26.11.2008 | Insolvenzordnung
Neuer alter Überschuldungsbegriff
von RA Dr. Carsten Wegner, FA StrR, Berlin
Fast unbemerkt hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes eine Änderung der Insolvenzordnung beschlossen (BGBl I, 1982). Der Überschuldungsbegriff des § 19 InsO wurde in den Rechtszustand zurückgesetzt, der vor der Einführung der Insolvenzordnung zum 1.1.99 maßgebend war. Von der Neuregelung profitieren dabei nicht nur Finanzmarktunternehmen, sondern alle unternehmerisch tätigen Gesellschaften.
1. Insolvenzrechtlicher Hintergrund
Mit der zum 1.1.99 in Kraft getretenen Insolvenzordnung hatte der 24. Abschnitt des StGB (§§ 283 ff.) die Überschrift „Insolvenzstraftaten“ erhalten. Durch die Vereinigung der Konkurs- und Vergleichsordnung zu einem einheitlichen Insolvenzverfahren sowie dem Auslaufen der Gesamtvollstreckungsordnung in den neuen Bundesländern wurden in §§ 283 ff. StGB redaktionelle Anpassungen erforderlich.
Eine Reform des Konkursstrafrechts war zwar nach den Gesetzgebungsmaterialien nicht beabsichtigt. Die Erfahrungen in der Praxis zeigen jedoch, dass diese Reform das Insolvenzstrafrecht nicht unberührt gelassen hat. Da die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens aufgrund der seinerzeit neu geschaffenen Definitionen in §§ 17 bis 19 InsO früher und leichter gegeben sind, als es zuvor für ein Konkursverfahren der Fall war, konnte beispielsweise die objektive Strafbarkeitsbedingung des § 283 Abs. 6 StGB eher und häufiger erfüllt sein und somit zu einer Vorverlagerung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit führen. Darüber hinaus bestand die Gefahr, dass mit den gegenüber dem bisherigen Verständnis weitergehenden Legaldefinitionen der Insolvenzgründe in §§ 17 ff. InsO (Wegner in Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl., Rn. 19 ff., 62 ff.) eine Ausweitung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit verbunden ist; dies betraf insbesondere die in den einzelnen gesellschaftsrechtlichen Gesetzen geregelten Tatbestände der Insolvenzverschleppung:
- § 64 Abs. 1, § 84 Abs. 1 N. 2 GmbHG für die GmbH;
- § 130b Abs. 1 HGB, § 130a Abs. 1 und Abs. 4 HGB für die OHG, bei der keiner der Gesellschafter eine natürliche Person ist;
- § 130b Abs. 1 HGB, § 130a Abs. 1 und Abs. 4 HGB, § 177a HGB für KG;
- § 401 Abs. 1 Nr. 2 AktG, § 92 Abs. 2 S. 2 AktG für die AG;
- § 148 Abs. 1 GenG, § 99 GenG für Genossenschaften;
2. Die aktuelle Krise auf dem Finanzmarkt
Die gegenwärtige Krise auf dem Finanzmarkt hat zu erheblichen Wertverlusten insbesondere bei Aktien und Immobilien geführt. Dies kann bei Unternehmen, die von diesen Verlusten besonders stark betroffen sind, zu einer bilanziellen Überschuldung i.S. des § 19 InsO führen. Konnten diese Verluste nicht durch sonstige Vermögenswerte ausgeglichen werden, waren die Geschäftsführer bzw. Vorstände nach dem bislang geltenden Recht verpflichtet, unverzüglich, spätestens aber innerhalb von drei Wochen nach Eintritt dieser – rechnerischen – Überschuldung, einen Insolvenzantrag zu stellen. Bei einem Unterlassen drohten sanktionsrechtliche Risiken.
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