· Fachbeitrag · Kindschaftsrecht
Vermutungsregel des § 1626a Abs. 2 S. 2 BGB einschränkend auslegen
von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm
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Sachverhalt
Die Beteiligten sind die nicht miteinander verheirateten Eltern eines minderjährigen Kindes. Sie haben keine gemeinsamen Sorgeerklärungen abgegeben. Der Antragsteller (Vater) beantragte, ihm die elterliche Sorge für das Kind gemeinschaftlich zu übertragen. Er lebte mit der Kindesmutter (Antragsgegnerin) im gemeinsamen Haushalt. Ohne weitere Hinweise oder Belehrung übersandte das AG der Mutter den Antrag mit Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen. Die Mutter führte u.a. aus, dass getrennte Verhältnisse zum Vater bestünden. Das AG übertrug dem Vater die elterliche Sorge für das Kind gemeinsam mit der Mutter. Diese begehrt mit ihrer Beschwerde, dass die Entscheidung aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das zuständige AG erster Instanz zurückverwiesen wird.
Entscheidungsgründe
Die mit Blick auf §§ 58 ff. FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Mutter führt zur Aufhebung der Entscheidung sowie Zurückverweisung der Sache an das AG. Denn nach § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG kann die Sache auf Antrag eines Beteiligten an das AG zurückverwiesen werden, wenn das Verfahren des AG an einem wesentlichen Mangel leidet und zur Entscheidung eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme erforderliche wäre. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Denn das AG hätte mit Blick auf § 155a Abs. 3, 4 FamFG i.V. mit § 1626a Abs. 2 S. 2 BGB nicht im vereinfachten Sorgerechtsverfahren entscheiden müssen. Es hätte vielmehr in das sog. reguläre Sorgerechtsverfahren überleiten und in diesem eine hinreichende Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung schaffen müssen.
Das Gericht darf nur in den Fällen des § 1626a Abs. 2 S. 2 BGB im schriftlichen Verfahren ohne Anhörung des Jugendamts und der Eltern entscheiden. Unbeschadet dessen muss es prüfen, ob die Voraussetzungen für eine persönliche Anhörung des Kindes (§ 159 FamFG) bzw. für die Bestellung eines Verfahrensbeistands (§ 158 FamFG) erfüllt sind. Zudem hat jeder Beteiligte auch im vereinfachten Sorgerechtsverfahren einen Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG. Jedenfalls müssen die Gerichte die Vermutungsregel des § 1626a Abs. 2 S. 2 BGB behutsam anwenden und ihre Entscheidungen mit Bedacht erlassen. Denn es bedarf für jede sorgerechtliche Entscheidung des Familiengerichts einer hinreichenden Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung (BVerfG FamRZ 09, 399, 400).
Die Voraussetzungen für eine Entscheidung im vereinfachten Sorgerechtsverfahren (§ 155a Abs. 3 FamFG) sind hier nicht gegeben, da kein Fall des § 1626a Abs. 2 S. 2 BGB vorliegt. Die Mutter hat Gründe vorgetragen, die der Übertragung der elterlichen Sorge entgegenstehen können. Unbeschadet des ohnehin noch auszuübenden Ermessens („soll“) war daher in das reguläre Sorgerechtsverfahren überzuleiten und nach § 155a Abs. 4 FamFG ein früher Termin anzuberaumen, eine Stellungnahme des Jugendamts einzuholen und die Eltern persönlich anzuhören.
Die Sache ist an das AG zurückzuverweisen, § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG. Geht das AG verfahrensfehlerhaft von der Anwendbarkeit des § 155a Abs. 3 FamFG aus und entscheidet nur auf der Grundlage des vereinfachten Verfahrens, führt dies regelmäßig zur Zurückverweisung, wenn ein Beteiligter dies beantragt (MüKo/Schumann, FamFG, 2. Aufl., § 155a Rn. 29). Das weitere Verfahren ist i.S. des § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG umfangreich. Dies ergibt sich u.a. daraus, dass die persönlichen Anhörungen, die hier zu berücksichtigen sind (MüKo/Fischer, a.a.O., § 69 Rn. 45), aufwendig sind.
Praxishinweis
Beim Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Kinder gem. § 1626a Abs. 2 S. 2 BGB muss das Familiengericht den Antrag mit Frist zur Stellungnahme zustellen, die für die Mutter frühestens sechs Wochen nach der Geburt endet, § 155a Abs. 2 FamFG. Gem. § 155 Abs. 3 FamFG entscheidet das Familiengericht, wenn der andere Elternteil keine erheblichen Gründe vorträgt, ohne Anhörung des Jugendamts und der Eltern.
Wichtig ist, dass § 1626a Abs. 2 S. 2 BGB eine negative Kindeswohlprüfung vorsieht. Die gemeinsame elterliche Sorge wird bereits übertragen, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. Es ist jedoch ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen den Eltern erforderlich. Fehlt es daran und sind die Eltern zur Kooperation weder bereit noch in der Lage, kann die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl zuwiderlaufen. Das ist z.B. der Fall, wenn wiederholt eine Einigung über das Umgangsrecht nicht ohne gerichtliche Entscheidung möglich war (OLG Brandenburg NJW 14, 233).
Weiterführender Hinweis
- Heilmann, NJW 13, 1473; Dürbeck, ZKJ 13, 330, zur Zurückverweisung an das AG