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  • · Fachbeitrag · Zahlungsverzug

    Kein Verschulden bei Tatbestandsirrtum des Mieters: Rudert der BGH zurück?

    von RiOLG Günther Geldmacher, Düsseldorf

    • 1. Der Zahlungsverzug ist unverschuldet (§ 286 Abs. 4 BGB), wenn der Mieter erst mit Zugang der Kündigung erfährt, dass das Jobcenter entgegen eines mehrere Monate zuvor erlassenen Bescheides die angekündigte Direktzahlung der Mieten zunächst nicht vorgenommen hatte.
    • 2. Die Zahlungsverzugskündigung kann gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB auch dann unwirksam sein, wenn es im Hinblick auf außergewöhnliche Umstände ausnahmsweise geboten ist, den verbleibenden (geringfügigen) Rückstand mit Rücksicht auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) außer Betracht zu lassen.
     

    Sachverhalt

    Der Beklagte ist Mieter einer Wohnung der Klägerin. In 3/10 zahlte er einen Teilbetrag der monatlichen Miete (378 EUR) von 143,38 EUR nicht. Mit Bescheid vom 30.8.12 teilte das Jobcenter ihm mit, dass die Miete ab 1.10.12 übernommen und direkt an die Klägerin überwiesen werde. Diese Überweisung für die Monate 11+12/12 unterblieb versehentlich. Hiervon erfuhr der Beklagte erst durch die ihm am 6.12.12 zugegangene fristlose und hilfsweise ordentliche Kündigung vom 5.12.12. In der am 20.2.13 zugestellten Klage vom 23.12.12 wiederholte die Klägerin die Kündigung wegen derselben Rückstände (Miete 11 + 12/12; Restmiete 3/10). Mitte 1/13 überwies das Jobcenter die Mieten für 11/12 bis 1/13. Der Beklagte zahlte auf den Rückstand aus 3/10 am 31.1.13 einen Teilbetrag von 100 EUR. Am 18.4.13 erklärte die Klägerin eine weitere Kündigung wegen eines auf die Monate 12/12, 3 + 4/13 angeblich entfallenden Gesamtrückstands von 528,77 EUR. Die Räumungsklage wird in 2. Instanz abgewiesen. Auf den Hinweis des BGH nach § 552a ZPO nimmt die Klägerin die zugelassene Revision zurück.

    Praxishinweis

    Das LG hatte die Revision - beschränkt auf die Kündigungen vom 5.12. und 23.12.12 - mit Rücksicht auf die Frage zugelassen, welche Auswirkungen das Ausbleiben einer vom Jobcenter für den Mieter zu erbringenden Transferleistung auf den Zahlungsverzug des Mieters hat. Diese Frage rechtfertigte die Revision nicht (mehr). Nach Verkündung des Berufungsurteils hat der BGH (MK 15, 84, Abruf-Nr. 175108) entschieden, dass ein Mieter, der auf behördliche Sozialleistungen angewiesen ist, die Nichtleistung auch zu vertreten hat, wenn er alles ihm Obliegende und Zumutbare getan hat, um die öffentliche Stelle - hier das Jobcenter - zur pünktlichen Zahlung der für seine Wohnung geschuldeten Miete zu veranlassen.

     

    Gleichwohl hat die Revision aus Sicht des BGH keine Aussicht auf Erfolg. Grund: Der BGH billigt die Auffassung des LG, dass die Kündigungen der Klägerin vom 5.12. und 23.12.12 nicht begründet sind.

     

    Kündigung vom 5.12.12

    Bei Ausspruch und Zugang der Kündigung befand sich der Beklagte gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 556b Abs. 1 BGB nur mit der Restmiete für 3/10 in Höhe eines Teilbetrags von 143,38 EUR in Zahlungsverzug. Dieser allein rechtfertigte weder die fristlose noch die ordentliche Kündigung.

     

    Zwar liegt in der Nichtzahlung der Mieten für 11 und 12/12 ein wichtiger Kündigungsgrund i. S. von § 543 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 3a BGB. Anders als im Fall MK 15, 84 lässt der BGH die Kündigung mit dem LG aber an § 286 Abs. 4 BGB scheitern. Danach kommt der Schuldner nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat.

     

    Beachten Sie | Obwohl der BGH in MK 15, 84 quasi apodiktisch festgestellt hat, dass der Mieter auch bei rechtzeitiger Beantragung von Sozialleistungen ohne Rücksicht auf ein Verschulden für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen hat, billigt er dem Mieter nunmehr einen den Verzug ausschließenden unverschuldeten Tatbestandsirrtum zu, wenn er erstmals durch die Kündigung davon Kenntnis erlangt, dass das Jobcenter die zugesagten Direktzahlungen an den Vermieter nicht erbracht hat. Das heißt: Der Grundsatz „Geld hat man zu haben“ ist dann nicht verzugsbegründend, wenn sich der Mieter - wie hier - unverschuldet darüber geirrt hat, dass das Jobcenter - wie zugesagt - die fälligen Mietzahlungen direkt an den Vermieter überwiesen hat.

     

    Das impliziert, dass den Mieter keine Pflicht trifft, sich bei seinem Vermieter nach dem Eingang der Miete zu erkundigen. Andernfalls wäre der Tatbestandsirrtum nicht mehr unverschuldet. Es kann daher durchaus im Kündigungsinteresse des Vermieters liegen, den Mieter zeitnah davon in Kenntnis zu setzten, dass die fällige Miete bisher nicht gezahlt ist. Eine verschuldensbegründende Verletzung von Mitwirkungspflichten des Beklagten gegenüber dem Jobcenter ist nicht festgestellt.

     

    Kündigung vom 23.12.12

    Wusste der Mieter mit Zugang der ersten Kündigung von der Nichtzahlung des Jobcenters, kann sein Zahlungsverzug nicht mehr nach § 286 Abs. 4 BGB verneint werden. Der BGH lässt dies - ebenso wie das Berufungsgericht - offen. Grund: Diese Kündigung sei jedenfalls dadurch unwirksam geworden, dass die Rückstände - bis auf einen geringfügigen Betrag von 43,88 EUR - innerhalb der Schonfrist (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) nachgezahlt worden seien.

     

    Der BGH konstatiert zwar zutreffend, dass § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB die vollständige Begleichung der Rückstände innerhalb der Schonfrist voraussetzt. Er nimmt aber zugunsten des Mieters außergewöhnliche Umstände an, nach denen es ausnahmsweise geboten ist, den verbleibenden Rückstand mit Rücksicht auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) außer Betracht zu lassen. Grund: Der noch nicht vollständig beglichene Rückstand (immerhin mehr als 11 Prozent einer Monatsmiete!) betreffe einen nur geringen Teilbetrag aus einem weit zurückliegenden Zeitraum; die übrigen Rückstände seien weit vor Ende der erst am 20.4.13 ablaufenden Schonfrist durch die Zahlungen des Jobcenters und des Beklagten getilgt gewesen. Auch sonst seien die Umstände der zunächst ausgebliebenen Zahlung des Jobcenters angesichts des dem Beklagten bereits im August 2012 erteilten gegenteiligen Bescheides außergewöhnlich.

     

    Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung hat das Mietverhältnis ebenfalls nicht beendet. Grund: Bezüglich der Mieten für die Monate 11 und 12/12 fehlte es an einer schuldhaften Pflichtverletzung des Beklagten im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB und der weitere (geringfügige) Rückstand rechtfertigt keine ordentliche Kündigung.

     

    Das Verschulden des Jobcenters ist dem Beklagten nicht gemäß § 278 BGB zuzurechnen. Der BGH bestätigt, dass das Jobcenter hinsichtlich der Mietzahlung an den Vermieter nicht Erfüllungsgehilfe des auf Transferleistungen angewiesenen Mieters ist (BGH MK 10, 1, Abruf-Nr. 093785).

     

    Mit dem Rückgriff auf § 242 BGB konnte der BGH der umstrittenen Frage (Staudinger/Emmerich, Neubearb. 2014, § 543 BGB Rn. 48; LG Flensburg, ZMR 14, 984) ausweichen, ob die materiellen Voraussetzungen einer Zahlungsverzugskündigung nach § 543 Abs. 3 BGB auch noch im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vorliegen müssen.

     

    Beachten Sie | In der obergerichtlichen Rechtsprechung haben z.B. das OLG Düsseldorf (24.2.11, I-10 U 108/09 n.v.: gewerbliches Mietverhältnis) und das KG (GE 08, 1327: Wohnraummietverhältnis) angenommen, dass das Kündigungsrecht wegen Zahlungsverzugs nach § 543 Abs. 2 S. 1 BGB entsteht, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Nr. 3a oder 3b vorliegen und es nicht erforderlich ist, dass noch zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein Rückstand im Sinne der genannten Vorschriften vorliegt. Beide Obergerichte haben in diesem Zusammenhang auf BGH ZMR 71, 27 und ZMR 88, 16 hingewiesen.

    Quelle: Ausgabe 07 / 2015 | Seite 115 | ID 43447365