· Fachbeitrag · Kapitalertragsteuer
Keine Anrechnung von Kapitalertragsteuer aus Cum-Ex-Aktiengeschäften
von RA Philipp Külz, FA StR, Zertifizierter Berater für Steuerstrafrecht (DAA), und RAin Christina Odenthal, LL.M., ROXIN Rechtsanwälte LLP, Düsseldorf
| Das Hessische FG hat in einer mit Spannung erwarteten Entscheidung die Klage einer Bank auf Anrechnung von KapESt aus eigenen Aktienkäufen um den Dividendenstichtag abgewiesen ( Hessisches FG 10.3.17, 4 K 977/14, Abruf-Nr. 193243 ). Das Hessische FG hatte die Revision zugelassen. Inzwischen ist klar, dass die Klägerin auf eine Revision beim BFH und damit auf eine höchstrichterliche Klärung verzichtet hat. |
1. Anrechnung von KapESt in zweistelliger Millionenhöhe?
Gegenstand des Rechtsstreits waren außerbörsliche Aktiengeschäfte, welche die Rechtsvorgängerin der Klägerin (A-Bank) vor dem Dividendenstichtag mit einem Anspruch auf die zu erwartende Dividende abgeschlossen hatte, die jedoch erst nach dem Dividendenstichtag mit Aktien, aber ohne Dividende, beliefert wurde.
Die Klägerin begehrt für die entsprechenden Geschäfte ihrer Rechtsvorgängerin die Anrechnung von KapESt in zweistelliger Millionenhöhe.
2. Das Hessische FG hat die Klage abgewiesen
Das Hessische FG stellt klar, dass derjenige nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG anrechnungs- und erstattungsberechtigt ist, dem die Kapitalerträge, von welchen die KapESt abgezogen worden ist, als Einkünfte i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zuzurechnen sind. Dies ist hier nicht der Fall. Die Klägerin - bzw. die A-Bank als Rechtsvorgängerin - war zum Zeitpunkt des Dividendenstichtags weder Eigentümerin (§ 39 Abs. 1 AO) noch wirtschaftliche Eigentümerin (§ 39 Abs. 2 AO) des Wirtschaftsgutes, sodass vorliegend kein Anspruch auf die von der ausschüttenden Aktiengesellschaft auf die originäre Dividende abgeführte KapESt besteht.
Bei den streitgegenständlichen girosammelverwahrten Aktien erfolgt die für die Eigentumsübertragung erforderliche Übergabe durch eine Umbuchung der Wertpapiersammelbank. Da die erworbenen Aktien ihrem Depotkonto bei der Wertpapiersammelbank noch nicht gutgeschrieben waren, war die A-Bank im Zeitpunkt der Dividendenausschüttung bei Kupontrennung noch nicht zivilrechtliche Eigentümerin der Aktien.
Das Gericht führt weiter umfassend aus, dass auch das wirtschaftliche Eigentum an den Aktien nicht bereits vor dem Dividendenstichtag übergegangen ist. So legt es zunächst den Wortlaut des § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AO zugrunde und verdeutlicht, dass sich daraus ein Regel-Ausnahme-Verhältnis ergibt, nach dem sich Eigentum und wirtschaftliches Eigentum gegenseitig ausschließen. Ein Wirtschaftsgut lässt sich demzufolge nur einem Steuersubjekt zurechnen.Für das wirtschaftliche Eigentum erachtet das Gericht das mit dem Eigentum verbundene Ausschließungsrecht als entscheidend.
Insbesondere setzt sich das Gericht in diesem Zusammenhang mit der von der Klägerin angeführten Entscheidung des BFH zum Dividendenstripping (BFH 15.12.99, I R 29/97, BStBl II 00, 527) auseinander, nach der die Voraussetzungen für die Rechtsfolge des vorzeitigen Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums an den Abschluss des schuldrechtlichen Aktienkaufvertrags geknüpft wurden. Hier stellt es klar, dass die darin entschiedenen Grundsätze jedoch nicht auf außerbörsliche Aktiengeschäfte, die gegenüber regulären Börsengeschäften keine Sicherungsmechanismen - etwa in Form eines Sperrvermerks - bieten, übertragbar sind.
Vielmehr ist bei OTC-Handelsgeschäften mit dem Abschluss eines schuldrechtlichen Vertrags gerade nicht gewährleistet, dass der Erwerber die Gewinnansprüche aus den Aktien in Form der originären Dividende erhält. Damit ist weder das in der Entscheidung des BFH geforderte Merkmal, dass dem Erwerber die mit den Anteilen verbundenen Gewinnansprüche nicht mehr entzogen werden können, noch die für den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums erforderliche Verfügungsmacht vorhanden. Der lediglich bestehende schuldrechtliche Lieferanspruch versetzt den Aktienkäufer somit nicht in die Lage, den zivilrechtlichen Eigentümer von der Sachherrschaft über die Aktie auszuschließen.
Ebenso wenig ergibt sich eine gegenteilige Auffassung aus der weiteren, von der Klägerin herangezogenen Entscheidung des BFH (16.4.14, I R 2/12, DStR 14, 2012). In dem zitierten Fall hat der BFH nach Ansicht des Hessischen FG gerade nicht darüber entschieden, ob bei OTC-Geschäften für den Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums an Aktien bereits der schuldrechtliche Vertrag genügt. Ohne nähere Konkretisierung hat der BFH lediglich dargelegt, dass der Übergang von wirtschaftlichem Eigentum durch schuldrechtliche Vereinbarungen auch bei OTC-Geschäften grundsätzlich möglich sein könnte. Insbesondere wurde dabei offengelassen, ob auch bei Leerverkäufen wirtschaftliches Eigentum erworben werden kann. Insgesamt sieht das Hessische FG die A-Bank erst im Zeitpunkt der Belieferung und damit nach dem Dividendenstichtag als Aktieninhaberin an.
Soweit die Klägerin darauf Bezug nimmt, dass in der Gesetzesbegründung zum Jahressteuergesetz 2007 (BT-Drs. 16/2712 vom 25.9.06) mit Blick auf Leerverkäufe der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf den Erwerber bereits am Handelstag angenommen wird, stellt die Aussage des Gesetzgebers nach Auffassung des Hessischen FG ein „obiter dictum“ dar. Insofern sehen die Richter darin schlichtweg eine bei Gelegenheit geäußerte - unzutreffende - Rechtsansicht, die nicht dem Willen des Gesetzgebers zugerechnet und insofern keine Rechtswirkung entfalten kann.
Ebenfalls ins Leere geht der Versuch der Klägerin, aus den mit der Einführung des JStG 2007 geschaffenen § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 4 EStG i. V. mit § 44 Abs. 1 S. 3 EStG sowie § 45a Abs. 2 und 3 EStG herzuleiten, dass ihr neben dem Aktieninhaber die Dividende einschließlich ihres KapESt-Anrechnungsanspruchs zuzurechnen sei. Nach Überzeugung des Gerichts hat der Gesetzgeber gerade nicht die mehrfache Anrechnung einmal abgeführter KapESt gebilligt. Vielmehr war - wie sich aus der tragenden Gesetzesbegründung ergibt - beabsichtigt, vor dem Regelungshintergrund der Einführung eines neuen Einkünftetatbestands und der KapESt-Einbehaltungspflicht auf Dividendenkompensationszahlungen der doppelten Anrechnung von KapESt zu begegnen.
Nichts anderes ergibt sich nach Auffassung des Gerichts aus der Beschränkung des Gesetzgebers, dass allein inländische Kreditinstitute verpflichtet sind, KapESt auf die Dividendenkompensationszahlung einzubehalten und abzuführen. Der Gesetzgeber habe eine mehrfache Anrechnung in den von der Neuregelung nicht erfassten Fällen (insbesondere Leerverkaufsstrukturen mit einer ausländischen Depotbank auf der Veräußererseite) keinesfalls bewusst in Kauf genommen. Vielmehr verdeutlicht dies, dass - obwohl der deutsche Fiskus keine Möglichkeit hatte, eine entsprechende Verpflichtung auch gegenüber ausländischen Banken durchzusetzen - der Gesetzgeber ein in sich geschlossenes Besteuerungssystem geschaffen hat, welches darauf abzielt, Steuerausfälle insofern zu vermeiden.
Schließlich sah das Gericht es entgegen der Ansicht der Klägerin als evident an, dass ein Anspruch auf Anrechnung von KapESt auf Dividendenkompensationszahlungen für den Aktienkäufer lediglich dann bestehen kann, wenn durch die inländische Depotbank des Aktienverkäufers die KapESt tatsächlich erhoben wurde. Dies war hier jedoch nachweislich nicht der Fall. Insbesondere erachtet das Gericht im Hinblick auf die Dividendenkompensationszahlung die bloße Auszahlung der Nettodividende an die Depotbank des Aktienkäufers nicht als ausreichend für die Einbehaltung und demzufolge auch nicht für die Erhebung der KapESt.
Soweit die durch den Aktienverkäufer eingeschaltete Depotbank eine Verrechnung der Aktienverkäufe durch Aktienkäufe mit gleichen Handels-, Valuta- und Lieferdaten vornahm und dadurch keine KapESt auf die Veräußerungsgeschäfte erhob, beurteilt das Gericht dieses Vorgehen als unzulässig. Das System der KapESt-Erhebung gebietet es, die KapESt auf jeder Handelsstufe zu erheben, da nur so der mit der Einführung des JStG 2007 beabsichtigte Ausgleich zwischen der erhobenen und der angerechneten KapESt gewährleistet ist. Dies gilt insbesondere bei Kettengeschäften, bei welchen auf der Handelsstufe, auf der von einem Verkäufer mit einer ausländischen Depotbank bezogen wird, der Ausgleich zwischen erhobener und angerechneter KapESt nicht mehr gewährleistet ist.
Ob vor diesem Hintergrund der noch in dem letzten wegweisenden Urteil des FG Hessen zu den Cum-Ex-Geschäften (10.02.16, 4 K 1684/14, siehe auch Külz/Schneider, PStR 16, 181 ff.) angenommene Anscheinsbeweis, dass inländische Depotbanken bei Cum-Ex-Geschäften ihrer Verpflichtung zur Abführung von KapESt auf Dividendenkompensationszahlungen nachkommen, aufrechterhalten werden kann, zieht das Gericht - es handelt sich hier um ein systematisch fehlerhaftes Vorgehen eines Kreditinstituts, das auf dem deutschen Markt ein hohes Aktienvolumen umsetzt - in Zweifel.
Das Hessische FG hatte die Revision zugelassen. Die Klägerin hat jedoch mittlerweile auf die Einlegung einer Revision beim BFH verzichtet, sodass eine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Thematik weiterhin aussteht.
3. Praxishinweis
Die Entscheidung des Hessischen FG ist das bislang weitreichendste Urteil im Zusammenhang mit den Cum-Ex-Geschäften. Da das Gericht die Revision zugelassen hat, wird sich aller Voraussicht nach auch der BFH mit dieser Thematik beschäftigen. Es ist aber davon auszugehen, dass bereits die Ausführungen aus Hessen positiven Anklang bei den Strafverfolgungsbehörden gefunden haben und deren Position zumindest nicht schwächen. Für sämtliche der in diesem Kontext geführten Verfahren sollten die Ermittlungsbehörden die subjektive Komponente der Steuerhinterziehung nach § 370 AO jedoch nicht außer Acht lassen und keinesfalls vorschnell den heutigen „Wissensmaßstab“ auf die Vergangenheit anlegen. So mancher Staatsanwalt wird sich bei einer ehrlichen Selbsteinschätzung eingestehen müssen, dass er selbst mehrere Tage benötigt hat, um zumindest die Grundzüge dieser Thematik verstanden zu haben.