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  • · Fachbeitrag · Nachehelicher Unterhalt

    Verstoß des Berechtigten gegen Erwerbspflicht in der Vergangenheit kann folgenlos bleiben

    von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf

    Genügt der Unterhaltsberechtigte seiner aktuellen Erwerbsobliegenheit, kann ihm für die Vergangenheit nicht vorgehalten werden, er hätte konkrete Bewerbungsbemühungen entfalten müssen, um den jetzt eingetretenen ehebedingten Nachteil zu kompensieren (BGH 5.12.12, XII  ZB 670/10, FamRB 13, 71, Abruf-Nr. 130052).

     

    Sachverhalt

    Der Antragsteller M begehrt die Befristung eines durch Vergleich geregelten Anspruchs auf nachehelichen Unterhalt der Antragsgegnerin F.

     

    Die Beteiligten schlossen 1989 die Ehe. Sie adoptierten ein im März 1996 geborenes Kind. F ist seit Juli 1991 Versicherungsfachwirtin und arbeitete bis 1995 als Sachbearbeiterin bei verschiedenen Versicherungsunternehmen. Nach der Adoption des Kindes setzte sie ihre Erwerbstätigkeit aus. Sie ist nun als städtische Schulsekretärin mit 31 Wochenstunden beschäftigt. Die Ehe ist seit September 2004 geschieden. Mit gerichtlichem Vergleich von September 2004 verpflichtete sich M, an F einen monatlichen nachehelichen Unterhalt von 1.800 EUR sowie Altersvorsorgeunterhalt in Höhe von 128 EUR zu zahlen. 2008 vereinbarten die Beteiligten außergerichtlich, den Vergleich dahingehend abzuändern, dass ab März 2008 nur noch Unterhalt von 1.500 EUR zuzüglich 128 EUR Altersvorsorgeunterhalt zu zahlen sei. Der Unterhalt sollte bis März 2010, wenn der gemeinsame Sohn sein 14. Lebensjahr vollendete, gezahlt werden. Nach Ablauf des genannten Zeitraums sollten sich die Unterhaltsansprüche nach den gesetzlichen Vorschriften richten.

     

    M hat beantragt, den gerichtlichen Vergleich dahin abzuändern, dass er ab April 2010 keinen Unterhalt mehr zahlen muss. F habe keine ehebedingten Nachteile. Dem ist F entgegengetreten. Das AG wies den Antrag zurück. Das OLG hat den Unterhalt geringfügig herabgesetzt und bis Ende 2014 befristet.

     

    Entscheidungsgründe

    Die Rechtsbeschwerde der F ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des Beschwerdebeschlusses und Zurückverweisung der Sache, soweit die Unterhaltsbegrenzung betroffen ist.

     

    Der Unterhalt ist im Hinblick auf die Vergleichsregelung aus dem Jahr 2008 frei abänderbar. F und M vereinbarten für die Zeit ab April 2010 die Geltung der gesetzlichen Vorschriften. Der Befristungseinwand ist nicht präkludiert. F und M qualifizierten den Unterhalt bis zur freien Abänderbarkeit als Betreuungsunterhalt, der nach § 1578b BGB nicht zu begrenzen ist. Dass M zu seinen eigenen Einkünften keine Angaben machte, weil er uneingeschränkt leistungsfähig sei, ist unerheblich. F musste ihren Bedarf darlegen. Sie macht keinen höheren Unterhalt als ihren angemessenen Lebensbedarf geltend.

     

    Der Auffassung des OLG, dass § 1578b Abs. 2 BGB einer Befristung nicht entgegensteht, weil F den ehebedingten Nachteil hätte vermeiden können, kann nicht gefolgt werden. Der Maßstab des angemessenen Lebensbedarfs besteht in dem Einkommen, das dem berechtigten Ehegatten ohne Ehe und Kinderbetreuung aus eigenen Einkünften zukäme. Die Darlegungs- und Beweislast obliegt dem Berechtigten, weil es vorrangig um die Bedürftigkeit nach § 1577 BGB geht. Gelangt das Familiengericht zu der Überzeugung, dass der Berechtigte seiner Erwerbsobliegenheit genügt, kann der Pflichtige im Rahmen des § 1578b BGB nicht einwenden, jener könne ein höheres Einkommen erzielen und es bestehe kein ehebedingter Nachteil.

     

    Die Ausführungen des OLG sind widersprüchlich: Einerseits hat das OLG festgestellt, dass F mit ihrer Tätigkeit als Schulsekretärin ihrer aktuellen Erwerbsobliegenheit genügt. Es hat davon abgesehen, ihr ein weiteres Einkommen fiktiv zuzurechnen. Andererseits betont das OLG, dass F von 2006 bis 2008 konkrete Bewerbungsbemühungen hätte entfalten müssen, um eine Anstellung in ihrem erlernten Beruf als Versicherungsfachwirtin zu erlangen. Ferner hatte F ihre Beschäftigung als Schulsekretärin bereits aufgenommen, als die Parteien 2008 den ursprünglichen Vergleich änderten. M verlangte von F nicht, sich um eine Beschäftigung in ihrem erlernten Beruf als Versicherungsfachwirtin zu bemühen. Auch im Abänderungsverfahren ist die im Vorprozess getroffene Feststellung maßgebend.

     

    Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass auch, wenn ein ehebedingter Nachteil verbleibt, eine Befristung zwar grundsätzlich aber nicht generell ausgeschlossen bleibt. Ausnahmen sind daher denkbar. In der zu treffenden Billigkeitsabwägung sind die Dauer der Ehe und der Kinderbetreuung, die guten wirtschaftlichen Verhältnisse des M und der Zeitraum zu berücksichtigen, in dem schon Unterhalt geleistet worden ist. Bei der Berechnung des Einkommens, das F ohne Ehe erzielen könnte, ist das Nettoeinkommen nach Steuerklasse I ohne Kinderfreibeträge zu ermitteln. Im Rahmen der Abwägung muss auch die Gründung einer neuen Familie durch M Beachtung finden.

     

    Praxishinweis

    Es kann nicht häufig genug auf den Zusammenhang zwischen ehebedingtem Nachteil und der Erwerbsobliegenheit des Berechtigten hingewiesen werden. Zunächst ist die Erwerbsobliegenheit zu klären. Von ihr hängt ab, ob und in welcher Höhe ehebedingte Nachteile bestehen. Diese ergeben sich aus der Differenz zwischen tatsächlichem Einkommen des Berechtigten und dem Einkommen, das er ohne die Ehe erzielen würde. Je höher das tatsächliche Einkommen ist, desto geringer ist die Differenz zu dem ohne die Ehe erzielbaren Einkommen. So verkürzt sich der ehebedingte Nachteil. Der Unterhalt muss berechnet werden, bevor eine Begrenzung nach § 1578b BGB geprüft werden darf. Dies ist dogmatisch bedingt, da es sich bei der Begrenzung um eine Einwendung handelt. Ferner kann eine Billigkeitsabwägung schwerlich getroffen werden, ohne zu wissen, wie hoch der Unterhalt ist. Eine Beurteilung der Erwerbsobliegenheit schlägt sich auch auf die Prüfung des ehebedingten Nachteils nieder. Keinesfalls ist es möglich, im Rahmen des § 1578b BGB die Erwerbsobliegenheit anders zu beurteilen als bei der Unterhaltsberechnung.

     

    Da der Berechtigte seinen Bedarf und seine Bedürftigkeit beweisen muss, hat er auch nachzuweisen, welche angemessene Tätigkeit ihm zumutbar ist, um seiner Erwerbsobliegenheit nachzukommen. Diese Beweislast unterscheidet sich von der beim ehebedingten Nachteil, wo der Berechtigte nur eine sekundäre Darlegungslast hat. Dieser Zusammenhang ist im Hinblick auf die Bindungswirkung im späteren Abänderungsverfahren von Bedeutung. Hat der Berechtigte eine bestimmte Tätigkeit ausgeübt, ohne dass das Ausgangsgericht ihm einen Verstoß gegen die Erwerbsobliegenheit zum Vorwurf gemacht hat, kann sich der Pflichtige in einem späteren Abänderungsverfahren zur Geltendmachung ehebedingter Nachteile nicht darauf berufen, dass die jetzige Tätigkeit des Berechtigten nicht seiner Erwerbsobliegenheit genügt. Dem steht die Bindungswirkung des § 238 Abs. 3 FamFG entgegen. Etwas anderes gilt nur bei einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse.

     

    Für den Sachvortrag des Pflichtigen können sich in diesem Rahmen Fallstricke ergeben. Er muss aufpassen, dass er nicht selbst ehebedingte Nachteile vorträgt und sich später von diesem Vortrag nicht mehr lösen kann. Es liegt im Interesse eines eine Unterhaltsbegrenzung begehrenden Pflichtigen, dass dem Berechtigten ein Einkommen in einer Höhe zugerechnet wird, die er auch ohne Ehe erzielen könnte. Zu den jetzt erzielbaren Einkünften werden häufig extrem hohe Beträge vorgetragen. Es lässt sich jedoch kaum plausibel vortragen, dass das vom Berechtigten erzielbare Einkommen höher ist als das Einkommen, das er ohne die Ehe erzielen würde. Anderes gilt nur, wenn er während der Ehe Fort- und Weiterbildung betrieb. Der Vortrag wird so gestaltet, dass der Weg für die Unterhaltsbegrenzung frei ist. Dabei verkennen die Pflichtigen, dass es sich um zwei Sachvorträge handelt: Zum einen ist die Erwerbsobliegenheit des Berechtigten zu beurteilen, zum anderen geht es um den ehebedingten Nachteil.

     

    Setzt das Gericht geringere Einkünfte ohne Verstoß gegen die Erwerbsobliegenheit an, verbleibt es bei dem Vortrag zum ehebedingten Nachteil. Darlegungsbelastet für die Geltendmachung ehebedingter Nachteile ist der Berechtigte. Der Vortrag des Pflichtigen kann ein vorweggenommenes unwiderrufliches Geständnis sein. Interessant sind die Erwägungen zur Bedeutung des ehebedingten Nachteils für die Unterhaltsbegrenzung. Soweit ein ehebedingter Nachteil verbleibt, ist ausnahmsweise eine Befristung möglich. Welche Ausnahmen gemeint sind, führt der BGH nicht aus.

     

    Der BGH stellt endgültig klar, dass auch bei ehebedingten Nachteilen eine Billigkeitsabwägung zu treffen ist. Die bisher herausgearbeiteten Kriterien sind von Bedeutung. Ferner müsse die Tatsache eines familiären Neuanfangs berücksichtigt werden. Dies stößt auf erhebliche Bedenken. Das Kriterium ist Teil des Gesetzeszwecks. Letzterer kann aber nicht als Billigkeitskriterium berücksichtigt werden. Dies zeigt sich insbesondere im Strafrecht. Hier ist es nicht möglich, den Gesetzeszweck als Strafzumessungskriterium anzusetzen. Welche Bedeutung der Hinweis des BGH hat, dass bei ehebedingten Nachteilen eine Befristung zwar grundsätzlich, aber nicht generell ausgeschlossen ist, lässt sich kaum einordnen. Der Hinweis schafft einen weiteren Unsicherheitsfaktor für die Beratungssicherheit der Anwälte.

    Quelle: Ausgabe 05 / 2013 | Seite 74 | ID 37694090