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  • 01.03.2005 | Umsatzsteuer

    Als Fahrgast im Umsatzsteuer-Karussell

    von OAR Michael Braun, Dipl.-Finw., Korb

    Die Täter bedienen sich grenzüberschreitender Lieferketten, um die Erstattung von Vorsteuer zu erreichen, ohne dass die in der Lieferkette anfallende Umsatzsteuer vollständig abgeführt wird. Da die Lieferkette in der Regel an ihrem Ausgangspunkt wieder endet, wurde der Begriff Karussell gewählt. Häufig handelt es sich jedoch um mehrere miteinander verbundene Karusselle, um die Spur der Warenbewegung zu verwischen. Dabei tauchen auch unterschiedliche Spielarten auf und bei den Beteiligten unterschiedliche Motive für die Teilnahme an einem Umsatzsteuer-Karussell: 

     

    • Die Beteiligten schaffen einen abgeschotteten künstlichen Markt. Alleiniges Ziel ist die Abschöpfung von Umsatzsteuer.

     

    • Die Beteiligten handeln mit Waren, die für einen echten Endverbraucher bestimmt sind. Sie subventionieren durch die Umsatzsteuerhinterziehung den Endverkaufspreis und schädigen so auch Wettbewerber.

     

    • Firmen nehmen an einem Umsatzsteuer-Karussell teil, um ihren Umsatz zu erhöhen. Dadurch können z.B. Banken bei der Kreditvergabe oder Anleger bei einem Börsengang getäuscht werden.

     

    Checkliste: Umsatzsteuerkarussell

    Frage 

    Antwort 

    1.Aus welchen Elementen besteht ein Umsatzsteuerkarussell?
    • Missing Trader: Der „verschwundene Unternehmer“ hat – ohne wirklich Unternehmer zu sein – eine Rechnung mit ausgewiesener Umsatzsteuer erstellt. Da er Umsatzsteuer-Voranmeldungen mit Zahllast beim FA einreicht, ist er dort zunächst nicht auffällig.

     

    Natürlich wird die Umsatzsteuer nicht abgeführt. Es handelt sich häufig um vermögenslose Personen oder Scheinfirmen, die aber beim FA steuerlich geführt werden. Denn nur dann kann der Missing Trader eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erhalten und ein EU-Ausländer papiermäßig umsatzsteuerfrei an ihn liefern.

     

    • Buffer: Diese Firmen werden zwischengeschaltet, um die angeblichen Waren des Missing Traders aufzunehmen, den tatsächlichen Lieferweg zu verschleiern und die Ermittlungen des FA zu erschweren. Es handelt sich häufig um existente Firmen, die ihren steuerlichen Pflichten ansonsten nachkommen.

     

    • Distributor: Er nimmt die Waren vom Buffer auf und liefert angeblich umsatzsteuerfrei ins Ausland. Nun kann das Karussell mit einem neuen Missing Trader wieder beginnen. Es ist zu beobachten, dass diese Distributoren mehrere Karusselle bedienen. Die Distributoren importieren auch Waren aus Drittlandgebieten. Dabei werden Staaten bevorzugt, mit denen kein Rechtshilfeabkommen besteht (Hongkong, Malaysia, Taiwan).

     

    Sie beachten klare Regeln, die den Ermittlern die Aufdeckung erschweren sollen: eine bestimmte Ware wird immer nur einmal von einem bestimmten Distributor weitergeleitet; es werden nie inländische, sondern nur innergemeinschaftliche Missing Trader eingeschaltet. Warenempfänger müssen nach außen hin einwandfreie Firmen sein. Zu diesem Zweck werden Firmen auf Vorrat gegründet, die im Falle von Ermittlungen des FA sofort eingestellt werden.

     

    • Endabnehmer: In vielen Fällen gutgläubiger Kunde des Buffers.
    2.Welche Umstände sprechen für ein Umsatzsteuerkarussell?
    • Risikobranchen (Handel mit Mobiltelefonen, Computerchips, hochwertigen Kraftfahrzeugen)
    • Waren gelangen nach der Ausfuhr wieder in das Inland
    • Wirtschaftlich unsinnige Warenwege
    • Unklarer Verbleib der Ware
    • Missing Trader in der Lieferkette
    • Erhebliche Umsatzsteigerungen
    • Massive Vorsteuererstattungen innerhalb kurzer Zeit
    3.Was unternimmt die Finanzverwaltung, um ein Umsatzsteuerkarussell aufzudecken?

    Die FÄ versuchen, bereits bei der Prüfung von neugegründeten Unternehmen die Spreu vom Weizen zu trennen, stoßen dabei aber auf Kapazitätsgrenzen. Es ist erforderlich, jedes Glied der Kette bis hin zum Endverbraucher zu prüfen. Problematisch ist jedoch der Nachweis, dass den Beteiligten (vor allem dem sog. Buffer) bewusst war, dass sie Teil eines Umsatzsteuerkarussells geworden sind. Um die bundesweit tätigen Betrüger leichter identifizieren zu können, wurde beim BfF 2001 eine Datenbank (ZAUBER) eingerichtet, die Betrugsfälle bundesweit erfasst.  

    4.Hat der Gesetzgeber gehandelt?

    Mit dem Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz (BStBl I 02, 32) hat er ein Bündel von Maßnahmen ergriffen, deren Nutzen bei der Bekämpfung der Umsatzsteuerhinterziehung jedoch zweifelhaft sind: 

     

    • Vorsteuererstattung gegen Sicherheitsleistung (§ 18f UStG)
    • Haftung für schuldhaft nicht abgeführte Steuer (§ 25d UStG)
    • Pflicht zur Abgabe monatlicher Voranmeldungen
    • § 370a AO (Der BGH hat die Verfassungsmäßigkeit in Frage gestellt.)
    5.Haben die Maßnahmen gewirkt?

    Die Maßnahmen haben sicherlich zu einer gewissen Erschwernis für die Organisatoren von Karussellen geführt. Es kam jedoch nicht zu einem signifikanten Rückgang der Fälle. Soweit erkennbar, erweist sich der Haftungstatbestand des § 25d UStG als stumpfes Schwert. Dem FA gelingt es nicht, die „positive Kenntnis“ der unlauteren Absichten des Lieferanten beim nachfolgenden Unternehmer nachzuweisen. Die Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs. 4 UStG, die es übrigens nur in Deutschland und Österreich gibt, stellt die Ermittler vor große Schwierigkeiten. Größtes Problem ist aber sicherlich die Tatsache, dass bei der geltenden Sollbesteuerung eine Verknüpfung zwischen Leistung und Gegenleistung und damit auch zwischen Vorsteueranspruch des Leistungsempfängers und Zahlung der Umsatzsteuer durch den Leistenden fehlt. Mit der Einschaltung von Drittländern vereiteln die Täter die Möglichkeit, den Warenkreislauf aufzudecken (fehlender Rechtshilfeverkehr). 

     

    Schon bevor § 370a AO vom BGH als verfassungswidrig eingestuft wurde, konnte die Vorschrift die Ermittlungen nicht erleichtern. Die wohlorganisierten Tätergruppen können nur mit Einsatz der Telekommunikationsüberwachung überführt werden. Das schließt § 261 Abs. 9 S. 2 StGB im Falle des § 370a AO aber aus. Die in § 370 Abs. 6 AO genannte Rechtsverordnung wurde immer noch nicht erlassen, so dass eine Strafverfolgung der Beteiligung an einer Steuerhinterziehung zu Lasten eines anderen EU-Mitglieds rechtlich nicht möglich ist. 

     

    Diese Tatsachen sind den Gesetzgebern der EU bekannt, dennoch werden weder Änderungen am betrugsanfälligen Umsatzsteuersystem durchgeführt noch den Ermittlungsbehörden sichere Rechtsgrundlagen für eine effektive Strafverfolgung an die Hand gegeben. Dies gilt auch für bi- und multilaterale Verträge hinsichtlich Amts- und Rechtshilfe. Eine Bekämpfung der geschilderten Umsatzsteuerhinterziehung ist nur punktuell möglich. Zu beachten ist dabei, dass die Karusselle nur eine Komponente von Umsatzsteuerdelikten sind. Die milliardenschweren Ausfälle an Steuern und Sozialbeiträgen durch den Kettenbetrug mittels Scheinrechnungen in lohnintensiven Branchen (Bau, Dienstleistung etc.) nimmt zu. Die Rechnung zahlen alle EU-Bürger.  

    6.Wie schützt sich ein ehrlicher Unternehmer vor einer Strafverfolgung und den steuerlichen Konsequenzen?

    Ohne es zu wissen, kann ein ehrlicher Unternehmer Teil eines Umsatzsteuer-Karussells werden. Prüft die Steuerfahndung die einzelnen Glieder einer verdächtigen Kette, gerät er in das Visier der misstrauischen Ermittler. Neben dem Ungemach eines Strafverfahrens mit Durchsuchungen und Sicherstellung von Beweismitteln, was den laufenden Betrieb erheblich beeinträchtigt, droht auch die Versagung des Vorsteuerabzugs (siehe Wegner PStR 04, 243) und die Inanspruchnahme durch einen Haftungsbescheid nach § 25d UStG. Dies kann der Fall sein, wenn der Unternehmer an einen Dritten unter dem Marktpreis liefert oder der Unternehmer unter dem marktüblichen Preis einkauft. Ein weiterer Haftungstatbestand ist erfüllt, wenn der Preis, der dem Unternehmer in Rechnung gestellt wird, niedriger ist als der, zu dem sein Lieferant eingekauft hat. 

     

    Der Unternehmer, der den Vorsteuerabzug begehrt, trägt in tatsächlicher Hinsicht die Feststellungslast. Dabei ist es mitunter schwierig, die Gutgläubigkeit gegenüber der Finanzverwaltung glaubhaft zu machen.  

     

    Vorsicht ist geboten bei bisher unbekannten Lieferanten. Es sollte geprüft werden, ob dieser über einen eingerichteten Betrieb verfügt, der dem äußeren Anschein nach die angebotenen Geschäfte auch selbst durchführen kann. Vor dem ersten Geschäftsabschluss empfiehlt es sich, einen Handelsregisterauszug und eine Gewerbeanmeldung zu verlangen. Angebote niemals nur telefonisch annehmen, sondern immer auch schriftlich bestätigen lassen. Diese Vorsichtsmaßnahmen sind zu dokumentieren. Um der Haftung zu entgehen, muss dokumentiert werden, warum unter dem marktüblichen Preis eingekauft oder verkauft wurde. Auch eine Bestätigung des Lieferanten, dass er selbst die Ware nicht zu einem höheren Preis erworben hat, ist hilfreich. Auch bei Bargeschäften ist mit der gebotenen Umsicht vorzugehen, da diese als Indiz für die Bösgläubigkeit des Unternehmers gewertet werden.