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  • · Fachbeitrag · Kindesunterhalt

    Im Ausland lebender Unterhaltspflichtiger

    von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf

    Bei der Bemessung des Unterhalts kann der Tatrichter zur Ermittlung des Kaufkraftunterschieds die vom Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) ermittelten „vergleichenden Preisniveaus des Endverbrauchs der privaten Haushalte einschließlich indirekter Steuern“ heranziehen (BGH 9.7.14, XII ZB 661/12, FamRZ 14, 1536, Abruf-Nr. 142459).

     

    Sachverhalt

    Die im Januar 1995 und Dezember 1996 geborenen und in Deutschland lebenden Kinder (Antragsteller) begehren von ihrem in der Schweiz lebenden wieder verheirateten Vater (Antragsgegner) in Abänderung bestehender Jugendamtsurkunden höheren Kindesunterhalt. Ausweislich dieser Urkunden vom 6.10.05 ist er verpflichtet, an die Kinder Kindesunterhalt von 121 Prozent des Regelbetrags zu zahlen. Seither zahlt er monatliche Kindesunterhalt von 344 EUR. Die Kinder haben für die Zeit ab September 10 erfolgreich Unterhalt von jeweils 136 Prozent des Mindestunterhalts nach der jeweils geltenden Düsseldorfer Tabelle abzüglich des anzurechnenden Kindergeldes begehrt. Auf Beschwerde des Vaters hat das OLG den Unterhalt auf 128 Prozent des Mindestunterhalts reduziert. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde blieb erfolglos.

    Entscheidungsgründe

    Die internationale Zuständigkeit ist gegeben. Offenbleiben kann, ob das Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.07 oder die VO (EG) Nr. 4/2009 des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen vom 18.12.08 anzuwenden ist.

     

    Es ist deutsches Recht anzuwenden

    Offenbleiben kann, ob Art. 3 Abs. 1 des Haager Protokolls über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.07 oder Art. 4 Abs. 1 des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltspflichtige anwendbare Recht vom 2.10.73 im Verhältnis zur Schweiz greift.

     

    Einkommensermittlung beim Vater ist nicht zu beanstanden

    Zu Recht hat das OLG die Zahlung, die der Vater für die Krankenversicherung seiner Ehefrau leisten muss, nicht von dessen Nettoeinkommen abgezogen. Bei diesen Zahlungen handelt es sich um einen Teil des Ehegattenunterhalts, der erst bei einer eventuellen Herabstufung zu berücksichtigen ist.

     

    Das OLG hat auch zu Recht nicht die Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen abgezogen. Zwar ist ein solcher pauschaler Abzug nach den Leitlinien des OLG vorgesehen und aus Rechtsgründen auch nicht zu beanstanden. Allerdings sind konkrete Anhaltspunkte darzulegen, wonach der Unterhaltspflichtige berufsbedingte Aufwendungen gehabt hat. Hier sind keine konkreten Anhaltspunkte dargelegt worden, dass berufsbedingte Aufwendungen angefallen sind. Auch aus den Lohnabrechnungen hat sich insoweit nichts ergeben. Darin ist zwar eine vom Arbeitgeber für den Vater monatlich gezahlte Garagenmiete dokumentiert. Allerdings ist es nicht Aufgabe des Tatrichters, sich wesentlichen Vortrag aus den eingereichten Anlagen zusammenzusuchen. Aus dem Umstand der Garagenmieten kann auch nicht zwingend auf das Anfallen berufsbedingter Aufwendungen geschlossen werden.

     

    MERKE | Die berufsbedingten Aufwendungen sind nicht bereits durch die vom Arbeitgeber gewährten Spesen abgedeckt. Spesen sind durch Geschäfts- oder Dienstreisen veranlasste Aufwendungen, wie etwa der Aufwand für die Verpflegung, Übernachtungskosten sowie sonstige Nebenkosten. Berufsbedingte Aufwendungen sind dagegen notwendig, um Einkommen zu erzielen, wie etwa die Kosten für die Fahrten zur Arbeitsstätte. Deswegen unterscheiden sich berufsbedingte Aufwendungen von den Spesen dadurch, dass sie anfallen, damit der Arbeitnehmer überhaupt erst seiner Erwerbstätigkeit nachgehen kann, während Spesen Kosten darstellen, die während der Ausführung der Erwerbstätigkeit oder in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit entstehen.

     

    Zutreffend hat das OLG das vom Vater in der Schweiz erzielte Einkommen an die deutschen Verhältnisse wegen der erhöhten Lebenshaltungskosten angepasst. Das statistische Bundesamt hat die Veröffentlichung der Verbrauchergeldparitäten zum Ende des Berichtsjahres 2009 eingestellt. Nun muss auf andere Erkenntnisquellen zurückgegriffen werden. Es sind zur Ermittlung der Kaufkraftunterschiede die Ländergruppeneinteilung des BFM sowie eine Korrektur mittels Teuerungsziffern oder die Statistiken zu Kaufpreisparitäten von Eurostat heranzuziehen. Das OLG hat in seiner Umrechnung die von Eurostat ermittelten „vergleichenden Preisniveaus des Endverbrauchs der privaten Haushalte einschließlich indirekter Steuern“ zugrunde gelegt. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das OLG die sich bei der Kaufkraftbereinigung ergebende Anpassung schon beim Einkommen des Vaters vorgenommen hat und nicht erst bei den in der Düsseldorfer Tabelle enthaltenen Unterhaltssätzen der Kinder. Das Maß des zu gewährenden Unterhalts richtet sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen, § 1610 Abs. 1 BGB. Daher sind die Bedarfssätze der Düsseldorfer Tabelle an den deutschen Verhältnissen ausgerichtet. Sie spiegeln den Lebensbedarf eines im Inland lebenden Kindes wider. Es ist zutreffend, wenn das OLG das bereinigte Einkommen des Vaters entsprechend der Kaufkraft umgerechnet und sodann den Bedarf der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch minderjährigen Kinder aus der sich so ergebenden Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle entnommen hat.

     

    Das OLG hat auch zu Recht nicht den Unterhaltsbedarf der Kinder in eine niedrigere Einkommensgruppe wegen der zusätzlichen Unterhaltspflicht des Vaters gegenüber seiner Ehefrau herabgesetzt. Die Düsseldorfer Tabelle ist der Höhe nach auf den Durchschnittsfall zugeschnitten, nach dem der Unterhaltspflichtige zwei Berechtigten ohne Rücksicht auf den Rang Unterhalt gewähren muss. Da aber die Werte nur Hilfsmittel für die Unterhaltsbemessung sind, darf das Ergebnis stets nur auf seine Angemessenheit und Ausgewogenheit hin überprüft werden. Hier besteht keine Veranlassung, das OLG zu korrigieren. Eine Herabstufung scheidet aus, weil sich der Vater mit seinem Einkommen in den oberen Bereichen der Einkommensgruppe bewegt.

     

    Der Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen ist gewahrt. Eine Anpassung des Selbstbehalts, weil er sich im Ausland aufhält, ist abzulehnen. Denn das OLG hat das Einkommen bereits nach den Eurostat-Tabellen umgerechnet und deswegen dem abweichenden Preisniveau Rechnung getragen.

    Praxishinweis

    Zu Recht weist der BGH bei der Einkommensermittlung darauf hin, dass zwischen einkommensrelevanten Abzügen und Unterhaltszahlungen differenziert werden muss. Unterhaltszahlungen dürfen vom Einkommen des Unterhaltspflichtigen bei der Ermittlung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens nicht abgezogen werden, da diese ausschließlich für die Herabstufung wegen überdurchschnittlicher Unterhaltspflichten bedeutsam sind. Unterhaltspflichten vermögen das unterhaltsrechtlich relevante Einkommen nicht zu kürzen. Daher ist zu prüfen, ob finanzielle Aufwendungen des Unterhaltspflichtigen, unabhängig davon, in welcher Form sie gezahlt werden, als Unterhaltszahlungen zu werten sind. Der BGH hat daher die Krankenversicherungsbeiträge an die Ehefrau des Vaters nicht abgezogen, weil diese Teil des Ehegattenunterhalts sind.

     

    Zu Recht hat der BGH ferner gebilligt, dass das OLG die Anpassung des Einkommens an den Kaufkraftunterschied bereits bei der Einkommensermittlung vorgenommen hat, weil der Unterhaltspflichtige im Ausland lebt. Würde der Unterhaltsberechtigte im Ausland leben, müsste die Bereinigung auf der Bedarfsebene vorgenommen werden.

     

    Nachdem das Statistische Bundesamt die Veröffentlichung der Verbrauchergeldparitäten eingestellt hat, muss auf andere Erkenntnisquellen zurückgegriffen werden. Der BGH bietet entweder die Ländergruppeneinteilung des BFM und eine Korrektur mittels Teuerungsziffern oder die Heranziehung der Statistiken der zu Kaufpreisparitäten von Eurostat an. Der BGH hat nicht beanstandet, dass das OLG auf Letzteres zurückgegriffen hat. Hierbei dürfte es sich wohl um die überwiegende Ansicht handeln (vgl. Unger, FPR 13, 19; Juris TK-BGB/Viefhues, Stand 28.4.14, § 1610 BGB Rn. 48.1 sowie Empfehlungen des Vorstands des Deutschen Familiengerichtstags aus dem Arbeitskreis 5 zu A I 1d, FamRZ 11, 1921. Eine Übersicht ergibt sich in der Entscheidung des OLG Stuttgart FamRZ 14, 850; und bei Unger, a.a.O.).

     

    Daher scheidet es auch aus, den Selbstbehalt beim Unterhaltpflichtigen wegen des Kaufkraftunterschieds zu senken.

     

    Interessant sind ferner die Erwägungen des BGH zur Höher- bzw. Herabstufung nach der Düsseldorfer Tabelle. Der BGH hat als tatrichterliches Ermessen gebilligt, dass das OLG eine Herabstufung wegen drei Unterhaltspflichten abgelehnt hat, weil sich der Unterhaltspflichtige mit seinem Einkommen im oberen Bereich der Einkommensgruppe bewegt.

    Quelle: Ausgabe 05 / 2015 | Seite 74 | ID 43009704