· Fachbeitrag · Gesetzesentwurf
Kabinettsentwurf zur Reform der strafbefreienden Selbstanzeige - ein kurzer Überblick
von Prof. Dr. Carsten Wegner, Krause & Kollegen, Berlin
| Das Bundeskabinett hat am 24.9.14 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung beschlossen. Mit diesem Gesetz sollen die Regelungen der strafbefreienden Selbstanzeige ( § 371 AO ) und des Absehens von Verfolgung in besonderen Fällen ( § 398a AO ) angepasst werden. Das Rechtsinstitut der Selbstanzeige soll dabei dogmatisch erhalten bleiben. Die Anwendungsvoraussetzungen sowie die finanziellen Konsequenzen sollen aber verschärft werden. |
1. Änderungen in § 371 Abs. 1 AO
Wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wird nach den Plänen der Bundesregierung wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 AO bestraft (§ 371 Abs. 1 S. 1 AO-E). Erforderlich ist also ein „reiner Teller“ - und kein in der Sprache des BGH „reiner Tisch“ -, denn auch weiterhin soll kein steuerartübergreifendes Vollständigkeitsgebot normiert werden. Für die Praktikabilität der Selbstanzeige wäre es wünschenswert, wenn gesetzlich klargestellt werden würde, dass sich der „reine Teller“ bezüglich einer Steuerart immer nur auf ein- und dasselbe Steuersubjekt beziehen muss.
Die Angaben müssen zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgen (§ 371 Abs. 1 S. 2 AO-E). Demnach sind taktische Gestaltungsüberlegungen, die sich bei der Selbstanzeige zunächst einmal an dem strafrechtlichen Risiko orientieren und nicht an den steuerhaftungsrechtlichen Fristen in § 169 AO, passé.
2. § 371 Abs. 2 AO: Sperrgründe
Straffreiheit nach § 371 Abs. 2 AO-E tritt nach dem Plan der Bundesregierung nicht ein,
- wenn bei einer zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung
- dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten i.S. des § 370 Abs. 1 AO oder dessen Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 AO bekannt gegeben worden ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der angekündigten Außenprüfung (Nr. 1a), oder
- dem an der Tat Beteiligten oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist (Nr. 1b), oder
- ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung erschienen ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung (Nr. 1c), oder
- ein Amtsträger zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist (Nr. 1d), oder
- ein Amtsträger der Finanzbehörde zu einer USt-Nachschau nach § 27b UStG, einer LSt-Nachschau nach § 42g EStG oder einer Nachschau nach anderen steuerrechtlichen Vorschriften erschienen ist und sich ausgewiesen hat (Nr. 1e), oder
- einer der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste (Nr. 2),
- die nach § 370 Abs. 1 AO verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 25.000 EUR je Tat übersteigt (Nr. 3), oder
- ein in § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 bis 5 AO genannter besonders schwerer Fall vorliegt (Nr. 4).
Neben der begrifflichen Erweiterung der Sperrgründe auf „Beteiligte“ etc., die in unternehmerischen Strukturen zu Verschärfungen bzw. Schwierigkeiten in der Abwicklung führen kann, ist insbesondere auf die Ausweitungen in § 371 Abs. 2 Nr. 1e, Nr. 3 und Nr. 4 AO hinzuweisen. Führt die Nachschau (§ 371 Abs. 2 Nr. 1e AO) zu keinen Ergebnissen, entfällt der Sperrgrund, sobald die Nachschau beendet ist (z.B. Verlassen des Ladenlokals, der Geschäftsräume).
Wegen seiner Einschränkung der Sperre für eine Selbstanzeige ist auch § 371 Abs. 2 S. 2 AO-E von Interesse, wonach der Ausschluss der Straffreiheit nach § 371 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a und 1c AO-E nicht die Abgabe einer Berichtigung für die nicht unter diese Normen fallenden Steuerstraftaten einer Steuerart hindert. Es bleibt also „komplex“.
3. § 371 Abs. 2a: Besonderheiten bei der Umsatzsteuer
Als Reaktion auf die praktischen Bedenken und Unsicherheiten bei Anmeldesteuern ist § 371 Abs. 2a AO-E vorgesehen. Soweit die Steuerhinterziehung durch Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe einer vollständigen und richtigen USt-Voranmeldung oder LSt-Anmeldung begangen worden ist, soll Straffreiheit abweichend von § 371 Abs. 1 und 2 Nr. 3 AO-E in dem Umfang eintreten, in dem der Täter gegenüber der Finanzbehörde die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt (§ 371 Abs. 2a S. 1 AO-E). § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO-E soll nicht gelten, wenn die Entdeckung der Tat darauf beruht, dass eine USt-Voranmeldung oder LSt-Anmeldung nachgeholt oder berichtigt wurde.
§ 371 Abs. 2a S. 1 und 2 AO-E sollen nicht für Steueranmeldungen gelten, die sich auf das Kalenderjahr beziehen (§ 371 Abs. 2a S. 3 AO-E). Für die Vollständigkeit der Selbstanzeige hinsichtlich einer auf das Kalenderjahr bezogenen Steueranmeldung soll die Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung der Voranmeldungen, die dem Kalenderjahr nachfolgende Zeiträume betreffen, nicht erforderlich sein (§ 371 Abs. 2a S. 4 AO-E).
PRAXISHINWEIS | Um Rechtssicherheit für die Praxis zu schaffen, ist für die USt-Voranmeldung, soweit es sich nicht um eine Jahresanmeldung handelt, und die LSt-Anmeldung eine Regelung vorgesehen, die eine Ausnahme vom Vollständigkeitsgebot des § 371 AO und der Tatentdeckung vorsieht. Damit soll der Rechtszustand vor Inkrafttreten des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes (2011) für den Bereich der USt-Voranmeldung und der LSt-Anmeldung wieder hergestellt werden - d.h. eine korrigierte oder verspätete USt-Voranmeldung bzw. LSt-Anmeldung würde ab dem 1.1.15 wieder als wirksame Teilselbstanzeige gelten. |
Als weitere Ausnahme vom Vollständigkeitsgebot des § 371 Abs. 1 AO ist vorgesehen, dass die USt-Jahreserklärung für das Vorjahr nicht auch Berichtigungen für die Umsatzsteuervoranmeldungen des laufenden Jahres umfassen muss. Dies ist sinnvoll und praktikabel.
4. § 371 Abs. 3 AO: Zinsen als Zahlungspflicht
Künftig soll Straffreiheit nur erlangt werden, wenn auch die rückständigen Zinsen gezahlt werden (§ 371 Abs. 3 AO-E). Dies ist bei der Vorbereitung der für eine wirksame Selbstanzeige erforderlichen Liquidität mit zu berücksichtigen. Bei USt-Voranmeldungen - mit Ausnahme der USt-Jahreserklärung und LSt-Anmeldungen (§ 371 Abs. 2a S. 1 AO-E) - soll die Straffreiheit allerdings nicht davon abhängen, dass auch die Zinsen zugleich mit den Nachsteuern entrichtet werden. Hier soll die bisherige Rechtslage gelten.
5. § 376 AO: Keine Ausweitung der strafrechtlichen Verjährung
Während der Referentenentwurf vom August 2014 noch vorsah, dass künftig alle steuerstrafrechtlichen Verfehlungen nach § 370 AO in 10 Jahren verjähren - und damit deutlich abgewichen wären von z.B. § 263 StGB (Betrug) oder § 266 StGB (Untreue) -, findet sich hierzu im Regierungsentwurf nichts mehr.
6. § 378 Abs. 3 AO: Änderungen für Steuerordnungswidrigkeiten
Im Bereich der bußgeldrechtlichen Selbstanzeige ist vorgesehen, dass sanktionsrechtlicher Frieden in den Fällen, in denen Steuerverkürzungen bereits eingetreten oder Steuervorteile erlangt sind, nur dann eintritt, wenn der Täter (wohl: „Betroffener“ im Sinne der bußgeldrechtlichen Terminologie) die aus der Tat zu seinen Gunsten verkürzten Steuern innerhalb der ihm bestimmten angemessenen Frist entrichtet (§ 378 Abs. 3 S. 2 AO-E).
7. § 398a AO-E: Absehen von Verfolgung in besonderen Fällen
In Fällen, in denen Straffreiheit nur wegen § 371 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 AO nicht eintritt, soll nach § 398a Abs. 1 AO-E von der Verfolgung einer Steuerstraftat abgesehen werden, wenn der an der Tat Beteiligte innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist
- die aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern, die Hinterziehungszinsen nach § 235 AO und die Zinsen nach § 233a AO, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Abs. 4 AO angerechnet werden, entrichtet (§ 398a Abs. 1 Nr. 1 AO-E) und
- einen Geldbetrag in folgender Höhe zugunsten der Staatskasse zahlt (§ 398a Abs. 1 Nr. 2 AO-E):
- 20 % der hinterzogenen Steuer, wenn der Hinterziehungsbetrag 1 Mio. EUR übersteigt (Nr. 2c).
Dies wird die Selbstanzeige deutlich verteuern, unabhängig davon, dass die dem Gesetzentwurf beigefügten Berechnungsbeispiele widersprüchlich bzw. unzutreffend sind. Die Bemessung des für die Berechnung des Geldbetrags maßgeblichen Hinterziehungsbetrags richtet sich nach den Grundsätzen in § 370 Abs. 4 AO (§ 398 Abs. 2 AO-E), d.h. es gilt das Kompensationsverbot.
Neu sind die Regelungen zur Wiederaufnahme eines nach § 398a Abs. 1 AO-E abgeschlossenen Verfahrens: Nach § 398a Abs. 3 AO-E soll eine Wiederaufnahme zulässig sein, wenn die Finanzbehörde erkennt, dass die Angaben im Rahmen einer Selbstanzeige unvollständig oder unrichtig waren.
Bemerkenswert ist, dass nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO-E der für die an sich erstrebte Straffreiheit gezahlte Geldbetrag nicht erstattet werden soll, wenn wider Erwarten keine Straffreiheit über § 398a Abs. 1 AO-E eintritt. Das (Straf-)Gericht „kann“ diesen Betrag jedoch auf eine wegen Steuerhinterziehung verhängte Geldstrafe anrechnen. Nach welchen Kriterien das Strafgericht seine „Kann“-Entscheidung finden soll, bleibt damit ebenso offen wie die Frage, ob eine entsprechende Anrechnung auch auf eine Geldauflage nach § 153a StPO oder eine Bewährungsauflage erfolgen „kann“.
8. § 170 Abs. 6 AO-E: Besonderheit für „Schurkenstaaten“
Nach § 170 Abs. 6 AO-E soll für die Steuer, die auf Kapitalerträge entfällt, die aus Staaten oder Territorien stammen, die nicht Mitglieder der Europäischen Union oder Europäischen Freihandelsassoziation sind und nicht nach Verträgen i.S. des § 2 Abs. 1 AO oder hierauf beruhenden Vereinbarungen automatisch mitgeteilt werden, die Festsetzungsfrist frühestens mit Ablauf des Kalenderjahres beginnen, in dem diese Kapitalerträge der Finanzbehörde durch Erklärung des Steuerpflichtigen oder in sonstiger Weise bekannt geworden sind, spätestens jedoch 10 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.