11.07.2024 · IWW-Abrufnummer 242632
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 24.04.2024 – XII ZB 531/23
Einem nicht anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten, der nicht durch Beschluss nach § 10 Abs. 3 Satz 1 FamFG zurückgewiesen worden ist, ist Gelegenheit zu geben, an der Anhörung des Betroffenen teilzunehmen.
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. April 2024 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Dr. Günter und Dr. Nedden-Boeger und die Richterinnen Dr. Pernice und Dr. Recknagel
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 3. November 2023 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Eine Festsetzung des Beschwerdewerts ( § 36 Abs. 3 GNotKG ) ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
1
Der 83-jährige Betroffene leidet nach den getroffenen Feststellungen an einer demenziellen Erkrankung, derentwegen er seine Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen kann. Er hatte seinen beiden Töchtern, den Beteiligten zu 1 und 3, am 22. Mai 2020 eine notarielle General- und Vorsorgevollmacht erteilt und diese mit weiterer notarieller Urkunde vom 28. August 2023 widerrufen.
2
Das Amtsgericht hat eine Betreuung für den Aufgabenkreis der Vermögensorge eingerichtet und die Beteiligte zu 1 als Betreuerin sowie die Beteiligte zu 3 als Verhinderungsbetreuerin bestimmt. Ferner hat es einen Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögenssorge angeordnet.
3
Gegen die Entscheidung haben der Betroffene persönlich und für ihn Herr B., dem der Betroffene Verfahrensvollmacht erteilt hat, Beschwerde eingelegt, die das Landgericht zurückgewiesen hat. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.
II.
4
Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
5
1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Aufgrund der vorliegenden Umstände sei eine Mittellosigkeit des Betroffenen zu befürchten, wenn er seine vermögensrechtlichen Angelegenheiten weiterhin selbst besorge. Insbesondere wenn er erneut nach Kenia reise, drohe er wie schon in der Vergangenheit zu vermögensschädigenden Verfügungen überredet zu werden. Der Betroffene habe eine Betreuung für sich selbst nicht ausgeschlossen und keine grundsätzlichen Einwendungen gegen eine Betreuerbestellung erhoben, seien seine Erklärungen teils auch widersprüchlich. Anhaltspunkte gegen eine Eignung der Töchter als Betreuerinnen lägen nicht vor. Die Einrichtung der Betreuung sei auch im Hinblick auf die ursprünglich erteilte Vollmacht nicht entbehrlich, wobei dahinstehen könne, ob der Widerruf der Vollmacht wirksam erfolgt sei. Für die Vermögenssorge sei es sicherer, einen Betreuer zu bestellen.
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Herr B. sei nicht als Kann-Beteiligter zum Verfahren hinzuzuziehen gewesen, da nicht ersichtlich sei, dass der Betroffene zu ihm das notwendige Vertrauensverhältnis habe.
7
2. Die angefochtene Entscheidung hält den Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Das Landgericht hätte das Verfahren nicht unter Außerachtlassung der vom Betroffenen an Herrn B. erteilten Verfahrensvollmacht durchführen dürfen.
8
a) Gemäß § 275 FamFG ist der Betroffene im Betreuungsverfahren ohne Rücksicht auf seine Geschäftsfähigkeit verfahrensfähig. Die Verfahrensfähigkeit umfasst dabei das gesamte Verfahren, so dass dem Betroffenen insoweit alle Befugnisse eines Geschäftsfähigen zur Verfügung stehen (Senatsbeschluss vom 30. Oktober 2013 - XII ZB 317/13 -FamRZ 2014, 110Rn. 6). Daraus leitet sich auch die grundsätzliche Befugnis des Betroffenen ab, jederzeit selbst einen Verfahrensbevollmächtigten zu bestellen. Der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck einer Stärkung der verfahrensrechtlichen Position des Betroffenen würde ohne die Möglichkeit, selbst einen Verfahrensbevollmächtigten zu bestellen, in vielen Fällen verfehlt (Senatsbeschluss vom 30. Oktober 2013 - XII ZB 317/13 -FamRZ 2014, 110Rn. 7, 9). Die vom Betroffenen an Herrn B. am 18. September 2023 erteilte und am darauffolgenden Tag gemäß § 11 Satz 1 FamFG schriftlich zu den Gerichtsakten eingereichte Verfahrensvollmacht ist mithin wirksam.
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b) Da im Betreuungsverfahren eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht geboten ist, sind neben diesen gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 FamFG auch Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens, bestimmte Behördenvertreter, volljährige Familienangehörige, Personen mit Befähigung zum Richteramt und andere Beteiligte, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht, sowie Notare vertretungsbefugt. Weitere Personen werden zur Vertretung nicht zugelassen, selbst wenn diese unentgeltlich erfolgt. Insbesondere die bloße nachbarschaftliche oder freundschaftliche Beziehung genügt nicht (MünchKommFamFG/Pabst 3. Aufl. § 10 Rn. 28).
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c) Bevollmächtigte, die nicht nach den vorstehenden Maßgaben vertretungsbefugt sind, weist das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss zurück ( § 10 Abs. 3 Satz 1 FamFG ). Die Entscheidung über die Zurückweisung schließt die jeweilige Person für die Zukunft in diesem Verfahren als Vertreter aus (MünchKommFamFG/Pabst 3. Aufl. § 10 Rn. 37). Der Beschluss über die Zurückweisung hat konstitutive Wirkung (BT-Drucks. 16/3655 S. 89). Verfahrenshandlungen, die der Vertreter vor seiner Zurückweisung vorgenommen hat, sind ebenso wie Zustellungen und Mitteilungen an ihn wirksam ( § 10 Abs. 3 Satz 2 FamFG ). Erst nach dem Wirksamwerden des Zurückweisungsbeschlusses kann der Vertreter keine wirksamen Verfahrenshandlungen mehr vornehmen (BT-Drucks. 16/3655 S. 89; MünchKommFamFG/Pabst 3. Aufl. § 10 Rn. 37); bis zu seiner Zurückweisung ist der nicht Zugelassene hingegen in verfahrensrechtlicher Hinsicht als Vertreter des Betroffenen zu berücksichtigen. Dies dient zum einen der Rechtssicherheit (BT-Drucks. 16/3655 S. 89) und zum anderen dem Schutz des Beteiligten, dem erst durch den Zurückweisungsbeschluss verdeutlicht wird, dass sein Bevollmächtigter die ihm zugedachte Vertreterrolle nicht (mehr) in dem Verfahren einnehmen kann, und dass er sich gegebenenfalls um einen zulassungsfähigen Bevollmächtigten bemühen muss (vgl. BeckOK FamFG/Perleberg-Kölbel [Stand: 1. Februar 2024] § 10 Rn. 16).
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Da das Landgericht den Vertreter nicht durch Beschluss gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 FamFG zurückgewiesen hat, bestand seine Vertretung für die Dauer des gesamten Verfahrens fort.
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d) Ist der Betroffene durch einen Verfahrensbevollmächtigten vertreten, muss diesem Gelegenheit gegeben werden, an der Anhörung teilzunehmen (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Oktober 2016 - XII ZB 331/16 -FamRZ 2017, 131Rn. 7 mwN). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Vielmehr ist dem vor dem Sitzungssaal wartenden Bevollmächtigten die Teilnahme an der Anhörung ohne Beschlussfassung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 FamFG verwehrt worden.
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3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann.
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Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass eine eindeutige Vergewisserung darüber erforderlich ist, ob die Einrichtung einer Betreuung gegen den Willen des Betroffenen erfolgt. Denn mit der Einlegung der Beschwerde gibt ein Betroffener grundsätzlich unmissverständlich zu erkennen, mit der Anordnung einer Betreuung nicht (mehr) einverstanden zu sein (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Mai 2022 - XII ZB 50/22 -FamRZ 2022, 1224Rn. 6). Solange der Betroffene seine Haltung zur Einrichtung der Betreuung im Laufe des Beschwerdeverfahrens nicht eindeutig ändert, widerspricht sie seinem Willen und sind Feststellungen dazu erforderlich, ob er zu einer freien Willensbildung in der Lage ist ( § 1814 Abs. 2 BGB ).
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Außerdem wird das Landgericht, wenn die Maßnahme gegen den erklärten Willen des Betroffenen angeordnet oder aufrecht erhalten wird, die §§ 294 Abs. 3 Satz 2 und 295 Abs. 2 Satz 2 FamFG in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4. Mai 2021 (BGBl. I S. 882) anzuwenden haben (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Januar 2024 - XII ZB 321/23 - juris Rn. 5 ff).
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4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen ( § 74 Abs. 7 FamFG ).
Guhling Günter Nedden-BoegerPerniceRecknagel