· Fachbeitrag · DA-FamBuStra
Vollendung und Beendigung der „Kindergeldhinterziehung“
von StA Markus Ebner, LL. M., Nürnberg/Karlsruhe
| Die Dienstanweisung zur Durchführung von Steuerstraf- und OWi-Verfahren im Zusammenhang mit dem steuerlichen Familienleistungsausgleich nach dem X. Abschnitt des EStG - DA-FamBuStra 2012 ( www.iww.de/sl304 , BStBl I 12, 696) - ist neben den AStBV (St) und den RiStBV eine der praktisch wichtigsten untergesetzlichen Verwaltungsvorschriften im Bereich des Steuerstrafrechts. Sie richtet sich in erster Linie an die - bundesweit insgesamt 23 (FamZustV 8.6.06, BGBl I 06, 1309) - Bußgeld- und Strafsachenstellen der Familienkassen (FamBuStra), die als „klein(st)e“ Steuer-Staatsanwaltschaften gemäß § 386 Abs. 1 S. 1 und 2, Abs. 2 AO, § 399 Abs. 1 AO speziell mit der Verfolgung der „Kindergeldhinterziehung“ betraut sind (Braun, PStR 08, 37 ; Elden, FamFR 13, 4; Haag, ZTR 99, 12; Kahlen, PStR 99, 92). |
1. Verfolgungszuständigkeit der FamBuStra
Tatobjekt ist hier das nach Maßgabe der §§ 31 f., 62 ff. EStG gewährte Kindergeld. Dabei handelt es sich gemäß § 31 S. 3 EStG um eine Steuervergütung (§ 37 Abs. 1 AO). Darauf bezogene „positive“ Falschangaben in Erst- oder Fortsetzungsanträgen sind demgemäß nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO strafbar, pflichtwidrig unterlassene Veränderungsanzeigen (§ 68 Abs. 1 S. 1 EStG) unterfallen § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Die Erschleichung von aufgrund des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) ausbezahltem Kindergeld stellt dagegen keine Steuerhinterziehung, sondern einen (Sozialleistungs-)Betrug (§ 263 StGB) dar. Insofern besteht - mangels Steuerstraftat - keine Verfolgungszuständigkeit der FamBuStra (§ 386 Abs. 2 Nr. 1 AO i.V. mit § 369 Abs. 1 AO).
Die DA-FamBuStra wurde zuletzt durch BZSt-Schreiben vom 31.5.12 (BStBl I, 696) geändert (Wegner, PStR 12, 225; zur Änderungshistorie: Lindwurm, AO-StB 12, 339). Dabei wurden zwei wesentliche Ungenauigkeiten/Fehler in der Dienstanweisung nicht korrigiert. Diese betreffen die in der Strafverfolgungspraxis überaus wichtige Frage, wann Vergehen der „Kindergeldhinterziehung“ voll- und beendet sind. Die Frage der Vollendung spielt vor allem für einen möglichen Rücktritt vom Versuch (§ 24 StGB) eine Rolle; die Kategorie der Tatbeendigung (§ 78a S. 1 StGB) dient als Ausgangspunkt der Verjährungsprüfung dazu, den zeitlichen Rahmen abzustecken, innerhalb dessen die „Kindergeldhinterziehung“ strafrechtlich verfolgt werden kann.
2. Tatvollendung beim Begehungsdelikt
Zur Tatvollendung beim Begehungsdelikt stellt die DA-FamBuStra in Nr. 2.5 S. 3 fest: „Eine vorsätzlich begangene Tat ist vollendet, wenn der Täter alle Tatbestandsmerkmale verwirklicht hat, z.B. einen fehlerhaften Antrag gestellt hat und nach seiner Vorstellung keine weiteren Handlungen zur Sicherung des Erfolges notwendig sind.“
Bereits der erste Satzteil ist missverständlich, weil es für die Tatvollendung nicht allein auf die vom Täter verwirklichten Tatbestandsmerkmale ankommt, sondern darauf, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung insgesamt erfüllt ist. Das betrifft insbesondere auch den über das Täterverhalten hinausgehenden Erfolgseintritt (§ 370 Abs. 1 HS. 2 AO - „und dadurch … nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt“), auf den der Täter, nachdem er das Geschehen aus der Hand gegeben - d.h. hier: den inhaltlich unzutreffenden Kindergeldantrag auf den Weg gebracht - hat, grundsätzlich keinen Einfluss mehr hat. Die Steuerhinterziehung ist kein Tätigkeits-, sondern ein Erfolgsdelikt (FGJ/Joecks, StStrafR, 7. Aufl., § 370, Rn. 20).
Hinzu kommt, dass auch das anschließende Beispiel irreführend ist. Denn es umschreibt lediglich den beendeten Versuch der „Kindergeldhinterziehung“ (§ 370 Abs. 2 AO). Für die Tatvollendung ist es aber auch erforderlich, dass der Verkürzungs- bzw. „ErschleichungserfolgV“ in Gestalt einer zu Unrecht erfolgten Kindergeldgewährung (§ 370 Abs. 4 S. 2 HS. 2 AO) tatsächlich eingetreten ist. Das ist im Beispiel der DA-FamBuStra indes nicht der Fall.
Nr. 2.5 S. 3 DA-FamBuStra könnte daher wie folgt umformuliert bzw. angepasst werden: „Eine vorsätzlich begangene Tat ist vollendet, wenn alle Merkmale des gesetzlichen Tatbestands verwirklicht sind, z.B. wenn der Täter einen fehlerhaften Antrag gestellt hat, nach seiner Vorstellung keine weiteren Handlungen zur Sicherung des Erfolgs notwendig sind und es in der Folge zu einer nicht gerechtfertigten Kindergeldgewährung kommt.“
Da die Vollendung der Unterlassungsalternative des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO überdies in der DA-FamBuStra bisher keine Erwähnung findet, böte es sich zusätzlich an, Nr. 2.5 DA-FamBuStra insoweit um zwei weitere Sätze zu ergänzen: „Wird eine nach § 68 Abs. 1 S. 1 EStG gebotene Veränderungsanzeige pflichtwidrig unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO), ist die Tat mit der ersten darauf beruhenden Kindergeldauszahlung vollendet. Der Versuch der Steuerhinterziehung beginnt hier, sobald die Veränderungsanzeige nicht mehr als „unverzüglich “ (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB) erstattet anzusehen ist.“ Die bisherigen Sätze 4 bis 6 in Nr. 2.5 DA-FamBuStra würden dann zu den Sätzen 6 bis 8.
3. Beginn der Strafverfolgungsverjährung
Was den besonders wichtigen Beginn der Strafverfolgungsverjährungsfrist (§ 78a S. 1 StGB) angeht, behandelt Nr. 4.1 DA-FamBuStra nur den Fall der vorsätzlichen Falschangaben in Erst- bzw. Folgeanträgen auf Gewährung von Kindergeld, nicht aber die Konstellation der pflichtwidrig unterlassenen Veränderungsanzeige. Die Verwaltungsvorschrift differenziert dabei danach, ob die Kindergeldfestsetzung (§ 70 Abs. 1 EStG) förmlich bekanntgegeben wurde (§ 124 Abs. 1 AO) oder ob es nur zu einer - seit 1.1.07 wegen der Streichung von § 70 Abs. 1 S. 2 EStG nur noch in Altfällen relevanten - konkludenten Bekanntgabe durch schlichte Auszahlung (Überweisung) gekommen ist. Hiernach soll die Verjährungsfrist nur im zuletzt genannten (Überweisungs-)Fall erst mit der letzten inkriminierten Auszahlung beginnen (Nr. 4.1 S. 4 DA-FamBuStra). Im Fall der förmlichen Bescheidsbekanntgabe soll der Verjährungsfristlauf dagegen bereits am Bekanntgabetag seinen Anfang nehmen (Nr. 4.1 S. 6 DA-FamBuStra).
Die zu beanstandende Passage der DA-FamBuStra lautet insgesamt wie folgt: „Bei konkludenter Bekanntgabe der Festsetzung beginnt die Verjährung demnach mit der letzten Auszahlung des Kindergeldes. Danach können auch Taten verfolgt werden, die weit mehr als fünf Jahre zurückliegen. Bei der Erteilung eines Bescheids beginnt die Verjährung mit dessen Bekanntgabe.“
Diese Rechtsauffassung steht zum einen im Widerspruch zu Nr. 2.5 S. 4 und insbesondere S. 6 DA-FamBuStra, wo es - zutreffend - heißt: „Tatbeendigung tritt solange nicht ein, als zu Unrecht die Wirkung der Kindergeldfestsetzung fortbesteht (§ 370 Abs. 4 S. 2 AO). … Für den Familienleistungsausgleich bedeutet dies, dass erst nach der letzten Auszahlung aufgrund einer auf einer strafbaren Handlung beruhenden Festsetzung die Tat beendet ist und die Verjährung beginnt.“
Zum anderen ist sie aber vor allem deshalb unzutreffend, weil das Unrecht der Hinterziehungstat auch im Fall der förmlichen Bescheidsbekanntgabe erst mit der letzten Kindergeldauszahlung seinen tatsächlichen Abschluss gefunden hat und damit i.S. von § 78a S. 1 StGB beendet ist (so auch Blesinger, wistra 96, 250; Lindwurm, AO-StB 12, 339, 342 f.). Entsprechendes gilt für diejenigen - in der DA-FamBuStra ausgesparten - Fälle, in denen eine nach § 68 Abs. 1 S. 1 EStG gebotene Veränderungsanzeige pflichtwidrig nicht erstattet worden ist.
Die Sätze 4 bis 6 in Nr. 4.1 DA-FamBuStra sollten daher entweder ganz gestrichen oder durch einen Satz 4 ersetzt werden, der inhaltlich im Wesentlichen mit Nr. 2.5 S. 4 und 6 DA-FamBuStra übereinstimmt. Insoweit kann folgender Vorschlag gemacht werden: „Bei der Erschleichung von Kindergeld durch Falschangaben (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder Unterlassen der nach § 68 Abs. 1 S. 1 EStG gebotenen Veränderungsanzeige (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) beginnt die Verjährung jeweils mit der letzten darauf beruhenden Kindergeldauszahlung.“ Die Sätze 7 und 8 in Nr. 4.1 DA-FamBuStra würden dann zu den Sätzen 5 und 6.
4. Fazit
Die DA-FamBuStra ist an den aufgezeigten Stellen missverständlich formuliert, widerspricht sich selbst und ist zum Teil sogar materiell-rechtlich unzutreffend. Vor dem Hintergrund ihrer immensen Bedeutung für die Praxis der FamBuStra sollten daher dringend entsprechende Korrekturen vorgenommen werden. Andernfalls steht zu besorgen, dass es nicht zuletzt aufgrund von Nr. 4.1 S. 6 DA-FamBuStra zu nicht gerechtfertigten Verfahrenseinstellungen kommt. Das ist in strafrechtlicher Hinsicht schon aus Gründen der Gleichbehandlung wenig wünschenswert, schlägt zudem wegen Nr. 4.2 S. 3 DA-FamBuStra voll auf das Steuer-OWi-Recht durch und kann auch auf Ebene des materiellen Kindergeldrechts wegen der bestehenden Verknüpfungen mit der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung in § 169 Abs. 2 S. 2 AO, § 171 Abs. 7 AO zu einer unzutreffenden Rechtsanwendung führen (Lindwurm, AO-StB 12, 339).
Weiterführender Hinweis
- Wegner, Strafbarkeitsrisiken im Zusammenhang mit dem steuerlichen Familienleistungsausgleich, PStR 12, 225 ff.