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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    Keine Umsatzsteuerfreiheit für kosmetische Behandlungen/Schönheitsoperationen

    von Georg Nieskoven, Troisdorf

    Nach deutscher Rechtsauffassung können die Umsätze der Heilbehandler und Heilbehandlungseinrichtungen nur mit einem individuellen medizinisch-therapeutischen Zweck umsatzsteuerfrei sein. An dieser Sichtweise hatte der BFH (19.12.12, V S 30/12) jedoch jüngst unter Verweis auf ein aus Schweden anhängiges EuGH-Verfahren (C-91/12) ernstliche Zweifel bejaht und daher Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO) gewährt. Nach den Ausführungen des EuGH in seiner nun am 21.3.12 ergangenen Entscheidung dürfte die bisherige deutsche Sichtweise jedoch weitestgehend Bestand haben (EuGH 21.3.12, C-91/12).

     

    Sachverhalt

    Im EuGH-Verfahren ging es um eine schwedische Klinik, die Operationen auf dem Gebiet der ästhetisch-plastischen Chirurgie anbot und die, um die Vorsteuer aus Investitionen ziehen zu können, von der Umsatzsteuerpflicht ihrer Leistungen ausging. Das sah die schwedische Finanzverwaltung anders. In dem sich anschließenden Klageverfahren legte das schwedische Gericht den Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

     

    Anmerkungen

    Der EuGH stellte klar, dass Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der MwStSystRL dem Grunde nach die gesamte Palette der Heilbehandlungsleistungen umfasst, also auch ästhetische Behandlungen und Operationen durch begünstigte Heilbehandler. Allerdings begünstigen sowohl der Begriff der ärztlichen Heilbehandlung in Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL, als auch der Begriff der Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL nur Leistungen, die der Diagnose, Behandlung und Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienten. Daraus folge, dass es zur Begünstigung stets - und bei jeder einzelnen Leistung individuell zu beurteilen - eines medizinisch-therapeutischen Zwecks bedürfe.

     

    Nach EuGH-Ansicht können demnach ästhetische Behandlungs- oder Operationsleistungen nur dann nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der MwStSystRL steuerfrei sein, wenn sie dazu dienen, Personen zu behandeln oder zu heilen, bei denen aufgrund von Krankheit, Verletzungen oder eines angeborenen körperlichen Mangels ein Eingriff ästhetischer Natur erforderlich ist. Ausdrücklich zieht der EuGH daraus den Umkehrschluss, dass rein kosmetischen Zwecken dienende Leistungen keine begünstigte Heilbehandlung im Richtliniensinne darstelle können (EuGH a.a.O., Rz. 28 und 29).

     

    Die schwedischen Finanzbehörden hatten insofern vorgetragen, das Abstellen auf einen therapeutischen Zweck bei der ästhetischen Operation oder Behandlung und dessen individuelle Beurteilung in jedem Einzelfall sei sowohl für den Heilbehandler, als auch für die Steuerbehörden in der Praxis äußerst schwierig zu handhaben bzw. sehr verwaltungsaufwändig und könnte zu erheblichen Anwendungs- und Abgrenzungsproblemen führen mit der Folge, dass ein und derselbe Steuerpflichtige sowohl steuerbefreite, als auch mehrwertsteuerpflichtige Behandlungsumsätze erwirtschafte. Der EuGH verweist jedoch darauf, dass die Problematik der Unternehmer mit gemischter Umsatzstruktur weder ungewöhnlich, noch unlösbar sei, denn die Situation der gemischten Umsatzstruktur sei bezüglich der daraus resultierenden Vorsteuerfolgeproblematik in den Art. 173 ff. der MwStSystRL sogar explizit - durch Bildung und Anwendung eines Vorsteuer-Pro-rata-Satzes - geregelt.

     

    Bezüglich der Frage, ob es darauf ankommt, wie der Patient den Zweck der Behandlungsmaßnahme einschätzt - führt der EuGH aus, die Beurteilung des therapeutischen Zwecks der Maßnahme sei eine rein medizinische Frage. Zwar könnten die zur ästhetischen Behandlung führenden Beschwerden auch psychologischer Natur sein und auch solche Ursachen und Beschwerdehintergründe seien ein hinreichender therapeutischer Zweck im Sinne der Steuerbefreiung. Dies bedeute jedoch nicht, dass es deshalb auf die subjektiven Vorstellungen und Eigeneinschätzungen des Patienten ankomme. Vielmehr handele es sich auch insofern um eine medizinische Beurteilung, die mithin auf von entsprechendem Fachpersonal getroffenen medizinischen Feststellungen beruhen müsse.

     

    Daher sei auch die Heilbehandlung durch eine Person zu erbringen, die zur Ausübung eines heilkundlichen Berufes zugelassen sei bzw. der Zweck des Eingriffs müsse (auch) durch einen entsprechend fachkundigen Heilbehandler bestimmt werden.

     

    Praxishinweise

    Durch die EuGH-Aussagen dürfte die BFH-Sichtweise zur Abgrenzung zwischen steuerbefreiten bzw. nichtbegünstigten ästhetischen Leistungen weitestgehend bestätigt worden sein. Demnach sind ästhetische Behandlungs- und Operationsleistungen zwar dem Grunde nach als Teil der medizinischen Heilbehandlung potenziell nach § 4 Nr. 14 UStG begünstigungsfähig aber es bedarf zur Steuerbefreiung stets eines medizinisch-therapeutischen Zwecks. Dieser Zweck ist zudem individuell - nicht nur für jeden einzelnen Patietienten, sondern zudem für jede einzelne Behandlungsmaßnahme - zu beurteilen. Dabei kommt es nicht auf die Selbsteinschätzung des Patienten sondern vielmehr darauf an, ob objektiv, also auf Basis der kundigen Einschätzung von medizinischem Fachpersonal, ein medizinisch-therapeutischer Zweck gegeben ist.

     

    Wer beurteilt das medizinisch-therapeutische Ziel?

    Dies wirft die seit längerem in der deutschen Rechtsprechung und Anwendungspraxis diskutierte Frage auf, nach welchen Modalitäten die notwendige medizinisch-therapeutische Indikation für die ästhetischen Behandlungs- oder Operationsmaßnahme zu überprüfen bzw. darzulegen ist. Insofern war die Finanzgerichtsrechtsprechung bislang uneinheitlich. So hatte beispielsweise das FG Niedersachsen (2.2.12, 16 K 10148/07, Rev. BFH V R 33/12) faktisch die psychologische Schnelleinschätzung durch den behandelnden Schönheitschirurgen selbst - auf Basis seines ersten Beratungsgesprächs mit dem Patienten - ausreichen lassen, während das FG Rheinland-Pfalz (12.1.12, 6 K 1917/07, Rev. BFH V R 16/12) für die psychologische Indikation stets eine vor Behandlung erfolgte psychologische Fachbegutachtung forderte und nachträgliche Begutachtungen im psychologischen Bereich bereits dem Grunde nach ablehnte.

     

    Geklärt ist, dass bei ästhetisch-plastischen Operationen nicht die Selbsteinschätzung des Patienten - die durch die Operation hervorgerufene ästhetische Verbesserung verbessere in ihrer Folge auch nachhaltig das psychische Wohlbefinden im Sinne einer psychologischen OP-Indikationen - ausreichen kann, sondern es insofern einer entsprechenden Fachdiagnostik bedarf. Der EuGH spricht hinsichtlich dieser Fachdiagnostik in seiner jüngsten Entscheidung von entsprechendem Fachpersonal. Damit kann eigentlich nicht der ausführende Operateur selbst gemeint sein.

     

    Wer trägt die Beweislast?

    Bereits in seiner bisherigen Rechtsprechung hat der BFH klargestellt, dass die Beweislast/Nachweispflicht zum medizinisch-therapeutischen Zweck hinsichtlich jeder einzelnen Behandlungsleistung beim Heilbehandler liegt und er sich insofern auch nicht auf seine ärztliche Schweigepflicht oder § 102 AO berufen könne (BFH 22.2.06, V B 30/05; BFH 18.2.08, V B 35/06). Diese Besteuerungsgrundsätze beschränkt der BFH nicht nur auf die OP-Leistungen der Chirurgen selbst, sondern schließt auch OP-flankierende Leistungen - z.B. hinsichtlich des beteiligten Anästhesisten - ein (BFH 6.9.11, V B 64/11). Zu dieser Frage hatte der BFH auch bereits einen Gleichheitsverstoß wegen behaupteter Vollzugsdefizite in einzelnen Bundesländern einerseits oder der behaupteten Steuerbefreiung solcher Leistungen in anderen EU-Staaten andererseits verneint (BFH 1.7.10, V B 62/09).

     

    Zudem hat der BFH bei ästhetischen Leistungen hinsichtlich der Abgrenzung zwischen begünstigter Heilbehandlung und nicht nichtbegünstigter Schönheitsbehandlung klargestellt, dass insofern die Krankheitseinstufung nach den ICD-Codes der WHO unmaßgeblich sei (zum Ohrenanlegen, BFH 24.10.11, XI B 54/11).

     

    Interessante Konsequenz für den einstweiligen Rechtsschutz

    In einem Beschluss hatte der BFH (19.12.12, V S 30/12) hinsichtlich der Umsätze einer deutschen Schönheitsklinik mit Blick auf das anhängige schwedische Verfahren ernstliche Zweifel an der Umsatzsteuerpflicht i.S. der bisherigen BFH-Rechtsprechung und damit Aussetzung der Vollziehung von § 361 AO bejaht. Insofern hat der EuGH diese Zweifel zwar nun durch seine Entscheidung wieder zeitnahe zerstreut. Gleichwohl kommt dem BFH-Aussetzungsbeschluss ganz grundsätzliche umsatzsteuerliche Bedeutung durch den Gesichtspunkt zu, dass der BFH auch bei gefestigter nationaler Rechtsprechung bereits dann ernstliche Zweifel i.S. von § 361 AO bejaht, wenn das Gericht eines anderen EU-Staats beim EuGH zur fraglichen (aber nationalstaatlich bislang geklärten) Beurteilung dieser Rechtsfrage per Vorabentscheidungsersuchen anfragt.

     

    Damit ist die deutsche Umsatzbesteuerung endgültig im harmonisierten europäischen Mehrwertsteuerrecht angekommen und es gilt aus Beratersicht künftig, die mehrwertsteuerlichen Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH auch aus anderen EU-Staaten im Blick zu behalten.

    Quelle: Ausgabe 05 / 2013 | Seite 116 | ID 38673500