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  • · Fachbeitrag · Der Steuerberater fragt, der Strafverteidiger antwortet

    Selbstanzeige: Zum Berichtigungsverbund von Kindergeld und Einkommensteuer

    von RAin Dr. Katharina Wild, FAin StR/FAin StrR, Baker Tilly, München und RA Dr. Philipp Kauffmann, LL.M., FA StR/FA StrR, KMZ, Sindelfingen

    | Vorneweg so viel: Vorliegend war die Wirksamkeit der Selbstanzeige nicht mangels Vollständigkeit gefährdet; gleichwohl ist die Berechtigung für den Bezug von Kindergeld im Rahmen einer auf die Hinterziehung von ESt bezogenen Selbstanzeige regelmäßig zu berücksichtigen. |

     

    FRAGE DES STEUERBERATERS: Seit letztem Jahr berate ich einen neuen Mandanten. Dieser verlegte im Jahr 2011 seinen Wohnsitz von Russland nach Deutschland. Seine Ehefrau und seine beiden Kinder zogen erst im Jahr 2015 zu meinem Mandanten nach Deutschland um. Im Jahr 2015 gab der steuerliche Vorberater meines Mandanten für die Jahre 2011 bis 2013 eine Selbstanzeige ab und erklärte hierin Kapitalerträge aus ausländischen Kontoverbindungen nach. Im Rahmen der Veranlagung zur ESt für das Jahr 2015 hat das FA um die Vorlage des Kindergeldbescheids aus dem Jahr 2011 gebeten. Kurz darauf hat auch die Familienkasse die Vorlage von Belegen über die erstmalige Anmeldung der Kinder in Deutschland, Nachweise über ihre Ausreise und Schulbescheinigungen verlangt. Es stellte sich heraus, dass der Mandant, der über keine deutschen Sprachkenntnisse verfügt, sich bei der Beantragung von Kindergeld von einem Verein unterstützen ließ und in dem Antrag auf Kindergeld von einem inländischen Wohnsitz der Kinder ausgegangen wurde. Die Berechtigung zum Bezug von Kindergeld wurde im Zuge der Selbstanzeigeberatung nicht geprüft. Ist die Selbstanzeige nun mangels Vollständigkeit unwirksam?

     

    ANTWORT DES VERTEIDIGERS: Seit 2011 ist die Wirksamkeit einer Selbstanzeige gemäß § 371 AO an die vollständige Offenlegung der Hinterziehungssachverhalte einer Steuerart geknüpft. Das Vollständigkeitsgebot bezieht sich nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 1 S. 1 AO auf alle Steuerstraftaten einer Steuerart. Mangels eindeutiger Rechtsprechung ist aber unklar, wie der Begriff der Steuerart auszulegen und die Steuerart zu bestimmen ist. Überzeugend ist die Auffassung, ihn an das jeweilige Steuergesetz zu knüpfen (Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 1. Aufl., § 371 Rn. 60).

     

    Stehen mehrere Steuerhinterziehungen in Tateinheit zueinander, muss die Selbstanzeige alle von der Tateinheit umfassten Taten erfassen, da diese durch ein- und dieselbe Handlung begangen worden sind (Hüls/Reichling, a.a.O., § 371 Rn. 61). Im sogenannten Berichtigungsverbund ist ‒ als Frage des materiellen Tatbegriffs ‒ eine steuerartspezifische Lebensbeichte unabdingbare Voraussetzung einer vollständigen Selbstanzeige (Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 11/2016, § 371 Rn. 125). Der Steuerpflichtige hat daher darauf zu achten, dass alle durch die Tateinheit verbundenen Steuerhinterziehungen ‒ dies gilt selbst für den SolZ als Annexsteuer zur ESt ‒ angegeben werden. Ein solcher Zusammenhang (Berichtigungsverbund) ist bei einigen Steuerarten nicht ohne Weiteres ersichtlich und bislang auch nicht geklärt, wie etwa das Verhältnis von betrieblicher LSt und privater ESt sowie für die Beurteilung der einheitlichen und gesonderten Feststellungserklärungen als eigene Steuerart zeigt (Heuel/Rau, KÖSDI 12, 17032, 179034).

     

    Auch das Verhältnis von Kindergeld, das nach § 67 S. 1 EStG bei der Familienkasse zu beantragen und nach § 70 Abs. 1 EStG von dieser festzusetzen und auszuzahlen ist, und ESt erschließt sich nicht sofort. Kindergeld stellt nach § 31 EStG eine Steuervergütung dar und kann somit grundsätzlich selbst Gegenstand einer Steuerhinterziehung sein (§ 370 Abs. 4 S. 2 AO; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl., § 370 AO Rn. 142). Anders als der Kinderfreibetrag wird Kindergeld monatlich als vorweggenommene Steuervergünstigung ausgezahlt (§ 31 S. 3 EStG, § 62 ff. EStG). Der Kinderfreibetrag wird nicht bei der LSt (§ 38c EStG), dagegen bei dem Solz und der KiSt (§ 51a Abs. 2 und Abs. 2a EStG) berücksichtigt. Ein Wahlrecht zwischen Kindergeld und Kinderfreibetrag steht dem Berechtigten nicht zu. Jeder Berechtigte erhält zunächst Kindergeld, das FA prüft erst im Rahmen der Veranlagung gemäß § 31 S. 4 EStG, ob Kinderfreibetrag und Betreuungsfreibetrag günstiger sind als das Kindergeld. Ist das der Fall, wird die Steuer unter Verrechnung des Kindergeldes entsprechend niedriger festgesetzt. Folglich ist das Kindergeld bei einer Berichtigungserklärung betreffend die Hinterziehung von ESt stets zu berücksichtigen.

     

    Die Selbstanzeige muss den unberechtigten Bezug von Kindergeld aber nur dann umfassen, wenn es sich um eine Steuerstraftat handelt. Nach § 68 Abs. 1 S. 1 EStG ist der Bezieher von Kindergeld verpflichtet, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich der Familienkasse mitzuteilen. Haben Kinder weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort im Inland, in einem Mitgliedstaat der EU oder in einem EWR-Staat, sind diese bei der Zahlung von Kindergeld gemäß § 63 Abs. 1 S. 6 EStG grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig. Vorliegend verfügten die Kinder weder über einen inländischen Wohnsitz noch über einen gewöhnlichen Aufenthaltsort im Inland. Auch die Voraussetzungen der in § 63 Abs. 1 S. 6 HS. 2 EStG normierten Ausnahme vom Territorialitätsprinzip waren nicht gegeben: Weder war der Mandant deutscher Staatsangehöriger und damit im Zeitraum des Kindergeldbezugs Berechtigter i.S. von § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a EStG noch unterlag er als Ausländer der erweiterten beschränkten Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 2 EStG.

     

    Der Mandant müsste jedoch vorsätzlich gehandelt haben: Vorsätzliches Handeln in Form des bedingten Vorsatzes setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Ziels Willen wenigstens mit ihr abfindet, mag der Erfolgseintritt an sich auch unerwünscht sein. Bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (BGH 4.11.88, 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1). Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinanderliegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes die Merkmale der inneren Tatseite umfassend geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH 20.11.86, 4 StR 633/86, JR 88, 115).

     

    Auch das KG Berlin hat hinsichtlich des Bezugs von Kindergeld in seinem Beschluss vom 14.12.16 ((4) 121 Ss 175/16 (205/16), StraFo 17, 125) detaillierte Anforderungen an die Prüfung der subjektiven Tatseite aufgestellt. Zwar sei für die Annahme des bedingten Vorsatzes nicht erforderlich, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach sicher kenne oder gar Kenntnis von der genauen Abgabenart habe. Aufgrund der tatbestandlichen Besonderheiten des § 370 AO sei dem Wissenselement jedoch eine entscheidende Bedeutung für das Vorliegen des dolus eventualis beizumessen. Nur wer ernsthaft für möglich halte, dass die von ihm mitgeteilten und als potenziell steuererheblich erkannten Tatsachen unrichtig seien, finde sich mit dem tatbestandlichen Erfolg ab. Dagegen handele ein solcher Täter nicht vorsätzlich, der Tatsachen verschweige, weil er von deren Unerheblichkeit ausgehe.

     

    Nach Auffassung des KG sei dem deutschen Staatsbürger bei dem Bezug von Steuervergünstigungen zwar regelmäßig bekannt, bei dem Wegfall der Voraussetzungen anzeigepflichtig zu sein. Wer aber wegen Unkenntnis der Steuerrechtslage nicht an die Abgabe einer Erklärung denke, könne nicht vorsätzlich, sondern allenfalls fahrlässig handeln. Die Frage, ob von

    • einem fahrlässigen Handeln i.S. von § 378 AO ‒ also des Außer-Acht-Lassens der Sorgfalt, zu der der Täter nach den Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet und fähig ist (Vogel in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 15 Rn. 148, 209) ‒ oder
    • einem leichtfertigen Handeln ‒ wenn der Täter nach seinen individuellen Fähigkeiten in der Lage gewesen wäre, den einschlägigen Sorgfaltspflichten zu genügen (FG Niedersachsen 24.7.14, 1 K 102/13, juris) ‒ ausgegangen werden kann, sei nach einer Gesamtwertung des steuerlichen Verhaltens (BFH 17.3.00, VII B 39/99, BFH/NV 00, 1180) zu beurteilen.

     

    Hier sprechen verschiedene Anhaltspunkte gegen die Annahme eines vorsätzlichen Handelns: Der Mandant verfügte als „Ausländer“ über keine geeigneten deutschen Sprachkenntnisse, weshalb er sich bei der Stellung des Kindergeldantrags richtigerweise durch einen Verein hatte beraten lassen. Im Gespräch mit dem Steuerberater wurde deutlich, dass dem Mandanten der Zusammenhang zwischen der Familienkasse und der Finanzbehörde sowie der steuerlichen Auswirkung des Kindergeldbezugs nicht bekannt war. Ferner ergab sich aus der E-Mail-Korrespondenz des Mandanten mit dem Verein, dass der Verein ordnungsgemäß über den Wohn- und Aufenthaltsort der Kinder bei der Mutter im Ausland informiert worden war.

     

    PRAXISHINWEIS | Bei Studienaufenthalten des Kindes im Ausland, dem Familiennachzug (bei Ausländern) oder dem Getrenntleben der Eltern ist es häufig schwierig zu erkennen, wann die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld erfüllt sind. Bei Zweifeln muss daher zum Ausschluss vorsätzlichen Handelns zwingend fachkundiger Rat eingeholt werden. Sprachliche Defizite entschuldigen steuerliche Versäumnisse regelmäßig nicht (für den Fall der Fristversäumnis: Rätke in Klein, AO, 13. Aufl., § 110 Rn. 17). Im Falle des unberechtigten Kindergeldbezugs sollte zur Vermeidung einer Geldbuße gemäß § 378 Abs. 1 AO überdies angeregt werden, das unberechtigt bezogene Kindergeld zurückzuzahlen.

     
    Quelle: Ausgabe 11 / 2017 | Seite 294 | ID 44950482