· Fachbeitrag · Umgangsrecht
Umgangs- oder Wechselmodell ‒ Trumpfkarte kann der Kindeswille sein
von RA Dr. Gudrun Möller, FA Familienrecht, Münster
| Auch nach einer Trennung wollen Eltern für ihre Kinder nur das Beste. Was das Beste beim Umgang ist, darüber wird aber oft gestritten, so wie im Fall des OLG Frankfurt a. M. Streitig war, ob eine Umgangsregelung zugunsten eines Wechselmodells abzuändern war. |
Sachverhalt
Die Beteiligten M und V sind die Eltern des 2008 geborenen Y und der 2011 geborenen Z. Die Kinder haben den gewöhnlichen Aufenthalt bei der M. Nachdem sich die Kinder in einer Anhörung für das praktizierte Umgangsmodell ausgesprochen hatten, hat das AG den Umgang mit dem V dergestalt geregelt, dass die Kinder in den ungeraden Wochen Umgang von samstags 10:00 Uhr bis zum folgenden Dienstagmorgen mit Übergabe an der Schule und in den geraden Wochen von sonntags 17:00 Uhr bis zum folgenden Dienstagmorgen zu Schulbeginn haben. Weiter hat es eine jährlich wechselnde Ferienregelung mit hälftiger Aufteilung der Schulferien vorgenommen. Dabei wurde Beginn und Ende des Umgangs jeweils auf samstags festgelegt. Dagegen hat der V erfolglos Beschwerde eingelegt, mit der er u. a. die Anordnung eines Wechselmodells begehrt (OLG Frankfurt a. M. 6.7.21, 3 UF 144/20, Abruf-Nr. 223857).
Entscheidungsgründe
Die Regelung des AG entspricht dem Wohl der Kinder am besten. Eine Ausweitung der praktizierten, von den Kindern angenommenen und von ihnen weiterhin gewünschten Regelung widerspricht deren Wohl und Willen. Der Kindeswille ist ‒ abhängig vom Alter und von der individuellen Reife des Kindes ‒ bedeutsam. Langzeitstudien deuten darauf hin, dass ein den Kindern „aufgedrängter“ Umgang von diesen als Belastung empfunden wird und das Verhältnis zum umgangsberechtigten Elternteil negativ beeinflusst.
Der Kindeswille ist Ausdruck der empfundenen Personenbindung, die auch nonverbal ausgedrückt werden kann, z. B. durch ein freudiges Zugehen auf den Umgangselternteil. In dieser Funktion ist er unabhängig vom Alter des Kindes. Er ist auch ein Akt der Selbstbestimmung. Diese Funktion wird mit steigendem Alter bedeutsamer. I. d. R. wird bei Kindern ab dem 11. bis 13. Lebensjahr davon ausgegangen, dass sie einen selbstbestimmten Willen bilden können.
Rechtlich ist der Kindeswille beachtlich, wenn das Kind aufgrund seiner verstandesmäßigen Reife die Bedeutung des Umgangs versteht und es einen stabilen und autonomen Willen gebildet hat. Stabil ist der Wille, wenn er nachhaltig und gegenüber allen Verfahrensbeteiligten gleichen Inhalts geäußert wird. Von einem autonomen Willen kann ausgegangen werden, wenn er auf dem eigenen Erleben mit dem Elternteil beruht. Dann aber spielt es keine Rolle, ob er sich auch unter einer Beeinflussung des betreuenden Elternteils entwickelt hat. Der Kindeswille darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn er nicht die wirklichen Bindungsverhältnisse wiedergibt.
Bei jüngeren Kindern kann auch gegen den geäußerten Willen entschieden werden, wenn er durch einen Elternteil illoyal beeinflusst worden ist und/oder der Umgang trotz des Kindeswillens nach einer Gesamtabwägung der für das Kindeswohl relevanten Gesichtspunkte seinem Wohl entspricht (Gottschalk, in: Heilmann, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, 2. Aufl., § 1684 BGB, Rn. 30 ff.).
Hier haben die 9 und 12 Jahre alten Kinder einen reifen und verständigen Eindruck gemacht. Beide wissen, was die Umgangsregelung für sie bedeutet und welche Positionen ihre Eltern vertreten. Sie halten die Umgangsregelung für gut und umsetzbar. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass ihr Wille unbeachtlich wäre. Bei derart reifen und reflektierten Kindern ist es für das Kindeswohl problematisch, wenn ihnen eine von ihren geäußerten Vorstellungen abweichende Umgangsregelung „gerichtlich verordnet“ werden würde.
Maßgeblich bei der Umgangsregelung ist allein das Wohl des Kindes und nicht vermeintliche Gerechtigkeits- und Gleichberechtigungserwägungen eines Elternteils (Gottschalk in: Heilmann, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, a. a. O., § 1684, Rn. 11). Ungeachtet der Frage, ob ein Wechselmodell gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden kann (so BGH, zuletzt ZKJ 20, 140), liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Ob ein Wechselmodell anzuordnen ist, ist unter Berücksichtigung anerkannter Kriterien des Kindeswohls zu entscheiden. Als gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls wurden in Sorgerechtsfragen bislang die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens angeführt. Gleiches gilt auch für Umgangsregelungen und mithin hier für die Anordnung des paritätischen Wechselmodells. Ähnlich wie bei der gemeinsamen Sorge als paritätischer Wahrnehmung des Elternrechts setzt die Kindeswohldienlichkeit des paritätischen Wechselmodells als hälftig geteilter Ausübung der gemeinsamen Sorge auch die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern voraus (BGH, a. a. O.; FK 17, 75 ff.).
Dass zwischen den Eltern über die Betreuung des Kindes im Wechselmodell Konsens besteht, ist hingegen keine Voraussetzung für eine Anordnung (BGH FK 17, 75 ff.). Das Wechselmodell ist anzuordnen, wenn die Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspricht.
Dies ist hier nicht der Fall, da es an ausreichend guter Kommunikation und Kooperation mangelt und an einem entsprechenden Kindeswillen. V hat selbst vorgetragen, dass die Elternberatung gescheitert ist und es auch nicht möglich gewesen sei, einzelne Ferientage zu tauschen. Entgegen den Vorstellungen des V ist auch nicht erst das Wechselmodell anzuordnen und dann die Kommunikation zu verbessern. Vielmehr sind die Kommunikationsfähigkeit und -bereitschaft Grundvoraussetzungen, um das Modell anzuordnen.
Relevanz für die Praxis
Das OLG hat in dieser Entscheidung sehr schön die Aspekte zum Kindeswillen und Kindeswohl herausgearbeitet. Fazit des OLG: Ein funktionierendes Umgangsmodell, das dem konstant geäußerten Willen der Kinder entspricht, ist nicht zugunsten eines Wechselmodells bei mangelnder Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft abzuändern.