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  • · Fachbeitrag · Der Steuerberater fragt, der Strafverteidiger antwortet

    Anforderungen an die Ermittlungshandlungen nach § 171 Abs. 5 AO

    von RAin Sophia von Hake, LL.M und Steuerberater Timo Welling, Flick Gocke Schaumburg, Bonn

    | Die Anzahl der eingereichten Selbstanzeigefälle ist deutlich zurückgegangen, sodass die Finanzbehörden vermehrt zur Bearbeitung der sogenannten Altfälle kommen, bei denen der Steuerpflichtige bereits seit über einem Jahr auf eine Entscheidung wartet. Der § 171 Abs. 5 AO ermöglicht die Festsetzung der Steuer auch über die (verlängerte) Frist nach § 169 AO hinaus, sofern die Voraussetzungen vorliegen. Der Berater sollte in jedem Fall das Vorliegen der Norm überprüfen, da möglicherweise in diesen Fällen die Ablaufhemmung nicht greift und einzelne Jahre somit nach § 169 AO festsetzungsverjährt sind. |

     

    Frage des Steuerberaters: Ich habe für meinen Mandanten am 15.1.14 Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie sonstige Einkünfte für die VZ 2003 bis 2012 beim zuständigen Wohnsitzfinanzamt nacherklärt. Die ursprünglichen Einkommensteuererklärungen wurden jeweils in den Folgejahren an die Finanzbehörde übermittelt. Im März 2014 leitete die Bußgeld- und Strafsachenstelle (BuStra) ein Ermittlungsverfahren gegen meinen Mandanten wegen des Verdachts der Einkommensteuerhinterziehung für die Jahre 2008 bis 2012 ein und forderte gleichzeitig weitere Unterlagen zur Auswertung ab dem Jahr 2003 an. Eine Übergabe an die Steuerfahndung ist nie erfolgt. Die geänderten Bescheide für die Jahre 2003 bis 2012 habe ich im Februar 2015 erhalten. Durfte das Finanzamt den Bescheid für das Jahr 2003 im Februar 2015 noch ändern?

     

    Antwort des Verteidigers: Solange noch keine Festsetzungsverjährung nach § 169 AO eingetreten ist und die Voraussetzungen einer Änderungsnorm bestehen, können Finanzbehörden Steuerbescheide stets ändern, soweit diese Änderungsnorm reicht.

     

    Grundsätzlich würde im vorliegenden Fall die verlängerte Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO, § 169 Abs. 2 S. 2 AO für das Jahr 2003 zum 31.12.14 bzw. aufgrund der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 9 AO am 15.1.15 ablaufen, es sei denn, die Voraussetzungen für die Hemmung der Ablauffrist nach § 171 Abs. 5 S. 1 AO liegen vor. Danach müssten die Zollfahndungsämter oder die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen vor Ablauf der verlängerten Festsetzungsfrist zum 31.12.14 mit Ermittlungsmaßnahmen beginnen. Sind die dargestellten Tatbestandsmerkmale erfüllt, läuft die Festsetzungsfrist gemäß § 169 AO nicht ab, bis die auf Grundlage der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Eine zeitliche Begrenzung, bis zu welchem Zeitpunkt die Steuerbescheide zu ändern sind, sieht § 171 Abs. 5 S. 1 AO - im Vergleich zu § 171 Abs. 4 S. 3 AO - nicht vor.

     

    Zunächst muss es sich um Ermittlungen in diesem Sinne handeln, denn nicht jede Ermittlungsmaßnahme ist geeignet, die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 S. 1 AO auszulösen. Die Maßnahme muss die Möglichkeit bieten, Unterlagen zu verschaffen, aus denen sich konkrete Ergebnisse für die Ermittlung der festzusetzenden Steuer ergeben oder der Feststellung des steuerlichen Sachverhaltes dienen (Drüen in Tipke/Kruse, AO, § 171 AO, Rn. 69). Ausreichend als Ermittlungshandlungen in diesem Sinne sind die Anforderung von Unterlagen oder die Einholung von Auskünften beim Steuerpflichtigen oder dessen Vertreter (BFH 8.7.09, VIII R 5/07, PStR 10, 3, DStR 09, 2428). Die Ermittlungen müssen sich zudem gegen den Steuerpflichtigen richten und bei dem Betroffenen selbst durchgeführt worden sein. Fordert die Steuerfahndung Auskünfte über den Steuerpflichtigen oder den Sachverhalt bei Dritten an oder führt Ermittlungshandlungen bei Dritten durch, wird die Festsetzungsfrist beim Steuerschuldner nicht gehemmt (BFH 8.10.76, VI R 251/74, BStBl II 77, 223).

     

    Bei der Anforderung von Unterlagen ist die Steuerfahndung dazu angehalten, in ihrem Auskunftsersuchen bestimmte Jahre festzulegen, auf die sich die Untersuchungsmaßnahmen beziehen (BFH 8.7.09, VIII R 5/07, PStR 10, 3, DStR 09, 2428). Veranlagungszeiträume, die nicht der Steuerfahndungsprüfung unterliegen, können dementsprechend auch nicht gehemmt werden. Sollten bei der Steufa Maßnahmen ausschließlich intern durchgeführt worden sein, sind diese ebenfalls nicht als ablaufhemmende Ermittlungen i.S. des § 171 Abs. 5 S. 1 AO zu werten (Banniza in HHSp, § 171 AO, Rn. 138).

     

    Vorliegend kann dahingestellt sein, ob die Aufforderung zur Unterlagenzusendung eine Hemmung ausgelöst hätte, da die anfordernde BuStra keine in § 171 Abs. 5 S. 1 AO genannte Behörde ist (BFH 8.7.09, VIII R 5/07, PStR 10, 3, DStR 09, 2428). Der Gesetzgeber hat in § 171 Abs. 5 S. 1 AO ausschließlich die Zollfahndungsämter sowie die Steuerfahndung als Ermittlungsbehörden bestimmt, deren Tätigkeit die Ablaufhemmung auslösen kann. Nach der neueren Rechtsprechung des BFH ist ausreichend, wenn diese Stellen erst nach der Ermittlungstätigkeit der BuStra mit der reinen Auswertungstätigkeit betraut werden (BFH 14.10.10, IV B 61/09, PStR 11, 33, BFH/NV 11, 2). Dies widerspricht der ursprünglichen Ansicht des BFH sowie der herrschenden Meinung in der Literatur, welche nach dem Wortlaut des Gesetzes eine eigene Ermittlungstätigkeit der in § 171 Abs. 5 AO genannten Stellen verlang(t)en (BFH 14.04.05, XI R 83/03, BFH/NV 05, 1961).

     

    Da hier eine Weiterleitung und Übernahme durch die Steufa nicht erfolgte, wurde in diesem Fall die Frist auch nach der neueren BFH-Rechtsprechung nicht nach § 171 Abs. 5 AO gehemmt und endete mit Ablauf des 15.1.15.

     

    PRAXISHINWEIS | Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass bei geänderten Steuerbescheiden die Festsetzungsfrist genauestens zu prüfen ist. Sollte der Bescheid nach Ablauf der (verlängerten) Festsetzungsfrist ergehen, muss eine (mögliche) Ablaufhemmung beachtet werden. Dabei ist insbesondere der Wortlaut des § 171 Abs. 5 S. 1 AO „insoweit“ zu berücksichtigen, der die Änderungsmöglichkeit auf die Besteuerungsgrundlagen beschränkt, welche durch die Ermittlungen aufgedeckt worden sind.

     
    Quelle: Ausgabe 07 / 2015 | Seite 185 | ID 43444202