29.05.2020 · IWW-Abrufnummer 215952
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 22.04.2020 – XII ZB 131/19
Zum Beginn der Frist zur Beschwerdeeinlegung in einer Familienstreitsache, wenn das den Beteiligten zugestellte Schriftstück vom verkündeten Beschluss abweicht (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 11. März 2015 - XII ZB 572/13 -FamRZ 2015, 1006und vom 10. Juli 2013 - XII ZB 411/12 FamRZ 2013, 1566).
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. April 2020 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Schilling und Guhling und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 15. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 6. März 2019 wird auf Kosten der Antragstellerin verworfen.
Wert: 5.388 €
Gründe
I.
1
Die Beteiligten streiten um Trennungsunterhalt.
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Das Amtsgericht hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. Oktober 2016 am 18. November 2016 einen Beschluss verkündet, mit dem der Antragsgegner zur Zahlung eines monatlichen Trennungsunterhalts von 333 € für die Zeit ab Dezember 2016 sowie eines Unterhaltsrückstands von 2.766 € für die Zeit von August 2015 bis Februar 2016 und von 2.997 € für die Zeit von März 2016 bis November 2016 verpflichtet worden ist.
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Den Beteiligten ist hingegen eine davon abweichende Abschrift zugestellt worden, nach welcher der Antragsgegner zur Zahlung von monatlich 524 € für die Zeit ab März 2016 sowie eines Unterhaltsrückstands von 6.000 € für die Zeit von August 2015 bis Februar 2016 verpflichtet war. Die Abschrift enthielt im Gegensatz zum verkündeten Beschluss keine Entscheidungsgründe.
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Anlässlich eines Erörterungstermins im Scheidungsverfahren am 14. September 2018 fiel das Versehen bei Zustellung des Beschlusses vom 18. November 2016 auf. Der Antragsgegner hatte bis dahin den Unterhalt entsprechend der zugestellten Abschrift gezahlt. Der tatsächlich verkündete Beschluss ist der Antragstellerin am 24. September 2018 förmlich zugestellt worden. Diese hat sodann am 23. Oktober 2018 beim Amtsgericht Beschwerde eingelegt und diese mit beim Oberlandesgericht am 26. November 2018, einem Montag, eingegangenem Schriftsatz begründet.
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Mit Beschluss vom 19. September 2018 hat das Amtsgericht zudem die "Wirkungslosigkeit" des "Beschlussentwurfs" festgestellt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist vom Oberlandesgericht durch gesonderten Beschluss verworfen worden.
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Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde gegen den Beschluss vom 18. November 2016 nach vorherigem Hinweis wegen Versäumung der Einlegungsfrist verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin.
II.
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Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG , §§ 522 Abs. 1 Satz 4 , 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nach § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig und deshalb zu verwerfen.
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Insbesondere erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt die Antragstellerin nicht in ihrem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz ( Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Denn die angefochtene Entscheidung steht im Einklang mit der Senatsrechtsprechung.
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1. Zu Recht ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass die Beschwerde verfristet ist. Im - hier vorliegenden - Fall, dass die Frist zur Einlegung der Beschwerde nicht nach § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG durch schriftliche Bekanntgabe des Beschlusses in Gang gesetzt worden ist, beginnt die Frist nach § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses zu laufen, wenn die schriftliche Bekanntgabe an einen Beteiligten nicht bewirkt werden kann.
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a) Da es sich um eine Familienstreitsache handelt, kommt es für den Erlass der angefochtenen Entscheidung gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 310 ZPO auf deren Verkündung an. Gegen die - erstmals in der Rechtsbeschwerdeinstanz beanstandete - Ordnungsmäßigkeit der Verkündung des angefochtenen Beschlusses oder deren Protokollierung bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Ausweislich des Verkündungsprotokolls wurde der angefochtene Beschluss gemäß § 311 Abs. 2 Satz 2 ZPO durch Bezugnahme auf die Beschlussformel verkündet.
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Soweit die Rechtsbeschwerde die Verkündung für unwirksam hält, weil die Richterin das Verkündungsprotokoll nur mit einem Handzeichen (Paraphe) unterzeichnet habe, trifft dies nicht zu. Zwar ist das Protokoll, das gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 7 ZPO die Verkündung der Entscheidung enthält, gemäß § 163 Abs. 1 Satz 1 ZPO vom Vorsitzenden zu unterschreiben und fehlt es am Nachweis einer Verkündung gemäß § 310 ZPO , wenn kein ordnungsgemäßes Protokoll besteht (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Januar 2017 - XII ZB 504/15 FamRZ 2017, 821 Rn. 11). Eine ordnungsgemäße Unterschrift liegt hier aber vor. Insbesondere weist der auf dem Verkündungsprotokoll vom 18. November 2016 angebrachte Schriftzug einen individuellen Charakter auf und ermöglicht - im Rahmen der hier gebotenen großzügigen Betrachtung - einem Dritten, der den Namen der unterzeichnenden Richterin kennt, diesen Namen aus dem Schriftbild noch herauszulesen. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegt kein bloßes Handzeichen vor. Denn der Schriftzug lässt den - kurzen Namen der zuständigen Richterin noch mit hinreichender Deutlichkeit vollständig erkennen und begründet, auch mit Blick auf die weiteren in der Akte enthaltenen Unterschriften der Richterin, keine Zweifel an der Urheberschaft (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Januar 2017 - XII ZB 504/15 - FamRZ 2017, 821 Rn. 13).
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b) Das Oberlandesgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass Beginn und Lauf der Beschwerdefrist nach § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG nicht von der versehentlichen Zustellung des falschen Schriftstücks beeinflusst worden sind.
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Nach der Rechtsprechung des Senats greift der Beginn der einmonatigen Beschwerdefrist nach § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG mit Ablauf von fünf Monaten seit Erlass der Entscheidung auch dann, wenn die Zustellung unterblieben ist oder die zugestellte Ausfertigung der gerichtlichen Entscheidung vom Original abweicht. Entsprechend der von der Vorschrift bezweckten Rechtssicherheit kommt es auf die Gründe der unterbliebenen oder fehlerhaften Zustellung nicht an (Senatsbeschlüsse vom 11. März 2015 - XII ZB 572/13 -FamRZ 2015, 1006Rn. 26 ff. und vom 10. Juli 2013 - XII ZB 411/12 -FamRZ 2013, 1566Rn. 18; vgl. auch Senatsbeschluss vom 7. Juli 2004 - XII ZB 12/03 -FamRZ 2004, 1478, 1479zur vergleichbaren Regelung in § 517 Halbsatz 2 ZPO ). Die von § 517 Halbsatz 2 ZPO abweichende Formulierung der Vorschrift bedeutet keine sachliche Änderung, sondern dient lediglich der Abgrenzung zum von der Vorschrift nicht erfassten Fall, dass ein materiell Betroffener vom Gericht nicht zum Verfahren hinzugezogen wurde. Nur in diesem Fall findet die Auffangfrist keine Anwendung (Senatsbeschlüsse vom 15. Februar 2017 - XII ZB 405/16 -FamRZ 2017, 727und vom 11. März 2015 - XII ZB 572/13 -FamRZ 2015, 1006Rn. 29 mwN).
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Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde gebietet der vorliegende Fall keine Abweichung von den vorgenannten Maßstäben. Dass im Ausgangsfall der Senatsentscheidung vom 7. Juli 2004 (XII ZB 12/03 -FamRZ 2004, 1478, 1479) die Parteien zum Verkündungstermin erschienen waren, war nur für die Form der Verkündung maßgeblich. Im vorliegenden Fall bestehen gegen die Wirksamkeit der Verkündung hingegen - wie ausgeführt - keine Zweifel. Auf die Zustellung einer fehlerhaften Ausfertigung kommt es mithin erst im Rahmen der Verschuldensprüfung bei einer beantragten Wiedereinsetzung an, worauf das Oberlandesgericht zutreffend hingewiesen hat.
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2. Das Oberlandesgericht hat im Ergebnis ebenfalls zu Recht eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt. Zwar enthält der Tenor des angefochtenen Beschlusses insoweit keine ausdrückliche Ablehnung der Wiedereinsetzung. Eine solche ergibt sich indessen aus der Begründung, in der darauf verwiesen worden ist, dass ein Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist gestellt worden ist.
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Zwar findet eine Wiedereinsetzung in die Frist des § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG nicht statt, weil durch die Vorschrift nur die Bekanntgabe einer gerichtlichen Entscheidung fingiert wird und es sich nicht um eine Rechtsmittelfrist handelt. Dies schließt jedoch eine Wiedereinsetzung gegen die versäumte Beschwerdefrist nicht aus, wenn der Beteiligte die Rechtsmittelfrist schuldlos versäumt hat (Senatsbeschluss vom 10. Juli 2013 - XII ZB 411/12 -FamRZ 2013, 1566Rn. 21).
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Die Antragstellerin hat keinen ausdrücklichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Das Oberlandesgericht ist hingegen davon ausgegangen, dass die Beschwerdebegründung einen konkludenten Wiedereinsetzungsantrag enthält. Dass das Oberlandesgericht seine Begründung insoweit nur auf den für möglich gehaltenen Fall der Antragstellung bezogen hat, steht dem nicht entgegen. Denn der Sache nach hat es damit die Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags zu Gunsten der Antragstellerin unterstellt. Wie der Begründung des angefochtenen Beschlusses zu entnehmen ist, hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag folglich - inzident - zurückgewiesen, wovon auch die Rechtsbeschwerde ausgeht.
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Zwar ist im vorliegenden Fall die absolute Wiedereinsetzungsfrist nach § 234 Abs. 3 ZPO gewahrt, weil der Fehler bei der Zustellung allein dem Gericht zuzurechnen ist (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 2010 - XII ZR 27/09 FamRZ 2011, 362Rn. 37). Das Oberlandesgericht ist aber zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragstellerin die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist nach § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO versäumt hat. Diese begann am 14. September 2018 zu laufen, denn an diesem Tag wurde das Hindernis gemäß § 234 Abs. 2 ZPO behoben, welches in der Unkenntnis der Beteiligten von der Abweichung des zugestellten Schriftstücks von dem verkündeten Beschluss lag. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde begann die Wiedereinsetzungsfrist nicht erst mit Zustellung des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 19. September 2018 zu laufen. Denn den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin musste schon mit der Aufklärung des Versehens bei der Zustellung bekannt sein, dass die Frist zur Einlegung der Beschwerde nach § 63 Abs. 3 FamFG abgelaufen war.
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Damit fehlt es wegen der erst am 23. Oktober 2018 erfolgten Beschwerdeeinlegung schon an der rechtzeitigen Nachholung der versäumten Prozesshandlung gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO . Aus diesem Grund kommt auch eine Wiedereinsetzung von Amts wegen nicht in Betracht.
Dose
Klinkhammer
Schilling
Guhling
Krüger