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  • · Fachbeitrag · Elternunterhalt ‒ Mandanten fragen

    „Zeitbombe“: Unterbringung eines pflege- und hilfsbedürftigen Elternteils im Pflegeheim

    von RAin Dr. Dagny Liceni-Kierstein, RiOLG a.D., Berlin

    | Die Sozialhilfebedürftigkeit eines älteren Menschen zeichnet sich nicht immer langfristig ab. In den Fällen, in denen Eltern mit einer kleinen Rente zu Hause noch „über die Runden kommen“, reichen die eigenen Mittel bei einer Heimunterbringung oft nicht mehr aus. Muss der Sozialhilfeträger ‒ wie oft bei einer Heimunterbringung ‒ diese unterstützen, wird er versuchen, das unterhaltspflichtige Kind bzw. mehrere anteilig haftende Kinder aus übergegangenem Recht auf Elternunterhalt in Anspruch zu nehmen. |

     

    Frage: Muss ich als Kind mich an den Heimkosten meiner Eltern beteiligen?

     

    Antwort: Die Frage soll anhand eines Beispiels erläutert werden.

     

    • Beispiel

    Vater V (82 Jahre) ist seit zwei Monaten in einem Pflegeheim am gemeinsamen Wohnort mit seinem Sohn S in W, das sie zusammen ausgesucht haben, in einem 2-Bett-Zimmer untergebracht. Das Sozialamt nimmt S auf Elternunterhalt für den verwitweten V in Anspruch. V bezieht eine Altersrente von monatlich 1.700 EUR. Er ist in den Pflegegrad 3 eingestuft worden. Die Heimkosten liegen bei fast 3.800 EUR monatlich. Über Vermögen verfügt V nicht. Er hat keine weiteren Kinder. S ist alleinstehend und verfügt über ein bereinigtes Erwerbseinkommen von rund 2.200 EUR monatlich. S meint, nicht leistungsfähig zu sein.

     

    Nach § 1601 BGB sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Darunter fallen alle Personen, die voneinander abstammen, § 1589 BGB. Deshalb sind Kinder gegenüber ihren Eltern unterhaltspflichtig.

     

    Frage: Gibt es noch weitere Voraussetzungen für einen Anspruch meines Vaters auf Elternunterhalt?

     

    Antwort: Eltern sind nur unterhaltsberechtigt, wenn sie außerstande sind, sich selbst zu unterhalten, § 1602 Abs. 1 BGB. Sie haben einen Anspruch auf angemessenen Unterhalt.

     

    Frage: Woraus ergibt sich die Höhe des für meinen Vater tatsächlich geschuldeten Elternunterhalts?

     

    Antwort: Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen, § 1610 BGB. Die Lebensstellung eines Heimbewohners wird nach ständiger Rechtsprechung des BGH durch seine Heimunterbringung bestimmt. Sein Unterhaltsbedarf i. S. v. § 1610 BGB deckt sich daher regelmäßig mit den für die Heimunterbringung anfallenden Kosten zuzüglich eines kleineren Barbetrags, um die von den Leistungen der Pflegeeinrichtung nicht erfassten Bedarfe zu finanzieren (sog. Taschengeld). Dazu zählen z. B. Aufwendungen für Körper- und Kleiderpflege, Zeitschriften und Schreibmaterial und sonstige Kleinigkeiten des täglichen Lebens.

     

    Frage: Hat mein Vater mit einer nicht nur geringfügigen eigenen Altersrente von 1.700 EUR Anspruch auf Sozialhilfe?

     

    Antwort: Ja. Kann ein pflegebedürftig gewordener Elternteil die Kosten seiner stationären Pflege aus eigenem Einkommen und Vermögen nicht vollständig bestreiten, steht ihm ein ergänzender Anspruch auf Sozialhilfe in Form der Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff. SGB XII zu.

     

    Frage: Kann der Sozialhilfeträger bei mir Rückgriff nehmen?

     

    Antwort: Nach § 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII geht der Unterhaltsanspruch eines Leistungsberechtigten für die Zeit, für die Leistungen erbracht werden, bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen zusammen mit dem unterhaltsrechtlichen Auskunftsanspruch auf den Träger der Sozialhilfe über.

     

    Frage: Kann der Sozialhilfeträger seine Ansprüche gegen mich durchsetzen?

     

    Antwort: Nein. Der Sozialhilfeträger ist als öffentliche Einrichtung im Hinblick auf die Art und Weise der Geltendmachung der auf ihn übergegangenen Unterhaltsforderung eines Elternteils nicht mit besonderen Befugnissen ausgestattet. Der Sozialhilfeträger muss ‒ wie jeder andere ‒ einen Zahlungsantrag bei Gericht einreichen, § 94 Abs. 5 S. 3 SGB XII. Für den Regressanspruch sind die Familiengerichte sachlich zuständig (§ 111 Nr. 8, § 231 Abs. 1 Nr. 1 FamFG); hier herrscht Anwaltszwang.

     

    Frage: Es gibt an unserem Wohnort kostengünstigere Heime. Die Kosten für den billigsten Heimplatz liegen etwa 10 Prozent unter den jetzt anfallenden Heimkosten. Kann ich verlangen, dass mein Vater in ein billigeres Heim umzieht?

     

    Antwort: Unter den gegebenen Umständen: Nein. Ist der Elternteil im Alter sozialhilfebedürftig geworden, beschränkt sich sein angemessener Lebensbedarf i. d. R. auf das Existenzminimum und damit verbunden auf eine ‒ dem Unterhaltsberechtigten zumutbare ‒ einfache und kostengünstige Heimunterbringung. Das Heim muss sich im unteren Preissegment befinden. Veranlasst und organisiert aber ‒ wie hier ‒ das unterhaltspflichtige Kind den Umzug ins Heim, kann es sich im Nachhinein nicht darauf berufen, nicht das kostengünstigste Heim ausgewählt zu haben. Ein solcher Einwand würde gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstoßen. Ob der Unterhaltspflichtige ggf. selbst in besseren Verhältnissen lebt, beeinflusst den Unterhaltsbedarf des Elternteils nicht. Denn die Lebensstellung der Eltern ist eine selbstständige. Sie leitet sich ‒ anders als im umgekehrten Fall, wenn Kindesunterhalt geschuldet wird ‒ nicht von derjenigen ihrer Kinder ab.

     

    Frage: Wäre es sinnvoll gewesen, in der Zeit, als mein Vater noch nicht pflegebedürftig war, eine Vereinbarung zu schließen, dass er darauf verzichtet, mich auf Elternunterhalt in Anspruch zu nehmen bzw. nur in einem geringen Umfang?

     

    Antwort: Nein. Nach § 1614 Abs. 1 BGB sind beim Verwandtenunterhalt und damit auch beim Elternunterhalt Vereinbarungen über den Verzicht auf künftige Unterhaltsleistungen generell verboten. Solche Unterhaltsvereinbarungen würden sich objektiv zulasten öffentlicher Einrichtungen und zum Nachteil der Allgemeinheit auswirken. Durch § 1614 Abs. 1 BGB sollen sowohl der Unterhaltsberechtigte als auch die Träger öffentlicher Leistungen geschützt werden. Unabhängig davon, ob die Vereinbarung über einen vollständigen oder teilweisen Unterhaltsverzicht im Einzelfall bereits nichtig ist, entfaltet sie jedenfalls keine Rechtswirkungen gegenüber dem Sozialhilfeträger.

     

    Frage: Welche Zuschüsse bekommt mein Vater durch die Pflegeversicherung und welche Heimkosten muss er selbst tragen?

     

    Antwort: Die Pflegekasse übernimmt ausschließlich Kosten, die mit der Pflege zusammenhängen. Sie leistet jedoch nur einen monatlichen Zuschuss, der i. d. R. nicht ausreicht, um die gesamten Pflegekosten im Heim abzudecken. Den Rest müssen Eltern aus ihren eigenen Einkünften oder ihrem Vermögen zahlen. Notfalls müssen sie auf eine Unterstützung ihrer Kinder zurückgreifen. Mit dem Pflegegrad 3 erhält der Vater hier einen Zuschuss von 1.262 EUR durch die Pflegeversicherung. Er selbst muss aber den pflegebedingten Eigenanteil tragen, der im Bundesdurchschnitt bei 580 EUR liegt, sowie eine individuelle Summe, die vom Heim für Verpflegung, Unterkunft etc. berechnet wird. Es verbleiben in jedem Fall höhere Heimkosten, die nicht aus der Altersrente des V und den Leistungen der Pflegeversicherung gedeckt werden können. Für sie muss der Sozialhilfeträger in Form der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII ganz oder teilweise in Vorlage treten, um die Unterbringung und Versorgung des V im Pflegeheim nicht zu gefährden.

     

    Frage: In welcher Höhe kann der Sozialhilfeträger eine Regressforderung gegen mich geltend machen?

     

    Antwort: Die Berechnung des geschuldeten Elternunterhalts kann überaus kompliziert sein. Ob das unterhaltspflichtige Kind in der Lage ist, Elternunterhalt zu zahlen, hängt von dem ihm zur Verfügung stehenden Einkommen und Vermögen ab, das um Verbindlichkeiten zu bereinigen ist. Dabei steht ihm selbst ebenfalls ein nach seiner Lebensstellung angemessener Unterhalt als Eigenbedarf zu. Nach den Leitlinien der OLGe beträgt der angemessene Selbstbehalt gegenüber Eltern aktuell mindestens 1.800 EUR. Darin enthalten ist ein Mietanteil von 480 EUR für die Warmmiete. Darüber hinaus kann das unterhaltspflichtige Kind noch die Hälfte seines über dem angemessenen Selbstbehalt liegenden bereinigten Mehreinkommens für sich beanspruchen. Hiervon ausgehend können Sie bei einem bereinigten Nettoeinkommen von 2.200 EUR zunächst einen Sockelbetrag von 1.800 EUR für sich behalten. Es verbleibt ein darüber hinausgehendes Mehreinkommen von (2.200 EUR ./. 1.800 EUR =) 400 EUR. 50 Prozent hiervon steht Ihnen zu, sodass sich Ihr sog. individueller Selbstbehalt auf insgesamt (1800 EUR + 200 EUR =) 2.000 EUR beläuft. Mit der anderen Hälfte von 200 EUR, können Sie herangezogen werden, um Elternunterhalt zu zahlen.

    Quelle: Ausgabe 10 / 2019 | Seite 178 | ID 46075948