24.10.2023 · IWW-Abrufnummer 237932
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 05.07.2023 – XII ZB 139/23
a) Ist der eine Unterbringung genehmigende Beschluss des Amtsgerichts durch weitere Verfahrensbeteiligte - etwa durch die gemäß § 335 Abs. 1 FamFG im Interesse des Betroffenen beschwerdeberechtigten Personen oder durch den Verfahrenspfleger - zulässig mit der Beschwerde angefochten worden, ist der Betroffene zur Rechtswahrung nicht gehalten, selbst eine Beschwerde einzulegen; vielmehr kommt es dann im Rahmen der vom Rechtsbeschwerdegericht in formeller und materieller Hinsicht zu prüfenden Beschwer des Beschwerdeführers allein auf dessen materielle Beschwer an (im Anschluss an Senatsbeschluss BGHZ 227, 161 =FamRZ 2021, 138).
b) Zu den Voraussetzungen, unter denen die Beschwerdekammer im Betreuungsverfahren eines ihrer Mitglieder mit der Anhörung des Betroffenen beauftragen kann (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 22. März 2017 - XII ZB 358/16 -FamRZ 2017, 996).
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Juli 2023 durch die Richter Dr. Günter, Prof. Dr. Klinkhammer, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur und die Richterin Dr. Pernice
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 14. März 2023 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Gründe
I.
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Der 1943 geborene Betroffene leidet an einer langjährigen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Für ihn wurde eine Betreuung eingerichtet und ein Berufsbetreuer bestellt, dessen Aufgabenkreis unter anderem die Gesundheitssorge und die Aufenthaltsbestimmung umfasst.
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Im Oktober 2021 wurde der Betroffene in eine psychiatrische Klinik eingeliefert, nachdem er zuvor versucht hatte, auf den Heizkörpern seiner Wohnung ein Feuer zu entzünden. Zuletzt hatte das Amtsgericht mit Beschluss vom 14. Februar 2022 die Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens zum 14. Februar 2023 genehmigt. Der Betroffene befindet sich derzeit in der geschlossenen Abteilung eines Seniorenheimes.
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Im vorliegenden Verfahren hat der Betreuer (Beteiligter zu 2) die Verlängerung der geschlossenen Unterbringung beantragt. Das Amtsgericht hat nach Einholung eines im November 2022 vorgelegten Sachverständigengutachtens und nach Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 13. Februar 2023 die geschlossene Unterbringung des Betroffenen bis längstens 13. Februar 2025 genehmigt. Dagegen hat der Verfahrenspfleger (Beteiligter zu 1) "auf ausdrückliche Anweisung und auf Wunsch des Betroffenen" Beschwerde mit der Begründung eingelegt, dass der Betroffene mit der geschlossenen Unterbringung nicht einverstanden sei. Das Landgericht hat den Betroffenen durch den beauftragten Richter angehört und mit Beschluss vom 14. März 2023 den amtsgerichtlichen Beschluss dahingehend abgeändert, dass die Unterbringung des Betroffenen (nur) bis längstens 13. Februar 2024 genehmigt wird. Gegen die Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde richtet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
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Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere ist der Betroffene nach § 59 Abs. 1 FamFG unbeschadet des Umstandes beschwerdeberechtigt, dass es sich bei der (Erst-)Beschwerde um eine Beschwerde des Verfahrenspflegers im eigenen Namen gehandelt haben dürfte. Denn ist der amtsgerichtliche Beschluss durch einen anderen Verfahrensbeteiligten - etwa durch die gemäß § 335 Abs. 1 FamFG im Interesse des Betroffenen beschwerdeberechtigten Personen oder wie hier durch den Verfahrenspfleger - zulässig angefochten worden, ist der Betroffene zur Rechtswahrung mit Blick auf eine eventuelle Rechtsbeschwerde nicht gehalten, selbst eine Beschwerde einzulegen. Vielmehr kommt es dann im Rahmen der vom Rechtsbeschwerdegericht in formeller und materieller Hinsicht zu prüfenden Beschwer des Beschwerdeführers allein auf dessen materielle Beschwer an (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 227, 161 =FamRZ 2021, 138Rn. 16 mwN und vom 19. Juli 2017 - XII ZB 57/17 -FamRZ 2017, 1612Rn. 7).
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2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts beruht - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht beanstandet - auf verfahrensfehlerhaft getroffenen Feststellungen.
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a) Ohne Erfolg bleibt allerdings die Rüge der Rechtsbeschwerde, das Sachverständigengutachten vom 7. November 2022 wahre nicht die Voraussetzungen des § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG , weil die Ernennung des Sachverständigen dem Betroffenen nicht bekannt gegeben worden sei.
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aa) Richtig ist dabei allerdings, dass nach § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG vor einer Unterbringungsmaßnahme eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden hat. Gemäß § 30 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 FamFG ist diese entsprechend der Zivilprozessordnung durchzuführen. Danach bedarf es nicht zwingend eines förmlichen Beweisbeschlusses. Auch muss die Ernennung des Sachverständigen dem Betroffenen nicht förmlich zugestellt, aber doch zumindest formlos mitgeteilt werden, damit dieser gegebenenfalls von seinem Ablehnungsrecht nach § 30 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 406 ZPO Gebrauch machen kann (vgl. Senatsbeschlüsse vom 10. August 2022 - XII ZB 149/22 -FamRZ 2022, 1728Rn. 2 mwN und vom 15. September 2010 - XII ZB 383/10 -FamRZ 2010, 1726Rn. 18 ff.). Zutreffend ist ferner die Beurteilung der Rechtsbeschwerde, dass das amtsgerichtliche Verfahren diesen Anforderungen nach Aktenlage nicht gerecht worden ist, weil sich sowohl aus der richterlichen Verfügung - in welcher der Name des Betroffenen als Empfänger durchgestrichen worden war - als auch aus dem Erledigungsvermerk der Geschäftsstelle ergibt, dass eine Bekanntgabe des Beweisbeschlusses vom 25. Oktober 2022 an den Betroffenen unterblieben ist.
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bb) Auf diesem Verfahrensfehler beruhen die Entscheidungen des Amtsgerichts und des Beschwerdegerichts aber nicht. Unabhängig davon, dass der Betroffene ausweislich des Gutachtens bei der Anamnese durch den Sachverständigen geäußert haben soll, er habe von der bevorstehenden Begutachtung gewusst und sich darauf "innerlich vorbereitet", hat der Betroffene spätestens mit Beginn des Explorationsgesprächs von der Beauftragung des Sachverständigen und von dessen Person Kenntnis erlangt. Er hat den Sachverständigen nach Kenntniserlangung nicht gegenüber dem Gericht abgelehnt, was auch nach der Exploration und selbst nach der Erstellung des schriftlichen Gutachtens noch möglich gewesen wäre. Die unterbliebene Bekanntgabe des Beweisbeschlusses steht damit einer Verwertung des Sachverständigengutachtens nicht entgegen (vgl. Senatsbeschluss vom 2. September 2015 - XII ZB 226/15 -FamRZ 2015, 2050Rn. 24).
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b) Mit Erfolg erhebt die Rechtsbeschwerde demgegenüber die Aufklärungsrüge ( § 26 FamFG ) hinsichtlich der Feststellungen des Beschwerdegerichts zur weiteren Notwendigkeit einer geschlossenen Unterbringung des Betroffenen auf der geschützten Station der Pflegeeinrichtung.
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aa) Der Sachverständige hat sich in seinem Gutachten vom 7. November 2022 noch eindeutig dahingehend geäußert, dass keine Alternativen zur geschlossenen Unterbringung bestünden. Allerdings hat ein Vertreter der Pflegeeinrichtung in der mündlichen Anhörung durch das Amtsgericht am 8. Februar 2023 seine Einschätzung zu Protokoll gegeben, dass sich der Betroffene gut in der Einrichtung integriert habe, keine Weglaufgefahr bestehe und es durchaus verantwortet werden könne, den Betroffenen probeweise und zeitweise auf eine offene Station zu verlegen. Dies hat das Beschwerdegericht zwar nicht verkannt. Es hat seine Beurteilung, dass eine Verlegung des Betroffenen auf eine offene Station derzeit noch nicht in Betracht komme, aber allein auf den Inhalt des Gutachtens und auf den Eindruck gestützt, den das Beschwerdegericht von dem Betroffenen bei seiner erneuten Anhörung am 1. März 2023 gewonnen habe. Dies beanstandet die Rechtsbeschwerde mit Recht als verfahrensfehlerhaft.
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bb) Dabei kann es im Ergebnis dahinstehen, ob das Beschwerdegericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht schon wegen des zwischenzeitlichen Zeitablaufs seit der Begutachtung durch den Sachverständigen im November 2022 gehalten gewesen wäre, den im Februar 2023 geäußerten Einschätzungen der Pflegeeinrichtung durch Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen nachzugehen. Jedenfalls konnte das Beschwerdegericht seine Überzeugung von der Notwendigkeit einer weiteren geschlossenen Unterbringung nicht auf den Eindruck stützen, den es in der Anhörung des Betroffenen durch den beauftragten Richter am 1. März 2023 gewonnen hatte.
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Zwar steht es der Beschwerdekammer grundsätzlich frei, nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu befinden, ob es für ihre Entscheidung wegen der Besonderheiten des Falles darauf ankommt, dass sich die gesamte Kammer einen eigenen Eindruck von dem Betroffenen verschafft oder ob der Kammer durch eine vom beauftragten Richter durchgeführte Anhörung eine ausreichende Grundlage für die zu treffende Entscheidung vermittelt wird. Dabei ist jedoch stets zu beachten, dass die Anhörung durch den beauftragten Richter nur in ihrem objektiven Ertrag verwertet werden darf (vgl. Senatsbeschlüsse vom 1. März 2023 - XII ZB 285/22 - MDR 2023, 800 Rn. 14 und vom 22. März 2017 - XII ZB 358/16 -FamRZ 2017, 996Rn. 12 mwN). Gemessen daran ist es mit dem Amtsermittlungsgrundsatz nicht zu vereinbaren, wenn das Beschwerdegericht seine Beurteilung, eine Verlegung des Betroffenen auf eine offene Station sei entgegen einer vonseiten der Pflegeeinrichtung geäußerten Einschätzung noch nicht zu verantworten, auf einen persönlichen Eindruck des Betroffenen stützt, der nicht von allen drei Richtern der Kammer gewonnen worden ist.
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3. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die im Zusammenhang mit der Prüfung der Voraussetzungen des § 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB geäußerte Annahme des Beschwerdegerichts, der Betroffene könne aufgrund seines desorganisierten Verhaltens im Straßenverkehr zu Schaden kommen, weder durch das Sachverständigengutachten belegt noch durch sonstige tatsächliche Feststellungen getragen wird.
Günter Klinkhammer Nedden-BoegerBotur Pernice