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  • · Fachbeitrag · Mietervorkaufsrecht

    „Sonderpreisabreden“ mit dem Erstkäufer

    von VRinLG Astrid Siegmund, Berlin

    | Der Erwerb von Immobilien und ihre Aufteilung in Wohnungseigentum ist ein attraktives Geschäftsmodell. Der Verkauf der Wohnung in unvermietetem bzw. (wenigstens) zum Marktpreis vermieteten Zustand wirkt sich oft auf die Höhe des vom Verkäufer erzielbaren Kaufpreises aus. Der Mieter, der von dem ihm nach § 577 Abs. 1 S. 1 BGB zustehenden Vorkaufsrecht Gebrauch macht, erwirbt die Wohnung stets ohne die „Belastung“ mit einem Mietvertrag mit einem Dritten und könnte sie ‒ so die Befürchtung ‒ anschließend zu einem höheren Kaufpreis (unvermietet) weiterveräußern. Diskutiert wird daher die Zulässigkeit differenzierter Preisabreden, die einen höheren Kaufpreis allein für den Mieter bei Ausübung seines Vorkaufsrechtes oder ‒ allgemeiner ‒ für den Fall des Erlöschens des Mietverhältnisses (durch Konfusion, Auflösung oder Kündigung) vorsehen. Ob solche Preisabreden des Verkäufers mit dem Erstkäufer und zulasten des vorkaufsberechtigten Mieters wirksam getroffen werden können, hat der BGH nun entschieden. |

    Sachverhalt

    Die Klägerin war Mieterin einer 46,60 qm großen unsanierten Wohnung in einem Mehrparteienhaus. Die Beklagte ‒ ursprünglich Eigentümerin des Hauses und Vermieterin ‒ teilte dieses 2015 in Wohnungseigentumseinheiten auf. Mit notariellem Vertrag vom 6.12.16 verkaufte sie die an die Klägerin vermietete Wohnung an die Erstkäuferin. Der Kaufvertrag enthält Folgendes: „Der Kaufpreis für den vorbezeichneten Grundbesitz beträgt 163.266,67 EUR (…). Die Parteien gehen davon aus, dass Bemessungsgrundlage des Wohnungskaufpreises i. H. v. 163.266,67 EUR die Lieferung des Wohnungseigentums ohne Mietverhältnis mit einem Dritten ist. Der Kaufgegenstand ist derzeit vermietet. Es gilt, „ohne Mietverhältnis mit einem Dritten“ zu liefern, soweit der Mieter sein Vorkaufsrecht ausübt oder der Verkäufer dem Käufer binnen eines Monats nach Beurkundung nachweist, dass das Mietverhältnis aufgelöst oder gekündigt ist. Wird das Wohnungseigentum [ent]gegen vorstehender Beschreibung mit dem laufenden oder einem anderen Mietverhältnis geliefert, mindert sich der Kaufpreis um 10 Prozent auf 146.940,00 EUR für das Wohnungseigentum.“

     

    Die Klägerin erklärte dem empfangsbevollmächtigten Notar rechtzeitig die Ausübung des ihr als Mieterin zustehenden Vorkaufsrechts. Dabei wies sie darauf hin, dass sie die getroffene Kaufpreisregelung für unwirksam halte, soweit der vorkaufsberechtigte Mieter einen um 10 Prozent höheren Kaufpreis zahlen solle als der Erstkäufer. Sie bezahlte unter dem Vorbehalt der teilweisen Rückforderung 163.266,67 EUR an die Beklagte.

     

    Die auf Rückzahlung von 16.326,67 EUR nebst Zinsen gerichtete Klage hatte vor dem LG Erfolg. Das KG hat die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter (BGH 23.2.22, VIII ZR 305/20, Abruf-Nr. 228300).

    Entscheidungsgründe

    Der BGH bestätigt die Ansicht der Vorinstanzen: Die im Kaufvertrag getroffene Preisabrede ist der Klägerin gegenüber unwirksam, soweit sie für den ‒ hier eingetretenen ‒ Fall der wirksamen Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Mieter einen um 16.326,67 EUR höheren als den Kaufpreis vorsieht, den die Erstkäuferin im Fall des Fortbestehens des Mietverhältnisses schuldete. Der Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung des rechtsgrundlos gezahlten Betrags aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB folgt ‒ anders als von den Vorinstanzen angenommen ‒ nicht aus § 577 Abs. 5 BGB, sondern ‒ so der BGH ‒ aus der teilweisen Unwirksamkeit der Preisabrede nach §§ 577 Abs. 1 S. 3, 464 Abs. 2 BGB i. V. m. dem Verbot, einen Vertrag zulasten Dritter zu schließen.

     

    Unwirksame Preisabrede

    Durch die wirksame Ausübung des Vorkaufsrechts tritt der Vorkaufsberechtigte nicht etwa in den Kaufvertrag zwischen Verkäufer und Erstkäufer ein, sondern es kommt nach § 464 Abs. 2 BGB ein selbstständiger Kaufvertrag zu denselben Bedingungen zustande, wie sie zwischen Verkäufer und Erstkäufer vereinbart worden sind (BGH 27.4.16, VIII ZR 323/14; 24.2.95, V ZR 244/93). Soweit die Kaufpreisabrede zwischen der Beklagten und der Erstkäuferin für den Fall der Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Mieter einen um 16.326,67 EUR höheren Kaufpreis vorsieht, ist sie unwirksam, weil es sich um eine unzulässige Vereinbarung zulasten Dritter handelt.

     

    MERKE | Ein unzulässiger und daher unwirksamer Vertrag zulasten Dritter liegt vor, wenn durch ihn unmittelbar eine Rechtspflicht eines am Vertrag nicht beteiligten Dritten ‒ ohne seine Autorisierung ‒ entstehen soll (BGH 12.2.19, VI ZR 141/18; 12.10.11, VIII ZR 50/11). Unzulässig sind aber auch Vereinbarungen, nach denen die Rechtsposition eines Dritten ohne dessen Mitwirkung verkürzt werden soll (Staudinger/Klumpp, BGB, 2020, Vorbem. zu §§ 328 ff. Rn. 55; MüKo/Gottwald, BGB, 8. Aufl., § 328 Rn. 262). Eine solche Vereinbarung zulasten Dritter kann schließlich auch vorliegen, wenn die in Rede stehende Rechtspflicht bzw. Benachteiligung den Dritten erst im Anschluss an eine von ihm selbst vorzunehmende Rechtshandlung träfe, etwa infolge des Erwerbs eines mit schuldrechtlichen Verpflichtungen des Eigentümers „belasteten“ Grundstücks (BGH 12.10.16, XII ZR 9/15).

     

    Auch wenn der Erstkäufer den höheren Kaufpreis ‒ wie hier vorgesehen ‒ nur ausnahmsweise (unter engen Voraussetzungen) entrichten muss, während der Vorkaufsberechtigte diesen bei Ausübung des Vorkaufsrechts stets schuldet, handelt es sich um eine unwirksame Vereinbarung zulasten Dritter.

     

    Der BGH sieht in der Preisabrede (teilweise) eine Verkürzung der dem Vorkaufsberechtigten gesetzlich eingeräumten Rechtsposition. Er leitet dies aus dem Zweck des § 464 Abs. 2 BGB her. Die Vorschrift soll gewährleisten, dass den Vorkaufsberechtigten nach dem Inhalt seines Kaufvertrags keine anderen, vor allem ungünstigeren Bedingungen treffen als den Erstkäufer. Ungünstigere Bedingungen liegen aber auch vor, wenn dem Erstkäufer unter bestimmten Voraussetzungen die Zahlung eines niedrigeren Kaufpreises gewährt wird, während der Vorkaufsberechtigte stets den höheren Preis zahlen muss.

     

    Können differenzierte Entgeltabreden wirksam sein?

    Der BGH setzt sich dann mit der in Teilen vertretenen Position auseinander, wonach differenzierende Entgeltabreden, die unterschiedliche Preisbedingungen für Erstkäufer und Vorkaufsberechtigte vorsehen, unter Beachtung des Mietervorkaufsrechts als wirksam anzusehen seien. Dort wurden differenzierte Preisabreden bisher für zulässig gehalten, da sich die verkaufte Wohnung bei fortbestehendem Mietverhältnis für den Erstkäufer ‒ anders als aus der Sicht des vorkaufsberechtigten Mieters ‒ als an einen Dritten vermietet darstelle. Für vermietete Wohnungen werde oft ein niedrigerer Kaufpreis bezahlt als für eine Wohnung ohne mietvertragliche Bindungen. Da der Mietvertrag mit dem Eigentumserwerb des Mieters (durch Konfusion) erlösche, könne Letzterer zu günstigeren Bedingungen als der Erstkäufer erwerben und dann freistehend zu einem höheren Preis weiterveräußern. Die damit verbundenen Vermögensvorteile seien vom Schutzzweck des § 577 BGB nicht gedeckt (OLG München 12.2.05, 10 W 672/05; LG München I 27.7.05, 10 O 6287/05; Schmidt-Futterer/Blank/Fervers, Mietrecht, 15. Aufl., § 577 BGB Rn. 79).

     

    MERKE | Das sieht der BGH anders und verweist auf die dem Wesen des Mietervorkaufsrechts innewohnende Besonderheit. Diese habe den Gesetzgeber ersichtlich nicht dazu veranlasst, die in § 577 Abs. 1 S. 3 BGB geregelte Anwendbarkeit der Vorschriften über den Vorkauf entsprechend einzuschränken oder zu modifizieren. Mit der Einführung des gesetzlichen Mietervorkaufsrechts für den Fall des erstmaligen Verkaufs einer in Wohnungseigentum umgewandelten Mietwohnung (§ 570b BGB a. F.; § 577 BGB) habe der Gesetzgeber nicht nur den Schutz des Mieters vor einer Verdrängung aus seiner Wohnung infolge einer Eigenbedarfs- oder Verwertungskündigung durch einen Dritterwerber bezweckt, sondern auch das Ziel verfolgt, das Interesse des Mieters an einem Erwerb der Wohnung zu schützen, vor allem, wenn dieser aus seiner Sicht günstig ist (BT-Drucksache 12/3013, S. 18; 12/3254, S. 40; BGH 21.1.15, VIII ZR 51/14). Der Gesetzgeber habe es hingenommen, dass der Mieter in den Fällen, in denen die Vermietung an ihn zur Vereinbarung eines niedrigeren Kaufpreises zwischen Verkäufer und Erstkäufer geführt hat, bei Ausübung seines Vorkaufsrechts ‒ wirtschaftlich betrachtet ‒ von diesem Umstand profitiert.

     

    Die Verweisung in § 577 Abs. 1 S. 3 BGB auf die Vorschriften zum Vorkaufsrecht bewirke, dass dem Mieter im Wesentlichen die gleiche Rechtsstellung wie einem sonstigen Vorkaufsberechtigten eingeräumt und er in die Lage versetzt werde, bei Ausübung seines Vorkaufsrechts an den zwischen Verkäufer und Dritten ausgehandelten Konditionen zu partizipieren (BGH 21.1.15, VIII ZR 51/14). Dem Verkäufer entstehe hierdurch kein unbilliger Nachteil. Denn in seinem Eigentum steht bei Vertragsschluss und gerade bei einer Übertragung an den Vorkaufsberechtigten bis zum Ende seiner Eigentümerstellung „nur“ eine vermietete Wohnung. Er könne aber einen höheren Kaufpreis ‒ wie hier ‒ für den Fall vereinbaren, dass das Mietverhältnis zu einem späteren Zeitpunkt vor dem Eigentümerwechsel (z. B. Fälligkeit der Kaufpreiszahlung) beendet sein sollte.

     

    Beachten Sie | Schließlich wendet sich der BGH der Frage zu, ob die teilweise unwirksame Preisabrede zu einer Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrags nach § 139 BGB führen kann und verneint sie: Ist ein Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig, ist das ganze Rechtsgeschäft nichtig, es sei denn, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Der BGH arbeitet die Frage ab, obwohl sie sich aus seiner Sicht nicht wirklich stellte. Die ‒ wegen der salvatorischen Klausel ggf. darlegungs- und beweisbelastete ‒ Beklagte habe sich nicht darauf berufen und keine der Parteien geltend gemacht, dass der den Vorkaufsfall auslösende Kaufvertrag nicht wirksam zustande gekommen wäre. Die Beklagte könne sich ‒ so der BGH ‒ gegenüber der Klägerin in keinem Fall mit Erfolg auf eine Gesamtnichtigkeit des Vertrags nach § 139 BGB berufen. Im Rahmen des § 139 BGB käme es allein darauf an, ob das teilnichtige Rechtsgeschäft gemäß dem mutmaßlichen Willen der Parteien als Ganzes verworfen worden wäre. Maßgeblich wäre daher, welche Entscheidung die Parteien bei Kenntnis der Sachlage nach Treu und Glauben und bei vernünftiger Abwägung der in Betracht kommenden Verhältnisse und Interessen getroffen hätten (BGH 17.10.07, IV ZR 266/06). Die gebotene objektive Bewertung ergäbe hier, dass das Rechtsgeschäft auch ohne den unwirksamen Teil vorgenommen worden und deshalb im Übrigen wirksam wäre.

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung stärkt die Position des vorkaufsberechtigten Mieters. Von Entgeltabreden im Kaufvertrag mit dem Dritten über vermietete Wohnräume, die unterschiedliche Preisbedingungen für Erstkäufer/Dritte und den vorkaufsberechtigten Mieter vorsehen bzw. danach differenzieren, ob der Vorkaufsfall eintritt oder nicht, sollte abgesehen werden. Auf eine Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrags nach § 139 BGB zu spekulieren, ist keine erfolgversprechende Option. Die Vereinbarung eines höheren Kaufpreises mit dem Erstkäufer für den Fall, dass das bei Vertragsschluss bestehende Mietverhältnis zu einem bestimmten Zeitpunkt vor dem Eigentümerwechsel beendet wird, hat der BGH gebilligt.

     

    PRAXISTIPP | Für den Verkäufer/Vermieter kann es sich auszahlen, durchzurechnen, ob sich eine Verständigung mit dem Mieter lohnt, das Mietverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung zu beenden. Nicht jeder Mieter ist interessiert oder wirtschaftlich in der Lage, die an ihn vermietete Wohnung zu erwerben. Dieses Vorgehen hat der BGH als interessengerecht gebilligt.

     

     

    Quelle: Ausgabe 06 / 2022 | Seite 108 | ID 48271356