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  • 01.09.2006 | Rechtsprechungsübersicht

    Strategien bei überlanger Verfahrensdauer

    von RA Michael Tsambikakis, FA StrR, Köln

    Angestoßen durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat das BVerfG durch eine Reihe von Beschlüssen Schwung in die Diskussion und die praktische Handhabe des Beschleunigungsgebots in Strafsachen gebracht. Der Beitrag stellt die aktuelle Entwicklung vor und erläutert mögliche Verteidigungsstrategien. 

    1. Hintergrund

    1.1 Rechtsgrundlagen

    Obwohl in der StPO nicht ausdrücklich verankert, ist das Gebot der Beschleunigung des Strafverfahrens heute ein anerkannter Verfahrensgrundsatz, dessen verfassungsrechtliche Grundlage in dem Recht auf ein faires Verfahren, mithin dem Rechtsstaatsgebot, wurzelt. Einfachgesetzlich findet sich in Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK der Anspruch, dass „innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.“ In Haftsachen verstärkt sich dieses Gebot durch Art. 5 Abs. 3 S. 2 EMRK und Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und wird für das Verfahren bis zum Urteil nochmals verstärkt durch die §§ 121, 122 StPO. 

     

    Es verstößt gegen das Beschleunigungsgebot, den Beschuldigten für eine über das notwendige Maß hinausgehende Zeit den Belastungen auszusetzen, die mit einem Strafverfahren verbunden sind. Der Beschleunigungsgrundsatz soll den Beschuldigten vor physischen und psychischen Belastungen der Strafverfolgung schützen. Die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte haben alle zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um die Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen und ein Urteil herbeizuführen. Verstöße hiergegen sind zu kompensieren. So ist die „überlange Verfahrensdauer“ regelmäßig bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Nur ganz ausnahmsweise kann die überlange Verfahrensdauer ein Prozesshindernis sein, das der weiteren Durchführung des Prozesses entgegensteht. Denkbar ist das lediglich in Fällen, in denen eine ausreichende Kompensation durch Herabsetzung der Strafe nicht mehr möglich ist. Ein solcher Fall ist aber bisher noch nicht bekannt geworden. 

     

    Die neueste Rechtsprechung des BVerfG belegt aber, dass jenseits der Strafzumessung die Dauer des Verfahrens unmittelbare Auswirkung auf den Vollzug der Untersuchungshaft hat. Denn die überlange Verfahrensdauer verstößt bei angeordneter Untersuchungshaft gegen die Freiheitsrechte des Beschuldigten und kann dann nur durch die Aufhebung des Haftbefehls kompensiert werden. Das ist in Art. 5 Abs. 3 S. 1 EMRK kodifiziert („Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung während des Verfahrens“) und gilt umso mehr, je länger die Untersuchungshaft andauert. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG verstärkt sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Untersuchungsgefangenen gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse des Staates mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft. 

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