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  • · Fachbeitrag · Umgangsrecht

    „Ich ruf’ die Polizei!“‒ Wenn Umgangs- und Sorgerechtsstreitigkeiten eskalieren

    von RAin Thurid Neumann, FAin Familienrecht, Mediatorin, CP-Anwältin, Neumann & Neumann, Konstanz

    | Jeder Familienrechtsanwalt kennt dies aus der Praxis: Ein Elternteil gibt dem anderen die Kinder nicht zum Umgang heraus oder bringt sie nach dem Umgang nicht zurück. Der Mandant ruft nun an und möchte wissen, was er tun kann und fragt, ob er die Polizei kontaktieren soll, da ihm der andere schließlich die Kinder entziehe und sich so strafbar mache. |

    1. Der Polizei sind die Hände gebunden

    So ungern der Mandant dies hören wird: Die Polizei kann oft nichts tun, da die Voraussetzungen des Tatbestands einer Kindesentziehung (§ 235 StGB) komplex und umstritten sind (vgl. nur OLG Karlsruhe ZFE 02, 351; BGH NStZ 96, 333). Nach § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB macht sich der Kindesentziehung strafbar, wer eine Person unter achtzehn Jahren mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List einem Elternteil entzieht oder vorenthält. Geschütztes Rechtsgut in § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB sind das Sorge- und Umgangsrecht. Gibt ein Elternteil ein Kind nicht an den anderen heraus, damit dieser seinen Umgang ausüben kann, oder gibt er es nach dem Umgang nicht zurück, liegt zwar ein Entziehen bzw. Vorenthalten des Kindes vor. Der Straftatbestand ist aber nur erfüllt, wenn der Elternteil ein besonderes Tatmittel verwendet: Gewalt, Drohung oder List (BGH NJW 99, 2349 zum Tatmittel List). Das Tatmittel kann sowohl gegen den anderen Elternteil als auch gegen das Kind gerichtet werden. Oft wird aber kein besonderes Tatmittel verwendet, sodass der Tatbestand des § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht erfüllt ist. Liegt keine Kindesentziehung vor, ist die Polizei nicht zuständig und kann daher nicht bewirken, dass das Kind herausgegeben wird.

     

    Liegt keine Kindesentziehung vor, sind die Eltern an das Familiengericht (FamG) zu verweisen. Danach gibt es folgende Möglichkeiten:

     

    2. Richtiger Adressat ist das FamG

    Der Elternteil kann die Herausgabe des Kindes beim FamG beantragen, § 1632 BGB.

     

    • Beispiel 1

    Ein Elternteil M, der die Herausgabe des Kindes K vom anderen verlangt, hat das alleinige Sorgerecht oder das Aufenthaltsbestimmungsrecht und der andere, V, hat kein gerichtlich geregeltes Umgangsrecht bzw. dieses ist bereits geendet, verweigert aber die Rückgabe des K.

     

     

    Die Vollstreckung des Herausgabetitels erfolgt durch das Familiengericht nach den §§ 88 ff. FamFG. Gem. § 89 FamFG kann das Gericht Ordnungsmittel, d. h. Ordnungsgeld oder Ordnungshaft, verhängen, um einen Vollstreckungstitel über die Herausgabe des Kindes durchzusetzen. Das Gericht kann zudem gem. § 89 Abs. 3 FamFG i. V. m. § 802g Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 802h, § 802j ZPO einen Haftbefehl erlassen und den Gerichtsvollzieher mit der Verhaftung beauftragen. Die Vollstreckung obliegt dem Gerichtsvollzieher, der sich erforderlichenfalls die Unterstützung der polizeilichen Vollzugsorgane holen kann, § 87 Abs. 3 S. 1 FamFG.

     

    MERKE | Die Polizei kann somit nur auf Aufforderung des Gerichtsvollziehers tätig werden, wenn es um die Vollstreckung einer Ordnungshaft geht, jedoch nicht auf Aufforderung eines Elternteils.

     

    Durch § 90 FamFG wird das Gericht zudem ermächtigt, im Rahmen der Vollstreckung zur Herausgabe des Kindes unmittelbaren Zwang anzuordnen, wenn

    • die Festsetzung von Ordnungsmitteln erfolglos geblieben ist,
    • die Festsetzung von Ordnungsmitteln keinen Erfolg verspricht oder
    • eine alsbaldige Vollstreckung der Entscheidung unbedingt geboten ist.

     

    Der Gerichtsvollzieher ist befugt, den unmittelbaren Zwang vorzunehmen. Dazu kann er wiederum gem. § 87 Abs. 3 FamFG die Polizei auch in diesem Fall unterstützend hinzuziehen. Das Gericht kann gem. § 88 Abs. 2 FamFG zudem das Jugendamt um Unterstützung bitten.

     

    • Beispiel 2

    Beide Eltern (M und V) haben das gemeinsame Sorgerecht und es gibt keine gerichtlich vollstreckbare Umgangsregelung. M gibt das Kind nicht an V heraus, obwohl dieser es verlangt.

     

     

    Gibt es keine gerichtliche Umgangsregelung, haben die Eltern nach § 1627 BGB die elterliche Sorge hinsichtlich der Aufenthaltsbestimmung des Kindes im gegenseitigen Einvernehmen zum Wohl des Kindes auszuüben. Bei Meinungsverschiedenheiten müssen sie sich einigen. Ist dies nicht möglich, kann nicht ein Elternteil allein entscheiden, sondern muss die Hilfe des FamG beanspruchen, um das Sorge- und Umgangsrecht regeln zu lassen. Die Polizei kann die Entscheidung nicht für die Eltern treffen.

     

    • Beispiel 3

    Es gibt eine gerichtlich vollstreckbare Umgangsregelung und dem umgangsberechtigten Elternteil wird das Kind nicht vom anderen herausgegeben.

     

     

    Gibt ein Elternteil trotz gerichtlich vollstreckbarer Umgangsvereinbarung ein Kind nicht an den Umgangsberechtigten heraus, kann diese nicht durch die Polizei vollstreckt werden, indem sie das Kind mit Zwang an den Umgangsberechtigten übergibt. Nur das FamG kann gem. § 89 FamFG Ordnungsgeld oder Ordnungshaft gegen den anderen Elternteil festsetzen, um diesen in Zukunft zu zwingen, das Kind herauszugeben. Unmittelbaren Zwang gegen das Kind darf es jedoch gem. § 90 Abs. 2 S. 1 FamFG nicht anordnen.

     

    3. Gericht ist auch zuständig für Fälle mit Auslandsbezug

    Nach § 235 Abs. 2 StGB macht sich auch strafbar, wer ein Kind einem Elternteil

    • 1. entzieht, um es in das Ausland zu verbringen, oder
    • 2. im Ausland vorenthält, nachdem es dorthin verbracht worden ist oder es sich dorthin begeben hat.

     

    Mit dieser Vorschrift soll der wachsenden, allein mit familienrechtlichen Mitteln kaum zu bewältigenden Fallgruppe der Auslandsentführung begegnet werden. Sorgeberechtigte sollen so davor geschützt werden, dass ein Kind gegen ihren Willen ins Ausland verbracht oder ihnen dort vorenthalten wird, da in diesen Fällen die Durchsetzung des Rechts i. d. R. erschwert ist (vgl. zur Verbringung ins EU-Ausland EuGH FamRZ 22, 1475).

     

    In Nr. 1, der „aktiven Entführung“, genügt eine Tathandlung des Entziehens, falls sie in der Absicht begangen wird, das Kind in das Ausland zu verbringen. Die Entziehungshandlung geschieht dabei zuvor im Inland.

     

    Nr. 2 erfasst Fälle der „passiven Entführung“, in denen sich das Kind bereits im Ausland befindet. Die Tathandlung besteht im schlichten Vorenthalten.

     

    Das bedeutet Folgendes: Auch wenn der Täter ein Elternteil des Kindes ist und keine besonderen Tatmittel anwendet, kann er sich dennoch strafbar machen, sobald er die besondere Absicht hat, das Kind ins Ausland zu verbringen oder dort vorzuenthalten.

     

    Liegen konkrete Umstände vor, die die Besorgnis begründen, ein Elternteil könne nach einer Reise mit dem Kind ins Ausland nicht mehr oder ohne das Kind zurückkehren, kann das Gericht auf Grundlage des § 1666 Abs. 1 BGB im Wege der einstweiligen Anordnung ein Ausreiseverbot aus der BRD (sog. Grenzsperre) verhängen. Zudem kann es die Bundespolizei um präventiv-polizeiliche Maßnahmen ersuchen. Nach § 30 Abs. 3 und Abs. 5 BpolG hat die Bundespolizei das Recht, personenbezogene Daten in den Fahndungsbestand des polizeilichen Informationssystems aufzunehmen. Zudem kann sie gem. § 39 Abs. 2 BPolG das entzogene Kind in Gewahrsam nehmen, um es dem anderen Elternteil oder dem Jugendamt zuzuführen (OLG Frankfurt a. M. FamRZ 18, 1321).

     

    Das Gericht muss von Amts wegen ermitteln, ob eine solche Gefahr der „aktiven Entführung“ vorliegt, wobei es hierzu schon ausreichen kann, wenn ein Elternteil mit der Entführung gedroht hat und der andere Elternteil dies konkret vorgetragen und glaubhaft gemacht hat (OLG Karlsruhe FamRZ 96, 424). Nicht ausreichend ist dagegen nur die abstrakte Möglichkeit, ein Elternteil könne das Kind ins Ausland verbringen und es nicht mehr zurückbringen, z. B. weil ein Elternteil nicht deutscher Herkunft ist (BVerfG FamRZ 10, 109).

     

    Quelle: Ausgabe 09 / 2024 | Seite 159 | ID 50025910