· Fachbeitrag · Ehegattenunterhalt
Bemessung des Selbstbehalts
von VRiOLG a.D. Dr. Jürgen Soyka, Meerbusch
| Der BGH hat entschieden, dass auch beim Ehegattenunterhalt zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen unterschieden und ein jeweils anderer Selbstbehalt festgesetzt werden darf. |
Sachverhalt
Aus der 1980 geschlossenen Ehe der Beteiligten sind zwei, 1981 und 1984, geborene Töchter hervorgegangen. Die Beteiligten sind seit 2009 rechtskräftig geschieden. Der im Mai 1953 geborene Antragsteller (M) war seit September 1970 als Angestellter im öffentlichen Dienst erwerbstätig. Er ist alkoholkrank und leidet an weiteren Erkrankungen, was zu einem Grad der Behinderung von 70 geführt hat. Seit Oktober 2016 bezieht er vorgezogene ungekürzte Altersrente sowie eine Zusatzrente. Den Wohnwert seiner von ihm bewohnten Eigentumswohnung haben die Beteiligten unstreitig gestellt. Die im Juni 1957 geborene Antragsgegnerin (F) absolvierte eine Ausbildung zur Schmuckverkäuferin. In diesem Beruf war sie bis März 1979 beschäftigt. Danach arbeitete sie in einem Tabakgeschäft. Im Februar 1980 erkrankte sie und war ab Juli 1980 arbeitslos. Im September 1980 arbeitete sie einen Monat als Verkäuferin, bevor sie noch vor der Eheschließung erkrankte und dann schwanger wurde. Mit Ausnahme des Zeitraums von Oktober 1991 bis Juni 1993, in dem sie geringfügig beschäftigt war, arbeitete sie nicht mehr, zunächst wegen der Betreuung und Erziehung der Kinder und später krankheitsbedingt. Auch sie ist alkoholkrank und krankheitsbedingt dauerhaft erwerbsunfähig, ohne die sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente zu erfüllen.
Im November 2011 schlossen die Beteiligten vor dem AG einen Vergleich, in dem sich der M auf der Grundlage eines unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens von rund 2.400 EUR inklusive Wohnvorteil verpflichtete, an die F ab Dezember 2011 nachehelichen monatlichen Unterhalt zu zahlen, in dem Krankenvorsorgeunterhalt und Altersvorsorgeunterhalt enthalten war. Der M begehrt eine Änderung des Unterhaltsvergleichs dahin gehend, dass er ab Oktober 2016 weniger Unterhalt schuldet und der Unterhalt ab Juni 2021 insgesamt entfällt.
Das AG hat den Antrag abgewiesen. Auf die Beschwerde hat das OLG den Vergleich dahin gehend abgeändert, dass sich der nacheheliche Unterhalt ab Oktober 2016 reduziert. Im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde des M bleibt erfolglos.
|
Die Bemessung des eheangemessenen Selbstbehalts ist Aufgabe des Tatrichters. Dabei ist es ihm nicht verwehrt, sich an Erfahrungs- und Richtwerte anzulehnen, sofern nicht im Einzelfall besondere Umstände eine Abweichung gebieten. Die Erfahrungs- und Richtwerte können dabei auch eine Differenzierung zwischen erwerbstätigen und nichterwerbstätigen Unterhaltspflichtigen vorsehen (Abruf-Nr. 212343). |
Entscheidungsgründe
Der Abänderungsantrag ist gem. § 239 FamFG zulässig. Er bezieht sich auf einen gerichtlichen Vergleich, wobei die Abänderung sich daraus ergibt, dass die früheren Nettoeinkünfte ab Oktober 2016 durch die Altersrente gesunken sind.
Beim Wohnwert dürfen das Hausgeld und die Grundsteuer nicht abgezogen werden, da sie im abzuändernden Vergleich ebenfalls nicht abgezogen wurden.
Zu billigen ist, dass das OLG im Rahmen der Leistungsfähigkeit den Selbstbehalt des M mit 1.090 EUR für einen nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen gegenüber 1.200 EUR für einen Erwerbstätigen beim Ehegattenunterhalt angesetzt hat. Denn eine Differenzierung beim Ehegattenunterhalt unterliegt dem tatrichterlichen Ermessen und ist deswegen rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden. Mangels entsprechenden Vortrags hat der BGH davon abgesehen, den Selbstbehalt zu erhöhen. Zwar übersteigt der Unterhaltsbedarf der F den eheangemessenen Selbstbehalt des M. Darin ist aber kein Abänderungsgrund zu sehen. Zu billigen ist, dass in dem Selbstbehalt von 1.090 EUR auch der Wohnwert zu berücksichtigen ist, sodass der Gesamtbetrag von 1.090 EUR mit dem Unterhalt der F verglichen werden muss, weil diese von ihrem Unterhalt auch noch die Miete für ihre Wohnung zahlen muss.
Unschädlich ist, dass die F wegen des außerdem zuerkannten Krankenvorsorge- und Altersvorsorgeunterhalts auf einen Gesamtunterhalt von mehr als 1.090 EUR kommt. Denn in die Vergleichsberechnung ist nur deren Elementarunterhalt einzubeziehen, der diesen Betrag unterschreitet.
Zutreffend hat das OLG eine Unterhaltsbegrenzung abgelehnt. Zwar ist in dem gerichtlichen Vergleich von 2011 die Geltendmachung der Begrenzung ausdrücklich vorbehalten. Die F hat aber ehebedingte Nachteile erlitten. Ohne die Ehe wäre sie längere Zeit erwerbstätig gewesen und hätte die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nach § 42 Abs. 2 SGB VI erfüllt.
Zu billigen ist ferner, dass das OLG die Entscheidung über die Befristung bis zum Eintritt in das Rentenalter der F verschoben hat. Denn zurzeit kann keine sichere Prognose gestellt werden, weil keine verbindliche Auskunft über die zu erwartende Rente vorliegt.
Das OLG hat auch zu Recht von einer Herabsetzung auf den angemessenen Lebensbedarf aus Billigkeitsgründen abgesehen. Im Hinblick auf eine Ehedauer von knapp 28 Jahren und wegen der Haushaltstätigkeit und Kindererziehung während der Ehe ist ein Fortbestand des Unterhalts noch nicht als unbillig i. S. d. § 1578b BGB anzusehen.
Relevanz für die Praxis
Neben dem OLG Hamm differenzieren nur die OLGe Frankfurt, Braunschweig, Celle, Karlsruhe, Stuttgart sowie der 2. und 6. Zivilsenat des OLG Zweibrücken beim Selbstbehalt, während die anderen Leitlinien der OLGe (KG Berlin, Bremen, Brandenburg, Düsseldorf, Hamburg, Jena, Koblenz, Köln, Naumburg, Oldenburg, Rostock, Saarbrücken und Schleswig) jeweils unter 21.4 der Leitlinien dies beim Ehegattenunterhalt ablehnen.
Bei diesen OLGen bleibt es nur bei einem Selbstbehalt, beim Kindesunterhalt wird demgegenüber bei allen OLGen differenziert. Der notwendige Selbstbehalt beträgt für nicht erwerbstätige Unterhaltsverpflichtete 960 EUR und für Erwerbstätige 1.160 EUR. Entgegen der Ansicht des BGH beruht dies aber nicht darauf, dass die Fortführung der Erwerbstätigkeit honoriert werden soll, sondern auf die Berechnungen des Arbeitslosengeldes II gem. SGB II. Da erwerbstätigen Bedürftigen das Arbeitslosengeld II auch durch Teilanrechnung des Erwerbseinkommens berechnet wird, sind die OLGe gehalten, für Erwerbstätige einen höheren Selbstbehalt festzusetzen. Sonst hätten sie aufgrund der Unterhaltsberechnung einen ergänzenden Anspruch auf SGB- II-Leistungen. Bei Nichterwerbstätigen liegt der notwendige Selbstbehalt mit einigem Abstand über dem Arbeitslosengeld II, bei Erwerbstätigen jedoch nur ganz knapp darüber. Daher werden die OLGe Anpassungen vornehmen müssen, wenn sich das Arbeitslosengeld II erhöht und über dem bisherigen Selbstbehalt liegt.
Eine während der Ehe oder im Zusammenhang mit der Ehe ausgebrochene Krankheit ist nur selten ehebedingt. Voraussetzung ist, dass sie auf der Rollenverteilung in der Ehe unter besonderer Beachtung der in § 1578b Abs. 1 S. 2 und 3 BGB genannten Kriterien oder sonstigen mit der Ehe, nicht aber mit der Persönlichkeit, zusammenhängenden Umständen beruht (BGH FamRZ 12, 772). Führt die Krankheit zur vollständigen Erwerbsminderung, kommt i. d. R. kein ehebedingter Nachteil in Betracht, wenn der VA die Altersvorsorge vollständig ausgeglichen hat, weil beide Ehegatten die Nachteile gleichermaßen tragen, die sich daraus ergeben, dass der Berechtigte wegen der Gestaltung der Ehe seine Vorsorge nicht weiter aufgebaut hat (BGH FamRZ 13, 1291).
Etwas anderes gilt, wenn, wie hier, wegen der Aufgabe der Erwerbstätigkeit während der Ehe die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht erfüllt sind, z. B., weil die nach § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI erforderlichen Pflichtbeiträge (drei Jahre innerhalb der letzten fünf Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung) nicht geleistet worden sind (BGH FamRZ 11, 713). Scheidet in diesem Fall ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente aus, liegt ein ehebedingter Nachteil in dem Umfang vor, in dem ohne die Ehegestaltung eine solche Rente erworben worden wäre. Dieser Nachteil wird durch den VA nicht kompensiert. Er kann aber mit Beginn der Altersrente entfallen. Für diese ist eine Mindestanzahl an Pflichtbeiträgen gem. § 35 ff. SGB VI nicht erforderlich. Deswegen hat der BGH auch schon den Zeitpunkt in den Blick genommen, in dem die F Altersrente bezieht. Er hat aber davon abgesehen, diesen Umstand in die Überlegungen zur Unterhaltsbegrenzung einzubeziehen, weil noch kein aussagekräftiger Rentenbescheid vorliegt, sodass man noch nicht prognostizieren kann, wie hoch die Altersrente der F tatsächlich ausfällt.
Weiterführender Hinweis
- BGH FamRZ 10, 802, die vorliegende Entscheidung führt diese Rechtsprechung fort