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  • · Fachbeitrag · Anfechtung

    „Headshop“ statt „Wacken-Store“: Darf Erwerber Mietvertrag allein anfechten?

    von RiOLG Günther Geldmacher, Düsseldorf

    • 1. Der in den Mietvertrag nach § 566 BGB eingetretene Erwerber kann (jedenfalls) nur gemeinsam mit dem vom Mieter bei Vertragsschluss getäuschten Veräußerer die Anfechtung des Mietvertrags nach § 123 Abs. 1 BGB erklären.
    • 2. Das Anfechtungsrecht des Veräußerers gemäß § 123 Abs. 1 BGB kann nicht an den Erwerber abgetreten werden.

    (OLG Hamburg 17.8.12, 4 U 8/12, Abruf-Nr. 142144)

     

    Sachverhalt

    Im Rahmen der vor Abschluss des befristeten Mietvertrags mit der Voreigentümerin geführten Verhandlungen legte die Beklagte ein Konzept vor, wonach sie beabsichtige, in den auf der Reeperbahn gelegenen Räumen einen „Wacken Store“ zu betreiben. § 2 des Mietvertrags nennt als Mietzweck den Betrieb von „Infocenter, Ticketcenter, Fanshop, Einzelhandel“. Streitig ist, ob die Beklagte in den Räumen tatsächlich einen Headshop (= legales Ladengeschäft zum Verkauf von Zubehör für den Cannabiskonsum) betreibt. Deswegen ließ die Voreigentümerin die Beklagte wegen vertragswidriger Nutzung am 15.9.10 abmahnen. Die Klägerin - seit 15.10.10 Eigentümerin des Grundstücks - erklärte wegen des Betriebs eines Headshops eine erneute Abmahnung sowie die Anfechtung des Mietvertrags wegen arglistiger Täuschung. Vorsorglich sprach sie wegen der Nichteinhaltung des vereinbarten Vertragszwecks mehrfach die außerordentliche Kündigung des Mietvertrags aus. Das LG hat eine arglistige Täuschung über den geplanten Nutzungszweck bejaht und der Räumungsklage stattgegeben. Das OLG verneint ein Anfechtungsrecht und weist die Klage ab. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist erfolglos.

    Entscheidungsgründe/Praxishinweis

    Bei Vertragsverhandlungen besteht keine allgemeine Rechtspflicht, den anderen Teil über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen Willensentschließung beeinflussen könnten. Jeder ist grundsätzlich für sein rechtsgeschäftliches Handeln selbst verantwortlich und muss sich deshalb die für die eigene Willensentscheidung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko selbst beschaffen. Allerdings besteht eine Rechtspflicht zur Aufklärung bei Vertragsverhandlungen auch ohne Nachfrage, wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind und mit denen er nicht rechnen kann (BGH MK 10, 182, Abruf-Nr. 103379: „Thor Steinar“). Liegen diese - hier vom LG bejahten, vom OLG offen gelassenen - Voraussetzungen vor, stellt sich die zentrale Frage, wer nach einer Veräußerung des Mietobjekts zur Anfechtung berechtigt ist.

     

    • Meinungsstand zum Anfechtungsrecht des Erwerbers

    Ob und falls ja inwieweit das Anfechtungsrecht des Veräußerers eines vermieteten Grundstücks auf den Erwerber übergeht, wird nicht einheitlich beurteilt.

    • Teilweise wird ein Übergang des Anfechtungsrechts des Veräußerers auf den nach § 566 BGB in das Mietverhältnis eintretenden Erwerber generell abgelehnt (Soergel-Hefermehl, BGB, 13. Aufl., § 143 Rn. 6; Blank/Börstinghaus, Miete, 4. Aufl., § 566 Rn. 45).
    • Nach anderer Ansicht bestehen gegen einen Übergang des Anfechtungsrechts auf den Erwerber keine Bedenken, wenn man den Rechtsübergang gemäß § 566 BGB als Rechtsnachfolge im Wege der gesetzlichen Vertragsübernahme ansieht (Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 10. Aufl., § 566 Rn. 126).
    • Eine weitere Meinung billigt dem Erwerber ein Anfechtungsrecht unter der Voraussetzung zu, dass das Mietverhältnis ex nunc beendet wird (MüKo/Häublein, BGB, 6. Aufl., § 566 Rn. 36).
    • Nach Lammel (Wohnraummietverhältnis, 3. Aufl., § 566 BGB, Rn. 75) bleibt der Veräußerer auch nach dem Eigentumswechsel zur Anfechtung berechtigt, im Innenverhältnis zum Erwerber beschränkt durch dessen Einverständnis.
    • Überwiegend wird angenommen, dass das Anfechtungsrecht dem Veräußerer und dem Erwerber nur gemeinsam zusteht (z.B. Staudinger-Emmerich (2014), § 566 Rn. 42; Lindner-Figura/Oprée/Stellmann, Geschäftsraummiete, 3. Aufl., Kap. 5, Rn. 62; Bamberger/Roth-Wendtland, BGB, 3. Aufl., § 143 Rn. 8; Erman/Arnold, BGB, 13. Aufl., § 143 Rn. 7).
     

    Das OLG Hamburg entscheidet wie aus dem Leitsatz ersichtlich, lässt aber offen - da nicht entscheidungsrelevant - ob eine Anfechtung durch den Erwerber nicht schon generell unzulässig ist. Grund: Eine Anfechtung des Mietvertrags allein durch den Erwerber scheidet jedenfalls aus. Da die Anfechtung des Mietvertrags gemäß § 142 Abs. 1 BGB auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses „ex-tunc“ zurückwirkt (BGH NZM 08, 886), ist auch der Veräußerer von den Wirkungen einer Anfechtung des Mietvertrags durch den Erwerber betroffen. So etwa, wenn bei einer Rückabwicklung des nichtigen Mietvertrags der Mieter statt der vereinbarten höheren Miete nur Wertersatz in Höhe der geringeren ortsüblichen Miete zu leisten hätte. Dann wäre für die Zeit vor Eigentumsübergang auch der Veräußerer zur Rückzahlung der Mietdifferenz verpflichtet. Das heißt: Es ist nicht sachgerecht, dem Erwerber allein das Anfechtungsrecht zuzubilligen. Die Auffassung von Schmidt-Futterer/Streyl (a.a.O.) widerspricht der Rechtsprechung des BGH, wonach der in den Mietvertrag nach § 566 BGB eintretende Erwerber nicht gesetzlicher Rechtsnachfolger des Voreigentümers ist, sondern vielmehr im Augenblick des Eigentumsübergangs zwischen ihm und dem Mieter kraft Gesetzes ein Mietvertrag mit demselben Inhalt zustande kommt (BGH NJW 00, 2346).

     

    Im notariellen Grundstückskaufvertrag heißt es: „Die aus allen den Kaufgegenstand betreffenden Mietverhältnissen resultierenden Forderungen und sonstigen Rechte werden hiermit vom Verkäufer an den Käufer mit Wirkung auf den Verrechnungsbetrag abgetreten. Der Verkäufer verpflichtet sich ferner, dem Käufer am heutigen Tag in separater Urkunde eine Vollmacht zu erteilen, wonach der Käufer zur Ausübung der eigentümerrechtlichen Vermieterbefugnisse gegenüber Mietern berechtigt ist“.

     

    Das OLG lässt dahinstehen, ob diese kaufvertraglichen Formulierungen auch eine Abtretung des Anfechtungsrechts beinhalten. Grund: Das Anfechtungsrecht nach § 123 Abs. 1 BGB kann nicht abgetreten werden. Es ist an die Person des Erklärenden gebunden, dessen Entschließungsfreiheit es sichern soll. Das entspricht der h.M. (Staudinger-Roth, 2010, § 142 Rn. 11; Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 143 Rn. 5; Bamberger/Roth-Wendtland, a.a.O., § 143 Rn. 8; a.A. Müko/Busche, BGB, 6. Aufl., § 142 Rn. 6), der das OLG sich anschließt. Ob die höchstpersönliche Natur des Anfechtungsrechts auch der Umdeutung (§ 140 BGB) einer unwirksamen Abtretung in eine Ausübungsermächtigung entgegensteht, hat das OLG nicht geprüft.

     

    Grundsätzlich muss der Vermieter eigenmächtige Änderungen des Verwendungszwecks der Mietsache nicht akzeptieren. Ob und inwieweit der Mieter mit einer Änderung des Verwendungszwecks gegen den Vertrag verstößt, bedarf im Einzelfall sorgfältiger Prüfung unter Abwägung der beiderseitigen Interessenlage (Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 10. Aufl., Rn. 685). Werden die Rechte des Vermieters durch eine zweckwidrige Nutzung erheblich verletzt, kann der Vermieter nicht nur auf Unterlassung klagen. Hierin liegt auch ein Grund zur fristlosen Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB, wenn ihm bei der gebotenen Abwägung der beiderseitigen Belange die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zuzumuten ist. Diese fällt hier zulasten der Klägerin aus.

     

    Ob der Mieter von der Mietsache einen vertragswidrigen Gebrauch macht, richtet sich in erster Linie nach den Abreden der Parteien (BGH MK 08, 31 Abruf-Nr. 073633). Hier ist vereinbart, dass die Beklagte in den Mieträumen einen „Einzelhandel“ betreiben kann. Der Begriff des Einzelhandels ist umfassend und beschreibt nach zutreffender Ansicht des OLG allgemein die Verkaufstätigkeit an Endverbraucher. Je allgemeiner der Mietvertrag den Vertragszweck umschreibt, umso mehr Nutzungsmöglichkeiten stehen dem Mieter für seine Geschäftsinteressen zur Verfügung.

     

    Merke | Wenn die Nutzungsmöglichkeiten der Mietsache auf einen bestimmten Mietzweck beschränkt sein sollen, muss dies im Mietvertrag dokumentiert werden.

     

    Hieran fehlt es hinsichtlich des von der Beklagten ursprünglich geplanten und bei Vertragsverhandlungen genannten Betriebs eines „Wacken Stores“. Folge: Die Beklagte ist in der Gestaltung ihrer Nutzungsmöglichkeiten frei, solange ihre geschäftliche Tätigkeit - wie hier - unter den Begriff des Einzelhandels subsumierbar bleibt und nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt.

     

    Beachten Sie | Auch Gewissensgründe, wie sie hier von dem Geschäftsführer der Klägerin geltend gemacht waren, können - bei unterstellter vertragswidriger Nutzung - die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung grundsätzlich nicht rechtfertigen. Anderes kommt allenfalls in Betracht, wenn diese Umstände für den Umfang der Gebrauchsgewährung maßgebend, dem Mieter bekannt oder erkennbar waren und er sich hiermit zumindest durch schlüssiges Verhalten einverstanden erklärt hat (BGH NJW 84, 1031).

    Quelle: Ausgabe 08 / 2014 | Seite 140 | ID 42776075