· Fachbeitrag · Beistandschaft
Haftung des Jugendamts wegen pflichtwidrig ermittelter Unterhaltsansprüche
von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf
Zur Haftung des Jugendamts bei Ausübung einer unterhaltsrechtlichen Beistandschaft (BGH 4.12.13, XII ZR 157/12, FamRZ 14, 290, Abruf-Nr. 140705). |
Sachverhalt
Die Klägerinnen begehren vom beklagten Land Schadenersatz wegen einer Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Kindesunterhalt durch das Jugendamt (JA). Das JA übernahm auf Antrag der Mutter der beiden minderjährigen Klägerinnen für diese die Beistandschaft, um Unterhaltsansprüche gegen den Vater geltend zu machen. Das JA forderte diesen auf, Auskunft zu erteilen und vorläufig Unterhalt zu zahlen. Der Vater hatte sich im Jahr zuvor mit einem Heizungs- und Sanitärbetrieb selbstständig gemacht. Er erteilte die Auskunft. Das JA ermittelte ein bestimmtes monatliches Einkommen des Vaters und forderte ihn auf, den Klägerinnen ab dem Auskunftsverlangen Unterhalt zu zahlen. Der Vater erkannte mit notariellen Urkunden die Verpflichtung zur Zahlung eines statischen Unterhaltsbetrags für die Klägerinnen befristet an und unterwarf sich der sofortigen Zwangsvollstreckung. Mit Ablauf dieses Zeitraums übersandte er weitere notarielle Urkunden, mit denen er sich für die sich hieran anschließende Zeit zur Zahlung des Kindesunterhalts verpflichtete. Später wurde die Beistandschaft aufgehoben.
Auf die Klage, die die Klägerinnen im Wesentlichen damit begründet haben, sie hätten während der Beistandschaft keine den Lebens- und Einkommensverhältnissen des Vaters entsprechenden Unterhalt erhalten, hat das LG das beklagte Land zur Zahlung von Schadenersatz an die Klägerinnen nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung des beklagten Landes hat das KG die Zahlungspflicht reduziert. Hiergegen wenden sich die Klägerinnen mit ihrer zugelassenen Revision, die teilweise Erfolg hat.
Entscheidungsgründe
Rechtsgrundlage für den Schadenersatzanspruch ist § 839 BGB i.V. mit Art. 34 GG sowie § 1716 S. 2 BGB i.V. mit § 1833 Abs. 1 S. 1, § 1915 Abs. 1 S. 1 BGB. Eine Pflichtverletzung liegt in jedem Verstoß gegen das Gebot treuer und gewissenhafter Amtsführung. Die Frage, ob der mit der Ausübung der Aufgaben der Beistandschaft betraute Amtsträger seine dem Kind gegenüber bestehenden Pflichten verletzt hat, ist maßgeblich danach zu beurteilen, wie der Wirkungskreis der Beistandschaft beschaffen ist.
Die Kinder konnten darauf vertrauen, dass das JA die ihm mit der Beistandschaft übertragene Aufgabe, Unterhaltsansprüche für sie geltend zu machen, fachkundig erledigt. Dazu obliegt es der Behörde, durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass ihre mit der Sachbearbeitung betrauten Mitarbeiter die für die Erfüllung ihrer täglichen Aufgaben nötigen Rechtskenntnisse erwerben und die Vorgänge in Zweifelsfällen einem Beschäftigten vorgelegt werden, der über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügt.
Das JA hätte hier nicht weitere Auskünfte einholen müssen, um zu einem höheren Einkommen des Vaters zu gelangen. Ein Selbstständiger kommt seiner unterhaltsrechtlichen Pflicht, über sein Erwerbseinkommen Auskunft zu erteilen, rechtzeitig nach, wenn er den für die Ermittlung seines Einkommens erforderlichen Jahresabschluss innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Geschäftsjahres dem Auskunftsberechtigten übermittelt. Ein Teil der Rechtsprechung zieht daraus den Schluss, dass für sechs Monate nach Ablauf des letzten Geschäftsjahres noch keine Auskunftspflicht besteht. Der Auskunftsanspruch ist mithin noch nicht fällig. Ob dieser Ansicht zu folgen ist, kann offenbleiben. Es liegt jedenfalls keine Pflichtverletzung vor, weil das JA möglicherweise davon ausgehen musste, dass die Gerichte dieser Auffassung folgen würden.
Allerdings hat das JA nicht darauf hingewirkt, dass die Klägerin zu 1) mit Vollendung ihres sechsten Lebensjahres Unterhalt gemäß der zweiten Altersstufe (AS) erhält und dass beide Klägerinnen ab Juli 05 mit der Geltung der Düsseldorfer Tabelle (DT) 05 höheren Unterhalt verlangen konnten. Offenbleiben kann, ob die Pflichtverletzung schon darin zu sehen ist, dass sich das JA mit den vom Vater erstellten, statischen Urkunden begnügt hat, statt auf dynamische Titel zu bestehen. Jedenfalls hätte es rechtzeitig darauf hinwirken müssen, dass der Vater den entsprechenden Änderungen den den Kindern zustehenden erhöhten Unterhalt zahlt.
Praxishinweis
Diese Entscheidung kann wichtig für die anwaltliche Haftung sein. Dabei geht es um die Frage, ob ein Anwalt verpflichtet ist, den Kindesunterhalt dynamisch geltend zu machen. Dies dürfte nach den Ausführungen des BGH bedenklich sein, obwohl er diese Frage offengelassen hat. Auf jeden Fall gehört zur anwaltlichen Schlussberatung der Hinweis an den gesetzlichen Vertreter der minderjährigen Kinder, dass erhöhter Unterhalt beim Wechsel der AS oder der Bedarfssätze aufgrund einer neuen DT nur über ein Abänderungsverfahren geltend gemacht werden kann.
Liegt eine gerichtliche Entscheidung vor, ist fraglich, ob die Abänderung wesentlich ist. Sollte bekannt sein, dass die Gerichte die Wesentlichkeit beim Kindesunterhalt kleinlich beurteilen, sollte der Anwalt den Unterhalt aber von vornherein dynamisch geltend machen.
Weiterführender Hinweis
- Palandt/Brudermüller, BGB, 73. Aufl., § 1612a BGB Rn. 23, zum dynamisierten Kindesunterhalt