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  • · Fachbeitrag · Der Steuerberater fragt, der Strafverteidiger antwortet

    Ablaufhemmung nach Erstattung einer Selbstanzeige

    von RA Philipp Külz und StB Timo Welling, Flick Gocke Schaumburg, Bonn

    | Bei der Auswertung von im Rahmen einer Selbstanzeige nach § 371 AO eingereichten Unterlagen kommt es insbesondere aufgrund der in den vergangenen Jahren stetig wachsenden Anzahl der Nacherklärungen bei vielen Finanzämtern zu nicht unerheblichen Verzögerungen. Die folgenden Ausführungen machen deutlich, dass die Berater vor diesem Hintergrund sehr genau prüfen sollten, ob bei Erlass der entsprechenden Steuerbescheide nicht zumindest teilweise bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist. |

     

    Frage des Steuerberaters: Ich habe für meinen Mandanten im Juli 2013 eine Selbstanzeige betreffend die Einkommensteuer für die VZ 2007 bis 2011 beim zuständigen Wohnsitzfinanzamt eingereicht. Die ursprünglichen Einkommensteuererklärungen wurden jeweils in den Folgejahren an die Finanzbehörde übermittelt. In keinem Jahr lag der Hinterziehungsbetrag über EUR 100.000. Die Bußgeld- und Strafsachenstelle hat im September 2013 die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der Einkommensteuerhinterziehung für die Jahre 2007 bis 2011 bekannt gegeben und zur steuerlichen Auswertung Unterlagen bis einschließlich 2002 angefordert. Im Februar 2014 wurden seitens der Steuerfahndung Ermittlungen aufgenommen. Die geänderten Bescheide für die Jahre 2002 bis 2011 habe ich Mitte Oktober 2014 erhalten. Mein Mandant möchte wissen, ob eine Änderung der Bescheide noch für alle Jahre zulässig war.

     

    Antwort des Verteidigers: Der Erlass des Bescheids für den VZ 2002 war im vorliegenden Fall rechtswidrig.

     

    Die Änderung einer Steuerfestsetzung ist nach § 169 Abs. 1 S. 1 AO nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Diese beträgt regulär gemäß § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO vier Jahre; soweit eine Steuer hinterzogen worden ist, wird die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO auf zehn Jahre erweitert.

     

    Erstattet ein Steuerpflichtiger vor Ablauf der Festsetzungsfrist eine Selbstanzeige nach § 371 AO, endet die Frist nach § 171 Abs. 9 AO nicht vor Ablauf eines Jahres nach Eingang der Anzeige. Der Zweck des § 171 Abs. 9 AO besteht im Wesentlichen darin, es der Finanzbehörde zu ermöglichen, die in einem kürzeren Zeitraum als ein Jahr vor Ablauf der jeweiligen Festsetzungsverjährung eingehende Selbstanzeige ohne Zeitdruck zu prüfen und eine etwaige Bescheidänderung innerhalb eines Jahres veranlassen zu können.

     

    Nach Einschätzung des BFH ist die Bewältigung der Auswertungsarbeiten einer Selbstanzeige innerhalb eines Jahres auch ohne Weiteres möglich (BFH 8.7.09, VIII R 5/07, PStR 10, 3, DStR 09, 2428). Das den Behörden seitens des Gesetzgebers eingeräumte Bearbeitungsjahr war hier jedoch bereits abgelaufen.

     

    Grundsätzlich schließt § 171 Abs. 9 AO nicht die Anwendbarkeit weiterer Hemmungstatbestände aus (BFH 25.7.07, V B 39/07, BFH/NV 07, 2071).

     

    Folglich könnte hier eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 AO in Betracht kommen. Beginnen die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen, läuft nach § 171 Abs. 5 S. 1 AO die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor die geänderten Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind.

     

    Das Gleiche gilt nach § 171 Abs. 5 S. 2 AO, wenn dem Steuerpflichtigen vor Ablauf der Festsetzungsfrist die Einleitung des Steuerstrafverfahrens bekannt gegeben worden ist. Diese Norm hemmt die Festsetzungsverjährung aber nur für jene Jahre, welche Gegenstand des Ermittlungsverfahrens sind (BFH 14.4.05, XI R 83/03, BFH/NV 05, 1961). Eine mögliche Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 S. 2 AO scheitert folglich hier bereits an dem Umstand, dass die Einleitung des Steuerstrafverfahrens nicht für das Jahr 2002 erfolgt ist.

     

    Nach der Rechtsprechung des BFH kommt bei der Abgabe einer Selbstanzeige jedoch auch keine kumulative Anwendung von § 171 Abs. 9 AO und § 171 Abs. 5 S. 1 AO in Betracht, sofern die Steuerfahndung erst nach Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist tätig wird (BFH 8.7.09, VIII R 5/07, PStR 10, 3, DStR 09, 2428). Mit Blick auf oben dargestellten Gesetzeszweck des § 171 Abs. 9 AO ist es nicht zulässig, den Tatbestand des § 171 Abs. 5 S. 1 AO ergänzend heranzuziehen und auf diesem Wege die Festsetzungsverjährung nochmals zu verlängern. Der Finanzverwaltung soll durch § 171 Abs. 9 AO die Möglichkeit der Auswertung der Unterlagen gegeben werden, nicht jedoch neue, umfassende Prüfungsmöglichkeiten eröffnen (Banniza in HHSp, § 171 AO, Rn. 188).

     

    Durch die Erstattung der Anzeige nach § 371 AO im Juli 2013 greift hier der Hemmungstatbestand des § 171 Abs. 9 AO. Da die Steuerfahndung im Februar 2014 und somit erst nach Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist tätig wurde, kommt eine weitere Fristverlängerung gemäß § 171 Abs. 5 S. 1 AO nach der Rechtsprechung des BFH nicht in Betracht. Folglich war die Frist für das Jahr 2002 bereits im Juli 2014 abgelaufen. Somit war die Änderung des Einkommensteuerbescheids im Oktober 2014 für das Jahr 2002 unzulässig.

     

    PRAXISHINWEIS | Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass die auf Grundlage einer Selbstanzeige geänderten Steuerbescheide seitens der Berater auch im Hinblick auf eine mögliche Festsetzungsverjährung genau zu prüfen sind. Der Anstieg der Selbstanzeigen und die damit verbundene Verlängerung der behördlichen Bearbeitungszeiten führt immer häufiger dazu, dass die Jahresfrist des § 171 Abs. 9 AO überschritten wird.

     

    Mit den nun anstehenden Gesetzesänderungen und den dabei zu erwartenden Auslegungsschwierigkeiten wird die Problematik aller Voraussicht nach weiter an Relevanz gewinnen.

     

    Weiterführender Hinweis

    Quelle: Ausgabe 12 / 2014 | Seite 329 | ID 43046150