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  • · Fachbeitrag · Betreten der Mieträume

    Besichtigung: Was darf der Vermieter und was nicht?

    von VRinLG Astrid Siegmund, Berlin

    | Seit der Entscheidung des BGH vom 4.6.14 (VIII ZR 289/13, Abruf-Nr. 141780 ) sind die „Leitplanken“ des Besichtigungsrechts des Vermieters (eigentlich) geklärt. Streit darüber gibt es natürlich weiter. Dem BGH lag nun ein Grenzfall zur Entscheidung vor, der in dieser Konstellation eigentlich nur aus Eigenbedarfs-/Räumungsstreitigkeiten geläufig ist. |

     

    Sachverhalt

    Die Beklagte ist Mieterin einer Wohnung der Kläger. Der Formularmietvertrag enthält in § 14 u. a. folgende Regelung:

     

    • Im Wortlaut: Um diese Klausel ging es

    „Betreten der Mieträume

    1. Dem Vermieter oder seinem Beauftragten oder beiden steht aus besonderem Anlass (insbesondere im Fall der Beendigung des Mietverhältnisses zwecks anderweitiger Vermietung oder bei beabsichtigtem Verkauf der Mietsache) die Besichtigung der Mieträume zu verkehrsüblicher Tageszeit nach vorheriger rechtzeitiger Ankündigung an Werktagen (auch samstags) frei. […]“

     

    Erstmals in 2019 forderten die Kläger die Beklagte wegen des beabsichtigten Verkaufs der Wohnung auf, ihnen Zutritt zur Wohnung in Begleitung von Immobilienmaklern und Kaufinteressenten zu gestatten. Die Beklagte lehnte dies unter Verweis auf ihre schwerwiegende psychische Erkrankung ab.

     

    Die Kläger wollten erreichen, dass die Beklagte verurteilt wird, ihnen den Zutritt zur Wohnung gemeinsam mit den o. g. Personen an einem Werktag zwischen 10 und 18 Uhr nach einer Ankündigung von mindestens drei Werktagen im Voraus zu gewähren. Die Klage hatte vor dem AG weitgehend Erfolg, das LG hat die Klage nach Einholen eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens abgewiesen. Der BGH hat das Urteil des LG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen (BGH 26.4.23, VIII ZR 420/21, Abruf-Nr. 235962).

     

    Entscheidungsgründe

    Der BGH leitet übereinstimmend mit dem LG den Anspruch der Kläger auf Zutritt aus § 14 Nr. 1 des Mietvertrags bzw. § 242 BGB i. V. m. dem Mietvertrag ab. Seine Beanstandungen der LG-Entscheidung beziehen sich ausschließlich auf die Würdigung des psychiatrischen Sachverständigengutachtens.

     

    Beachten Sie | Der BGH knüpft an seine in der Entscheidung vom 4.6.14 (s. o.) entwickelten Grundsätze an. Dort hatte er eine Klausel für unwirksam erklärt, die den Vermieter ohne konkreten Anlass berechtigte, regelmäßig die Mieträumen nach vorheriger Ankündigung „zur Überprüfung des Wohnungszustands“ zu besichtigen. Der BGH sah darin ein anlassloses Besichtigungsrecht, das den Mieter unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 BGB).

     

    Während der Dauer des Mietvertrags sei das alleinige und uneingeschränkte Gebrauchsrecht an der Wohnung dem Mieter zugewiesen. Zudem stehe die Wohnung als die räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfalte, unter dem Schutz des Art. 13 Abs. 1 GG, der das Recht gewährleiste, dort „in Ruhe gelassen zu werden“ (BVerfG NZM 04, 186). Daher bestehe eine vertragliche, aus § 242 BGB herzuleitende Nebenpflicht des Mieters, dem Vermieter ‒ nach Vorankündigung ‒ den Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren, nur dann, wenn es hierfür einen konkreten sachlichen Grund gebe, der sich zum Beispiel aus der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Objekts ergeben könne.

     

    Diesen Anforderungen wird die Klausel in § 14 Nr. 1 des Mietvertrags gerecht, denn das Besichtigungsrecht setzt einen „besonderen Anlass“ (d. h. einen konkreten sachlichen Grund) voraus. Ein solcher kann in der gewünschten Besichtigung der Mietwohnung anlässlich ihres beabsichtigten Verkaufs mit Immobilienmaklern, Gutachtern und Kaufinteressenten liegen.

     

    MERKE | Fehlt es an einer (wirksamen) mietvertraglichen Vereinbarung, ergibt sich das Besichtigungsrecht des Vermieters aus der vertraglichen, aus § 242 BGB herzuleitenden Nebenpflicht des Mieters, dem Vermieter (nach entsprechender Vorankündigung) den Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren. Diese Pflicht setzt in jedem Fall einen konkreten sachlichen Grund voraus. Nicht ausreichend ist der Wunsch des Vermieters, „nach dem Rechten sehen“, den Zustand der Wohnung von Zeit zu Zeit zu kontrollieren.

     

    Im Rahmen der Prüfung, ob ein solcher konkreter sachlicher Grund (bzw. ein „besonderer Anlass“ i. S. d. § 14 Nr. 1 des Mietvertrags) vorliegt, sind die grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Parteien, das von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrecht des Vermieters und das ebenfalls von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Besitzrecht des (vertragstreuen) Mieters sowie Art. 13 Abs. 1 GG abzuwägen und in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.

     

    Beachten Sie | Dem Vermieter ist ‒ so der BGH ‒ anlässlich einer beabsichtigten Veräußerung der Mietsache ein Recht auf Betreten der vermieteten Wohnung zuzubilligen. Angesichts der mit diesem grundsätzlich berechtigten Grund einhergehenden lediglich geringfügigen Beeinträchtigung der von Art. 13 Abs. 1 GG, Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Interessen des Mieters würden diese regelmäßig hinter das ebenfalls von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Interesse des Vermieters zurücktreten, über sein Eigentum frei zu verfügen und dieses bei Bedarf veräußern zu können.

     

    Eine Beschränkung dieses Rechts kann sich ergeben, wenn der Mieter durch die Besichtigung der Wohnung der Gefahr schwerwiegender Gesundheitsbeeinträchtigungen oder gar einer Lebensgefahr ausgesetzt und damit in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG beeinträchtigt ist. Die Gerichte sind in diesem Fall gehalten, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen und Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen.

     

    Das LG ist dem gerecht geworden, denn es hat zur Beurteilung der Gefahren das Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen eingeholt. Es hat ‒ ebenfalls zutreffend ‒ die Folgen einer Zutrittsgewährung bzw. ihrer Verweigerung für die Parteien abgewogen und dabei zugrunde gelegt, dass die Beklagte nicht auf ihre zwangsweise Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung zur Reduzierung des festgestellten Suizidrisikos verwiesen werden könne. Mit Blick auf die ebenfalls festgestellte Gefahr einer hierdurch drohenden Verschlechterung des Gesundheitszustands der Beklagten handelt es sich um eine nicht geeignete und nicht verhältnismäßige Maßnahme.

     

    Das LG hat berücksichtigt, dass das Krankheitsbild der Beklagten seit vielen Jahren besteht, sie sich seit über 20 Jahren in Behandlung befindet, ihr Zustand durch weitere Behandlungen nicht wesentlich verbessert werden kann, dies mit der Folge, dass den Klägern u. U. der dauerhafte Entzug des Besichtigungsrechts drohen könnte. Dass das LG hieraus nicht den Schluss gezogen hat, dass die (derzeit) fehlende Besichtigungsmöglichkeit eine (wirtschaftlich sinnvolle) Veräußerung der Mietwohnung gänzlich ausschließe, sondern die Möglichkeit gesehen hat, die Wohnung auch ohne vorherige Besichtigung zu veräußern, beanstandet der BGH ebenfalls nicht. Er bestätigt auch die Würdigung des LG, dass es keinen belastbaren allgemeinen Erfahrungssatz gebe, dass eine Wohnung, die von Erwerbsinteressenten nicht besichtigt werden könne, nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht oder nur in geringerem Umfang an der allgemeinen Preisentwicklung teilnehme.

     

    Kritikpunkt des BGH: Das LG habe die Frage, ob und inwieweit sich die gesundheitlichen Folgen einer Zutrittsgewährung für die Beklagte mindern lassen, nicht vollständig gewürdigt. Vor allem habe es sich nicht mit den Ausführungen des Sachverständigen zu den gesundheitlichen Folgen einer möglichen Vertretung der Beklagten bei einer Wohnungsbesichtigung befasst. Der Sachverständige hatte ‒ so der BGH ‒ die Möglichkeit gesehen, das Risiko für gesundheitliche Komplikationen zu verringern, wenn die Beklagte bei einem Betreten der Wohnung durch Vermieter, Kaufinteressenten oder Makler nicht persönlich anwesend ist, sondern sich von einer Vertrauensperson bzw. einem Rechtsanwalt vertreten lässt. Die Ausführungen stünden zwar in (scheinbarem) Widerspruch zu seinen Feststellungen, wonach eine der Klage stattgebende Entscheidung ein hohes Risiko einer erheblichen Gesundheitsgefährdung mit sich bringe. Das LG wäre aber gehalten gewesen, auf eine Aufklärung dieses möglichen Widerspruchs ‒ z. B. mittels einer Erläuterung durch den Sachverständigen gem. § 411 Abs. 3 ZPO ‒ hinzuwirken.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung fügt sich ein in die Rechtsprechung des BGH zu den Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung und Abwägung bei drohender Gefahr schwerwiegender Gesundheitsbeeinträchtigungen bzw. Lebensgefahr im Zusammenhang mit Räumungsklagen nach einer Kündigung wegen Eigenbedarfs (zuletzt BGH 26.10.22, VIII ZR 390/21; 13.12.22, VIII ZR 96/22; vgl. auch BVerfG 6.1.21, 2 BvR 1786/20; NZM 19, 793; 16, 807). Bei Besichtigungen, wohl auch dem Betreten für Instandsetzungsmaßnahmen und/oder Modernisierungen, können keine anderen Maßstäbe (des Grundrechtsschutzes) gelten.

     

    Die Entscheidung lenkt aber auch den Blick darauf, dass alle „Organe der Rechtspflege“ ‒ sowohl Anwälte als auch Gerichte ‒ besonders aufgefordert sind, kreativ und sensibel nach pragmatischen Lösungen zu suchen, die den Interessen beider Parteien möglichst weitgehend entgegenkommt.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2023 | Seite 166 | ID 49634550