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  • 08.01.2010

    Finanzgericht München: Urteil vom 12.10.2006 – 14 K 660/06

    1. Zum Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei Außerkrafttreten einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) wegen Änderung des Zolltarifs.

    2. Eine mechanische Erektionspumpe ist keine Vorrichtung zum Tragen in der Hand oder am Körper i.S. von Pos. 9021, sondern eine Vakuumpumpe der Pos. 8414.


    IM NAMEN DES VOLKES

    URTEIL

    In der Streitsache

    hat der 14. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht … und der Richter am Finanzgericht … sowie der ehrenamtlichen Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung vom 12. Oktober 2006

    für Recht erkannt:

    1. Die Klage wird abgewiesen.

    2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

    I.

    Streitig ist die Tarifierung einer Erektionshilfe.

    Die Klägerin beantragte am 24. März 2005 bei der Oberfinanzdirektion Cottbus – Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt (ZPLA) Berlin die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) über eine als „Esteem Osborn ErecAid System (Erektionshilfe)” bezeichnete Ware und begehrte die Einreihung als „anderes Hilfsmittel, zum Beheben von Funktionsschäden oder Gebrechen” in die Unterpos. 9021 9090 der Kombinierten Nomenklatur (KN). Zuständigkeitshalber wurde der Antrag auf Erteilung einer vZTA von der ZPLA Berlin an die Oberfinanzdirektion Nürnberg – ZPLA München (OFD) übersandt.

    Bei der str. Ware handelt es sich um einen Kunststoff-Vakuumzylinder, an dessen einem Ende eine handbetriebene Membranpumpe mit Luftansaug-/Luftaustrittsöffnung und druckknopfbetriebenem Vakuumablassventil (Vakuumpumpe) und an dessen anderem Ende eine Vorrichtung zum Aufziehen von Ringen (Easy Action Ringapplikator) sowie ein Einsatz zur Verringerung des Durchmessers angesetzt werden können, unterschiedliche Kunststoffringe (Druckpunkt-Spannringe), Dichtungsgel (Lubrikant) sowie eine Videokassette.

    Mit der vZTA Nr. DE M/3459/05-1 vom 19. August 2005 wurde die str. Ware als „Vakuumpumpe (Membranpumpe) – Warenzusammenstellung aus Vakuumpumpe (charakterbestimmend), Zubehör, Gleitgel und Videocassette” der Codenummer 8414 1080 00 zugeordnet.

    Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin gegen die Einspruchsentscheidung (EE) vom 24. Januar 2006 Klage, mit der sie im Wesentlichen Folgendes geltend macht:

    Bei der str. Ware handele es sich um ein medizinisches Gerät zur Behebung einer erektilen Dysfunktion. Die wesentlichen Teile des Sets bildeten in ihrer Funktionsweise eine Einheit, nämlich eine andere Vorrichtung i.S. von Pos. 9021, zur Erzeugung einer Erektion. Das Gerät sei ein Medizinprodukt i.S. des Medizinproduktgesetzes, das allein nach Vorlegung eines ärztlichen Rezeptes ausgeliefert werde und dessen Kosten als medizinisches Hilfsmittel in dem Hilfsmittelverzeichnis alle gesetzlichen und privaten Krankenkassen trügen.

    Bei der erektilen Dysfunktion handele es sich um eine Funktionsstörung i.S. der Pos. 9021 durch eine organische Schädigung der Aterien und/oder Venen oder der Nervenbahnen. Beide Schädigungen würden durch das Erzeugen des Vakuums und die Stauringe i.S. der Pos. 9021 behoben. Nach Anm. 1m zu Abschn. XVI seien Waren des Kap. 90 von der Einreihung zu Abschn. XVI ausgeschlossen.

    Die Klägerin beantragt,

    die Feststellung, dass die vZTA vom 27. Juli 2005 und die EE rechtswidrig waren.

    Die OFD beantragt

    Klageabweisung

    und bezieht sich im Wesentlichen auf ihre Ausführungen in der EE. Es handele sich um eine Warenzusammenstellung, in der kein Bestandteil für sich eine Vorrichtung i.S. von Pos. 9021 darstelle. Die Vakuumpumpe bewirke lediglich die Erektion, nicht aber den für die Behebung der Dysfunktion erforderlichen Blutstau; dieser werde erst durch die Spannringe erzeugt. Beide Bestandteile bildeten keine funktionelle Einheit i.S. der Anm. 3 zu Kap. 90, weil sie keine innere Verbindung aufwiesen, sondern getrennt voneinander ohne jede Zugehörigkeit ihre eigene Funktion zeitlich nacheinander ausübten.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die OFD-Akten, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 12. Oktober 2006 hingewiesen.

    II.

    Die Klage hat keinen Erfolg.

    1. Die vZTA DE M/3459/05-1 vom 19. August 2005 ist mit Inkrafttreten der zolltariflichen Nomenklatur und des Gemeinsamen Zolltarifs auf Grund der VOC EG) Nr. 1719/2005 (ABl Nr. L 286) ungültig geworden, weil sich das Tarifschema hinsichtlich der str. Einreihung geändert hat (Art. 12 Abs. 5 Buchst. a i) Zollkodex – ZK –). Die in der vZTA festgestellte Codenummer 8414 1080 00 besteht seit 1. Januar 2006 nicht mehr.

    Da sich lediglich die Gliederung der Zolltariflinien geändert hat und die bisherige Codenummer 8414 1080 00 der neuen Codenummer 8414 1089 entspricht, besteht an der Fortsetzungsfeststellungsklage der Klägerin ein rechtliches Interesse i.S. von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO (vgl. ständige Rechtsprechung des BFH z.B. VII K 4/87, BFH/NV 1989, 338; VII K 21/92, BFH/NV 1994, 673; VII R 47/96, BFHE 182, 466; Schwarz-Wockenfoth, Zollrecht, 3. Auflage, E 4501a, E 4644a und E 4696; Anm. 38 ff. zu Art. 12 ZK). Die OFD hat zu erkennen gegeben, dass sie bei einem neuerlichen Antrag der Klägerin die str. Ware in die neue Codenummer 8414 1089 einreihen werde.

    2. Die OFD hat zu Recht mit der vZTA DE M/3459/05-1 vom 19. August 2005 die str. Ware in die früher gültige Codenummer 8414 1080 00 eingereiht.

    Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH und des BFH (z.B. EuGH-Urteil vom 20. Juni 1996 Rs. C-121/95, EuGHE 1996 I-3047 Rdnr. 13; BFH-Urteil vom 7. November 2000 VII R 46/98, BFH/NV 2001, 352) ist das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen sowie in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs festgelegt sind.

    Nach Anm. 1m zu Abschn. XVI gehören Waren des Kap. 90 nicht zu Abschn. XVI. Daher ist vorrangig zu prüfen, ob die str. Ware in dem Kap. 90 „Medizinische Instrumente, Apparate und Geräte” und dort in der Pos. 9021 „Vorrichtungen zum Tragen in der Hand oder zum Tragen am Körper, zum Beheben von Funktionsschäden” einzureihen ist.

    Es kann dahinstehen, ob es sich bei der str. Ware selbst oder nach Anm. 3 zu Kap. 90 insgesamt um eine Vorrichtung zum Beheben von Funktionsschäden, nämlich zur Behebung erektiler Dysfunktion, handelt, weil die Vorrichtung weder „zum Tragen in der Hand” noch „zum Tragen am Körper” bestimmt ist.

    Während des Pump- und Applikationsvorgangs wird die Vorrichtung nicht „getragen” im Sinne der Pos. 9021. Für die Dauer dieser Vorgänge befindet sich die Vorrichtung zwar sowohl am Körper als auch in der Hand. Doch weder das Pumpen noch das Applizieren stellt ein Tragen der Vorrichtung, sondern vielmehr eine aktive Betätigung der Geräte dar.

    Getragen am Körper wird lediglich der aufgezogene Spannungsring. Dieser verkörpert aber nicht die Vorrichtung als solche, sondern stellt nur ein Zubehör dar, das zudem dem Verbrauch unterliegt. Nach dem Wortlaut der Positionsbeschreibung wäre es erforderlich, dass die Vorrichtung selbst in der Hand oder am Körper getragen wird. Dies ist aber nicht der Fall.

    Diese Tarifierungsansicht wird bestätigt durch die Rz. 47 ff. der HS-Erl. zu Pos. 9021. Die dort genannten Beispiele von „getragenen Vorrichtungen”, z.B. Sprechhilfegeräte, Schrittmacher, Blindenleitgeräte, haben gemeinsam, dass die Vorrichtungen nicht nur zu einer kurzfristigen Behebung von Funktionsschäden (Pumpen) dienen sollen, sondern ein auf eine bestimmte Dauer angelegtes Tragen erfordern.

    Da eine Einreihung der str. Ware in Kap. 90 nicht in Betracht kommt, ist eine Einreihung in Abschnitt XVI durch Anm. 1m zu Abschn. XVI nicht ausgeschlossen.

    Sämtliche Bestandteile des str. Estem Osborn ErecAid Systems bilden eine Warenzusammenstellung im Sinne der Allgemeinen Vorschrift (AV) 3, weil sie alle der temporären Behebung der erektilen Dysfunktion dienen und gemeinsam in einer Aufmachung für den Einzelverkauf verpackt sind.

    Da die str. Ware in keiner Position des Tarifs genauer erfasst ist (AV 3a), kommt die AV 3b zur Anwendung. Nach dieser Vorschrift werden für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen nach dem Bestandteil eingereiht, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht, wenn dieser Bestandteil ermittelt werden kann. Als Merkmal, das den Charakter einer Ware bestimmt, kommt nach Art und Beschaffenheit der Bestandteile der Warenzusammenstellung Umfang, Gewicht, Menge oder die Bedeutung in Bezug auf die Verwendung der Ware in Betracht (vgl. Schwarz in Schwarz-Wockenfoth, Zollrecht, Anm. 131 ff., 134 ff zu Teil F).

    Die Pumpe, die mit dem Zylinder gemäß Anm. 4 zu Abschn. XVI eine funktionelle Einheit bildet, ist nach dem Verwendungszweck für die Funktion der Warenzusammenstellung als Erektionshilfe der charakteristische Bestandteil der str. Ware. Zwar ist vom Umfang her der Applikator mit der Pumpe gleichrangig. Dessen Bedeutung, den Spannring dem Umfang des Zylinders anzupassen und auf den Zylinder zu ziehen, ist für die Verwendung der Gesamtware von untergeordnetem Rang, zumal der Applikator für seine ihm zugedachte Funktion nicht notwendig benutzt werden muss.

    Die Spannringe haben wie auch das Gel eine wichtige Bedeutung für die Erketionshilfe, sind aber im Verhältnis zur Vakuumpumpe lediglich als Zubehör und Verbrauchsmaterial einzustufen.

    Vakuumpumpen sind in Pos. 8414 und dort in Unterpos. 8414 10 erfasst. Da es sich bei der str. Vakuumpumpe nicht um solche für zivile Luftfahrzeuge und zur Verwendung bei der Herstellung von Halbleitern, aber auch nicht um eine Drehschieber-, Sperrschieber-, Molekular- oder Wälzkolbenpumpe sowie um eine Diffusion-, Kyro-, oder Adsorptionspumpe handelt, war die von der Beklagten vorgenommene Einreihung in die Unterpos. 8414 1080 des GemZT in der damaligen Fassung zutreffend.

    Als Warenzusammenstellung ist die str. Ware insgesamt gemäß AV 3b in diese Unterposition einzureihen.

    Die hilfsweise beantragte Einreihung als Teile und Zubehör in die Pos. 8473 scheidet daher aus.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.

    VorschriftenFGO § 100 Abs. 1 S. 4 GemZT 2005 Anm. 1m GemZT 2005 Anm. 4 zu Abschn. XVI GemZT 2005 Anm. 3 zu Kap. 90 AV 3b Pos. 9021 Pos. 8414