Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fortbildungspunkte · Mieterhöhungsverlangen

    Kehrtwende: Formalien der Mieterhöhung betreffen die Begründetheit der Zustimmungsklage

    von RiOLG a. D. Günther Geldmacher, Düsseldorf

    | Eine Klage auf Zustimmung zur Mieterhöhung ist unzulässig, wenn ihr kein wirksames Mieterhöhungsverlangen vorausgegangen war. Hieran hat der BGH trotz Kritik des Schrifttums in einer Vielzahl von Fällen festgehalten. Jetzt gibt der BGH seine Auffassung in einer lesenswerten Entscheidung auf. |

     

    Sachverhalt

    Die Beklagte zu 1) mietete 1982 gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann eine Dreizimmerwohnung des Klägers, die nur mit einem Außen-WC ausgestattet war. Vereinbarungsgemäß bauten die Mieter zu Mietbeginn auf eigene Kosten ein Bad mit WC in die Wohnung ein. 1992 wurde der Beklagte zu 2) als weiterer Mieter aufgenommen und die Beklagten unterzeichneten (erneut) einen Mietvertrag über dieselbe Wohnung. Mit Schreiben vom 17.8.15 wurden die Beklagten vergeblich aufgefordert, einer Erhöhung der seit 8/12 vereinbarten Nettokaltmiete um 43,52 EUR mit Wirkung ab 11/15 zuzustimmen. Zur Begründung nahm das Erhöhungsschreiben Bezug auf das Mietspiegelfeld G 1 des Berliner Mietspiegels 2015. Wohnungen, die nur über ein Außen-WC verfügen, nimmt der Berliner Mietspiegel 2015 ausdrücklich von seinem Geltungsbereich aus.

     

    Das AG gibt der Zustimmungsklage statt. Das Berufungsgericht weist dieBerufung der Beklagten nach ergänzender Beweisaufnahme ‒ Anhörung des Sachverständigen ‒ zurück. Ihre Revision hat keinen Erfolg.

     

    • 1. Die Einhaltung der Förmlichkeiten des Verfahrens auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung durch den Vermieter nach § 558a BGB und nach § 558b Abs. 2 BGB ist insgesamt dem materiellen Recht zuzuordnen und betrifft deshalb die Begründetheit und nicht die Zulässigkeit der Klage.
    • 2. Der Berliner Mietspiegel (hier: 2015) kann zur Begründung eines Mieterhöhungsverlangens (§ 558a BGB) auch für minderausgestattete Wohnungen (hier: ohne Innen-WC) herangezogen werden.
    • 3. § 3 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) vom 11.2.20 ist nach seinem Sinn und Zweck dahin aus-zulegen, dass von dem darin geregelten Verbot (jedenfalls) gerichtliche Mieterhöhungsverfahren nicht erfasst sind, in denen der Vermieter einen Anspruch auf Erhöhung der Miete zu einem vor dem in dieser Bestimmung festgelegten Stichtag (18.6.19) liegenden Zeitpunkt verfolgt.

    (Abruf-Nr. 216113)

     

    Entscheidungsgründe

    Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht länger fest, wonach die Klage auf Zustimmung zur Mieterhöhung unzulässig ist, wenn ihr ein wirksames Mieterhöhungsverlangen nicht vorausgegangen ist (Nachweise Urteilsgründe Tz. 18). Richtigerweise ist die Frage der Einhaltung der Förmlichkeiten des Verfahrens auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung durch den Vermieter nach § 558a BGB und § 558b Abs. 2 BGB insgesamt dem materiellen Recht zuzuordnen und betrifft deshalb die Begründetheit und nicht die Zulässigkeit der Klage.

     

    Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, das Mieterhöhungsverlangen genüge den formellen Anforderungen nach § 558a Abs. 1 BGB. Die Begründung soll dem Mieter konkrete Hinweise auf die sachliche Berechtigung der Erhöhung geben. Zwar dürfen an die Begründung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Das Erhöhungsverlangen muss aber ‒ in formeller Hinsicht ‒ Angaben über die Tatsachen enthalten, aus denen der Vermieter die Berechtigung der geforderten Mieterhöhung herleitet, und zwar in dem Umfang, wie der Mieter solche Angaben benötigt, um die Mieterhöhung zumindest ansatzweise überprüfen zu können. Dies war hier der Fall.

     

    § 3 Abs. 1 S. 1 MietenWoG Bln verbietet vorbehaltlich bestimmter ‒ im Streitfall nicht festgestellter ‒ Ausnahmen eine Miete, die die am 18.6.19 (Stichtag) wirksam vereinbarte Miete überschreitet. Im Fall eines Rechtsstreits nach § 558b Abs. 2 BGB tritt die Vertragsänderung erst mit der Rechtskraft des der Zustimmungsklage stattgebenden Urteils ein; denn die Zustimmungserklärung des Mieters gilt gemäß § 894 ZPO erst dann als abgegeben.

     

    Die rechtliche Ausgestaltung als einzuklagender Anspruch auf Zustimmung zu einer Vertragsänderung führt somit zwar dazu, dass die angestrebte Mieterhöhung erst mit rechtskräftiger Verurteilung des Mieters wirksam wird. Daraus folgt aber nicht, dass ein Mieterhöhungsverlangen, mit dem (wie hier) die Zustimmung zur Mieterhöhung ab einem vor dem Stichtag liegenden Zeitpunkt begehrt wird, gegen das im MietenWoG Bln angeordnete Verbot der Überschreitung der zum 18.6.19 wirksam vereinbarten Miete verstieße.

     

    Relevanz für die Praxis

    Gerichte und Beratungspraxis müssen sich umstellen. Der BGH bricht mit seiner 1982 begründeten und jahrzehntelang praktizierten Rechtsprechung und nimmt einen Paradigmenwechsel vor, wie die folgende Grafik zeigt.

     

     

    Beachten Sie | Danach sind die in § 558b Abs. 2 BGB normierten Fristen für die Erhebung der Zustimmungsklage durch den Vermieter als Element ihrer materiellen Begründetheit zu behandeln und nur noch hier zu prüfen. Folge: Sind die Fristen nicht gewahrt, ist die Klage nicht ‒ wie bisher ‒ als unzulässig abzuweisen, sondern als (derzeit) unbegründet.

     

    Gehört die Klagefrist nach § 558b Abs. 2 S. 2 BGB aber zur materiellen Begründetheit der Zustimmungsklage, muss die dem Mieter eingeräumte Überlegungsfrist nach § 558b Abs. 2 S. 1 BGB rechtssystematisch gleich- behandelt werden. Denn diese Frist ist der Klagefrist in der Weise vorgeschaltet, dass letztere erst durch den Ablauf der ersteren in Gang gesetzt wird.

     

    Hieran anknüpfend prüfen die Gerichte das Mieterhöhungsverlangen im Rahmen der Begründetheit der Zustimmungsklage in zwei Stufen:

    • Stufe 1: Genügt das Mieterhöhungsverlangen den formellen Anforderungen nach § 558a Abs. 1 BGB? Wenn nein, ist die Klage nicht begründet.
    • Stufe 2: Ist das Mieterhöhungsverlangen auch materiell berechtigt?

     

    So geht hier auch der BGH vor. Auf der ersten Prüfungsstufe hält er an den an ein Mieterhöhungsverlangen in formeller Hinsicht zu stellenden Begründungsanforderungen fest (hierzu MK 20, 3, Abruf-Nr. 211598). Nach dem Sachverhalt sind diese Voraussetzungen erfüllt. Das sieht auch der BGH so.

     

    Zu Leitsatz 2 ist anzumerken, dass eine vom Mieter (wie hier) im Einvernehmen mit dem Vermieter und auf eigene Kosten angeschaffte Einrichtung grundsätzlich und auf Dauer nicht in die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete einfließt (BGH MK 19, 8, Abruf-Nr. 205445). Auf einen Neuabschluss des Mietvertrags über eine jetzt mit Bad und Innen-WC ausgestattete Wohnung bei Aufnahme des Beklagten zu 2) konnte sich der Kläger wegen § 558 Abs. 6 BGB nicht berufen. Damit war die Wohnung aber nicht ‒ wie für die Anwendung des Mietspiegels 2015 vorausgesetzt ‒ mit einem Innen-WC ausgestattet. Hintergrund ist, dass solch minderausgestattete Vergleichsobjekte ohne Bad und (Innen-)WC auf dem Berliner Wohnungsmarkt nicht mehr in ausreichender Zahl vorhanden sind. Die Vergleichsmiete für die Wohnung der Beklagten konnte daher nur durch einen Vergleich mit anderen ‒ zwar nicht identischen, aber zumindest auch sehr einfach ausgestatteten ‒ Wohnungen beurteilt werden.

     

    Beachten Sie | Es entspricht der Rechtsprechung des BGH (MK 09, 7, Abruf-Nr. 083698; NJW 16, 2565), in einem solchen Fall einen ‒ an sich für die betroffene Wohnung nicht anwendbaren ‒ Mietspiegel als Begründungsmittel i. S. d. § 558a Abs. 2 Nr. 1 BGB zuzulassen, wenn er für die Beurteilung der ortsüblichen Vergleichsmiete (wie hier) eine Orientierungshilfe bietet.

     

    Damit ist der Mietspiegel zwar noch als Begründungsmittel geeignet, ihm kommt aber keine Indizwirkung für die gerichtliche Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete zu. Auf Stufe 2 muss das Gericht daher ein Sachverständigengutachten einholen, um festzustellen, ob das Mieterhöhungsverfahren materiell begründet ist. AG und LG sind in diesem Sinne verfahren.

     

    Da auch der gerichtliche Sachverständige keine Vergleichswohnungen ohne Innen-WC mehr recherchieren konnte, hat er ‒ mit Billigung des BGH ‒ als Vergleichswohnungen solche mit anderweitigen Minderausstattungen (ohne Sammelheizung) herangezogen. Nur auf diese Weise ist dem Vermieter einer Wohnung ohne (Innen-)WC eine Mieterhöhung nach § 558 BGB überhaupt möglich.

     

    Beachten Sie | Das Gutachten muss die Befundtatsachen ausreichend offenlegen. Der BGH verweist hierzu auf BVerfGE 91, 176. Danach sind Vergleichswohnungen mit Adresse, Mietpreis und den wesentlichen Beschaffenheitsmerkmalen anzugeben. Diesen Anforderungen genügte das Gutachten.

     

    Zu Leitsatz 3 hat der BGH einen Verstoß gegen § 3 Abs. 1 S. 1 MietenWoG Bln mit der Begründung verneint, die Vorschrift sei auf einen bereits zum Stichtagszeitpunkt anhängigen Mieterhöhungsprozess nach § 558b Abs. 2 BGB nicht anzuwenden. Mit dieser Auslegung war § 3 Abs. 1 S. 1 MietenWoG Bln nicht entscheidungsrelevant und der BGH konnte offenlassen, ob das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin einer verfassungsrechtlichen Kontrolle standhält, was von verschiedenen Seiten bezweifelt wird (dazu BVerfG WuM 20, 150; NJW 20, 1202; 10.3.20, 1 BvR 515/20 [jeweils als unzulässig abgelehnte Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Zusammenhang mit noch nicht verbeschiedenen Verfassungsbeschwerden von Vermietern]; Vorlagebeschl. des LG Berlin WuM 20, 204 m. w. N.).

    Quelle: Ausgabe 08 / 2020 | Seite 143 | ID 46677451