· Fachbeitrag · Beitragsstrafrecht
§ 266a StGB: Erstaunliches zur Unterlassungsdogmatik
von RA Sascha Lübbersmann, RAe Ammermann Knoche Boesing, Münster
| Der 1. Strafsenat des BGH hat in seiner aktuellen Entscheidung vom 11.8.11 (1 StR 295/11, Abruf-Nr. 113136 ) - erneut in Form eines rechtsgestalterischen obiter dictum - den Anwendungsbereich des § 266a StGB erheblich ausgeweitet. Danach soll bei täuschungsähnlichen Handlungen i.S. des § 266a Abs. 2 StGB, die nach Auffassung des Senats ein illegales Beschäftigungsverhältnis begründen, die tatsächliche Unmöglichkeit zur Beitragszahlung bzw. auch deren Unzumutbarkeit, weder die Strafbarkeit nach Abs. 2 noch die nach Abs. 1 des § 266a StGB ausschließen. |
1. Ausgangslage
Dass es für diese, als präjudizierender Leitsatz veröffentlichte, Auslegung keine Vorläufer bzw. Mitstreiter aus bisheriger Rechtsprechung und Schrifttum gibt, spricht zunächst einmal nicht per se gegen sie. Bei näherer Betrachtung der Begründung wird jedoch deutlich, dass die Auslegung des 1. Strafsenats weder mit dem Gesetzeswortlaut noch mit der strafrechtlichen Unterlassungsdogmatik oder gar dem Willen des Gesetzgebers kompatibel ist. Für § 266a Abs. 1 StGB ist in ständiger Rechtsprechung als auch im Schrifttum anerkannt, dass das „Vorenthalten“ von Beiträgen des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit und Zumutbarkeit der Beitragszahlung zum Fälligkeitszeitpunkt voraussetzt. Begründet wird dies überwiegend mit dem Charakter der Norm als echtem Unterlassungsdelikt (BGH 28.5.02, 5 StR 16/02, BGHSt 47, 318, 320). Das ist auch überzeugend, weil der Normappell des Strafrechts versagt, soweit sich dem pflichtigen Arbeitgeber - z.B. mangels Zahlungsmittel - eine Verhaltensalternative überhaupt nicht bietet. Einzige Ausnahme ist, wenn der Arbeitgeber die Zahlungsunfähigkeit oder jene Umstände, welche die Unzumutbarkeit der Beitragsabführung zum Fälligkeitszeitpunkt begründen, vorwerfbar herbeigeführt hat und die Möglichkeit der Nichtzahlung vorhergesehen sowie zumindest billigend in Kauf genommen hat („omissio libera in causa/omittendo“ - BGH 28.5.02, 5 StR 16/02, BGHSt 47, 318, 322 f.).
Schon dieser praktizierten „Vorverlagerung“ der strafrechtlichen Schuld muss widersprochen werden (dazu Fischer, StGB, 58. Aufl., § 266a Rn. 15a ff.), denn die Annahme des Vorrangs der Beitragspflicht gegenüber anderen Zahlungspflichten aufgrund der Strafandrohung des § 266a StGB ist evident zirkelschlüssig und eine strafbedrohte Pflicht zur Sicherung später fällig werdender Beiträge nirgends normiert. Sämtliche Handlungen oder Unterlassungen vor dem Fälligkeitszeitpunkt können schon deshalb nicht tatbestandsmäßig sein, weil die Beiträge noch nicht geschuldet sind. Auch verbietet es das Koinzidenz- bzw. Simultaneitätsprinzip, für die Prüfung des subjektiven Tatbestands auf einen Zeitpunkt der straflosen Vorbereitungsphase abzustellen (zutreffend Renzikowski in FS Weber, 2004, 334, 338 ff.; zu den Grenzen der actio libera in causa bei verhaltensgebundenen Delikten - BGH 22.8.96, 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235). Dass für das „Vorenthalten“ nach Abs. 2 des § 266a StGB hiervon abweichende Maßstäbe anzulegen wären, kann bislang nicht festgestellt werden (Fischer, a.a.O., § 266a Rn. 21b).
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