. Mai 2017 (§ 108 Abs. 1 i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB und § 108 Abs. 3 AO). Der Bekanntgabe steht nicht entgegen, dass der Kläger die bei ihm eingegangene Postsendung nicht geöffnet hat. Es genügt, dass der Verwaltungsakt derart in den Machtbereich des Adressaten gelangt ist, dass diesem die Kenntnisnahme normalerweise möglich ist und dass sie unter gewöhnlichen Umständen auch erwartet werden kann. Diese Voraussetzungen sind regelmäßig erfüllt, wenn die Sendung entsprechend den postalischen Vorschriften zugestellt wird, und zwar insbesondere dann, wenn der in einem gewöhnlichen Brief enthaltene Bescheid --wie hier- in einen für den Adressaten -hier: den Kläger- bestimmten Briefkasten eingeworfen wird. Unerheblich ist, ob der Betroffene den Bescheidinhalt tatsächlich zur Kenntnis nimmt (vgl. Urteil des FG Baden-Württemberg vom 27. Februar 2013 1 K 2850/11, juris m.w.N.).
    37

    b. Zu Recht hat es die Beklagte abgelehnt, dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
    38

    War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 110 Abs. 2 Satz 1 AO). Ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist jemand nur dann, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat (BFH-Urteile vom 29. August 2017 VIII R 33/15, BFHE 259, 213, BStBl II 2018, 69, und vom 29. Februar 2012 IX R 3/11, BFH/NV 2012, 915; jeweils m.w.N.). Jedes Verschulden, auch einfache und leichte Fahrlässigkeit, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (BFH-Urteile vom 29. August 2017 VIII R 33/15, BFHE 259, 213, BStBl II 2018, 69, und vom 4. März 1998 XI R 44/97, BFH/NV 1998, 1056; BFH-Beschluss vom 4. Dezember 2003 XI B 181/01, BFH/NV 2004, 526; jeweils m.w.N.). Ein Steuerpflichtiger handelt in aller Regel schuldhaft, wenn er die ihm von der Finanzbehörde zugesandte Post nicht genau durchsieht (vgl. BFH-Urteil vom 9. April 1963 VI 310/62 U, BFHE 77, 193, BStBl III 1963, 388; Urteil des FG Hamburg vom 22. April 2002 VI 235/00, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2003, 206). Eine Krankheit ist nicht ohne weiteres und in jedem Falle ein Entschuldigungsgrund für die Versäumung einer Rechtsmittelfrist, sondern greift als Entschuldigungsgrund nur dann durch, wenn es sich um eine so schwere oder plötzliche Erkrankung handelt, dass der von ihr betroffene Verfahrensbeteiligte nicht bloß unfähig war, sich selbst mit dem Streitgegenstand auseinander zu setzen, sondern wenn er auch außerstande war, einen Dritten zu informieren und mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen (vgl. BFH-Urteil vom 23. März 1966 II 67/64, BFHE 85, 517, BStBl III 1966, 437, und BFH-Beschluss vom 26. Juli 2011 (Hinweis des Dokumentars: das Datum lautet zutreffend 26. Juli 2001) VII B 349/00, BFH/NV 2001, 1600).
    39

    Gemessen an diesen Grundsätzen war dem Kläger keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Indem er seine Post -jedenfalls teilweise- ungeöffnet beiseite gelegt hat, d.h. ohne ihren Inhalt zur Kenntnis zu nehmen bzw. sie daraufhin durchzusehen, ob sie wichtige bzw. dringende (behördliche) Angelegenheiten betrifft, hat der Kläger seine Sorgfaltspflichten verletzt. Hätte er die am 24. April 2017 an ihn versandte Postsendung geöffnet, hätte er den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid ohne weiteres bemerkt und hätte einen fristwahrenden unbegründeten Einspruch einlegen können. Das Verschulden des Klägers wird im Streitfall auch nicht durch seine (chronische) Krankheit bzw. seinen Gesundheitszustand ausgeschlossen. Nach seinem eigenen Vortrag litt der Kläger in der Zeit von Sommer 2016 bis Sommer 2017 -und damit auch innerhalb der Einspruchsfrist- einerseits zwar unter starken Schmerzen und konnte nicht mehrere Stunden am Stück schlafen. Andererseits war er in diesem Zeitraum -und damit auch während der Einspruchsfrist- weder stationär im Krankenhaus noch über einen längeren Zeitraum krankgeschrieben, sondern hat im Wesentlichen -wenn auch von Zuhause aus und nicht mit voller Kraft- durchgehend gearbeitet. Angesichts dessen, dass der Kläger nach seinen eigenen Angaben trotz seiner gesundheitlichen Probleme in der Lage war, durchgängig, ohne einen längeren krankheitsbedingten Ausfall zu arbeiten und er seinen "privaten Papierkram" lediglich "weitgehend" liegen ließ und das, was "dringend erforderlich" war, erledigte, ist der Senat davon überzeugt, dass der Gesundheitszustand bzw. die (chronische) Krankheit des Klägers keine derart plötzliche oder derart schwere Erkrankung darstellt, die ihn daran gehindert hat, seine Post innerhalb der Einspruchsfrist durchzusehen, zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihrem Inhalt jedenfalls insoweit auseinanderzusetzen, um zu entscheiden, ob eine (dringende) Reaktion, bspw. ein kurzes, unbegründetes Einspruchsschreiben, erforderlich ist und/oder einen Dritten, bspw. seine Ehefrau oder einen sonstigen Bevollmächtigten, damit zu beauftragen, eventuell erforderliche Maßnahmen in die Wege zu leiten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vorgelegten ärztlichen Attest. In dem Attest wird zwar ausgeführt, dass die Freizeit des Klägers sehr stark beeinträchtigt gewesen sei und der Kläger nur erheblich eingeschränkt in der Lage gewesen sei, sich auf die Wahrnehmung behördenkonformer Termine zu konzentrieren. Dass die Kenntnisnahme von Schriftstücken, die Einhaltung von Terminen bzw. Fristen oder die Beauftragung eines Bevollmächtigten aufgrund einer plötzlich aufgetretenen, schweren Erkrankung gänzlich ausgeschlossen war, ergibt sich hieraus jedoch nicht.
    40

    III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
    41

    IV. Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der in § 115 Abs. 2 FGO aufgeführten Gründe vorliegt. Insbesondere stellt ein etwaiger, auf der DA-KG beruhender, Verfahrensmangel im Verwaltungsverfahren keinen Verfahrensmangel i.S.d. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar.