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  • · Fachbeitrag · Werkvertragsrecht

    BGH mit Paukenschlag: Bauüberwachung muss kein mangelfreies Bauwerk bewirken

    | Ein Büro, das Planungs- und Bauüberwachungsleistungen im Auftrag hat, verspricht mit Übernahme dieser Leistungen nicht, dass das Bauwerk tatsächlich mangelfrei errichtet wird. Das Planungsbüro schuldet lediglich eine mangelfreie Planungs- oder Überwachungsleistung, nicht jedoch die handwerkliche Ausführung auf der Baustelle. Das hat der BGH in der wichtigsten Entscheidung des Jahres 2020 festgestellt. |

    Der Hintergrund der BGH-Entscheidung

    Jahrelang wurde oft davon ausgegangen, dass Mängel, die als Ausführungsmängel auf der Baustelle angefallen sind, gleichsam auch eine mangelhafte Bau- bzw. örtliche Bauüberwachung bedeuten. Diese Annahme hat regelmäßig zu Auseinandersetzungen über das Verschulden von Ausführungsmängeln geführt. Meistens standen folgende Fragen im Vordergrund:

     

    • Muss die ordnungsgemäße Bauüberwachung/örtliche Bauüberwachung auch faktisch dafür Sorge tragen, dass die Bauausführung durch die Unternehmen mangelfrei erfolgt?

     

    • Bedeuten Ausführungsmängel auf der Baustelle gleichzeitig, dass eine unsachgemäße Bauüberwachung vorliegt und daher ein Honorareinbehalt gerechtfertigt wäre?

     

    • Muss das Planungsbüro, wenn das ausführende Unternehmen insolvent geworden ist, den Schadenersatz bei Ausführungsmängeln tragen?

     

    • Sind gerügte Ausführungsmängel gleichsam Beweis für eine mangelhafte Bauüberwachung?

    BGH entlastet die Objektüberwachung

    Diese Fragen dürften ab sofort alle mit „Nein“ beantwortet werden. Dem BGH folgend ist künftig nämlich streng zu unterscheiden zwischen Bauüberwachungsleistungen des Planungsbüros und ausführenden Leistungen des Bauunternehmens (BGH, Beschluss vom 08.10.2020, Az. VII ARZ 1/20, Abruf-Nr. 218759). PBP fasst die wichtigsten Argumente zusammen, die dafür sprechen, dass Objektüberwacher ab sofort in punkto „mangelfreies Bauwerk“ erheblich entlastet werden.

     

    In der HOAI kalkulatorisch hinterlegtes Honorar für die Lph 8

    Auch wenn die HOAI lediglich (bis zum 31.12.2020) Preisrecht darstellt, ist eine kalkulatorische Betrachtung erforderlich, um nachzuvollziehen, mit welchem Budget die Bauüberwachung ausgestattet ist. Denn das Bauüberwachungshonorar und ‒ damit auch das dafür zur Verfügung stehende Zeitbudget für die Überwachung vor Ort ‒ ergibt sich im Wesentlichen aus der HOAI.

    Damit soll aber keineswegs die werkvertragliche Pflicht eingeschränkt werden, die darin besteht, ein möglichst mangelfreies Werk durch die Bauüberwachung zu ermöglichen. Diese Pflicht bleibt unangetastet. Aber die kalkulatorische Betrachtung zeigt die organisatorische Herausforderung für die Bauüberwachung deutlich auf.

     

    Wichtig | Bei Ingenieurbauwerken und Verkehrsanlagen ist die örtliche Bauüberwachung nicht preisrechtlich geregelt. Hier gelten die nachfolgenden Aussagen nur eingeschränkt. Generell darf aber festgehalten werden, dass

    • das übliche Honorar für die Bauüberwachung auf der Baustelle keineswegs kalkulatorisch davon ausgeht, dass alle Arbeiten auf der Baustelle hinsichtlich ihrer Qualität Einhaltung überwacht werden können,
    • Planungsbüros, die Bauüberwachung erbringen, im Rahmen ihrer unternehmerischen Disposition selbst gehalten sind, diejenigen Arbeiten intensiver zu überwachen, bei denen sie das für erforderlich halten (einzelfallbezogene Abwägung erforderlich).

     

    Objektüberwacher schuldet nur mangelfreie Objektüberwachung

    Wie oben erwähnt, hat der BGH in seiner Entscheidung explizit darauf hingewiesen, dass ein Büro, das mit Planungs- und / oder Überwachungsleistungen beauftragt ist, die für die Errichtung eines mangelfreien Bauwerks vorgesehen sind, damit nicht verspricht, dass das Bauwerk (die Bauarbeiten) tatsächlich mangelfrei errichtet wird. Für den BGH müssen (nur) die Planungs- oder Überwachungsleistungen mangelfrei sein.

     

    Dieser Unterschied ist von großer Bedeutung. Denn damit wird klargestellt, dass der Bauunternehmer nicht allein deshalb aus seiner eigenen werkvertraglichen Verpflichtung entlassen wird, weil der Bauherr einen Dritten (aus Sicht des Bauunternehmers) mit der Bauüberwachung beauftragt hat. Selbstverständlich soll eine mangelfreie Überwachungsleistung auch dafür sorgen, dass möglichst wenige Mängel auftreten. Aber der Automatismus, dass Ausführungsmängel automatisch Bauüberwachungsmängel des Planungsbüros manifestieren, ist nicht mehr gegeben.

     

    Handwerkliche Selbstverständlichkeiten

    Bei handwerklichen Selbstverständlichkeiten ist es nach der herrschenden Rechtsprechung so, dass hier keine ins Einzelne gehende Bauüberwachung auf der Baustelle erfolgen muss. Es liegt nicht automatisch ein Bauüberwachungsmangel vor, wenn handwerkliche Selbstverständlichkeiten schlecht ausgeführt worden sind und das Bauwerk an einem Mangel leidet (zuletzt LG Frankfurt a. M., Urteil vom 05.11.2019, Az. 20 O 355/15, Abruf-Nr. 219491).

     

    Wichtig | Auch bei handwerklichen Selbstverständlichkeiten schuldet der Bauüberwacher aber eine Einweisung, Stichproben und eine Endkontrolle. Das hat das KG Berlin im Einvernehmen mit dem BGH festgestellt (KG Berlin, Urteil vom 16.12.2015, Az. 21 U 81/14, Abruf-Nr. 206714; rechtskräftig durch Zurückweisung der NZB, BGH, Beschluss vom 31.07.2018, Az. VII ZR 24/16). Leider gibt es in der Fachwelt keine einheitliche Auffassung, was als „handwerkliche Selbstverständlichkeit“ eingestuft wird. Es gilt der Grundsatz: Je komplexer die Bauleistung und je höher das Mangelrisiko umso weniger ist von einer „handwerklichen Selbstverständlichkeit“ auszugehen. Maler- oder Putzarbeiten sind deshalb häufig in die Kategorie „handwerkliche Selbstverständlichkeit“ einzuordnen, komplexe Tiefgründungen, Abdichtungsarbeiten an Kelleraußenwänden und Flachdächern, konstruktiver Stahlhochbau oder Warmfassaden dagegen nicht.

    Das kann die Bauüberwachung zeitlich leisten

    Das nachstehende Beispiel zeigt anhand eines Einzelfalls (nicht repräsentativ) auf, dass die Bauüberwachung im Rahmen der Lph 8 (Grundleistungen im Leistungsbild Gebäude) nur einen Bruchteil der Bauleistungen direkt vor Ort im Hinblick auf die konkrete Ausführungsqualität überwachen kann. Dabei sind die Honorare nach HOAI (Mindestsatz) zugrunde gelegt.

     

    • Beispiel: Mögliche Leistungsdauer für Qualitätsüberwachung auf der Baustelle (Einzelfall)

    Der Auftrag umfasst die Lph 1 bis 9 im Leistungsbild Gebäude (denkmalgeschützter Umbau mit hohem Anteil an überwachungsbdedürftigen Leistungen). Das Honorar beläuft sich auf 550.000 Euro netto ohne Nebenkosten, davon entfallen 19,60 Prozent (= 104.500 Euro netto) auf die Objektüberwachungsleistungen vor Ort (s. Tabelle unten). Der durchschnittliche Bürostundensatz für die Bauüberwachung auf der Baustelle beträgt 90 Euro. Für die Bauüberwachung auf der Baustelle stehen damit 1.161 Stunden zur Verfügung (104.500 Euro / 90 Euro/Stunde. Zieht man davon sonstigen zeitlichen Aufwand (anteilige Reisezeiten, Organisation, Fortbildung, Krankheit etc.) ab, verbleiben 1.000 Stunden, die für die Überwachung auf der Baustelle zur Verfügung stehen. Die Baustelle wird in 18 Monaten abgewickelt. Bei grob geschätzten durchschnittlich 8 Arbeitskräften auf der Baustelle fallen bei 170 Std./Monat insgesamt 24.480 Arbeitsstunden an. Geht man davon aus, dass davon mindestens 20 Prozent überwachungsbedürftige Leistungen darstellen, ergeben sich grob geschätzt 4.896 Stunden.

    Leistungsphase 8

    Bewertung

    Örtliche Leistung

    • a) Überwachen der Ausführung des Objektes auf Übereinstimmung mit der öffentlich-rechtlichen Genehmigung oder Zustimmung, den Verträgen mit ausführenden Unternehmen, den Ausführungsunterlagen, den einschlägigen Vorschriften sowie mit den allgemein anerkannten Regeln der Technik

    18,00 %

    18,00 %

    • b) Überwachen der Ausführung von Tragwerken mit sehr geringen und geringen Planungsanforderungen auf Übereinstimmung mit dem Standsicherheitsnachweis

    0,10 %

    0,10 %

    • c) Koordinieren der an der Objektüberwachung fachlich Beteiligten

    1,50 %

    1,50 %

    • d) Aufstellen, Fortschreiben und Überwachen eines Terminplans (Balkendiagramm)

    1,60 %

    • e) Dokumentation des Bauablaufs (z. B. Bautagebuch)

    0,75 %

    • f) Gemeinsames Aufmaß mit den ausführenden Unternehmen

    1,00 %

    • g) Rechnungsprüfung einschließlich Prüfen der Aufmaße der bauausführenden Unternehmen

    3,75 %

    • h) Vergleich der Ergebnisse der Rechnungsprüfungen mit den Auftragssummen einschließlich Nachträgen

    0,25 %

    • i) Kostenkontrolle durch Überprüfen der Leistungsabrechnung der bauausführenden Unternehmen im Vergleich zu den Vertragspreisen

    0,85 %

    • j) Kostenfeststellung, z. B. nach DIN 276

    1,00 %

    • k) Organisation der Abnahme der Bauleistungen unter Mitwirkung anderer an der Planung und Objektüberwachung fachlich Beteiligter, Feststellung von Mängeln, Abnahmeempfehlung für den Auftraggeber

    1,50 %

    • l) Antrag auf öffentlich-rechtliche Abnahmen und Teilnahme daran

    0,10 %

    • m) Systematische Zusammenstellung der Dokumentation, zeichnerischen Darstellungen und rechnerischen Ergebnisse des Objekts

    0,25 %

    • n) Übergabe des Objekts

    0,25 %

    • o) Auflisten der Verjährungsfristen für Mängelansprüche

    0,10 %

    • p) Überwachen der Beseitigung der bei der Abnahme festgestellten Mängel

    1,00 %

    Gesamt

    32,00 %

    19,60 %

    Ergebnis: Mit dem Honorar für die vor Ort-Überwachung auf der Baustelle (hier 104.500 Euro) können rd. 1.000 Arbeitsstunden erbracht werden. Tatsächlich erforderlich wären aber 4.896 Stunden. Folglich könnten nur ca. 20 Prozent der Bauleistungen vor Ort überwacht werden (1.000 Stunden : 4.896 Stunden).

     

     

    Entscheidend ist die Organisation der Bauüberwachung

    Damit dürfte klar sein, dass die Auffassung Baumangel = Überwachungsmangel pauschal nicht gilt. Auch die teilweise geäußerte Meinung, dass die Bauüberwachung das „handwerkliche Entstehen“ von Ausführungsmängeln vermeiden muss, dürfte damit rein denklogisch nicht mehr aufrechterhalten werden können.

     

    Es bleibt aber dabei, dass die Bauüberwachung alle wichtigen Arbeiten kontrollieren muss und dass die Intensität der Bauüberwachung auf der Baustelle anforderungsgerecht je Einzelfall erfolgen muss ‒ auch bei knappen finanziellen Möglichkeiten. Entscheidend dürfte daher sein, die Bauüberwachung extrem gut zu organisieren und sich u. a. auf zeitnahe Leistungskontrollen bei den jeweiligen einzelnen (relevanten) Arbeitsschritten zu konzentrieren. Diese zeitnahen Kontrollen ermöglichen dann eine weitreichendere Qualitätskontrolle und schnelle Reaktion bei technischen Unstimmigkeiten.

     

    Unzureichende Beauftragung durch die Bauherrschaft

    Nicht selten haben Mängel ihre Ursache in unzureichenden Beauftragungen durch den Auftraggeber. Als Planer kommen Sie hier aber nur aus der Verantwortung, wenn Sie Ihren Hinweis- und Beratungspflichten nachgekommen sind.

     

    • Beispiele für unzureichende Beauftragungen
    • Fehlende Beauftragung einer Bestandsaufnahme, die sowohl geometrische Sachverhalte als auch Bauschäden der Bausubstanz erfassen soll.
    • Fehlende Beauftragung von Baugrundgutachten
    • Fehlende Beauftragung der Bauüberwachungsleistungen bei der Ausführung von Tragwerken im Leistungsbild Tragwerksplanung als Besondere Leistung
    • Fehlende Beauftragung der leistungsbildübergreifenden Gesamtkoordination verschiedener Objektplanungen (z. B. Leistungsbilder Gebäude, Freianlagen, Innenausbau, Ingenieurbauwerke, Verkehrsanlagen) an einer Gesamtmaßnahme.
     

    Verzichtet der Auftraggeber trotz entsprechender Beratung darauf, aus fachtechnischer Sicht erforderliche Leistungen zu beauftragen, muss er in der Regel die Folgen (z. B. Terminverzögerungen) infolge dieser Nichtbeauftragung hinnehmen.

     

    Kausalkette zwischen Mangel und Verschulden ist erforderlich

    Die obige BGH-Entscheidung vom 08.10.2020 führt in ihrer Konsequenz auch dazu, dass der Zurechnungszusammenhang zwischen Ausführungsmangel auf der Baustelle und Überwachungsmangel des Planungsbüros eine wichtige Rolle spielt. Es geht hier um die sog. Kausalkette zwischen Verschulden eines Planungsbüros (unzureichende Bauüberwachung) und einem späteren Bauschaden bzw. Ausführungsmangel. Zwischen dem Mangel und dem behaupteten Verschulden im Rahmen der Bauüberwachung muss ein kausaler Zusammenhang vorliegen. Bloße Vermutungen reichen nicht aus, um Schadensersatzforderungen oder Honorarkürzungen durchzusetzen.

     

    Hierzu liegt ergänzend zum BGH-Beschluss eine Entscheidung des OLG Düsseldorf (Urteil vom 25.04.2019, Az. 5 U 185/17, Abruf-Nr. 219358) vor. Danach ist bei Unterfangungsarbeiten immer mit Rissbildungen im Altbaubestand zu rechnen. Es kann kein Erfahrungssatz formuliert werden, wonach Risse, die im engen zeitlichen Zusammenhang mit Unterfangungsarbeiten beobachtet werden (hier: im Nachbarhaus), zwingend im Sinne eines Anscheinsbeweises auf Mängel der Unterfangungsarbeiten hindeuten. Wenn hier kein unmittelbarer kausaler Zusammenhang zwischen Rissen im Bestandsbau und der Ausführung des Bauunternehmens gesehen wird, kann das gleichermaßen auch für die Bauüberwachung gelten.

     

    Werkvertragliche Verpflichtung des Bauunternehmers greift

    Auch die ausführenden Firmen müssen ihre vertraglichen Pflichten ‒ die mangelfreie Bauausführung und ggf. die ordnungsgemäße Anmeldung von Bedenken ‒ uneingeschränkt erfüllen. Das bedeutet, dass bei mangelhafter Ausführung immer zu prüfen ist, ob das Bauunternehmen ein eigenes Verschulden trifft. Der Gesetzgeber hat das in § 650t BGB geregelt.

     

    Danach muss der Bauherr zunächst dem ausführenden Bauunternehmen eine angemessene Frist zur Mangelbeseitigung setzen. Erst wenn diese erfolglos verstrichen ist, kann sich der Bauherr an seinen Planer wenden. Dann sind jedoch die oben beschriebenen Maßgaben relevant. Das bedeutet, dass die frühere Vorgehensweise, zunächst den Planer bzw. den Bauüberwacher gesamtschuldnerisch in Anspruch zu nehmen, Geschichte ist.

     

    Wichtig | Allerdings müssen Sie darauf achten, dass Sie Ihre primäre Verpflichtung mangelfrei ableisten; das betrifft die mangelfreie Bauüberwachung und die ‒ je nach Erfordernis ‒ entsprechende Intensität vor Ort. Dazu gehört auch, dass Sie diese Leistung sorgfältig dokumentieren (z. B. Bautagesberichte mit den entsprechenden Sachinformationen).

     

    FAZIT | Die Rechtsprechung geht immer mehr dahin, dass Sie in der Lph 8 kein mangelfreies Bauwerk schulden, sondern eine mangelfreie Bauüberwachung. Das sind zwei Paar Schuhe, die auch unterschiedliche Verträge und unterschiedliche Vertragspartner betreffen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass die Bauüberwachung nicht zu jedem Zeitpunkt an jeder Stelle auf der Baustelle die Handwerker bei ihren konkreten Arbeiten am Arbeitsplatz überwachen kann. Die frühere Annahme, dass Planungsbüros die mangelfreie Errichtung eines Bauwerks bewirken müssen, ist damit überholt.

     
    Quelle: Ausgabe 01 / 2021 | Seite 14 | ID 47028062