Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 04.09.2023 · IWW-Abrufnummer 237177

    Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 20.07.2023 – 5 Sa 114/23


    Tenor: 1. Auf die Berufung des Beklagten wird das zweite Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 28. März 2023, Az. 6 Ca 2739/22, aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Berufung - an das Arbeitsgericht zurückverwiesen. 2. Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten über Lohnansprüche und Urlaubsabgeltung.

    Der Kläger war beim Insolvenzschuldner vom 1. August 2021 bis zum 15. Juni 2022 als Hilfsarbeiter beschäftigt. Mit Klageschrift vom 23. November 2022, die am 24. November 2022 beim Arbeitsgericht Koblenz eingegangen und dem Schuldner am 30. November 2022 zugestellt worden ist, verlangte er vom Schuldner die Zahlung des Lohns für Dezember 2021 iHv. € 2.900,00 brutto, den Lohn für Juni 2022 iHv. € 1.450,00 brutto, Urlaubsabgeltung für 12,5 Urlaubstage aus dem Jahr 2022 iHv. € 1.673,08 brutto sowie eine Lohnabrechnung für den Monat Juni 2022.

    Zu der Güteverhandlung vom 13. Dezember 2022 erschien der Schuldner nicht. Auf Antrag des Klägers erließ das Arbeitsgericht ein Versäumnisurteil gegen ihn. Auf den Einspruch des Schuldners beraumte das Arbeitsgericht einen Kammertermin auf den 28. März 2023 an. Zu diesem Termin erschien der Schuldner nicht. Das Arbeitsgericht verkündete auf Antrag des Klägers ein zweites Versäumnisurteil, mit dem der Einspruch des Schuldners gegen das erste Versäumnisurteil verworfen wurde.

    Gegen das dem Schuldner am 22. April 2023 zugestellte Urteil legte der Beklagte am 12. Mai 2023 Berufung ein und begründete diese gleichzeitig. Er teilte mit, dass das Amtsgericht R-Stadt bereits am 7. September 2022, Az. 00 IN 00/22, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und ihn zum Insolvenzverwalter bestellt hat.

    Der Beklagte beantragt,

    1. das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 28. März 2023, Az. 6 Ca 2739/22, und ab dem 7. September 2022 auch das ihm zugrundeliegende Verfahren aufzuheben, 2. dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

    Der Kläger beantragt,

    1. das Verfahren nach § 240 ZPO zu unterbrechen, 2. dem Beklagten die Kosten aufzuerlegen.

    Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache Erfolg. Das zweite Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 28. März 2023 ist aufzuheben und die Sache an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.

    Das Arbeitsgericht hat am 28. März 2023 ein Urteil verkündet, obwohl über das Vermögen des Schuldners bereits am 7. September 2022 das Insolvenzverfahren (AG R-Stadt 00 IN 00/22) eröffnet war. Der Rechtsstreit betrifft die Insolvenzmasse iSv. § 35 Abs. 1 InsO. Ein Urteil, das nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verkündet wurde, ist nicht nichtig, unterliegt aber der Aufhebung aufgrund der vom Beklagten eingelegten Berufung. Unerheblich ist, dass während des Insolvenzverfahrens aus diesem Urteil gem. § 89 Abs. 1 InsO grundsätzlich nicht vollstreckt werden darf. Der Insolvenzverwalter hat nach § 80 Abs. 1 InsO das Recht, einen Anwalt mit der Rechtsmitteleinlegung zu beauftragen und diesem eine entsprechende Prozessvollmacht zu erteilen (vgl. ausführlich BAG 26.06.2008 - 6 AZR 478/07 - mwN).

    Der Rechtsstreit wird gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 538 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 6 ZPO unter Aufhebung des zweiten Versäumnisurteils an das Arbeitsgericht zurückverwiesen. Zwar ist nach § 68 ArbGG eine Zurückverweisung wegen eines Mangels im Verfahren grundsätzlich ausgeschlossen. Etwas anderes gilt jedoch, wenn das Verfahren unter einem Mangel leidet, der in der Berufungsinstanz nicht korrigiert werden kann. Ein solcher Verfahrensfehler liegt hier vor. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hätte ein Urteil nicht verkündet werden dürfen. Das Urteil konnte auch nicht wirksam zugestellt werden (vgl. BAG 26.6.2008 - 6 AZR 478/07 - mwN). Im Übrigen liegt ein Zurückweisungsgrund nach § 538 Abs. 2 Nr. 6 ZPO vor. Die Bestimmung betrifft den Fall der erfolgreichen Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil. Durch die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht ist der Rechtsstreit wieder in erster Instanz anhängig geworden.

    Das Arbeitsgericht wird darüber zu befinden haben, ob eine Unterbrechung nach § 240 Satz 1 ZPO eingetreten ist, weil das Insolvenzverfahren (AG R-Stadt 00 IN 00/22) bereits am 7. September 2022 und damit vor Klagezustellung am 30. November 2022 eröffnet worden ist (vgl. BGH 11.12.2008 - IX ZB 232/08 - Rn. 8 ff mwN). Schon dem Wortsinn des § 240 ZPO ist zu entnehmen, dass die Unterbrechung ein rechtshängiges Verfahren voraussetzt. Die Klage dürfte damit unzulässig sein, weil der Kläger seine Forderung bereits bei Klageerhebung nur noch durch Anmeldung im Insolvenzverfahren hätte realisieren können (§ 87 InsO).

    Das Arbeitsgericht hat bei Fortsetzung des Verfahrens auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden.

    Verkündet am 20.07.2023

    Vorschriften§ 35 Abs. 1 InsO, § 89 Abs. 1 InsO, § 80 Abs. 1 InsO, § 46 Abs. 2 ArbGG, § 538 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 6 ZPO, § 68 ArbGG, § 538 Abs. 2 Nr. 6 ZPO, § 240 Satz 1 ZPO, § 240 ZPO, § 87 InsO