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  • · Nachricht · Durchsuchung

    Datenbeschlagnahme bei Social-Media-Accounts

    von LRD Max Rau, FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung, Köln

    | Bei den Sozialen Netzwerken (Social Network Services - SNS) ist in den letzten Jahren ein explosionsartiger Anstieg an Mitglieder- und Zugriffszahlen festzustellen. Diese Netzwerke sind Internet-Plattformen, auf denen man sich selbst darstellen, mit anderen vernetzen und sich online treffen und austauschen kann. Hierbei wird eine Vielzahl von Daten erzeugt, die für steuerliche, strafrechtliche und steuerstrafrechtliche Ermittlungen von Bedeutung sein können. Das AG Reutlingen hat sich mit den staatlichen Zugriffsmöglichkeiten auf diese Daten befasst und damit teilweise Neuland betreten. |

    1. AG Reutlingen vom 31.10.11 (5 Ds 43 Js 18155/jug)

    Die StA Reutlingen beschuldigte den Angeklagten der Beihilfe zum Einbruchsdiebstahl. Er soll dem Haupttäter per Facebook-Chat über sein Smartphone entscheidende Hinweise für den Einbruch geliefert haben. Eine Durchsuchung beim Angeklagten blieb erfolglos. Hierbei wurde festgestellt, dass der Speicher seines Smartphones gelöscht worden war. Mit dem Beschluss des AG Reutlingen (31.10.11, 5 Ds 43 Js 18155/jug, Abruf-Nr. 122128) wurden beim Anbieter „Fa. Facebook GmbH“ die im Account des Angeklagten gespeicherten „Messages“ sowie „Friends“, „Notes“, „Chats“, „Emails“ und „sämtliche Lichtbilder“ beschlagnahmt. Ausgenommen waren Nachrichten, die offensichtlich keinen Bezug zum Strafverfahren oder erkennbar religiöse Inhalte hatten.

    2. AG ordnet klassische Postbeschlagnahme nach § 99 StPO an

    Nach Auffassung des Gerichts war damit zu rechnen, dass der Angeklagte über Facebook sowohl vor als auch nach dem Einbruch Kontakt zum Haupttäter gehabt hatte und damit im Datenbestand des Providers mutmaßliches Beweismaterial war. Die Maßnahme wurde in entsprechender Anwendung von § 99 StPO angeordnet. Sie sei keine Eingriffsmaßnahme nach § 100a StPO, da die Messages und Chat-Unterhaltungen nicht mehr Gegenstand einer aktuell andauernden Telekommunikation seien, wenn sie sich im Gewahrsam des Providers - wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde - befänden. Sie seien insoweit mit einer Briefsendung oder einem Telegramm im Gewahrsam des Postdienstleisters vergleichbar. Da es sich nicht um eine einmalige Durchsuchung des Email-Postfachs handele, sondern um eine Postbeschlagnahme, seien die Vorgaben des BVerfG (16.6.09, 2 BvR 902/06, NJW 09, 2431) nicht maßgeblich.

    3. Praxishinweis

    Seit dem Beschlusses des BVerfG vom 12.4.05 (2 BvR 1027/02, PStR 05, 174), ist geklärt, dass im Rahmen des hier maßgeblichen § 94 StPO auch Daten „Gegenstände“ im Sinne dieser Vorschrift und damit beschlagnahmefähig sind. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sind vorliegend nicht der gesamte Account sondern nur bestimmte Inhalte beschlagnahmt worden. Die Anforderungen der StPO an die genaue Bezeichnung des gesuchten Beweismittels sind m.E. erfüllt (zur Unwirksamkeit einer zu unbestimmten Beschlagnahme - BVerfG 3.9.91, 2 BvR 279/90, NJW 92, 551).

     

    Mit dem Zugriff auf „Nachrichten“ und „Chats“ sind Kommunikationsvorgänge betroffen, die grundsätzlich dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 GG) unterliegen. Insoweit schützt das Fernmeldegeheimnis auch bereits gelesene private Nachrichten auf dem Server des Betreibers. Mit dem ab 1.1.08 geltenden § 110 Abs. 3 StPO werden die Strafverfolgungsbehörden entgegen der früheren Rechtslage (hierzu BVerfG 2.3.06, 2 BvR 2099/04, PStR 06, 72 - nur die auf dem eigenen Rechner gespeicherten Emails unterliegen nicht dem hohen Grundrechtsschutz des Art. 10 GG) sogar ermächtigt, auf den Server eines Internetanbieters für E-Mail-Kommunikation vom Rechner des Beschuldigten aus zuzugreifen und diese Daten zu Beweiszwecken zu sichern. In seinem Beschluss vom 16.6.09 führt das BVerfG (2 BvR 902/06, NJW 09, 2431) aus, dass die strafprozessualen Vorschriften der §§ 94 ff. StPO trotz des bestehenden Fernmeldegeheimnisses grundsätzlich die Sicherstellung und Beschlagnahme von Emails auf dem Mailserver des Providers ermöglichen. Der für den Fall nicht bekannter Zugangsdaten entwickelte Lösungsansatz der „vorläufigen Sicherstellung“ des beim Providers gespeicherten Email-Bestands mit anschließender Sichtung gemäß § 110 Abs. 1 oder Abs. 3 StPO (auch BGH 24.11.09, StB 48/09 (a), NJW 10, 1297), der regelmäßig die freiwillige Herausgabe des Datenbestands durch den Provider voraussetzt, ist hier nicht maßgebend, da es sich nicht um eine einmalige Durchsuchung des Accounts, sondern um eine klassische Postbeschlagnahme nach § 99 StPO gehandelt hat, die von der Rechtsprechung des BVerfG als zulässig erachtet wird.

     

    Folgender Aspekt wurde im Beschluss des AG Reutlingen nicht angesprochen: Die „Firma Facebook GmbH“ betreibt nicht die Facebook-Server und hat nach eigenen Angaben auch keine Verfügungsbefugnis über die darauf gespeicherten Daten. Anbieter des Dienstes sei vielmehr die in Irland ansässige Facebook Ireland Limited. Wenn dies zutrifft, geht der Beschluss ins Leere und es bedarf eines Rechtshilfeersuchens nach Irland. Interessant ist hier auch die Frage, welche Möglichkeiten bestehen, wenn im Rahmen einer Durchsuchungsmaßnahme die Zugangsdaten zum Account bekannt werden. Sofern feststeht, dass die Daten bei einem ausländischen Dienst auf dessen Servern im Ausland gespeichert sind, würde sich der einwählende Ermittlungsbeamte dann außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik bewegen. Dies dürfte als Verletzung ausländischer Hoheitsrechte unzulässig sein und ein Verwertungsverbot zur Folge haben (LG Hamburg 8.1.08, 619 Qs 1/08, wistra 08, 116; ausführlich dazu auch Braun in PStR 12, 86 ff.). Bei im Inland befindlichen Daten käme die Vorschrift des § 110 Abs. 3 StPO zur Anwendung.

     

    FAZIT | Die Frage des - rechtlich zulässigen - Zugriffs auf bei Sozialen Netzwerken gespeicherte Daten gewinnt an Bedeutung für eine effiziente Strafverfolgung. Die derzeitigen Eingriffsnormen sind ohne Kenntnis von der Existenz und den Möglichkeiten dieser Institutionen geschaffen worden. Wo ein Datentransfer nicht mehr möglich ist, muss der Gesetzgeber mindestens klarstellend tätig werden - wie etwa bei Durchsicht von ausgelagerten Datenträgern nach § 110 Abs. 3 StPO. Vor allem bezüglich notwendiger Ermittlungen im Ausland besteht Handlungsbedarf.

    Quelle: ID 34649910