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  • · Fachbeitrag · Prozessrecht

    Risiken der Klage auf künftige Räumung

    von VRinLG Astrid Siegmund, Berlin

    | Der für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des BGH hat sich 2023 mit den Kostenfolgen eines Widerspruchs des Mieters gegen eine Eigenbedarfskündigung befasst, wenn der Vermieter den Widerspruch zum Anlass nimmt, den Zeitpunkt der Räumung mittels Klage auf künftige Räumung nach §§ 257, 259 ZPO zu klären ( MK 23, 67 ). Auch in der Gewerbemiete hat der Vermieter ‒ schon mit Blick auf eine Anschlussverwendung ‒ ein nachvollziehbares Interesse daran zu wissen, ob er das Mietobjekt am Ende der Mietzeit zurückerhält. Mit den Kostenrisiken einer Klage auf künftige Räumung nach § 257 ZPO für den Vermieter hat sich jetzt der für das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat befasst. |

    Sachverhalt

    Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist die Kostenentscheidung eines gegen die Beklagten ergangenen Anerkenntnisurteils. Zwischen Klägern und Beklagten bestand seit 8/18 ein zunächst befristetes und dann unbefristetes Mietverhältnis über Räumlichkeiten, die die Beklagten als Arztpraxis nutzten. Am 16.3.22 erklärten die Kläger fristgerecht die ordentliche Kündigung zum 30.9.22. Nachdem die Beklagten hierauf nicht reagierten, ließen die Kläger, die eine Anschlussvermietung planten, sie mit anwaltlichem Schreiben vom 28.4.22 auffordern, bis 12.5.22 die fristgerechte Räumung der Mieträume zu bestätigen. Da die Beklagten auch hierauf nicht reagierten, forderten die Kläger die Beklagten mit weiterem Anwaltsschreiben vom 27.5.22 erneut zur Bestätigung der fristgerechten Räumung bis spätestens 10.6.22 auf.

     

    Mangels Reaktion der Beklagten hierauf haben die Kläger im Juli 2022 Klage auf künftige Räumung erhoben. Sie verlangten zudem die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten. Anfang August 2022 führten die Beklagten Gespräche mit der Nachmieterin und einigten sich mit ihr über die Übernahme von Mobiliar. Dies teilten sie dem Kläger zu 2) am 11.8.22 mit und schlugen die letzte Septemberwoche für die Rückgabe der Räumlichkeiten vor. Nach Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens und Zustellung der Klage nebst Eingangsverfügung am 12.8.22 haben die Beklagten die Ansprüche am 24.8.22 unter Protest gegen die Kostenlast anerkannt. Sie haben geltend gemacht, den Klägern keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben zu haben, und angekündigt, die Mieträume pünktlich zum Vertragsende geräumt herauszugeben.

     

    Rechtsbeschwerde gegen Kostenentscheidung

    Das LG hat die Beklagten ihrem Anerkenntnis gemäß verurteilt und ihnen die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beklagten hat das OLG die Entscheidung dahin geändert, dass die Kläger die Kosten des Rechtsstreits tragen müssen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde (BGH 28.6.23, XII ZB 537/22, Abruf-Nr. 236793).

    Entscheidungsgründe

    Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Der BGH folgt den Feststellungen des OLG Düsseldorf.

     

    Kosten bei sofortigem Anerkenntnis

    Abweichend von § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, wonach die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, trifft den erfolgreichen Kläger gemäß § 93 ZPO die Kostenlast, wenn der Beklagte den klageweise geltend gemachten Anspruch sofort anerkennt und er durch sein Verhalten keine Veranlassung zur Klage gegeben hat. Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, ist eine Frage tatrichterlicher Würdigung, die im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkter Überprüfung unterliegt.

     

    Der BGH folgt dem OLG, das die Voraussetzungen des § 93 ZPO bejaht hat. Die Beklagten haben das Anerkenntnis innerhalb der zweiwöchigen Notfrist zur Verteidigungsanzeige (§ 276 Abs. 1 S. 1 ZPO) erklärt und damit sofort im Sinne des § 93 ZPO abgegeben. Der BGH hat auch keine rechtlichen Bedenken gegen die Würdigung des OLG, die Beklagten hätten durch ihr Schweigen auf die zweimalige Aufforderung der Kläger, ihre Bereitschaft zur Herausgabe der Mieträume bei Ende der Mietzeit zu bestätigen, keine Veranlassung zur Klageerhebung gegeben.

     

    MERKE | Veranlassung zur Klageerhebung im Sinne von § 93 ZPO gibt der Beklagte, wenn sein Verhalten vor dem Prozess aus Sicht des Klägers bei vernünftiger Betrachtung hinreichenden Anlass für die Annahme bietet, er werde ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht zu seinem Recht kommen. Diese Beurteilung bedarf einer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und ist allgemeiner Beurteilung nicht zugänglich (st. Rspr.; BGH 20.9.22, XI ZB 4/22).

     

    Das OLG hat entscheidend darauf abgestellt, dass der Schuldner vor Fälligkeit des Anspruchs im Allgemeinen grundsätzlich nicht verpflichtet oder zur Vermeidung eigener Kostennachteile gehalten ist, sich zu seiner Leistungsbereitschaft zu erklären. Dem folgt der BGH. Er sieht auch keine durchgreifenden Gründe, diese Frage für das gewerbliche Mietrecht anders zu beurteilen.

     

    Verschiedene Ansichten in Rechtsprechung und Literatur

    Teilweise wird in Rechtsprechung und Literatur die Ansicht vertreten, der Mieter gebe jedenfalls bei erkennbar begründeter Kündigung Veranlassung zur Klage, wenn er seine Bereitschaft, das Mietobjekt bei Ablauf der Mietzeit geräumt herauszugeben, auf Aufforderung des Vermieters nicht erkläre (OLG Nürnberg MietRB 04, 203; OLG Stuttgart WuM 99, 414; Guhling/Günter/Geldmacher, Gewerberaummiete, 2. Aufl., 16. Teil Kap. 3 Rn. 27; Lützenkirchen, Mietrecht, 3. Aufl., § 546 BGB Rn. 24a und b zu § 259 ZPO). Begründung: Der Vermieter habe ein berechtigtes Interesse, frühzeitig zu wissen, ob die Mieträume sofort nach Ende der Mietzeit für eine Weitervermietung oder Bau- oder Sanierungsmaßnahmen zur Verfügung stünden.

     

    Nach anderer Meinung gibt der Mieter nicht allein deshalb Veranlassung zur Klageerhebung, weil er sich auf Nachfrage des Vermieters vor Fälligkeit des Räumungs- und Herausgabeanspruchs nicht zu seiner Erfüllungsbereitschaft erklärt. Vielmehr bedürfe es insoweit eines aktiven Verhaltens des Mieters, aus dem der Vermieter den Schluss ziehen könne, dass der Mieter seiner Verpflichtung zur Räumung und Herausgabe bei Ende der Mietzeit nicht nachkommen werde (OLG Karlsruhe NJW 84, 2953 [zur Wohnraummiete]; OLG Hamm ZMR 96, 449; MüKo/Becker-Eberhard, ZPO, 6. Aufl. § 257 Rn. 19; Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 15. Aufl., § 546 BGB Rn. 128I.

     

    Kostenrisiko beim Verfahren nach § 257 ZPO

    Der BGH folgt ‒ ebenso wie das OLG ‒ der letztgenannten Auffassung: Das Verfahren nach § 257 ZPO soll dem Gläubiger des Räumungsanspruchs zwar eine frühzeitige Möglichkeit zur gerichtlichen Durchsetzung seines erst künftig fällig werdenden Anspruchs eröffnen. Ihm soll aber nicht das Kostenrisiko abgenommen werden, das sich aus einem sofortigen Anerkenntnis des als Räumungsschuldner in Anspruch genommenen Besitzers aus § 93 ZPO ergibt.

     

    MERKE | Gerade für Verfahren nach § 257 ZPO, mit denen über die allgemeinen Rechtsschutzmöglichkeiten hinaus Ansprüche auf künftige Räumung von nicht zu Wohnzwecken dienenden Räumen und Grundstücken schon vor Fälligkeit gerichtlich geltend gemacht werden können, stellt § 93 ZPO ein wichtiges gesetzliches Korrektiv zur Wahrung der schutzwürdigen Belange des Schuldners dar. Da der Räumungsschuldner bei einem Vorgehen nach § 257 ZPO schon vor Fälligkeit einem Rechtsstreit über seine Räumungsverpflichtung ausgesetzt ist, ohne dass er hierzu Anlass gegeben haben müsste und ohne dass er einen solchen Rechtsstreit effektiv hätte vermeiden können, kommt der durch § 93 ZPO eröffneten Möglichkeit des Beklagten, durch ein sofortiges Anerkenntnis eine nachteilige Kostenfolge abzuwenden, besondere Bedeutung zu. Durch § 93 ZPO, der dem Räumungsgläubiger das Kostenrisiko eines anlasslosen Rechtsstreits zuweist, wird den Interessen beider Parteien angemessen Rechnung getragen.

     

    Bei der Frage, ob der Beklagte Veranlassung zur Klageerhebung nach § 93 ZPO gegeben hat, kann es dabei im Verfahren nach § 257 ZPO von vornherein nur auf das Verhalten des Beklagten vor Fälligkeit des Anspruchs ankommen. Da aber erst der Fälligkeitszeitpunkt entscheidend für die Leistungserbringung durch den Schuldner ist und es sich bei § 257 ZPO um eine Ausnahmeregelung zugunsten des Gläubigers handelt, die die Bedeutung des Fälligkeitszeitpunkts nicht außer Kraft setzt, dürfen zur Wahrung der schutzwürdigen Interessen des Räumungsschuldners an dessen Verhalten in der Zeit vor Fälligkeit keine überhöhten Anforderungen gestellt werden.

     

    Weil der Schuldner Veranlassung zur Klage im Sinne von § 93 ZPO nur gegeben hat, wenn aus seinem Verhalten darauf zu schließen war, dass er seine Pflichten bei Fälligkeit nicht erfüllen wird, bedarf es aus der Ex-ante-Sicht des Gläubigers und späteren Klägers konkreter, aus dem Verhalten des Schuldners abzuleitender Anhaltspunkte dafür, dass dieser bei Fälligkeit nicht leisten werde. Ohne Anhaltspunkte besteht dagegen ‒ gerade vor Fälligkeit des Anspruchs ‒ regelmäßig kein Grund für Misstrauen an einem pflichtgemäßen Verhalten des Schuldners und damit für eine Klage zur vorsorglichen Durchsetzung des Anspruchs. Allein das Schweigen des Mieters auf eine Aufforderung des Vermieters, sich über seine künftige Vertragstreue und Leistungsbereitschaft zu erklären, begründet derartige Anhaltspunkte grundsätzlich nicht.

     

    Beachten Sie | Der BGH räumt zwar ein, dass es bei einem ungestörten Vertragsverhältnis nahe liegt, dass die Vertragspartner auf Fragen des anderen Vertragsteils irgendwie reagieren. Aus einem Schweigen könne aber ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht auf eine fehlende Erfüllungsbereitschaft geschlossen werden. Mangels einer Pflicht des Schuldners, sich zu seiner Erfüllungsbereitschaft zum Fälligkeitszeitpunkt zu erklären, ist das Schweigen in der Regel nicht als Ausdruck des Fehlens der Erfüllungsbereitschaft zu deuten.

     

    Kein Anlass für andere Beurteilung im Gewerbemietrecht

    Abschließend erläutert der BGH für das gewerbliche Mietrecht: Der Vermieter habe regelmäßig schon mit Blick auf eine mögliche Anschlussverwendung des Mietobjekts ein nachvollziehbares Interesse daran zu wissen, ob sich der Mieter vertragstreu verhalten und seine Pflichten bei Ende der Mietzeit erfüllen wird oder ob es zur Durchsetzung seines Herausgabeanspruchs eines gerichtlichen Vorgehens bedarf. Eine Erklärung des Mieters über seine Herausgabebereitschaft sei zwar keine vollständig sichere Planungsgrundlage, aber für den Vermieter schon deshalb von Wert, weil er im Fall einer erkennbaren Verweigerungshaltung des Mieters frühzeitig ohne Kostenrisiko eine Räumungsklage nach §§ 257, 259 ZPO erheben könne.

     

    Das Interesse des Vermieters an einer Planungsgrundlage unterscheide sich ‒ so der BGH ‒ allerdings nicht wesentlich von dem der Gläubiger anderer Schuldverhältnisse, denen ein Interesse an einer Planungsmöglichkeit regelmäßig ebenfalls nicht ganz abgesprochen werden könne. Der BGH hebt hervor, dass auch ein Interesse des Mieters anzuerkennen sei, die Berechtigung der Kündigung des Vermieters und die Möglichkeit der Beschaffung von Ersatzräumlichkeiten gründlich zu prüfen und sich nicht frühzeitig zur Berechtigung des Herausgabeverlangens des Vermieters und der eigenen Räumungsbereitschaft äußern zu müssen. Dem Interesse des Vermieters, pünktlich zum Mietzeitende wieder in den Besitz der Räumlichkeiten zu kommen, sei vor diesem Hintergrund mit der durch § 257 ZPO eröffneten Möglichkeit, vor Fälligkeit des Herausgabeanspruchs mit eigenem Kostenrisiko Klage auf Räumung und Herausgabe des Mietobjekts zu erheben, hinreichend Rechnung getragen.

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung bringt die Interessen beider Parteien des Gewerbemietvertrages in ein ausgewogenes Verhältnis. Schweigt der Mieter, wie hier, auf die Frage des Vermieters, ist der gehalten, sorgfältig abzuwägen, was es ihm wert ist, eine gerichtliche Klärung der Rückgabe des Mietobjektes vor Ablauf der Kündigungsfrist im Wege der Klage auf künftige Räumung nach § 257 ZPO herbeizuführen, verbunden mit dem Risiko, auf den Kosten ggf. „sitzen zu bleiben“. Darauf muss in der Beratung aufmerksam gemacht werden.

     

    Dem Mieter könnte ein Schweigen im Einzelfall eher anzuraten sein als eine (ehrliche) Antwort, die ihn möglicherweise „in Teufels Küche“ bringt. Ergeben sich aus der Antwort Zweifel an der Bereitschaft oder der tatsächlichen Möglichkeit der fristgerechten Herausgabe, birgt sie das Risiko, bei einer Inanspruchnahme auf künftige Räumung die Kostenfolge des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO auszulösen oder ‒ im Fall eines sofortigen Anerkenntnisses ‒ die Veranlassung zur Klageerhebung im Sinne von § 93 ZPO zu seinen Lasten anzunehmen.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2024 | Seite 169 | ID 50100760