21.12.2010 · IWW-Abrufnummer 104139
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 05.08.2010 – VII ZB 101/09
Bei der Bemessung des pfandfreien Betrages sind die gesetzlichen Unterhaltspflichten des Schuldners in Höhe des dem Unterhaltsberechtigten zustehenden Betrages zu berücksichtigen, auch wenn der Schuldner seiner Unterhaltspflicht nicht in vollem Umfang genügt.
VII ZB 101/09
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
am 5. August 2010
durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka,
den Richter Dr. Kuffer,
den Richter Bauner,
die Richterin Safari Chabestari und
den Richter Dr. Eick
beschlossen:
Tenor:
Dem Schuldner wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn vom 25. März 2009 gewährt.
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der vorbezeichnete Beschluss aufgehoben, soweit bei Bestimmung des pfandfreien Betrages nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO die weitere Unterhaltspflicht lediglich in Höhe des tatsächlich geleisteten Betrages berücksichtigt worden ist.
In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde des Schuldners wird verworfen.
Gegenstandswert: 1.062 €
Gründe
I.
Der Gläubiger betreibt wegen seiner Unterhaltsansprüche gegen den Schuldner, seinen Vater, die Zwangsvollstreckung. Er hat einen Pfändungsund Überweisungsbeschluss erwirkt, in dem der dem Schuldner monatlich verbleibende pfandfreie Betrag auf 800 € festgesetzt worden ist. Der Schuldner ist noch einem weiteren Kind kraft Gesetzes zum Unterhalt verpflichtet, und zwar nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien in Höhe von 250 € monatlich. Außerdem zahlt er in monatlichen Raten von 100 € eine Geldstrafe ab. Wegen dieser sowie weiterer, hier nicht interessierender Beträge hat er beantragt, den pfandfreien Betrag auf 1.200 € zu erhöhen. Mit Beschluss vom 2. Februar 2009 hat der Rechtspfleger den pfandfreien Betrag auf 983 € festgesetzt und im Übrigen den Antrag zurückgewiesen. Er hat dabei die Zahlung auf die Geldstrafe nicht und die weitere Unterhaltsverpflichtung des Schuldners nur in Höhe von 172,20 € anerkannt, da der Schuldner nur diesen Betrag monatlich im Durchschnitt tatsächlich geleistet hat. Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners ist ohne Erfolg geblieben. Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde zugelassen und hierzu in den Gründen ausgeführt, die Frage, ob im Rahmen des § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO der gesetzliche Umfang der Unterhaltspflicht oder der tatsächlich geleistete Betrag maßgeblich sei, sei noch nicht höchstrichterlich entschieden.
1
Der Schuldner hat für die beabsichtigte Rechtsbeschwerde am 15. Mai 2009 um Prozesskostenhilfe nachgesucht und in der Begründung ausgeführt, die Rechtsbeschwerde stütze sich darauf, dass das Beschwerdegericht § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO fehlerhaft angewandt habe. Der Senat hat mit Beschluss vom 15. Oktober 2009, zugestellt am 21. Oktober 2009, für die Rechtsbeschwerde Prozesskostenhilfe bewilligt. Mit seiner am 27. Oktober 2009 unter Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags eingelegten und am 18. November 2009 ebenfalls unter Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags begründeten Rechtsbeschwerde begehrt der Schuldner, den pfandfreien Betrag auf 1.160 € heraufzusetzen.
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II.
1.
Dem Schuldner war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gemäß § 233 ZPO zu gewähren. Er war aus finanziellen Gründen ohne sein Verschulden verhindert, diese Fristen einzuhalten und hat die versäumten Rechtshandlungen rechtzeitig nachgeholt.
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2.
Soweit sich die Rechtsbeschwerde dagegen wendet, dass das Beschwerdegericht die vom Schuldner zu leistenden monatlichen Raten von 100 € auf die Geldstrafe nicht gemäß § 850f Abs. 1 Buchst. b ZPO bei der Festsetzung des pfandfreien Betrags berücksichtigt hat, ist sie nicht statthaft, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO. Insoweit hat das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen.
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Die Zulassung wird im Tenor der angefochtenen Entscheidung zwar ohne Beschränkung ausgesprochen. Wie bei der Revision kann aber auch bei der Rechtsbeschwerde die Beschränkung der Zulassung in den Gründen der Entscheidung erfolgen (BGH, Beschluss vom 30. Januar 2007 - XI ZB 43/05, NJW-RR 2007, 932, 933). Das Beschwerdegericht führt in den Gründen unter Bezugnahme auf § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO aus, die Rechtsbeschwerde werde zugelassen, da die Frage, ob der gesetzliche Umfang der Unterhaltspflicht oder der tatsächlich geleistete Betrag maßgeblich sei, noch nicht höchstrichterlich entschieden sei. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde geht daraus mit ausreichender Klarheit hervor, dass das Beschwerdegericht die Zulassung der Rechtsbeschwerde auf diesen Teil des Streitstoffs beschränken wollte. Eine weitergehende Zulassung war ersichtlich nicht beabsichtigt. Dieses Verständnis der Zulassungsentscheidung liegt auch dem Prozesskostenhilfeantrag des Schuldners zugrunde.
5
Die Beschränkung ist wirksam; sie bezieht sich auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffes.
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3.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet, soweit sie sich dagegen wendet, dass das Beschwerdegericht im Rahmen von § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO die Unterhaltsverpflichtung des Schuldners gegenüber seinem weiteren Kind nur in der tatsächlich geleisteten Höhe berücksichtigt hat.
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a)
Das Beschwerdegericht führt insoweit aus, dass § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO zwar von laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten spreche, dass dieser Wortlaut aber nur dazu diene, die gesetzlichen Unterhaltspflichten von vertraglichen abzugrenzen; nur erstere sollten Berücksichtigung finden. Zudem müssten dem Unterhaltsberechtigten die dem Schuldner belassenen Beträge auch zugute kommen. Der Schuldner habe bisher durchschnittlich monatlich 172,20 € aufgewandt, um die Unterhaltsanspr üche zu erfüllen. Dafür, dass er in Zukunft mehr bezahle, bestünden keine Anhaltspunkte, weshalb ihm auch nicht ein darüber hinausgehender Betrag zu belassen sei.
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b)
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
9
Bei der Bestimmung des pfandfreien Betrags nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO sind gesetzliche Unterhaltspflichten in Höhe des vollen dem Unterhaltsberechtigten zustehenden Unterhaltsbetrags zu berücksichtigen und nicht nur in Höhe desjenigen Betrags, den der Schuldner tatsächlich leistet.
10
aa)
In der Literatur besteht weitgehend Einigkeit, dass die gesetzliche Unterhaltspflicht nur berücksichtigt werden kann, wenn der Unterhalt tatsächlich geleistet wird (Musielak/Becker, ZPO, 7. Aufl., § 850d Rn. 7 und PG/Ahrens, ZPO, § 850d Rn. 29; Wieczorek/Schütze/Lüke, ZPO, 3. Aufl., § 850d Rn. 37; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850d Rn. 22; Schuschke/Walker/Kessal-Wulf, ZPO, 4. Aufl., § 850d Rn. 8). Umstritten ist, ob die Berücksichtigung nur in Höhe der tatsächlichen Unterhaltszahlungen erfolgen kann (so MünchKomm-ZPO/Smid, 3. Aufl., § 850d Rn. 27; vgl. auch LG Berlin, DAmtsV 1976, 661) oder in Höhe des gesetzlichen Anspruchs (so Stöber, Forderungspfändung, 15. Aufl., Rn. 1098, 1102 und bei Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 850d Rn. 11, 11a; vgl. auch OLG Frankurt, NJW-RR 2000, 220, [OLG Frankfurt am Main 13.07.1999 - 26 W 52/99] LG Detmold, Rpfleger 2000, 340).
11
bb)
Die zweite Ansicht ist richtig.
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Dafür sprechen Wortlaut sowie Sinn und Zweck von § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO.
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Dem Schuldner ist "so viel zu belassen, als er ... zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten ... bedarf". Die Ansicht des Beschwerdegerichts, damit sollten lediglich die gesetzlichen Unterhaltspflichten von vertraglichen abgegrenzt werden, greift zu kurz. Die Norm stellt ohne Einschränkung auf den Bedarf für die Erfüllung der den Schuldner treffenden Unterhaltsverpflichtung ab. Ihr kann nicht entnommen werden, dass für die Bestimmung des pfandfreien Betrags nur der Betrag maßgebend sein soll, den der Schuldner tatsächlich leistet.
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Zweck der Regelung des § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO ist, dass die dem vollstreckenden Unterhaltsgläubiger vorrangigen oder gleichstehenden Gläubiger durch die Vollstreckung nicht benachteiligt werden (MünchKomm-ZPO/Smid, 3. Aufl., § 850d Rn. 27). Durch die Berücksichtigung des pfandfreien Betrags soll diesen weiteren Unterhaltsberechtigten die Möglichkeit eröffnet werden, ihren Unterhaltsanspruch in größtmöglichem Umfang realisieren zu können, entweder durch freiwillige Leistungen des Schuldners oder im Wege der Zwangsvollstreckung. Beides ist nur dann gewährleistet, wenn dem Schuldner der für die Erfüllung seiner Unterhaltspflicht erforderliche Betrag ungeschmälert zur Verfügung steht. Auch wenn er tatsächlich nur weniger leistet, muss den weiteren Unterhaltsberechtigten die Möglichkeit erhalten bleiben, ihren Unterhaltsanspruch durchzusetzen. Die Rechtsbeschwerde weist zutreffend darauf hin, dass das nicht der Fall wäre, wenn nur der tatsächlich geleistete Unterhalt bei der Bemessung des pfandfreien Betrags angesetzt würde. Denn dann wäre der Differenzbetrag zwischen dem geschuldeten und dem geleisteten Unterhalt der Pfändung unterworfen. Dadurch würde der die Zwangsvollstreckung betreibende Unterhaltsgläubiger bevorzugt, obwohl § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO eine gleichmäßige Befriedigung aller gleichberechtigten Unterhaltsgläubiger gewährleisten soll (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 850d Rn. 11a).
15
cc)
Ob sich die Höhe der gesetzlichen Unterhaltspflichten des Schuldners nach dem angemessenen Unterhalt im Sinne von § 1610 Abs. 1 BGB richtet (so Stöber, Forderungspfändung, 15. Aufl., Rn. 1098, 1100) oder nach dem notwendigen Unterhalt (so Musielak/Becker, ZPO, 7. Aufl., § 850d Rn. 7 und Wieczorek/Schütze/Lüke, ZPO, 3. Aufl., § 850d Rn. 37), muss der Senat nicht entscheiden. Das gleiche gilt für die Frage, ob die Berücksichtigung weiterer Unterhaltsberechtigter voraussetzt, dass der Schuldner diesen tatsächlich zumindest teilweise Unterhalt gewährt (vgl. Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850d Rn. 22 und OLG Karlsruhe, FamRZ 2000, 365) und für die Frage, ob Unterhaltsberechtigte jedenfalls dann nicht berücksichtigt werden müssen, wenn feststeht, dass sie ihre Ansprüche nicht geltend machen.
16
4.
Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Die Sache ist zur neuen Festsetzung des pfändungsfreien Betrages an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.